Immer wieder ist die missbräuchliche Entlassung Thema vor den Gerichten. So auch im Entscheid des Bundesgerichts BGE 4A_375/2018 vom 20. August 2018.

 

Sachverhalt

Die betroffene Arbeitnehmerin war in einer auf psychische Behinderungen spezialisierten Einrichtung angestellt. Laut einer Mitarbeiterbeurteilung aus dem Jahr 2013 erfüllte die Arbeitnehmerin die Anforderungen der Arbeitgeberin („l’employée répondait aux exigences de l’employeuse„).

Die Arbeitnehmerin hatte sich als gewerkschaftliche Vertreterin in einem Konflikt mit der Direktion befunden, weil sie für die Angestellten und sich die Bezahlung von Überstunden verlangte.

Am 26. Januar 2014 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Arbeitnehmerin und einer Bewohnerin der Einrichtung. Dabei war insbesondere streitig, ob es seits der Arbeitnehmerin Schläge gegeben habe und ob geschrien wurde. Die Arbeitnehmerin soll der Bewohnerin mit einer Kartonverpackung auf den Kopf geschlagen haben.

Der Arbeitgeber sprach mit der Bewohnerin über den Vorfall, unterliess es aber, mit der Arbeitnehmerin zu sprechen und ihr das rechtliche Gehör einzuräumen. In der Folge wurde die Arbeitnehmerin arbeitsunfähig und mit Schreiben vom 23. Februar 2013 entlassen und bis zum Ende der Kündigungsfrist freigestellt. Kündigungsgrund sei der Vorfall mit der Bewohnerin der Einrichtung.

 

Kündigungsgründe

Das kantonale Gericht entschied, dass die Kündigung nichts mit der Auseinandersetzung mit der Heimbewohnerin zu tun hatte, sondern vielmehr mit der gewerkschaftlichen Tätigkeit der Arbeitnehmerin zu tun hatte. Es sah es als erwiesen an, dass zwei Gründe vorliegen würden, wobei jeder für sich allein die Kündigung missbräuchlich werden lässt:

  • es wurde aufgrund der gewerkschaftlichen Tätigkeit gekündigt („D’une part, l’employeuse avait invoqué comme motif de congé l’altercation survenue entre l’employée et une résidente en date du 26 janvier 2014. Or, tel n’était pas le motif réel du congé, la véritable raison du licenciement consistant dans l’activité syndicale de l’employée, instigatrice, en sa qualité de représentante du personnel, de nombreuses revendications qui s’étaient révélées sources de tensions entre les parties en 2013. Le congé était ainsi abusif au sens de l‘art. 336 al. 2 let. a CO. „)
  • es wurde der Arbeitnehmerin nicht Gelegenheit gegeben, zu den Vorwürfen der Bewohnerin der Einrichtung Stellung zu nehmen. Die Arbeitgeberin habe die Persönlichkeitsrechte der ehemaligen Angestellten verletzt, indem sie die Arbeitnehmerin nicht in einem Gespräch mit dem vorgeworfenen Sachverhalt konfrontiert habe. („D’autre part, la recourante avait mis un terme au contrat de travail sans faire preuve des égards nécessaires et en portant atteinte aux droits de la personnalité de l’intimée. En effet, vu l’importance des accusations formulées à l’encontre de l’employée, il incombait à l’employeuse à tout le moins de l’entendre, voire de confronter les deux protagonistes de l’altercation, ce qu’elle n’avait pas fait. Il était choquant que la recourante ait pris pour argent comptant les dires d’une résidente, sans que l’employée ait pu faire valoir sa défense oralement et sans qu’il soit procédé à des investigations, alors même que l’altercation s’était déroulée dans une pièce commune de l’institution, que l’intimée était accusée de faits graves et se trouvait sous la menace d’une dénonciation à la Commission de surveillance des professions de la santé pour des faits de maltraitance.“)

Die gegen das kantonale Urteil erhobene Beschwerde der Arbeitgeberin wurde abgewiesen. Somit lag eine missbräuchliche Entlassung vor, welche die Arbeitnehmerin zu einer Entschädigung berechtigte. Die Arbeitnehmerin konnte somit eine solche geltend machen.

 

Allgemeines zur missbräuchlichen Kündigung

Im allgemeinen unterscheidet man die sog. klassische Missbrauchstatbestände von den „modernen Missbrauchstatbeständen“.

Zu den klassischen Missbrauchstatbeständen gehören diejenigen, welche im Gesetz, Art. 336 OR, aufgeführt sind.

Durch Art. 336 OR wird das Rechtsmissbrauchsverbot konkretisiert von Art. 2 Abs. 2 ZGB (BGE 134 III 108 E 7.1), womit für eine eigenständige Anwendung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots eigentlich kein Raum bestehen würde (siehe allerdings BGE  121 III 60). Somit sind nicht nur die in diesem Artikel aufgelisteten Fälle missbräuchlich. Vielmehr ist Art. 336 OR nicht abschliessend. Somit fallen auch gegen das Rechtsmissbrauchsverbot fallende Fälle darunter, die eine mit den in Art. 336 OR genannten vergleichbare Schwere aufweisen. Als Beispiele solcher modernen Tatbestände können etwa die folgenden genannt werden:

  • Kündigungen nach unzureichenden Bemühungen bei Konflikten
  • Kündigungen mit Mobbing-Background (sofern dem Mobbing – Opfer aufgrund nachlassender Leistung gekündigt wird)
  • Art und Weise der Kündigung
  • Kündigungen nach Leistungseinbrüchen nach Überlastung

Durch die Gerichte werden stets neue Missbrauchstatbestände geschaffen. Besondere Aufmerksamkeit erregte in letzter Zeit die sog. Alterskündigung.

 

Mehrere Kündigungsgründe

Liegen mehrere Kündigungsgründe vor, ist eine Kündigung nur dann missbräuchlich, wenn der missbräuchliche Grund eine conditio sine qua non für die Kündigung darstellt (BGE 130 III 699 E 4.1). Ob eine missbräuchlicher und kausaler Kündigungsgrund vorliegt, ist vom Arbeitnehmer, welcher eine missbräuchliche Kündigung behauptet und aus ihr Rechte ableiten will, substantiiert darzulegen (d.h. zu behaupten) und zu beweisen (Art. 8 ZGB).

 

Autor: Nicolas Facincani