Hat eine steuerpflichtige Person trotz Mahnung ihre Verfahrenspflichten nicht erfüllt oder können die Steuerfaktoren mangels zuverlässiger Unterlagen nicht einwandfrei ermittelt werden, nimmt die Veranlagungsbehörde die Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vor (Art. 46 Abs. 3 StHG, Art. 130 Abs. 2 DBG – sog. Ermessensveranlagung). Dem Legalitätsprinzip folgend sollte sie dabei Erfahrungszahlen, Vermögensentwicklung und Lebensaufwand des Steuerpflichtigen berücksichtigen.

Die sog. Ermessensveranlagung (auch „E-Tax“ genannt) dient dazu, einen Untersuchungsnotstand der Steuerbehörde, den sie mit einem angemessenen Aufwand nicht beseitigen kann, zu beheben.  Der Untersuchungsnotstand der Steuerbehörde gleicht der Situation bei einer Beweisverweigerung.

Grundsätzlich können zwei Arten von steuerpflichtigem „Fehlverhalten“ zu einer Ermessensveranlagung, führen, nämlich zum einen (i) Verfahrenspflichtverletzungen und zum anderen (ii) mangelhafte oder fehlerhafte Unterlagen und Informationen.

Beides ist zum Beispiel klassischerweise der Fall, wenn die steuerpflichtige Person keine Steuererklärung einreicht, die Vorlage der Buchhaltung verweigert (sofern sie buchhaltungsführungspflichtig ist) oder trotz Aufforderung (Auflage und Mahnung) keine „logisch nachvollziehbare“ Erklärung zu einer massgebenden Vermögensveränderung abgibt.

Ermessensveranlagung meint nicht etwa, dass die Steuerbehörde von der Pflicht zur Abklärung der steuerrechtlich massgebenden Verhältnisse entbunden ist. Sie kann sich nicht auf blosse Vermutungen beschränken, sondern muss versuchen, alle verfügbaren Tatsachen abzuklären, sofern dies mit adäquatem Aufwand möglich ist. Nur die verbleibenden Lücken darf sie mittels Schätzungen füllen. Die Ermessenstaxation soll somit der Wirklichkeit möglichst nahe kommen. Mit anderen Worten, das Ermessen, d.h. die Schätzung, muss „pflichtgemäss“ vorgenommen werden. Bei der Ermessenstaxation sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung alle relevanten, der Behörde bekannten Unterlagen zu berücksichtigen, so dass der Steuerpflichtige möglichst entsprechend seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eingeschätzt wird.

Eine pönal motivierte Steigerung der Faktoren ist dagegen unzulässig, denn eine Ermessensveranlagung stellt keine Bestrafung der steuerpflichtigen Person dar. Hierzu dient einzig eine allenfalls zu erlassende Ordnungsbusse wegen Verletzung von Verfahrenspflichten. Allerdings ist es zulässig, auf den oberen Ermessensbereich zu zielen, damit die nachlässige steuerpflichtige Person nicht gegenüber der sich korrekt verhaltenden bevorzugt wird. Dennoch hat die Schätzung vorsichtig auszufallen.

Je nachdem ob die E-Tax als Folge einer Verfahrenspflichtverletzung oder wegen mangelhafter oder fehlender Unterlagen notwendig wird, schöpfen die Steuerbehörden in der Regel ihr Ermessen unterschiedlich weit aus. Bei der Verfahrenspflichtverletzung wird es weitgehend vollumfänglich ausgeschöpft. Fehlt es an der Verfahrenspflichtverletzung, wird allgemein versucht, auf Durchschnittswerten zu basieren.

 

Ermessensveranlagung nach Verfahrenspflichtverletzung

Die Nichteinreichung einer Steuererklärung, ordnungsgemässer Unterlagen über Aktiven und Passiven, Einnahmen und Ausgaben und allfälligen Privatentnahmen und Privateinlagen stellt in der Regel eine Verfahrenspflichtverletzung im Sinn von Art. 55 StHG und Art. 174 Abs. 1 DBG dar. Wird eine Verfahrenspflicht trotz Mahnung sie zu erfüllen verletzt, muss die Steuerbehörde eine Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vornehmen.

