Grundsätzlich geht einem Gerichtsverfahren ein Schlichtungsverfahren voraus (zu den Ausnahmen ziehe Art. 198 f. ZPO). Auch das Arbeitsgericht Zürich hat sich von Zeit zu Zeit zu diesem Punkt zu äussern, so im Entscheid AGer Nr. 25 2014.

Persönliche Erscheinungspflicht

Gemäss Art. 204 ZPO müssen Parteien persönlich an der Schlichtungsverhandlung erscheinen (zu den Ausnahmen siehe Art. 198 f. ZPO). Vertreten lassen kann man sich nur, wer

  • einen ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat
  • wegen Krankheit Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist
  • in Streitikgeiten nach Art. 243 ZPO (vereinfachtes Verfahren) als Arbeitgeber bzw. als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftenverwaltung delegiert,  sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt sind.

Regeln für juristische Personen

Das Bundesgericht hat in BGE 140 III 70 festgehalten, dass diese Regelung auch für juristische Personen gilt. So muss bei einer juristischen Person, ausser es greife eine Ausnahme, ein Organ oder ein mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestatteten Person anwesend sein. Damit fällt eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder Juristen ausser Betracht. Der Dispensationsgrund des ausländischen bzw. ausserkantonalen Wohnsitzes bezieht sich auf den Geschäftssitz.

(Zitat des Bundesgerichts: Dass die Pflicht zum persönlichen Erscheinen nach Art. 204 Abs. 1 ZPO auch für juristische Personen gilt, wird dem Grundsatz nach weder von der Vorinstanz noch von der Beschwerdegegnerin in Abrede gestellt, wenn auch Erstere annimmt, der Gesetzgeber habe in diesem Zusammenhang „in erster Linie an die natürlichen Personen gedacht“. Auch die Kommentatoren gehen soweit ersichtlich einhellig von der Anwendbarkeit der Bestimmung auf sämtliche Parteien aus (siehe ALVAREZ/PETER, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N. 2 zu Art. 204 ZPO; BOHNET, in: CPC, Code de procédure civile commenté, Bohnet und andere [Hrsg.], 2011, N. 3 zu Art. 204 ZPO; EGLI, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 5-7 zu Art. 204 ZPO; GLOOR/UMBRICHT, in: ZPO, Oberhammer und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 3 zu Art. 204 ZPO; HOFMANN/LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2009, S. 129; INFANGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 2 zu Art. 204 ZPO; SCHMID, Praktische Fragen zum Schlichtungsverfahren, ZZZ 2011/2012 S. 186; STAEHELIN UND ANDERE, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, S. 366 Rz. 19; TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero […], Cocchi und andere [Hrsg.], 2011, S. 929 Fn. 2569; WYSS, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 204 ZPO). Diese Auffassung ist denn auch zutreffend: Gegen ein abweichendes Verständnis von Art. 204 ZPO spricht bereits, dass sich die Bestimmung nach ihrem Wortlaut – wie übrigens auch Art. 68 Abs. 4 ZPO mit Bezug auf das Gerichtsverfahren – generell an die „Parteien“ richtet und nicht nach deren Natur oder Rechtsform differenziert, während das Gesetz an anderer Stelle durchaus zwischen natürlichen und juristischen Personen unterscheidet (vgl. Art. 10 ZPO). Demgegenüber erwähnt Art. 204 Abs. 3 lit. a ZPO zwar bloss den ausserkantonalen oder ausländischen „Wohnsitz“ als Dispensationsgrund, und lit. b nennt mit Krankheit und Alter ausdrücklich zwei wichtige Gründe, die auf juristische Personen als solche sinnvollerweise keine Anwendung finden können. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, die Pflicht zum persönlichen Erscheinen gelte generell nur für natürliche Personen, zumal Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO wiederum eine besondere Regelung (für im vereinfachten Verfahren zu beurteilende Streitigkeiten) vorsieht, auf die sich „Arbeitgeber“, „Versicherer“ und „Vermieter“ berufen können und die somit jedenfalls auch auf juristische Personen zugeschnitten ist.

