Der Begriff der Arbeit auf Abruf wird unterschiedlich verwendet. Im Allgemeinen geht es darum, dass sich ein Arbeitnehmer bereit halt und vom Arbeitgeber abgerufen werden kann. Um die rechtliche Ausgestaltung eines Arbeitsvertrages zu beurteilen kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer bei einem Abruf verpflichtet ist, diesem Folge zu leisten oder nicht.

Echte Arbeit auf Abruf

Bei der Arbeit auf Abruf wird vereinbart, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Abruf des Arbeitgebers Folge zu leisten. Man spricht hier von echter Arbeit auf Abruf. Grundsätzlich hat er sich zur Verfügung zu halten, damit er abgerufen werden kann. Die Einsätze können regelmässig oder unregelmässig erfolgen. Diese Form der Arbeit umfasst also die Arbeitseinsätze und sodann den Bereitschaftsdienst, wahrend dem sich der Arbeitnehmer zur Verfugung halten muss.

Vertragliche Situation

Aus vertraglichem Blickwinkel wird ein einziger Arbeitsvertrag abgeschlossen. Durch die einzelnen Einsätze kommt kein neuer Vertrag zustande. Wird keine Mindesteinsatzdauer vereinbart, ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei, den Arbeitnehmer abzurufen. Erhebliche Reduktionen des Pensums sind aber nicht einfach so zulässig. Sobald eine gewisse Kontinuität der Einsätze gegeben ist, kommt eine massive negative Veränderung der Einsätze einer Kündigung gleich. Wahrend der Kündigungsfrist ist der durchschnittliche Einsatzlohn geschuldet.

Arbeit auf Abruf ohne Befolgungspflicht

Diese Form von Arbeit auf Abruf wird auch als Aushilfsarbeit bezeichnet. Hier ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, dem Abruf des Arbeitgebers Folge zu leisten. Der Arbeitnehmer hat es also in der Hand, das Angebot des Arbeitgebers zu akzeptieren.

Vertragliche Situation

Bei einer Annahme des Angebots kommt ein Vertrag mit den angebotenen Konditionen zustande. Mit jedem akzeptierten Abruf kommt ein neues befristetes Arbeitsverhaltnis zustande.

Entschädigung des Bereitschaftsdienstes

Im Entscheid 4A_334/2017 vom 4. Oktober 2017 hatte sich das Bundesgericht wieder einmal mit der Frage der Entschädigung des Bereitschaftsdienstes zu befassen.

Kantonaler Entscheid

Dem bundesgerichtlichen Verfahren ging ein Verfahren im Kanton Schwyz voraus. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag (contract of employement) hielt das folgende fest: Part time on demand (20-30 %); the working level and specific tasks will be agreed upon on a weekly and monthly basis with the companies management board. The working tasks will be documented and protocolled by the Employer.“

Nach übereinstimmender Ansicht der Parteien sollte A.________ im Fall, dass die Leiterin des Bereichs „Vertretung und Vertrieb“ der B.________ AG ausfallen sollte, deren Stellvertretung übernehmen. Dieser Fall trat nicht ein.

Die kantonalen Instanzen lehnten die Forderung von A ab, welcher eine Entschädigung für den Bereitschaftsdienst forderte.

Nachdem das erstinstanzliche Gericht die Klage von A ablehnte, erwob das Kantonsgericht, der Kläger habe nicht dargelegt, inwiefern ihn die allenfalls zu leistende Rufbereitschaft in seiner Zeitgestaltung beschränkt habe; es bestehe daher keine Entschädigungspflicht

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht folgte dieser Argumentation, wobei es zuerst die Rechtsprechung zur Entschädigung des Bereitschafsdienstes zusammenfasste (Erw. 2.2 und Erw. 2.3):

