Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern Geschäftsfahrzeuge zur Verfügung stellen, riskieren, dass diese Fahrzeuge bei groben Verkehrsregelverletzungen durch die Arbeitnehmer durch die Strafverfolgungsbehörden eingezogen werden. Ein solcher Fall lag auch dem Entscheid BGer 1B_492/2022 vom 9. November 2022 zugrunde.

 

Einziehung von Fahrzeugen

Nach Art. 90a Abs. 1 SVG kann das Strafgericht die Einziehung eines Motorfahrzeugs anordnen, wenn (lit. a) damit eine grobe Verkehrsregelverletzung in skrupelloser Weise begangen wurde, und (lit. b) der Täter durch die Einziehung von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abgehalten werden kann. Die Einziehungsvoraussetzungen von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG dürften bei qualifiziert groben Verkehrsdelikten (im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG) in der Regel erfüllt sein. Eine mögliche Einziehung ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern fällt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch bei (nicht qualifiziert) groben Verkehrsregelverletzungen im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG in Betracht (BGE 140 IV 133 E. 3.4; 139 IV 250 E. 2.3.3). Dasselbe gilt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch für das Führen eines Fahrzeugs ohne entsprechenden Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 SVG), wenn die betreffende Person aus demselben Grund schon verurteilt worden ist (Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.2 mit Hinweis).

 

Einziehung von Vermögenswerten von Drittpersonen

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Drittpersonen, d.h. unter anderem vom Arbeitgeber (Art. 263 Abs. 1 Ingress und lit. d StPO) grundsätzlich zulässig sein kann, wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar ist und die Beschlagnahme geeignet erscheint, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren (BGE 140 IV 133 E. 3.5 mit Hinweisen; Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.3). Allerdings muss Art. 197 Abs. 2 StPO berücksichtigt werden: Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen.

 

BGer 1B_492/2022 vom 9. November 2022 – Sachverhalt

Dem Entscheid BGer 1B_492/2022 vom 9. November 2022 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Gemäss dem aktenkundigen Polizeirapport war anlässlich der polizeilichen Patrouillentätigkeit am 13. Mai 2022 beobachtet worden, wie der Fahrzeuglenker während der Fahrt telefonierte. Sodann sei während der nachfolgenden Kontrolle festgestellt worden, dass der beschuldigte Fahrzeuglenker mit einem Führerausweisentzug für sämtliche Fahrzeugkategorien belegt sei. Das Fahrzeug war auf den Arbeitgeber eingelöst. In der Folge wurde der Personenwagen sichergestellt.

 

Entscheid der Vorinstanz

Aufgrund des Sachverhalts kam die Vorinstanz zum Schluss, dass unter anderem ein hinreichender Tatverdacht auf das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs, Verweigerung oder Aberkennung des Führerausweises nach Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG bestehe und eine Einziehung nach Art. 90a SVG gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung möglich sei:

Der automobilistische Leumund des Arbeitnehmers war mehrfach und stark getrübt: Nach Auflistung der gegen den Arbeitnehmer verhängten Vorstrafen und verkehrsrechtlichen Massnahmen gelangte die Vorinstanz zusammenfassend zum Schluss, die zahlreichen Vorfälle über einen längeren Zeitraum zeigten auf, dass der Arbeitnehmer offensichtlich nicht gewillt und in der Lage erscheine, die Strassenverkehrsvorschriften einzuhalten. Das erneute Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises wiege daher besonders schwer und skrupellos. Er sei als uneinsichtig und in hohem Grade rückfallgefährdet einzustufen. Entsprechend bestehe klarerweise die Gefahr einer weiteren deliktischen Verwendung des Personenwagens und damit auch eine Gefahr für den Verkehr. Dem Arbeitnehmer sei unter diesen Umständen eine schlechte Prognose zu stellen.

Die Beschwerdeführerin bestreitet die von der Vorinstanz angeführten Tatsachen nicht. Sie teilt deren Bewertung durch die Vorinstanz zwar nicht, bringt aber auch nichts vor, das die von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen als bundesrechtswidrig erscheinen liesse.

