Mit einer Teilklage hat der Kläger im Rahmen von gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit, lediglich einen Teil der ihm zustehenden Anspruch geltend zu machen.

In BGer 4A_307/2021 vom 23. Juni 2022 hatte das Bundesgericht die Gelegenheit, sich mit verschiedenen Aspekten der Teilklagen auseinanderzusetzen.

 

Die Zulässigkeit der Teilklage

2.2. Ist ein Anspruch teilbar, so kann auch nur ein Teil eingeklagt werden (Art. 86 ZPO).

2.2.1. […] In der Botschaft hielt der Bundesrat fest, die klagende Partei könne mit Teilklage ihre Prozesskosten reduzieren oder zur Beschleunigung des Verfahrens bewusst nur den liquiden Teil ihres Anspruchs geltend machen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7288). 

2.2.2. Die in Art. 86 ZPO vorgesehene Möglichkeit der Teilklage folgt aus dem Dispositionsgrundsatz (Art. 58 Abs. 1 ZPO; vgl. Urteil 4A_633/2012 vom 21. Februar 2013 E. 2.4; Botschaft ZPO, BBl 2006 7288; HOHL/BOVEY, Dix ans de Code de procédure civile, in: ZSR 140/2021 I S. 509 ff., 510). Bereits vor der ausdrücklichen Normierung in der ZPO ergab sich die Zulässigkeit der Teilklage aus dem materiellen Bundesrecht, namentlich aus Art. 69 Abs. 2 OR, wonach der Gläubiger nur Teilzahlungen verlangen kann, wenn es ihm beliebt (Urteile 4A_519/2012 vom 30. April 2013 E. 4; 4A_194/2012 vom 20. Juli 2012 E. 1.3, je mit Hinweisen). Voraussetzung für die Teilklage ist, dass der Anspruch teilbar ist. Bei Geldforderungen ist dies stets der Fall (BGE 143 III 506 E. 4.1; 142 III 683 E. 5.2). 

 

Vorteile der Teilklage

2.2.3. Daher hat die Teilklage für die klagende Partei verschiedene Vorteile. Denn der Streitwert wird durch das Rechtsbegehren bestimmt (Art. 91 Abs. 1 ZPO). Dies ermöglicht eine Verminderung der Prozesskosten, weil grundsätzlich nur der Streitwert des eingeklagten Teilanspruchs massgebend ist. In arbeitsrechtlichen Verfahren können gemäss Art. 113 Abs. 2 lit. d ZPO und Art. 114 lit. c ZPO die Gerichtskosten gänzlich eingespart werden, wenn höchstens Fr. 30’000.– eingeklagt werden. Ferner kann das Verfahren beschleunigt und vereinfacht werden, weil der Prozess nach Art. 243 Abs. 1 ZPO bei Streitwerten bis zu Fr. 30’000.– im vereinfachten Verfahren geführt wird. Zudem gilt gegebenenfalls der sozialpolitisch begründete Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 247 Abs. 2 lit. b ZPO. Schliesslich kann es für die klagende Partei vorteilhaft sein, wenn das Verfahren rascher zum Abschluss gelangt, weil aufgrund des tiefen Streitwerts gemäss Art. 308 Abs. 2 ZPO (unter Fr. 10’000.–) keine Berufung oder gemäss Art. 74 Abs. 1 BGG (unter Fr. 15’000.– in arbeits- und mietrechtlichen Fällen [lit. a] beziehungsweise unter Fr. 30’000.– in allen übrigen Fällen [lit. b]) unter Vorbehalt von Art. 74 Abs. 2 BGG keine Beschwerde in Zivilsachen möglich ist. Überdies kann sich eine Teilklage anbieten, wenn die klagende Partei die Beweislage für den Gesamtanspruch noch nicht als ausreichend erachtet (FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. I, 2. Aufl. 2016, S. 94 f. Rz. 508; PASCAL GROLIMUND, in: Zivilprozessrecht, Staehelin und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2019, S. 224 § 14 Rz. 37; Frank Emmel, Echte Teilklage vor Arbeitsgericht und negative Feststellungswiderklage, in: BJM 2012 S. 61 ff., 69 ff.; Gremper/Martin, Zulässigkeit und Schranken der negativen Feststellungswiderklage im vereinfachten Verfahren nach der Schweizerischen ZPO, in: AJP 2011 S. 90, 91 f.; Curchod/Gonczy, L’action partielle, AJP 2019 S. 803 ff., 808 f.; Sophie Dorschner, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2017, N. 4 f. zu Art. 86 ZPO; Daniel Füllemann, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 2 zu Art. 86 ZPO); Florian Mohs, in: ZPO Kommentar, Gehri und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2015, N. 2 zu Art. 86 ZPO; Matthias Courvoisier, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker&McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 3 zu Art. 86 ZPO; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario pratico al Codice di diritto processuale civile svizzero, Trezzini und andere [Hrsg.], Bd. I, 2. Aufl. 2017, N. 3 und 16. zu Art. 86 ZPO; vgl. auch Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 86 ZPO). Zusätzlich kann sich die Teilklage als vorteilhaft erweisen, wenn die Zahlungsfähigkeit der beklagten Partei beschränkt ist (Bopp/Bessenich, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 6 zu Art. 86 ZPO; Alexander R. Markus, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. 1, 2012, N. 4 und 7 zu Art. 86 ZPO). Denkbar ist selbst ein eigentlicher Pilot- oder Testprozess (Sabine Baumann Wey, Teilklage, unbezifferte Forderungsklage, Stufenklage – die Qual der Wahl? in: Haftpflichtprozess 2014, Fellmann/Weber [Hrsg.], S. 102; HOHL/BOVEY, a.a.O., S. 510; Markus, a.a.O., N. 4 und 7 f. zu Art. 86 ZPO; vgl. auch ZR 114/2015 S. 208 ff., 209 f., Nr. 55 E. 3.1 f.). 

