Das wichtigste Mittel des kollektiven Arbeitsrechts sind die Gesamtarbeitsverträge (GAV). Sie garantieren den Arbeitsfrieden und legen u.a. bestimmte Mindestbedingungen fest, welche einzuhalten sind.

Der Abschluss, die Änderung und die Aufhebung eines GAV bedürfen der Schriftlichkeit (Art. 356c Abs. 1 OR). Fehlt eine Abmachung betreffend die Dauer eines GAV, so gilt eine feste Laufzeit von einem Jahr und anschliessender Kündigungsfrist von sechs Monaten. Es ist aber zulässig, dass ein GAV für mehrere Jahre abgeschlossen wird, danach neu verhandelt und verlängert wird.

 

Parteien des GAV

Parteien eines GAV sind auf der Arbeitnehmerseite ein oder mehrere Arbeitnehmerverbände, auf der Arbeitgeberseite können ein oder mehrere Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände stehen.

 

Inhalt des GAV

Der GAV regelt verschiedene gegenseitige Pflichten der Vertragspartner. In der Praxis enthalten nicht alle GAV die gleiche Regulierungsdichte. Man unterscheidet daher zwischen voll ausgebauten GAV und Rahmen- oder Mantelverträgen.

 

Anwendbarkeit des GAV

Gemäss Art. 357 Abs. 1 OR gelten die Mindestarbeitsbedingungen für alle beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man Beteiligter unter einem GAV werden kann:

  • Mitgliedschaft bei einem Verband: Die Bestimmungen eines GAV gelten automatisch für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Mitglieder bei einem Verband sind, welcher am GAV als Partei beteiligt ist (bzw. bei Firmenvertrag ist der Arbeitgeber selbst GAV-Partei).
  • Allgemein verbindlich erklärter GAV: Das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung der GAV (AVEG) regelt die allgemein verbindlich Erklärung der GAV. Der Bund und die Kantone haben die Möglichkeit, auf Antrag einer GAV-Partei diesen als allgemeinverbindlich zu erklären. In einem solchen Fall gilt der GAV nicht nur für die GAV-Parteien und die Mitglieder der entsprechenden Verbände, sondern für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche in der Allgemeinverbindlichkeitserklärung genannt sind.
  • Anschluss an einen GAV: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die keiner der GAV-Parteien angehören – also nicht Verbandsmitglied sind –, können sich mit Zustimmung der GAV-Parteien dem GAV anschliessen (Art. 356b OR). Der Antrag und die Zustimmung haben dabei schriftlich zu erfolgen (Art. 356c Abs. 1 OR). Arbeitnehmer können einem GAV aber nur beitreten, sofern ihr Arbeitgeber bereits am GAV beteiligt ist.

 

Zusätzlich zu den vorgenannten Möglichkeiten, gemäss deren die Bestimmungen direkt auf die entsprechenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer anwendbar werden, gibt es auch noch weitere Möglichkeiten:

  • Dies kann mittels der Ausdehnungsklausel im GAV geschehen. Durch die Ausdehnungsklausel werden die Arbeitgeber, welche am GAV beteiligt sind, verpflichtet, die Bestimmungen auch auf die Arbeitnehmer anzuwenden, die nicht am GAV beteiligt sind. Durch eine solche Ausdehnungsklausel entstehen den entsprechenden Arbeitnehmern aber keine direkte auf dem GAV basierenden Rechte gegen ihre Arbeitgeber (vgl. aber BGer 4A_163/2012: Der GAV enthielt eine Gleichbehandlungsklausel zugunsten des gesamten Personals. Hier entschied das Bundesgericht, dass in diesem konkreten Fall die Parteien Gewerkschaftsmitglieder und -nichtmitglieder in jeder Hinsicht gleich behandeln wollten, weshalb die Ausdehnungsklausel als echter Vertrag zugunsten Dritter zu beurteilen war, was dazu führte, dass der Arbeitnehmer, obwohl nicht Mitglied der Gewerkschaft, direkt Rechte aus dem GAV ableiten konnte).
  • Mittels Referenzen in einem Einzelarbeitsvertrag können Bestimmungen eines GAV in einen Einzelarbeitsvertrag integriert werden. Dadurch werden die Parteien des Einzelarbeitsvertrages aber nicht zu GAV-Parteien (sofern sie dies vorher nicht schon waren). Die entsprechenden Bestimmungen werden einfach zu gewöhnlichen Vertragsbestimmungen des Einzelarbeitsvertrages.

 

GAV für Velokurriere

Gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband SWISSMESSENGERLOGISTICS SML hat die Gewerkschaft syndicom heute den Gesamtarbeitsvertrag «Velokuriere und urbane Kurierdienstleistungen» unterzeichnet. Velokuriere, die unter den GAV fallen, profitieren neu von einem Mindestlohn, geregelten Zuschlägen, Pikettdiensten und Einsatzplänen und gar von einem Vaterschaftsurlaub. Der GAV-Velokuriere setzt Mindeststandards für eine Branche, die in den kommenden Jahren stark unter Druck kommen wird.

Gemäss Pressemittelung beinhaltet der GAV insbesondere das Folgende:

  • Gesicherter Mindestlohn und jährliche Lohnverhandlungen
  • Mindestansätze für Spesen (bspw. für die Benützung des eigenen Fahrrads)
  • Vaterschaftsurlaub: 5 Tage
  • Lohnzuschläge (5 % bei regelmässiger Sonntagsarbeit; 25 % bei unregelmässiger Sonntagsarbeit und Überzeit)
  • Frühzeitige Einsatzplanung (14 Tage)
  • Mitwirkung (jährlich 2 Tage Gewerkschafts-Urlaub)

 

Autor: Nicolas Facincani