Eine oder sogar mehrere Mahnungen alleine erlauben die Ermessensveranlagung noch nicht. Vielmehr müssen der steuerpflichtigen Person die Rechtsnachteile eines Säumnisses der Mahnung explizit angedroht werden. Mit Rechtsnachteilen ist dabei insbesondere die Ermessensveranlagung als Säumnisfolge nicht gehöriger Erfüllung gemeint, also namentlich (i) die Ermessenstaxation, die (ii) Notwendigkeit, bei einer allfälligen Einsprache den Nachweis der Unrichtigkeit der Ermessenstaxation zu erbringen (Beweislastverteilung) und (iii) die Ausfällung einer Busse. Beachtlich ist auch, dass die Mahnung nicht mehr verlangen darf, als die vorangegangene Androhung.

 

Ermessensveranlagung wegen mangelhafter oder fehlender Unterlagen

Liegen den Steuerbehörden mangelhafte Unterlagen vor oder fehlen notwendige Unterlagen ganz, führt dies dazu, dass die Sachverhaltsfeststellung, mithin also die Feststellung der steuerlichen Faktoren, ungenügend ausfällt. Können die Steuerfaktoren nicht einwandfrei festgesetzt werden, müssen sie nach pflichtgemässem Ermessen geschätzt werden.

Dabei dürfen allerdings die allgemeinen Beweislastregeln nicht vergessen werden: Steuerbegründende und -erhöhende Faktoren sind grundsätzlich durch den Fiskus, steuerreduzierende Faktoren durch die steuerpflichtige Person nachzuweisen.

Kann z.B. ein steuerbegründender Grundsachverhalt nachgewiesen werden (z.B. der Nachweis einer Einkommensquelle), ist aber die Höhe ungewiss, so kann sie mittels pflichtgemässem Ermessen bestimmt werden.

Kann hingegen der steuerbegründende Grundsachverhalt erst gar nicht nachgewiesen werden, haben die Steuerbehörden die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Mit anderen Worten darf ein Grundsachverhalt generell nicht einfach geschätzt werden.

Kann die steuerpflichtige Person auf der anderen Seite den Nachweis steuermindernder Tatsachen nicht erbringen, so ist ihr der entsprechende Abzug zu verweigern. Ist hingegen das Vorliegen von steuermindernden Tatsachen unstrittig, nicht aber deren Höhe, so kann diese nach pflichtgemässem Ermessen geschätzt werden.

Ob bei der Ermessenstaxation zufolge ungenügender Unterlagen eine Mahnung mit Androhung der ermessensweisen Veranlagung notwendig ist, ist nicht gänzlich unbestritten, wohl aber im Allgemeinen zu bejahen. Namentlich bei aussichtlosen Fällen dürfte dies allerdings vermutlich nicht nötig sein, wobei Aussichtlosigkeit nur mit Zurückhaltung anzunehmen ist.

 

Abzüge bei der Ermessensveranlagung

Nach dem Gesetz der steuerpflichtigen Person zustehende Abzüge, namentlich also Sozialabzüge, dürfen nicht verweigert werden, falls das Fehlen der Voraussetzungen für diese Abzüge nur auf Vermutungen beruht.

Bei Veranlagungen, bei denen ermessensweise ein unselbständiges Erwerbseinkommen festgesetzt wird, sind die entsprechenden berufsbedingten Pauschalabzüge von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Höhe des Pauschalabzugs richtet sich dabei nach der Höhe des ermessensweise veranlagten unselbständigen Erwerbseinkommens.

Weitere Berufsauslagen (Fahrkosten zur Arbeit, Mehrkosten für auswärtige Verpflegung etc.) müssen dagegen mangels Angaben in der Regel nicht berücksichtigt werden, ausser deren Vorhandensein wäre aus irgendeinem Grund klar für die Steuerbehörden.

 

Rückerstattung der Verrechnungssteuer nach Ermessenstaxation

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann die steuerpflichtige Person, die keine Steuererklärung abgibt oder ihre Einkünfte nicht vollständig deklariert, ihren Rückerstattungsanspruch betreffend die Verrechnungssteuer verwirken – dies selbst dann, wenn keine Hinterziehungsabsicht vorliegt. Eine Verwirkung ist aber nur dann möglich, wenn die relevanten Einkommensbestandteile der Steuerbehörde nicht etwa aus früheren Steuererklärungen, Rückerstattungsanträgen oder anderen Gründen bekannt sind; denn in diesen Fällen kann keine „Verheimlichung“ vorliegen.