 

Nutzung des vereinfachten Verfahrens

2.3.1. In Rechtsprechung und Lehre ist allgemein anerkannt, dass die Teilklage der klagenden Partei verschiedene Vorteile bietet. So kann sie beispielsweise die sachliche Zuständigkeit beeinflussen, die Prozesskosten vermindern, das Verfahren beschleunigen, den Rechtsmittelweg beschränken oder die Beweislage klären (vgl. E. 2.2.3 hiervor). Die Lehre hält in Einklang mit der Rechtsprechung grossmehrheitlich dafür, die Verfolgung dieser Vorteile sei legitim. Die Botschaft zur eidgenössischen ZPO erwähnt die Reduktion von Prozesskosten ausdrücklich als Grund für eine Teilklage (vgl. E. 2.2.1 hiervor). Die einzige Grenze liegt im Verbot des Rechtsmissbrauchs und im Gebot von Treu und Glauben (vgl. E. 2.2.5 hiervor). Die Annahme, es liege stets eine Gesetzesumgehung vor, wenn eigentlich eine höhere Forderung im Raum stehe und die Aufteilung nur erfolge, damit keine Gerichtskosten anfallen (vgl. E. 2.2.5.2.3 f. hiervor), greift zu weit. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, die Kostenfreiheit gemäss Art. 113 Abs. 2 lit. d und Art. 114 lit. c ZPO sollte mit Blick auf den von den Bestimmungen verfolgten Zweck an sich nur jenen Arbeitnehmern zuteilwerden, die tatsächlich darauf angewiesen sind, war jedenfalls eine Einzelfallprüfung der finanziellen Verhältnisse nie vorgesehen. Abgesehen davon ist fraglich, ob sie praktikabel wäre.  

