Das Bundesgericht hatte im Entscheid 2C_470/2020 vom 22. Dezember 2021 die Frage zu entscheiden, ob auf eine von einem Vermittler angebotene Betreuung von Pflegebedürftigen das Arbeitsgesetz und somit auch dessen Höchstarbeitszeit- und Pausenvorschriften anwendbar seien oder nicht.

Bei der entsprechenden Gesellschaft handelte es sich um eine privatrechtliche Aktiengesellschaft mit Sitz in Basel. Sie bezweckt insbesondere die Betreuung von pflegebedürftigen Menschen, namentlich die spitalexterne Haus-, Kranken- und Gesundheitspflege für die Einwohner in der gesamten Schweiz in der Form eines Spitex-Dienstes sowie das Erbringen aller damit zusammenhängender Dienstleistungen.

 

Ausnahme in Art. 2 des Arbeitsgesetzes

Ausgangspunkt für die zu beurteilende Frage war der Ausnahmekatalog des Arbeitsgesetzes. Gemäss Art. 2 Abs 1 lit. g ArG ist dieses nämlich nicht anwendbar auf private Haushalte. Vor Bundesgericht wurde daher geltend gemacht, der hier strittige Arbeitsvertrag falle unter das Arbeitsgesetz. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 lit. g ArG, wonach das Arbeitsgesetz auf private Haushaltungen nicht anwendbar sei, ergebe, dass diese Ausnahmebestimmung nicht auf Dreiparteienverhältnisse, namentlich auf Personalverleih, anzuwenden sei. Er beruft sich hierfür auf ein Parteigutachten (vgl. KURT PÄRLI, Rechtsgutachten „Zur Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes auf Arbeitstätigkeiten in privaten Haushaltungen“, 2018, N. 52 und 62 [nachfolgend: Gutachten PÄRLI]).

Unbestritten war, dass es sich bei dem 24-Stunden Betreuungsmodell um ein Dreiparteienverhältnis handelte.

 

Zum Dreiparteienverhältnis

Bei einem Dreiparteienverhältnis könne ein Personalverleih vorliegen, es könnte aber auch ein anderes Vertragsverhältnis sein, so etwa ein Auftrag an einen Arbeitgeber, welcher den Auftrag mit seinen Mitarbeitern erfüllt. Somit musste das Bundesgericht in einem ersten Schritt das Vertragsverhältnis qualifizieren:

3.3.2. Als Personalverleih werden Dreiecksverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber (Verleiher), einem Einsatzbetrieb (Entleiher) und einem Arbeitnehmer bezeichnet (Urteil 2C 132/2018 vom 2. November 2018 E. 4.3.2; THOMAS GEISER/ROLAND MÜLLER, Arbeitsrecht in der Schweiz, 3. Aufl. 2015, S. 67).

Die Arbeitsvermittlungsverordnung definiert Personalverleih sinngemäss als das Überlassen eines Arbeitnehmers an einen Einsatzbetrieb, wobei der Verleiher bzw. Arbeitgeber dem Einsatzbetrieb wesentliche Weisungsbefugnisse gegenüber dem Arbeitnehmer abtritt (Art. 26 der Verordnung vom 16. Januar 1991 über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih [Arbeitsvermittlungsverordnung, AVV; SR 823.111]; Urteile 2C 132/2018 vom 2. November 2018 E. 4.3.1; 2C 543/2014 vom 26. November 2014 E. 2.1; 4C.360/2004 vom 19. Januar 2005 E. 4.3; vgl. auch CHRISTIAN DRECHSLER, Personalverleih: unscharfe Grenzen, in AJP 2010 S. 314 ff., S. 315). Das Abtreten wesentlicher Weisungsbefugnisse an den Einsatzbetrieb stellt ein zentrales Qualifikationsmerkmal des Personalverleihs sowie ein wichtiges Abgrenzungskriterium von anderen Vertragsverhältnissen, namentlich vom Auftrag, dar (vgl. Urteile 2C 132/2018 vom 2. November 2018 E. 4.3.3; 2C 543/2014 vom 26. November 2014 E. 2.6; FABIAN LOOSER, Der Personalverleih, Diss. Basel 2015, N. 64; MICHAEL KULL, SHK Arbeitsvermittlungsgesetz [AVG], 2. Aufl. 2014, N. 21 zu Art. 12  AVG; MEDICI, a.a.O., S. 99 f.; GEISER/MÜLLER, a.a.O., S. 67; Weisungen und Erläuterungen des Staatssekretariats für Wirtschaft [SECO] zum Arbeitsvermittlungsgesetz, zur Arbeitsvermittlungsverordnung und der Gebührenverordnung zum Arbeitsvermittlungsgesetz, 2007, S. 62 ff. [nachfolgend: SECO-Weisungen AVG]; so auch Gutachten PÄRLI, N. 42). Dabei muss die Weisungsbefugnis nicht vollständig beim Dritten liegen; vielmehr kann das Weisungsrecht auch zwischen dem rechtlichen Arbeitgeber (Personalverleiher) und dem Einsatzbetrieb aufgespalten werden (Urteile 2C 132/2018 vom 2. November 2018 E. 4.3.2 f.; 2C 543/2014 vom 26. November 2014 E. 2.1; jeweils mit Hinweisen; vgl. zum Ganzen auch MEDICI, a.a.O., S. 100 f.; VOGLER, a.a.O., S. 13).