„Bei echter Arbeit auf Abruf trifft den Arbeitnehmer eine Einsatzpflicht nach Weisung des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer mithin einseitig abrufen (BGE 124 III 249, E. 2a S. 250; Urteil 4A_509/2009 vom 7. Januar 2010 E. 2.3 mit diversen Hinweisen). Der ausserhalb des Betriebs geleistete Bereitschaftsdienst muss in einem solchen Arbeitsverhältnis entschädigt werden (BGE 124 III 249, E. 3 S. 251 f.; Urteil 4A_509/2009 vom 7. Januar 2010 E. 2.3). Da aber einerseits der Arbeitgeber an diesem Dienst regelmässig ein geringeres betriebswirtschaftliches Interesse hat als an der Tätigkeit, für welche er den Arbeitnehmer eigentlich eingestellt hat, und andererseits der Arbeitnehmer ausserhalb des Betriebs geleistete Bereitschaftszeit für arbeitsfremde Verrichtungen nutzen kann, muss die Rufbereitschaft – abweichende Vereinbarung vorbehalten – nicht gleich hoch wie die Haupttätigkeit entlöhnt werden (BGE 124 III 249,  E. 3b S. 251 f.). Die Entschädigung für den Bereitschaftsdienst kann einzel- oder gesamtarbeitsvertraglich auch in den Lohn für die Hauptleistung eingeschlossen werden (BGE 124 III 249, E. 3c S. 252; Urteil 4A_94/2010 vom 4. Mai 2010 E. 5.2).

Bei unechter Arbeit auf Abruf trifft den Arbeitnehmer keine Einsatzpflicht; ein Einsatz kommt vielmehr aufgrund gegenseitiger Vereinbarung zustande. Oftmals liegt den einzelnen Einsätzen ein Rahmenvertrag zugrunde, in dem die Arbeitsbedingungen einheitlich geregelt sind (Urteil 4A_509/2009 vom 7. Januar 2010 E. 2.3).

Der vom Arbeitnehmer geleistete Bereitschaftsdienst bei echter Arbeit auf Abruf ist somit entschädigungspflichtig. Eine geringe Beschränkung des Arbeitnehmers in seiner freien Zeitgestaltung ist zwar bei der Höhe der Entschädigung zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz führt eine geringe Beschränkung indessen nicht zum gänzlichen Wegfall der Entschädigungspflicht. Die Vorinstanz verweist in ihrem Urteil auf das Urteil des Bundesgerichts 4A_523/2010 vom 22. November 2010 E. 6. Darin hat das Bundesgericht ein vorinstanzliches Urteil geschützt, das einem Arbeitnehmer für geleisteten Pikettdienst wegen bloss geringfügiger Beschränkung seiner Gestaltungsfreiheit keine Entschädigung zugesprochen hatte. Wie die Vorinstanz selbst ausführt, erging dieses Urteil indessen zum Pikettdienst, der neben der normalen Arbeit geleistet wird (vgl. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz [ArGV 1; SR 822.111]). Es kann offenbleiben, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, da die Leistung von Pikettdienst nicht mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar ist; die Arbeitsleistung des Beschwerdeführers bestand ausschliesslich in der Rufbereitschaft und er bezog keinen Lohn für daneben geleistete normale Arbeitsleistung. Die herrschende Lehre ist entgegen den Ausführungen der Vorinstanz der Ansicht, ein Bereitschaftsdienst sei bei echter Arbeit auf Abruf entschädigungspflichtig (vgl. JÜRG BRÜHWILER, Einzelarbeitsvertrag, Kommentar zu den Art. 319-343 OR, 2014, N. 11 zu Art. 319 S. 32; WOLFGANG PORTMANN/ROGER RUDOLPH, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, 6. Aufl. 2015, N. 19 zu Art. 321 OR; MANFRED REHBINDER/JEAN-FRITZ STÖCKLI, Berner Kommentar, 2010, N. 35 zu Art. 319 OR; ADRIAN STAEHELIN, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 59 zu Art. 319 OR; ULLIN STREIFF/ADRIAN VON KAENEL/ROGER RUDOLPH, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl. 2012, N. 18 zu Art. 319 OR S. 111 ff. mit zahlreichen Hinweisen; FRANK VISCHER/ROLAND M. MÜLLER, Der Arbeitsvertrag, 4. Aufl. 2014, § 7 N. 18 ff. A.A. FRED HENNEBERGER/STEFAN RIEDER, Bemessung der Entschädigung der Wartezeiten bei echter Arbeit auf Abruf, AJP 2011 S. 1062). Es rechtfertigt sich nicht, vom allgemeinen Grundsatz der Entschädigungspflicht, der in BGE III 249 E. 3 statuiert wurde, abzuweichen. Die Vorinstanz hat somit Bundesrecht verletzt, indem sie für den Fall, dass die Parteien echte Arbeit auf Abruf vereinbart haben, eine Entschädigungspflicht verneint hat.“

Das Bundesgericht hat somit klar die Auffassung bestätigt, dass wenn ein echter Vertrag auf Abruf vorliegt, auch der Bereitschaftsdienst zu entschädigen ist, auch wenn dies vertraglich nicht vorgesehen ist.

Autor: Nicolas Facincani