2.3.2. Gestützt auf Art. 113 Abs. 2 lit. d und Art. 114 lit. c ZPO gilt in arbeitsrechtlichen Verfahren bis zu einem Streitwert von Fr. 30’000.– Kostenfreiheit. Davon profitiert nach dem Gesagten auch, wer bloss eine Teilklage einreicht, solange die Teilklage nicht gegen das Rechtsmissbrauchsverbot oder Treu und Glauben verstösst. Der Genuss der Vorteile einer bestimmten sachlichen Zuständigkeit oder eines bestimmten Verfahrens durch Teilklage begründet grundsätzlich keinen Rechtsmissbrauch (vgl. E. 2.2.4 und 2.3.1 hiervor). Das bedeutet indessen nicht, dass jegliche Ausgestaltung von Teilklagen, die zu einer Kostenminimierung führt, zulässig wäre (vgl. E. 2.2.5.2.5 hiervor) :  

2.3.2.1. Mit dem vereinfachten Verfahren wollte der Gesetzgeber einen gegenüber dem ordentlichen Verfahren beschleunigten Rechtsweg schaffen. Dieser soll es den Parteien ermöglichen, in Fällen mit vergleichsweise kleinem Streitwert und insbesondere in den Materien des sogenannten sozialen Privatrechts mit vertretbarem Aufwand und innert überschaubarer Frist eine gerichtliche Beurteilung ihres Rechtsstreits zu erlangen. Das vereinfachte Verfahren ist auf Angelegenheiten zugeschnitten, für die „der ordentliche Prozess zu schwer wäre“, und soll damit auch zur Entlastung der Gerichte beitragen (BGE 146 III 297 E. 2.4; Urteil 4A_534/2020 vom 29. Januar 2021 E. 2.3).  

2.3.2.2. Der Gesetzgeber hat sowohl für die Kostenfreiheit bei Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis (Art. 114 lit. c ZPO) als auch (unter Vorbehalt von Art. 243 Abs. 2 ZPO) grundsätzlich für die Ausgestaltung des vereinfachten Verfahrens (Art. 243 Abs. 1 ZPO) eine Streitwertgrenze vorgesehen. Die Teilklage erlaubt der klagenden Partei, den eingeklagten Anspruch so einzugrenzen, dass sie vom vereinfachten Verfahren und der Kostenfreiheit profitieren kann. Dieser Möglichkeit war sich der Gesetzgeber bewusst, und er hat sie mit der Regelung der Teilklage in Kauf genommen (vgl. E. 2.1.1 hiervor).  

 

Grundsatz: keine Missbräuchlichkeit der Teilklage

2.2.4. Das Schrifttum hält mehrheitlich dafür, die Verfolgung dieser Vorteile sei grundsätzlich legitim. Es sei an sich nicht rechtsmissbräuchlich, wenn durch eine Teilklage die Vorteile einer bestimmten sachlichen Zuständigkeit oder eines bestimmten Verfahrens in Anspruch genommen werden (HOHL/BOVEY, a.a.O., S. 515; Dorschner, a.a.O., N. 7 zu Art. 86 ZPO; Füllemann, a.a.O., N. 2 zu Art. 86 ZPO; Bopp/Bessenich, a.a.O., N. 7 zu Art. 86 ZPO; Mohs, a.a.O., N. 2 zu Art. 86 ZPO; Gremper/Martin, a.a.O., S. 92; Markus, a.a.O., N. 7 zu Art. 86 ZPO; TREZZINI, a.a.O., N. 15 ff. zu Art. 86 ZPO; vgl. auch ZR 114/2015 S. 208 ff., 209 f., Nr. 55 E. 3.1 f.; differenziert: Curchod/ Gonczy, a.a.O., S. 810 f.; generell für eine zurückhaltende Annahme von Rechtsmissbrauch mit Blick auf die Parteiautonomie im Rahmen des Dispositionsgrundsatzes: OBERHAMMER/WEBER, in: Kurzkommentar ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2021, N. 1a zu Art. 86 ZPO).  

Das Bundesgericht erklärte, eine Teilklage zur Reduktion des Kostenrisikos sei grundsätzlich zulässig (Urteile 4A_111/2016 vom 24. Juni 2016 E. 4.6; 4A_80/2013 vom 30. Juli 2013 E. 6.4; zit. Urteil 4A_519/2012 E. 4). 