Als weitere Kriterien für das Vorliegen von Personalverleih nennt die Arbeitsvermittlungsverordnung namentlich den Umstand, dass der Arbeitnehmer in persönlicher, organisatorischer, sachlicher und zeitlicher Hinsicht in die Arbeitsorganisation des Einsatzbetriebes eingebunden wird, dass er seine Arbeit mit Werkzeugen, Material oder Geräten des Einsatzbetriebes ausführt und dass der Einsatzbetrieb die Gefahr für die Schlechterfüllung des Vertrages trägt (Art. 26 Abs. 1  AVV; vgl. auch SECO-Weisungen AVG, a.a.O., S. 66 f.).

Dabei müsse in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden.

 

Zur Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes

In einem ersten Schritt fasste das Bundesgericht die theoretischen Grundlagen der hier möglicherweise anwendbaren Ausnahme zum ArG zusammen:

Gemäss der Ausnahmebestimmung von Art. 2 Abs. 1 lit. g ArG ist das Arbeitsgesetz auf private Haushaltungen nicht anwendbar. Eine Gegenausnahme gilt nur für die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes und seiner Verordnungen über das Mindestalter (Art. 2 Abs. 4 ArG). Anstelle des öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzes tritt hier gemäss Art. 359 Abs. 2  OR ein Schutz durch Normalarbeitsverträge der Kantone (vgl. Urteil 4A 96/2017 vom 14. Dezember 2017 E. 4.1.3, in: SJ 2018 I 325; für den Kanton Basel-Stadt vgl. den Normalarbeitsvertrag für Arbeitnehmende im Haushalt einschliesslich der 24-Stunden-Betreuung [NAV Haushalt BS; SG/BS 215.700], in der im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils geltenden Fassung vom 20. November 1990). Zudem haben die dem Normalarbeitsvertrag des Bundes vom 20. Oktober 2010 für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Hauswirtschaft unterstellten Arbeitnehmer Anspruch auf einen Mindestlohn (vgl. Art. 5 der Verordnung vom 20. Oktober 2010 über den Normalarbeitsvertrag für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Hauswirtschaft [NAV Hauswirtschaft; SR 221.215.329.4]; vgl. MÜLLER/MADUZ, a.a.O., N. 19 zu Art. 2 ArG).

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass – ungeachtet der Tatsache, ob ein Personalverleih vorliegt, das ArG anwendbar sei, dies aus folgenden Gründen:

4.6. Im Ergebnis ist Folgendes festzuhalten: Aus der Auslegung von Art. 2 Abs. 1 lit. g ArG ergibt sich, dass diese Bestimmung auf Zweiparteienverhältnisse zugeschnitten ist, d.h. auf Konstellationen, in welchen die Arbeitskraft direkt vom privaten Haushalt angestellt wird und ihre Anweisungen ausschliesslich von diesem bezieht (so auch Gutachten PÄRLI, a.a.O., N. 52 und 62 und Kurzgutachten GEISER, a.a.O., N. 3). In solchen Fällen rechtfertigt sowohl die besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Inhaber des privaten Haushalts als auch der Schutz der Privatsphäre des Letzteren eine Ausnahme vom Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes. Demgegenüber ist bei Dreiparteien-Konstellationen, so namentlich in Fällen von Personalverleih, möglich, die Einhaltung der Arbeits- und Ruhezeiten bei der Betreuungsorganisation zu kontrollieren. Der Wille des historischen Gesetzgebers, der sich – wie es die in der Lehre aufgeführten Beispiele (Köche, Chauffeure, Gärtner; vgl. E. 4.3 hiervor) zeigen – vor allem auf die Intimität der Verhältnisse stützt, erstreckt sich nicht auf Mehrparteienverhältnisse wie den vorliegenden. Zudem dient die Arbeitsleistung der Betreuungskraft in Fällen von Mehrparteienverhältnissen nicht nur der Erfüllung privater Bedürfnisse der zu betreuenden Person, sondern auch dem kommerziellen Zweck der Betreuungsorganisation.

Diese Argumente sprechen – unter Berücksichtigung des Zwecks des Arbeitsgesetzes, einen umfassenden Schutz möglichst vieler Arbeitnehmenden zu gewährleisten (vgl. E. 4.2 hiervor) – für eine restriktive Handhabung von Art. 2 Abs. 1 lit. g ArG und damit gegen die Anwendung dieser Ausnahmebestimmung auf Fälle von Mehrparteienverhältnissen.

Dass diese Ausnahmebestimmung ohnehin nicht zur Anwendung gelangt, wenn zwischen der Betreuungsorganisation und dem privaten Haushalt ein Vertragsverhältnis im Sinne eines Auftrags oder eines Werkvertrags vorliegt, wurde im Übrigen bereits erwogen (vgl. E. 3.4.3 hiervor).

Vor diesem Hintergrund ist zusammenfassend festzuhalten, dass Art. 2 Abs. 1 lit. g  ArG nur in Fällen greift, in welchen die jeweilige Arbeitskraft direkt vom privaten Haushalt angestellt wird, nicht aber beim Vorliegen von Dreiparteienverhältnissen.

 

Konsequenzen

Das Urteil schafft rechtliche Klarheit. Der Arbeitnehmerschutz wird klar verstärkt. Dies ist positiv zu werten. Auf der anderen Seite wird es nicht mehr möglich sein, mit einer oder zwei Personen einen 24-Betreuungsbetrieb aufrecht zu erhalten. Es wird einiges mehr an Personal brauchen. Die Personalverleih im Betreuungsbereich werden sich wohl in nächster Zeit zudem unter Umständen mit massiven Überzeitforderungen (bzw. den Lohnzuschlägen) konfrontiert sehen für die letzten 5 Jahre, sofern vertraglich mehr als die Höchstarbeitszeit vorgesehen oder ein Lohnzuschlag für Überstunden vertraglich wegbedungen war.

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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