Gemäss einem Artikel vom 12. März 2019 einer bekannten Tageszeitung, hätten Mitarbeitende einer Grossbank vorgebracht, die Bank kürze Mitarbeiterinnen nach der Mutterschaft langfristig die Boni (zur Abgrenzung zwischen Lohn und Gratifikation siehe hier).

Wie wäre ein solche Verhalten arbeitsrechtlich zu würdigen (im Falle, dass die Vorwürfe zutreffen würden)?

 

Verletzung des Gleichstellungsgesetzes (GlG)

Das GlG verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben. Das Verbot erstreckt sich auf das gesamte Arbeitsverhältnis (insbesondere auf die Anstellung, Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung) und bezieht sich auf direkte und indirekte Diskriminierungen. Eine – nicht sofort ersichtliche – indirekte Diskriminierung liegt vor, wenn eine Regelung geschlechtsneutral abgefasst ist, in ihren Wirkungen aber das eine Geschlecht erheblich benachteiligt.

Liegt eine Diskriminierung wegen der Mutterschaft vor, so wäre das GlG klar verletzt. In einem solchen Fall könnten die Chance gut stehen, sofern die Benachteiligung aufgrund der Schwangerschaft erstellt wird, dass ein Gericht anordnet, dass die Differenz zum „normalen“ Bonus bezahlt wird.

In einem konkreten Fall, wo der Bonus aufgrund der Abwesenheit (16 Wochen Mutterschaftsurlaub) der Arbeitnehmerin gekürzt wurde, hat das Arbeitsgericht die Bank für die Zeitdauer ab der 8. Woche nach der Niederkunft geschützt und eine Diskriminierung verneint (zu den Details siehe unten). Es ist offen, ob diese Ansicht auch vom Bundesgericht geschützt würde. Wird der Bonus allerdings nur wegen der Mutterschaft als solches gekürzt, ist die liegt m.E. eine klare Diskriminierung vor.

 

Persönlichkeitsverletzung / Gleichstellungsgrundsatz

In der Schweiz ist ein arbeitsrechtlicher, geschlechtsübergreifender Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz leitet sich aus der Pflicht des Arbeitgebers zum Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmer ab (Art. 328 OR). Das Gleichbehandlungsgebot gilt anerkanntermassen auch bei freiwilligen Sozialleistungen wie Abgangsentschädigungen. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung stellt eine Persönlichkeitsverletzung der Arbeitnehmer dar.

Jedoch hat das Bundesgericht festgestellt, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit dem Gleichbehandlungsgebot vorgeht: «En matière de contrat individuel de travail, la jurisprudence a déjà affirmé que la liberté contractuelle prévalait sur le principe de l’égalité de traitement». Aufgrund der Vertragsfreiheit sind deshalb grundsätzlich beliebige Differenzierungen zwischen einzelnen Arbeitnehmern zulässig. Somit ist zwar ein arbeitsrechtlicher, geschlechterübergreifender Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt, allerdings ist dessen Schutzwirkung begrenzt.

Eine persönlichkeitsverletzende Ungleichbehandlung liegt nur im Falle einer willkürlichen (also sachlich ungerechtfertigten), individuellen Diskriminierung vor. Gemäss Bundesgericht kann jedoch auch eine unsachliche Entscheidung des Arbeitgebers nur dann als Persönlichkeitsverletzung und damit als Verstoss gegen das individuelle Diskriminierungsverbot gelten, wenn darin eine den Arbeitnehmer verletzende Geringschätzung seiner Persönlichkeit zum Ausdruck kommt, was von vornherein nur dann gegeben sein kann, wenn ein einzelner Arbeitnehmer gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern deutlich schlechter gestellt wird – nicht jedoch, wenn nur ein einzelner Arbeitnehmer bessergestellt wird. Somit ist eine sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung eines einzelnen Arbeitnehmers oder einer Minderheit von Arbeitnehmern gegenüber der Mehrheit der Belegschaft oder die Besserstellung der Mehrheit der Belegschaft, aber eben nicht aller, unzulässig. Demgegenüber ist die Besserstellung eines einzelnen Arbeitnehmers oder einer Minderheit bzw. kleinen Gruppe von Arbeitnehmern sowie die Benachteiligung von grösseren Gruppen oder gar ganzen Mitarbeiterkategorien nicht zu beanstande.