2.2.5. Grenze für die Erhebung von Teilklagen zur Erreichung dieser legitimen Zwecke bilden das Verbot des Rechtsmissbrauchs gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB und das Gebot von Treu und Glauben nach Art. 52 ZPO gegenüber der Gegenpartei und dem Gericht (BGE 144 III 452 E. 2.4 S. 461; 143 III 506 E. 4.1; 142 III 683 E. 5.2).  

 2.2.5.1. In Rechtsprechung und Lehre ist allgemein anerkannt, dass Teilklagen rechtsmissbräuchlich sind, wenn es darum geht, die beklagte Partei zu schikanieren oder wenn ein krasses Missverhältnis besteht zwischen der Teilklage und dem Parteiinteresse (ZR 114/2015 S. 208 ff., 209, Nr. 55 E. 3.1; Dorschner, a.a.O., N. 6 zu Art. 86 ZPO; Curchod/Gonczy, a.a.O., S. 809-811; Bopp/Bessenich, a.a.O., N. 7 zu Art. 86 ZPO; Mohs, a.a.O., N. 2 zu Art. 86 ZPO; Markus, a.a.O., N. 6 f. zu Art. 86 ZPO.  

 2.2.5.2. Aber auch das separate Einklagen von Teilansprüchen zur Begründung einer bestimmten Zuständigkeit oder der Kostenlosigkeit des Verfahrens wird in Rechtsprechung und Lehre mitunter – generell oder zumindest unter bestimmten Voraussetzungen und zum Teil vor Inkrafttreten der ZPO – für missbräuchlich erachtet:  

2.2.5.2.1. So traten in der Vergangenheit verschiedene kantonale Gerichte auf Teilklagen nicht ein, weil sie einen Rechtsmissbrauch erblickten, wenn die Vorteile des arbeitsrechtlichen Verfahrens in Anspruch genommen wurden, indem mehrere Teilansprüche separat eingeklagt wurden (Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri vom 7. September 2000, in: Rechenschaftsbericht über die Rechtspflege des Kantons Uri, RB 2000/01 Nr. 2, S. 22 ff., 24; Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 4. Juli 2000, Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide, LGVE 2000 I Nr. 45, E. 5.2; Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg vom 2. Dezember 1997, Freiburger Zeitschrift für Rechtsprechung, FZR 1997 Nr. 47, E. 4b-d; Entscheid des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 30. Mai 1984, Solothurnische Gerichtspraxis, SOG 1984 Nr. 12, E. 2).  

Allerdings beruhen diese Entscheide auf früherem kantonalem Zivilprozessrecht und auf aArt. 343 Abs. 2 und 3 OR. Diese Rechtsgrundlagen sind heute ausser Kraft (Markus, a.a.O., N. 7 zu Art. 86 ZPO). 

2.2.5.2.2. Auch im Urteil 4A_104/2011 vom 27. September 2011, auf das sich die Vorinstanz beruft, war noch die Zivilprozessordnung des Kantons Waadt massgebend, weshalb das Bundesgericht den damals angefochtenen Entscheid nur unter dem Blickwinkel der Willkür überprüfte. Es schützte den Entscheid, in dem das Kantonsgericht Waadt unter dem Stichwort „saucissonnage“ (Salamitaktik) befunden hatte, die Geltendmachung von Lohnforderungen in mehreren Teilklagen sei rechtsmissbräuchlich (vgl. dazu Alice de Benoit, L’action partielle et l’abus de droit, Quid? Fribourg Law Review, QFLR 1/14 S. 20 ff., 21; Curchod/Gonczy, a.a.O., S. 810; Patricia Tschudi, Teilklagen in arbeitsrechtlichen Verfahren: Kritik an der grundsätzlichen Kostenlosigkeit, AJP 2018, S. 1206 ff., 1209). Die Fälle sind aber nur beschränkt vergleichbar. Hier fordert die Beschwerdeführerin in den ersten beiden Klagen Entschädigungen aus missbräuchlicher Kündigung zweier verschiedener Arbeitsverträge, in einer dritten Klage macht sie Lohnausstände aus den beiden Arbeitsverträgen geltend und in der vierten Ferienguthaben, Zeugnisse und Schlussrechnungen. Auch wenn diese Forderungen aus dem gleichen Lebenssachverhalt stammen, basieren sie doch teilweise auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.  

