Nach der am 21. September 2018 vom Bundesrat veröffentlichen Botschaft, sollen Gesetzesverstösse und Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz nicht unter den Teppich gekehrt, sondern Vorgesetzten und Behörden gemeldet werden. Der Bundesrat will deshalb klare gesetzliche Regeln dafür, wann das Melden solcher Missstände, also das so genannte Whistleblowing, rechtmässig ist und wann nicht. Heute sind es die Gerichte, die diese Beurteilung im konkreten Einzelfall vornehmen (insbesondere vor dem Hintergrund der Treuepflichtverletzung (Art. 321a OR)).

Vorschlag des Bundesrates

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 21. September 2018 eine entsprechende Zusatzbotschaft zur Teilrevision des Obligationenrechts (OR) verabschiedet. Die inhaltlichen Vorschläge der Vorlage lassen sich wie folgt zusammenfassen (BBl 2018, S. 8 ff.):

  • Die Artikel 321a(bis)° ff. regeln die Voraussetzungen, unter denen eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer eine Unregelmässigkeit melden darf.
  • Artikel 321a(bis)° bietet einen Überblick über die neue Regelung und präzisiert den Begriff der Unregelmässigkeiten: Dieser umfasst Straftaten, andere Widerhandlungen gegen gesetzliche Regelungen sowie Verstösse gegen interne Regelungen. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend.
  • In den Artikeln 321a(bis) – 321a(quinquies) ist die Abfolge der möglichen Adressaten einer Meldung festgelegt: Arbeitgeber, Behörde und zuletzt die Öffentlichkeit. Die Bestimmungen regeln die Voraussetzungen für die Meldung an den jeweiligen Adressaten.
  • Artikel 321a(bis) betrifft die Meldung an den Arbeitgeber. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen nachvollziehbaren Verdacht hegen, können sich an eine interne oder externe Person oder Stelle wenden, die zur Entgegennahme der Meldung befugt ist. Das kann beispielsweise die vorgesetzte Person sein oder eine vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von Meldungen bezeichnete interne oder externe Anlaufstelle. Es wird ebenfalls festgelegt, wie der Arbeitgeber reagieren muss: Er muss eine für die Behandlung der Meldung angemessene Frist festlegen, die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer über den Erhalt und die Behandlung der Meldung benachrichtigen und genügende Massnahmen zur Beseitigung der Unregelmässigkeit ergreifen. Anonyme Meldungen sind möglich.
  • Die Artikel 321a(ter) und 321a(quater) beziehen sich auf die Meldung an die zuständige Behörde. Einer Behörde gemeldet werden dürfen die Gesetzesverstösse, für deren Behandlung diese zuständig ist (Straftaten im Fall der Strafverfolgungsbehörden, Verstösse gegen das öffentliche Recht bei einer Verwaltungsbehörde). Eine Meldung ist bei einem nachvollziehbaren Ver-dacht möglich. Während Artikel 321a(ter) die Meldung an eine Behörde regelt, die auf eine Meldung an den Arbeitgeber folgt, bestimmt Artikel 321a(quater) die Fälle, in denen sich eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer direkt an die Behörde wenden kann.
  • Artikel 321a(ter) bildet die Regel. Grundsätzlich müssen sich Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer zuerst an den Arbeitgeber werden. Wenn dieser nicht gemäss den Vorschriften nach Artikel 321a(bis) Absatz 2 reagiert, dürfen sie sich an die Behörde wenden. Die betreffende Person darf dies auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber Vergeltungsmassnahmen gegen sie ergriffen hat.
  • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich direkt an die Behörde wenden, wenn sie vernünftigerweise davon ausgehen können, dass eine Meldung an den Arbeitgeber keine Wirkung erzielen würde. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn keine unabhängige Person oder Stelle für die Entgegennahme der Meldung besteht oder wenn die Reaktion des Arbeitgebers in früheren Fällen ungenügend war. Eine direkte Meldung an die Behörde ist auch möglich, wenn diese ohne sofortige Meldung in ihrer Tätigkeit behindert würde oder wenn eine unmittelbare, ernsthafte Gefahr besteht. Arbeitgeber mit einem internen Meldeverfahren werden hier im Vorteil sein, da die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer den Nachweis erbringen müssen wird, dass dieses Verfahren nicht wirksam ist und eine Meldung an den Arbeitgeber somit keine Wirkung erzielen würde. Das interne Verfahren muss namentlich Gewähr für eine unabhängige Behandlung der Meldung bieten und anonyme Meldungen ermöglichen.
  • Die Öffentlichkeit darf unter folgenden Voraussetzungen über die vorgängig an eine Behörde gemeldeten Unregelmässigkeiten informiert werden: Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat ernsthafte Gründe, den gemeldeten Umstand in guten Treuen für wahr zu halten – ein Kriterium, das strenger ist als der nachvollziehbare Verdacht –, und die Behörde hat sie oder ihn nicht über die Behandlung der Meldung informiert oder der Arbeitgeber hat nach der Meldung an die Behörde Vergeltungsmassnahmen getroffen.
  • Die neuen Bestimmungen sind bei Meldungen an eine ausländische Behörde oder wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer dem Berufsgeheimnis untersteht nicht anwendbar. Die besonderen Bestimmungen zu einem Melderecht oder einer Meldepflicht bleiben vorbehalten.
  • Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen sich zur Information über ihre Rechte von einer Person beraten lassen, die einer gesetzlichen Geheimhaltungspflicht untersteht.
  • Eine Kündigung in Anschluss an eine rechtmässige Meldung gilt ausdrücklich als missbräuchlich und jegliche anderen Vergeltungsmassnahmen verstossen gegen Artikel 328 OR über den Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.

Ausblick

Mit der Zusatzbotschaft kommt der Bundesrat einem Anliegen des Parlaments nach, das 2015 einen ersten Entwurf an den Bundesrat zurückgewiesen und eine verständlichere und einfacher formulierte Fassung verlangt hat. Die Überarbeitungen betreffen vor allem die Regelung des Vorgehens für eine rechtmässige Meldung. Dies sind nun die neuen Vorschläge des Bundesrates. Wann und ob diese Regelungen tatsächlich in Kraft treten werden, ist allerdings noch ungewiss bzw. der Balll liegt  jetzt beim Parlament.

Autor: Nicolas Facincani