Diese Grundsätze wurden vom Bundesgericht auch in Bezug auf den Bonus bestätigt:

Gemäss dem Entscheid 4A_651/2017 vom 4. April 2018 des Bundesgericht der Gleichbehandlungsgrundsatz bei Gratifikationen (zur Abgrenzung zwischen Lohn und Gratifikation siehe hier):

Wenn der betreffende Arbeitnehmer in eine deutlich ungünstigere Lage gebracht wird als ein grosser Teil der Belegschaft, kann der Betreffende gestützt auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 328 OR) eine Bonuszahlung fordern.

Auf der Basis dieses Grundsatzes bestehen gute Argumente, dass eine Mitarbeiterin, die aufgrund der Schwangerschaft schlechter gestellt ist (und deren Bonus deswegen reduziert wird), eine Diskriminierung (Persönlichkeitsverletzung) geltend machen und den ganzen Bonus fordern kann (siehe auch den Beitrag zur Bonusrechtsprechung).

 

Entscheid Arbeitsgericht Zürich

Im entsprechenden Entscheid ginge es darum, ob aufgrund der Abwesenheit beim Mutterschaftsurlaub der Bonus gekürzt werden darf:

Die Klägerin war rund 7 Jahre als Senior Projektleiterin bei einer Bank angestellt. Während zwei Jahren bekam sie wegen Mutterschaftsurlaub nur einen gekürzten Bonus. Sie verlangteGleichstellung mit ihren Kollegen, welche einen unterkürzten Bonus erhalten und stützt sich unter anderem auf ein Reglement der Beklagten, welches die volle Lohnzahlung während dem Mutterschaftsurlaub vorsieht.Die Kürzung des Bonus während der ersten acht Wochen des Mutterschaftsurlaubs sei nicht zulässig, da ­während dieser Zeit ein Beschäftigungsverbot für Mütter gelte. Von der Bonus­kürzung wegen Mutterschaft seien nur Frauen betroffen. Das sei ­diskriminierend und ­verstosse gegen das Gleichstellungsgesetz.

Die Schlichtungsbehörde kommt zum Schluss, dass die Bonuskürzung diskriminierend erfolgte. Bonuskürzungen wegen Abwesenheit zufolge Militärdienst oder Krankheit beträfen nämlich alle Arbeitnehmenden, während Bonuskürzungen wegen Mutterschaftsurlaub ausschliesslich Frauen betreffen. Ausserdem könne eine Schwangerschaft/Mutterschaft nicht mit einer Krankheit gleichgesetzt werden. Dem Bonus käme Lohncharakter im Sinne des Gleichstellungsgesetzes zu und eine Lohnkürzung wegen Mutterschaft sei diskriminierend und verletzte Art. 3 Gleichstellungsgesetz.

Das Arbeitsgericht hält fest, dass Boni freiwillige Gratifikationen im Sinne von Art. 322d Obligationenrecht sind und nicht unter die Begriffe Lohn oder Lohnzusätze nach Art. 330b Abs. 1 lit. d Obligationenrecht subsumiert werden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, die Klägerin auf eine Bonusreduktion infolge Abwesenheit wegen Mutterschaftsurlaub hinzuweisen.

Eine Bonusreduktion in den ersten acht Wochen nach der Geburt ist laut Arbeitsgericht aufgrund des Beschäftigungsverbots nicht erlaubt. Beim Mutterschaftsurlaub handelt es sich um eine unverschuldete Abwesenheit. In den ersten acht Wochen darf auch mit Einverständnis der Betroffenen nicht von den gesetzlichen Regelungen abgewichen werden. Daher stellt eine Bonusreduktion in den ersten acht Wochen eine geschlechtsspezifische Diskriminierung dar. Dies ist insbesondere der Fall, da andere unverschuldete Abwesenheiten (speziell die Militär-, Schutz, oder Zivildienstabwesenheit) im Regelfall nicht zu einer Bonuskürzung führen.

Anders beurteilt das Arbeitsgericht die Zeit von der 9. bis zur 16. Woche des Mutterschaftsurlaubs. Diese Zeit liegt ausserhalb des gesetzlichen Beschäftigungsverbots. Eine Reduktion während dieser Wochen seidaher mit Art. 3 Gleichstellungsgesetz zu vereinbaren und liegt im Ermessen der Beklagten. Daher beurteilte das Arbeitsgericht die Bonusreduktion zwischen der 9. und der 16. Woche des Mutterschaftsurlaubs als zulässig.

 

Autor: Nicolas Facincani