 2.2.5.2.3. Streiff/von Kaenel hatten ursprünglich die Meinung vertreten, bei einer Teilklage von Fr. 30’000.– sei immer von einer Umgehung von aArt. 343 OR auszugehen, wenn sich aus der Begründung ergebe, dass eigentlich eine höhere Forderung geltend gemacht werde (Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, 6. Aufl. [Vorauflage] 2006, N. 7 zu Art. 343 OR; vgl. auch Tschudi, a.a.O., S. 1209). In der Folgeauflage fehlt dieser Hinweis (Tschudi, a.a.O., S. 1209 Fn. 28). Dort wird nur noch erklärt, die künstliche Aufteilung einer Streitsumme mit dem einzigen Ziel, keine Gerichtskosten zu bezahlen, könne als Umgehung mindestens des kantonalen Gebührenrechts eingestuft werden (Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, 7. Aufl., 2012, S. 51 f.).  

 2.2.5.2.4. Tschudi stellt sich auch unter Geltung der ZPO auf den Standpunkt, bei arbeitsrechtlichen Teilklagen liege stets eine Gesetzesumgehung vor, wenn eigentlich eine höhere Forderung im Raum stehe und die Aufteilung nur erfolge, damit keine Gerichtskosten anfallen. Die Autorin fordert, dass die Kostenlosigkeit gemäss Art. 114 lit. c ZPO nur greift, solange es um den existentiellen Arbeitslohn geht. Es komme immer häufiger vor, dass Arbeitnehmer mit erheblichen Einkommen vom kostenlosen Verfahren profitierten, indem sie unter dem Vorbehalt der Nachklage eine Teilklage von maximal Fr. 30’000.– geltend machten. Im Rahmen eines solchen Pilotprozesses könne der ganze Rechtsapparat kostenlos in Anspruch genommen werden, während bei einer Klage über die Gesamtforderung Gerichtskosten anfallen würden. Die Autorin erblickt darin einen Widerspruch zum Grundgedanken der arbeitsrechtlichen Sozialgesetzgebung, den sie unter ausführlichem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte darlegt. Noch stossender sei es, wenn ein Gesamtanspruch in Teilklagen zerstückelt werde, um in jedem dieser Prozesse den Gerichtskosten zu entgehen. Zudem könnten gewisse Rechtsmittel ausgeschlossen werden. Dass bei einem Streitwert über Fr. 30’000.– der gesamte Anspruch eingeklagt und das ordentliche Verfahren gewählt wird, komme äusserst selten vor. Dadurch werde dem Sinn des Gesetzes nicht nachgelebt, wonach komplexe Fälle im ordentlichen Verfahren und gegebenenfalls vor einem Kollegialgericht mit paritätischer Zusammensetzung verhandelt werden (Tschudi, a.a.O., S. 1206 ff.).  

 2.2.5.2.5. Einschränkender wird in der Lehre Missbrauch nur im zweitgenannten Fall angenommen wenn gleichzeitig mehrere Teilklagen mit einem Streitwert von unter Fr. 30’000.– eingereicht werden, um so die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts zu wahren (HOHL, a.a.O., S. 95 Rz. 511; FRANÇOIS BOHNET, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 11 zu Art. 86 ZPO; MICHEL HEINZMANN, in: Petit commentaire CPC, Chabloz und andere [Hrsg.], 2021, N. 10 zu Art. 86 ZPO; Harald Bärtschi, Die gerichtliche Durchsetzung von Minderheitenrechten im Gesellschaftsrecht, in: Kunz und andere [Hrsg.], Entwicklungen im Gesellschaftsrecht XI, 2016, S. 138 Fn. 34). 