Hierbei ist auf das einschlägige Kreisschreiben Nr. 40 vom 11. März 2014 der Eidgenössischen Steuerverwaltung hinzuweisen.

Eine ordnungsgemässe Deklaration liegt nur vor, wenn die steuerpflichtige Person die mit der Verrechnungssteuer belasteten Einkünfte und das zugrunde liegende Vermögen in der ersten Steuererklärung, welche nach Fälligkeit der steuerbaren Leistung einzureichen ist, angibt oder spontan vor Eintritt der ordentlichen Veranlagung bei Ausschluss einer Hinterziehungsabsicht nachdeklariert.

Künftig sollen auch die Nachdeklaration der verrechnungssteuerpflichtigen Leistung durch die steuerpflichtige Person als Reaktion auf eine Nachfrage der Steuerbehörde und die Aufrechnung der nichtdeklarierten Einkünfte oder Vermögen durch die Steuerbehörde aufgrund eigener Kenntnisse den Rückerstattungsanspruch „wieder aufleben“ lassen (Revision des Art. 23 VStG) – unter der Voraussetzung, dass die Nachdeklaration vor Ablauf der Einsprachefrist erfolgen muss. Dabei muss eine versuchte vorsätzliche Steuerhinterziehung ausgeschlossen sein. Wird ein vorsätzlicher Hinterziehungsversuch im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens festgestellt, ist die Rückerstattung jedenfalls verwirkt.

 

Nachsteuer- und Steuerstrafverfahren nach erfolgter Ermessenstaxation

Erweist sich nachträglich, dass eine Ermessenstaxation zu tief ausgefallen ist, können (innerhalb der Verjährungsfrist) die Nachsteuern erhoben werden.

In der Regel wird zeitgleich zum Nachsteuerverfahren auch ein Steuerhinterziehungsverfahren eröffnet. Ist die rechtskräftige Ermessenstaxation zu tief ausgefallen und hat sie die steuerpflichtige Person vorsätzlich oder fahrlässig verschuldet, kann eine Steuerhinterziehungsbusse ausgesprochen werden.

 

Einsprache gegen Ermessenstaxation

Die Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen kann nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit angefochten werden. Die Einsprache ist zu begründen und hat allfällige Beweismittel zu benennen. Damit sind bei der Einsprache gegen eine Ermessenstaxation nicht nur die formellen, sondern auch die materiellen Voraussetzungen höher, denn die inhaltliche Überprüfung der Veranlagung ist nur auf offensichtliche Unrichtigkeit hin, mithin also eingeschränkt, möglich.

In einem ersten Schritt prüft die Steuerverwaltung also, ob die Einsprache begründet ist und die nötigen Beweismittel nennt. Fehlt eines dieser beiden Elemente, tritt sie auf die Einsprache nicht ein. Die Einsprache wird dann also überhaupt nicht behandelt.

Eine einfache Begründung reicht nicht aus. Es braucht eine substantiierte Begründung, weil die Unrichtigkeit umfassend nachzuweisen ist.

Ist eine E-Tax auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten zurückzuführen, ist in der Regel auch die Nachholung der versäumten Mitwirkungshandlungen innert der Einsprachefrist notwendig (z.B. wäre die vollständig und ordnungsmässig ausgefüllte Steuererklärung einzureichen). Unterlässt der Einsprecher dies, wird auf seine Eingabe nicht eingetreten. Hierzu gibt es Ausnahmen, namentlich wenn die offensichtliche Unrichtigkeit einer Ermessensveranlagung substantiiert begründet und mit Beweismitteln belegt ist oder – unter Umständen – wenn die steuerpflichtige Person die Handlung nicht nachholen kann.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird der Unrichtigkeitsnachweis inhaltlich geprüft und die Ermessensveranlagung durch eine ordentliche Veranlagung ersetzt.

Gelingt der Unrichtigkeitsnachweis nicht, so ist an der Ermessensveranlagung festzuhalten. Eine allfällige Reduktion der Steuerfaktoren kann sich dann einzig aufgrund einer Willkürprüfung ergeben.

 

Autor: Reto Sutter