 

Zur Verhältnismässigkeit der Massnahme

E. 2.3.2: Die Vorinstanz hat zur Verhältnismässigkeit der Massnahme festgehalten, der streitbetroffene Personenwagen wäre für den Beschuldigten ohne Weiteres weiterhin verfügbar, weil dieser der Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats der Beschwerdeführerin sei. Der Einwand der Beschwerdeführerin, es würden Massnahmen getroffen wie der Einzug des Schlüssels und die Veräusserung des Fahrzeugs, vermögen nach Auffassung der Vorinstanz daran nichts zu ändern. So sei etwa unklar, wie der Schlüssel eingezogen werden solle, damit B.________ als Geschäftsführer der Beschwerdeführerin keinen Zugang mehr zu ihm habe, zumal noch ein Zweitschlüssel für das Fahrzeug vorhanden sein könnte. Sodann dürfte es zufolge der Vorinstanz bis zu einer Veräusserung des Fahrzeugs eine Weile dauern, während welcher nicht garantiert werden könne, dass B.________ keinen Zugang zum Personenwagen habe. Zudem sei aktenkundig, dass er am 3. April 2021 bereits einmal mit dem beschlagnahmten Personenwagen der Beschwerdeführerin ohne Führerausweis unterwegs gewesen sei; die Beschwerdeführerin habe aber offenbar trotzdem keine Massnahmen getroffen, um dies zu verhindern, wie der neuerliche Vorfall zeige. Schliesslich sei nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin den vorsorglich beschlagnahmten Personenwagen zurzeit benötige, zumal nach ihren eigenen Angaben der Betrieb so angepasst werden könne, dass das Fahrzeug nicht mehr benötigt werde. Zusammenfassend erweise sich die Beschlagnahme unter den gegebenen Umständen als erforderlich, um einerseits eine allfällige spätere Einziehung sicherzustellen, andererseits aber auch, um bis zu diesem Zeitpunkt die Gefährdung der Sicherheit von Menschen wie auch die Gefahr einer weiteren deliktischen Verwendung abzuwehren.

 

Das Bundesgericht

Das Bundesgericht bestätigte, dass die Vorinstanz von der konkreten Möglichkeit eines skrupellosen Vorgehens des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG habe ausgehen dürfen. Damit sei ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO i.V.m. Art. 90a SVG erstellt.

Die Verhältnismässigkeit wurde ebenfalls bejaht. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann eine Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Drittpersonen (Art. 263 Abs. 1 Ingress und lit. d StPO) grundsätzlich zulässig sein, wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar ist und die Beschlagnahme geeignet erscheint, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren (BGE 140 IV 133 E. 3.5 mit Hinweisen; Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.3).

Ob es sich hier tatsächlich um einen Dritten handelte, dessen Fahrzeug hier eingezogen wurde, konnte offengelassen werden:

E. 2.3.3: Es ist fraglich, ob Art. 197 Abs. 2 StPO (besondere Zurückhaltung bei Zwangsmassnahmen gegenüber nicht beschuldigten Personen) in Fällen wie dem vorliegenden überhaupt zur Anwendung gelangt: Nach den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz ist B.________ einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrats und zugleich – als dessen Delegierter – Geschäftsführer der von der Beschwerdeführerin betriebenen Unternehmung. In einer vergleichbaren Konstellation hat es das Bundesgericht abgelehnt, die beschwerdeführende juristische Person als unbeteiligte Drittperson zu behandeln (vgl. BGE 140 IV 57 E. 4.1.2; Urteile 6B_332/2022 vom 2. Juni 2022 E. 2.3; 1B_208/2015 vom 2. November 2015 E. 5; je mit Hinweisen). Indes kann die Frage vorliegend offenbleiben. Die Beschwerdeführerin bringt nämlich nichts vor, das die Feststellungen und Argumente der Vorinstanz entkräften würde. Dass sie die – auch von ihr selbst unbestritten gebliebenen – Tatsachen anders bewertet als die Vorinstanz, genügt nicht, um deren Entscheid als bundesrechtswidrig oder gar willkürlich erscheinen zu lassen. Die Beschlagnahme erscheint mit Blick auf das automobilistische Verhalten von B.________ vielmehr als erforderlich und geeignet und damit verhältnismässig; dies würde auch dann gelten, wenn die Beschwerdeführerin als Drittperson gälte und dem Gebot der zurückhaltenden Anordnung von Zwangsmassnahmen gegen Drittpersonen gemäss Art. 197 Abs. 2 StPO vorliegend Rechnung zu tragen wäre.

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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