 

Möglichkeit der negativen Feststellungswiderklage

2.2.6. Erhebt die klagende Partei eine Teilklage, für die aufgrund ihres Streitwerts von höchstens Fr. 30’000.– nach Art. 243 Abs. 1 ZPO das vereinfachte Verfahren gilt, hindert Art. 224 Abs. 1 ZPO die beklagte Partei nicht daran, eine negative Feststellungswiderklage zu erheben, auch wenn deren Streitwert die Anwendbarkeit des ordentlichen Verfahrens zur Folge hat. Haupt- und Widerklage sind diesfalls zusammen im ordentlichen Verfahren zu beurteilen (BGE 147 III 172 E. 2; 143 III 506 E. 4.4). 

 

BGer 4A_307/2021 vom 23. Juni 2022: missbräuchliche Teilklagen

Dem Verfahren BGer 4A_307/2021 vom 23. Juni 2022 lag folgender Prozesssachverhalt zugrunde:

Die Arbeitnehmerin war ab 1. März 2011 als Zahnärztin angestellt; diesen Arbeitsvertrag kündigte die Arbeitgeberin per 4. Januar 2019. Ab 1. November 2012 war die Arbeitnehmerin zusätzlich Zentrumsleiterin; den betreffenden Arbeitsvertrag kündigte die Arbeitgeberin per 17. Juni 2018.

Am 13. Januar 2020 erhob die Arbeitnehmerin beim Arbeitsgericht Zürich zwei Klagen: Mit der ersten verlangte sie Fr. 29’999.– wegen missbräuchlicher Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses als Zahnärztin (Geschäftsnummer AH200005-L). Mit der zweiten forderte sie ebenfalls Fr. 29’999.– wegen missbräuchlicher Kündigung ihrer Anstellung als Zentrumsleiterin (Geschäftsnummer AH200006-L).

Mit Verfügungen vom 8. September 2020 vereinigte das Arbeitsgericht die beiden Verfahren AH200005-L und AH200006-L, wobei das Verfahren AH200005-L weitergeführt und das Verfahren AH200006-L abgeschrieben wurde.

Noch bevor über die ersten beiden Klagen entschieden war, reichte die Arbeitnehmerin am 8. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht zwei weitere Klagen ein: Einerseits machte sie Lohnansprüche aus beiden Arbeitsverträgen von Fr. 29’999.– geltend (Geschäftsnummer AH200203-L). Anderseits verlangte sie aus den beiden Arbeitsverträgen Ferienlohn von Fr. 8’587.–, Arbeitszeugnisse und die Erstellung von Schlussrechnungen (Geschäftsnummer AH200204-L).

Mit Verfügung vom 9. Februar 2021 vereinigte das Arbeitsgericht auch die Verfahren AH200203-L und AH200204-L mit dem Verfahren AH200005-L, überführte dieses in das ordentliche Verfahren vor Kollegialgericht, wo es unter der Geschäftsnummer AN200093-L weitergeführt werden soll, und schrieb die Verfahren vor Einzelgericht als erledigt ab. Die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen behielt das Arbeitsgericht dem Entscheid im Verfahren AN200093-L vor.

Gegen die arbeitsgerichtliche Verfügung vom 9. Februar 2021 führte die Arbeitnehmerin Beschwerde. Diese wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 23. April 2021 ab.

Die Arbeitnehmerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, der obergerichtliche Beschluss sei aufzuheben. Der Prozess AH200005-L und der bereits damit vereinigte Prozess AH200006-L seien unter Vereinigung mit den Prozessen AH200203-L und AH200204-L im kostenlosen vereinfachten Verfahren vor Einzelgericht des Arbeitsgerichts weiterzuführen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin trägt auf Abweisung der Beschwerde an, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht hat sich nicht vernehmen lassen. Die Beschwerdeführerin hat unaufgefordert eine Beschwerdereplik eingereicht. Ihrem Gesuch um aufschiebende Wirkung entsprach das Bundesgericht mit Präsidialverfügung vom 25. August 2021.

