Oft stellt sich die Frage, ob sich der Arbeitgeber missbräuchlich verhält, wenn er einem erkrankten Mitarbeiter kündigt bzw. ob die entsprechende Kündigung missbräuchlich ist (zur Missbräuchlichkeit siehe etwa die missbräuchliche Entlassung).

 

BGer 4A_293/2019 vom 22. Oktober 2019

Dem Urteil BGer 4A_293/2019 vom 22. Oktober 2019 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Arbeitnehmer war ab dem 14. Januar 2002 beim Arbeitgeber als Abteilungsleiter „Einkauf/ Verkauf DVD“ angestellt. Am 27. August 2014 kam es mit dem Arbeitgeber (bzw. einem Verwaltungsrat) zu einer Auseinandersetzung. Ab dem Folgetag war die Arbeitnehmerin bis Ende Januar 2016 krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 15. September 2014 teilte der Arbeitgeber mit mit, dass er plane, nach der Genesung des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und ihn von jeglicher Arbeitsleistung freizustellen.

 

Missbräuchliche Kündigung?

Der Arbeitnehmer machte geltend, es liege eine missbräuchliche Kündigung vor. Der Arbeitgeber habe ihn wegen einer Krankheit entlassen, die sie selbst durch jahrelange Überforderung am Arbeitsplatz verursacht habe.

Das Bundesgericht bestätigte, dass es grundsätzlich zulässig ist, jemandem wegen einer die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Krankheit zu kündigen, jedenfalls soweit die Sperrfrist nach Art. 336c Abs. 1 lit. b OR abgelaufen ist (BGE 136 III 510 E. 4.4; 123 III 246 E. 5; Urteile 4A_564/2008 vom 26. Mai 2009 E. 2.2; 4C.174/2004 vom 5. August 2004 E. 2.2.2).

Dagegen läge eine nach Art. 336 OR verpönte Treuwidrigkeit bzw. missbräuchliche Kündigung vor vor, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Verletzung einer dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht zuzuschreiben wäre und dem Arbeitnehmer gekündigt würde.

 

Kausalität

Das Bundesgericht verwies aber in seinem Entscheid insbesondere auf die Kausalität zwischen einem verpönten Motiv und der Kündigung, damit eine Kündigung missbräuchlich ist.

Die Missbräuchlichkeit einer Kündigung setzt einen Kausalzusammenhang zwischen dem verpönten Motiv und der Kündigung voraus. Es ist mithin erforderlich, dass der als missbräuchlich angefochtene Kündigungsgrund bei der Entscheidung des Arbeitgebers, den Arbeitsvertrag aufzulösen, eine entscheidende Rolle gespielt hat (siehe BGE 125 III 70 E. 2a S. 73; Urteil 4A_437/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 2.2.3). Der Arbeitnehmer, der sich auf die Missbräuchlichkeit beruft, trägt hierfür die Beweislast. Dies gilt namentlich auch für den besagten Kausalzusammenhang zwischen dem angerufenen Kündigungsgrund und der Kündigung (siehe Art. 8 ZGB; BGE 130 III 699 E. 4.1 S. 703; 123 III 246 E. 4b S. 252; 121 III 60 E. 3b S. 62; vgl. auch Urteil 4C.313/1990 vom 4. März 1991 E. 1a).

Aufgrund des vorgenannten hat der Arbeitnehmer gemäss Bundesgericht zu beweisen, dass der Arbeitgeber die Kündigung aussprach wegen seiner Krankheit, die durch eine Verletzung seiner Fürsorgepflicht verursacht wurde.

Entscheidend sei gemäss Bundesgericht somit, ob die Beschwerdegegnerin wusste, dass die Krankheit durch die Unterlassung der von ihm geschuldeten Fürsorge hervorgerufen wurde, kann dieser Beweis nicht erbracht werden, kann der Arbeitnehmer keine missbräuchliche Kündigung geltend machen.

 

Kommentar

Das Bundesgericht scheint hier in den Anforderungen an die Beweislast sehr weit zu gehen. Was heisst denn, der Arbeitgeber habe gewusst, dass die Krankheit durch die Unterlassung der von ihm geschuldeten Fürsorge hervorgerufen wurde?

Auch scheint das Erfordernis der Kenntnis des Arbeitgebers des eigenen Versagens bzw. des Verursachens der Krankheit durch die Verletzung der Fürsorgepflicht in der Vergangenheit nie so konkret angesprochen worden zu sein: In BGer 4A_102/2018 vom 27. Mai 2008 wurde etwa das Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung im Zusammenhang mit einer Krankheit des Arbeitnehmers bejaht. Die Krankheit war auf die nachlässige Betriebsorganisation zurückzuführen, wobei sich der Arbeitnehmer bei einem Arbeitsunfall am Auge schwer verletzte. Nachdem feststand, dass der Arbeitnehmer teilweise arbeitsunfähig sein würde, wurde er entlassen. In diesem Entscheid war etwa nicht diskutiert worden, ob der Arbeitgeber um sein Versäumnis wusste oder nicht.

 

Autor: Nicolas Facincani