Für eine Anwendbarkeit der Vorschrift auf juristische Personen spricht sodann ihr Sinn und Zweck: Hintergrund der gesetzlichen Regelung war die Überlegung, dass eine Schlichtungsverhandlung meist dann am aussichtsreichsten ist, wenn die Parteien persönlich erscheinen, da nur so „eine wirkliche Aussprache“ stattfinden kann. Auch wenn sich die Parteien begleiten lassen dürfen, sollen sie sich gemäss der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung an der Verhandlung doch primär „selber äussern“. Die Verhandlung ist überdies nicht öffentlich (Art. 203 Abs. 3 Satz 1 ZPO), und die gemachten Aussagen dürfen weder protokolliert noch später im Entscheidverfahren verwendet werden (Art. 205 Abs. 1 ZPO), denn die Parteien sollen sich frei unterhalten können (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7331 f. zu Art. 199-204; siehe auch Urteil 4C_1/2013 vom 25. Juni 2013 E. 4.3). Durch die bereits im kantonalen Verfahrensrecht bekannte Pflicht zum persönlichen Erscheinen soll mithin ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien vor der allfälligen Klageeinreichung ermöglicht werden (vgl. Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, Juni 2003, S. 98 zu Art. 198). Art. 204 Abs. 1 ZPO zielt in diesem Sinne – wie das Schlichtungsverfahren überhaupt – darauf ab, diejenigen Personen zu einer Aussprache zusammenzubringen, die sich miteinander im Streit befinden und die über den Streitgegenstand auch selber verfügen können. Weshalb diese ratio legis bloss bei natürlichen Personen das persönliche Erscheinen gebieten, bei juristischen Personen generell die Vertretung durch eine Drittperson gestatten soll, ist nicht erkennbar. Vielmehr muss, damit die Schlichtung ihren Zweck erfüllen kann, von einer juristischen Person als Partei verlangt werden, dass sie an der Schlichtungsverhandlung durch ein Organ oder zumindest durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete und zur Prozessführung befugte Person, die überdies mit dem Streitgegenstand vertraut ist, erscheint.

Damit fällt aber die von der Vorinstanz generell zugelassene Vertretung der juristischen Person durch einen Rechtsanwalt als Form des persönlichen Erscheinens ausser Betracht (in diesem Sinne ausdrücklich INFANGER, a.a.O., N. 2 zu Art. 204 ZPO). Eine derartige Vertretung ist nur unter den Voraussetzungen von Art. 204 Abs. 3 lit. a und b ZPO erlaubt, wo gerade eine Ausnahme von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen besteht.)

Fall 25 des Arbeitsgerichts Zürich 2014

Die Klägerin war eine Schweizerische Aktiengesellschaft mit Sitz in Aarau. Sie hatte aber eine Zweigniederlassung in Zürich, wo der Beklagte gewöhnlich arbeitete. An der
Schlichtungsverhandlung liess sich die Klägerin durch eine Juristin vertreten. Da die Klägerin an der Schlichtungsverhandlung nicht persönlich erschienen war, hatte das Arbeitsgericht zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand nach Art. 204 Abs. 3 ZPO und damit eine Ausnahme von der Anwesenheitspflicht gemäss Abs. 1 vorlag.

Die Klägerin berief sich unter Hinweis auf Art. 204 Abs. 3 lit. a ZPO auf ihren ausserkantonalen Geschäftssitz. Das Arbeitsgericht akzeptierte dies nicht und war der Auffassung, dass man sich nicht auf den ausserkantonalen Geschäftssitz für die Ausnahme berufen könne, wenn man eine Zweigniederlassung im gleichen Kanton hat. Somit kann man sich in einem solchen Fall nicht vertreten lassen.

(Zitat des Arbeitsgerichts: Die Kommentatoren gehen aber einhellig davon aus, dass sich lit. a bei juristischen Personen auf den Geschäftssitz der Gesellschaft beziehe (Alvarez/Peter, in: Berner Kommentar, ZPO, a.a.O., N 7 zu Art. 204 ZPO; Hofmann/Lüscher, Le Code de procédure civile, Bern 2009, S. 129; Infanger, in: Basler Kommentar, ZPO, a.a.O., N 2 zu Art. 204 ZPO; vgl. auch BGE 140 III 70 E. 4.3). In der Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde bisher noch nicht entschieden, ob die Ausnahme von der persönlichen Erscheinungspflicht gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. a ZPO auch dann gilt, wenn eine juristische Person eine Zweigniederlassung im Kanton hat. Soweit ersichtlich äussern sich Alvarez/Peter als einzige Autoren dazu. Bestehen neben der Hauptniederlassung Zweigniederlassungen, so erfolgt nach Alvarez/Peter die Befreiung von der Erscheinungspflicht nur dann, wenn keiner dieser Geschäftssitze in demjenigen Kanton liegt, in dem das Schlichtungsverfahren stattfindet. Dieser Auffassung ist zu folgen. Die Ausnahmen von der Erscheinungspflicht sind mit Blick auf den Zweck, eine wirkliche Aussprache zwischen den Parteien zu fördern und somit eine Einigung zwischen den Parteien zu erzielen, restriktiv auszulegen. Für die Pflicht der Klägerin zum persönlichen Erscheinen nach Art. 204 Abs. 1 ZPO spricht im Übrigen auch, dass der Beklagte, wohnhaft in Schaffhausen, seine Arbeit in den Büroräumlichkeiten der Zweigniederlassung der Klägerin an X.-Strasse in Zürich verrichtete, und die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Zürich allein darauf gründet (Art. 34 Abs. 1 ZPO).)

Rechtsfolgen

Ist ein Kläger beim Schlichtungsverfahren nicht anwesend, gilt das Verfahren als zurückgezogen (Art. 206 ZPO). Im Fall des Arbeitsgerichts war auf die Klage mangels gültiger Schlichtungsverhandlung nicht einzutreten.

Autor: Nicolas Facincani