 

Entscheid des Bundesgerichts: missbräuchliche Teilklage

Das Bundesgericht stufte das Verhalten der Arbeitnehmerin als missbräuchlich ein:

Hier hat die Beschwerdeführerin die Teilklage nicht dazu eingesetzt, um den im Gesetz für das vereinfachte Verfahren und die Kostenfreiheit vorgesehene Maximalbetrag einzuhalten, sondern sie versucht, die im Gesetz vorgesehenen Streitwertgrenzen zu umgehen. Das ist nicht Zweck der Teilklage (vgl. HOHL, a.a.O., S. 95 Rz. 511; BOHNET, a.a.O., N. 11 zu Art. 86 ZPO; HEINZMANN, a.a.O., N. 10 zu Art. 86 ZPO; Bärtschi, a.a.O., S. 138 Fn. 34). Die Beschwerdeführerin verlangt vor Bundesgericht, dass die vier Verfahren vereinigt und im vereinfachten, kostenfreien Verfahren beurteilt werden. So wären in demselben Prozess auf einen Schlag Forderungen mit einem Streitwert von mehr als Fr. 100’000.– zu beurteilen und zwar im vereinfachten Verfahren, das nur für Ansprüche bis Fr. 30’000.– vorgesehen ist. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, es habe andere (legitime) Gründe für die Aufteilung gegeben. Sie versucht vielmehr in zweckwidriger Verwendung mehrerer Teilklagen, das für Streitwerte bis Fr. 30’000.– vorgesehene vereinfachte, kostenlose Verfahren für solche von über Fr. 100’000.– in Anspruch zu nehmen. Damit würde der Zweck der Streitwertbegrenzung ausgehöhlt. Wenn die Vorinstanz dies als missbräuchlich einstuft, ist das nicht zu beanstanden. 

 

BGer 4A_92/2022 vom 28. Juni 2022

Im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall verlangte der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber sei im Sinne einer Teilklage zu verpflichten, ihm Fr. 30’000.– nebst Zins als Erwerbsausfall und Genugtuung zu bezahlen.

Der Arbeitgeber beanstandete vor Bundesgericht, dass die Vorinstanzen den beschränkten Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 247 Abs. 2 lit. b Ziff. 2 ZPO angewandt haben. Es sei nicht einzusehen, weshalb jemand, der als Arbeitnehmer einen erheblichen Schaden erleide, unter Ausnutzung der Teilklage besser gestellt werden solle, als jemand, der z.B. im Strassenverkehr, als Opfer eines Gewaltdelikts oder sonstwie einen Schaden erleide, und dem diese Vorteile nicht vergönnt seien. Es müssten die üblichen Prozessmaximen gelten wie bei anderen Haftungsfällen. Das gelte gleichermassen auch für die Kostenlosigkeit des Verfahrens.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und stufte das Verhalten der Vorinstanzen als korrekt ein:

Nach dem Willen des Gesetzgebers stellt das Gericht bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von Fr. 30’000.– den Sachverhalt von Amtes wegen fest (Art. 247 Abs. 2 lit. b ZPO). Im Entscheidverfahren bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis werden zudem bis zu einem Streitwert von Fr. 30’000.– keine Gerichtskosten gesprochen (Art. 114 lit. c ZPO). Entgegen dem, was die Beschwerdeführerin anzunehmen scheint, ist das Bundesgericht an diese gesetzgeberische Wertungen gebunden (Art. 190 BV). 

In casu leitete der Beschwerdegegner in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit eine Teilklage über Fr. 30’000.– gegen seine ehemalige Arbeitgeberin ein, womit er nach den genannten Gesetzesvorschriften von den Vorzügen des vereinfachten Verfahrens und der Kostenlosigkeit des Gerichtsverfahrens profitierte. Inwiefern hier eine Bundesrechtsverletzung vorliegen würde, legt die Beschwerdeführerin nicht dar (Erwägung 2.1) und ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen wäre es der Beschwerdeführerin freigestanden, gegen die Teilklage des Beschwerdegegners eine negative Feststellungswiderklage zu erheben, womit Haupt- und Widerklage im ordentlichen Verfahren beurteilt worden wären (vgl. BGE 147 III 172 E. 2.3 mit Hinweisen).

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

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