Im Mittelpunkt des Entscheides BGer 4A_188/2019 vom 1. April 2019 stand die Frage, ob die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers durch eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verursacht wurde und ob die in der Folge durch in der Unfähigkeit des Arbeitnehmers zur Ausübung seiner Tätigkeit begründete Kündigung missbräuchlich sei (Art. 336 OR).

Die kantonalen Gerichte hatten entschieden, dass dies nicht der Fall gewesen sei, dass der Arbeitgeber damit nicht gegen seine Schutzverpflichtung gegenüber seinem Arbeitnehmer verstoßen habe (Art. 328 OR) und dass daher die in der Unfähigkeit des Arbeitnehmers zur Ausübung seiner Tätigkeit begründete nicht missbräuchlich sei (Art. 336 OR).

Das Bundesgericht schützte diesen Entscheid. Doch wann wäre die Kündigung missbräuchlich gewesen?

 

Wann ist die Kündigung missbräuchlich?

Wird die Kündigung aus den folgenden Gründen ausgesprochen, ist sie missbräuchlich – unabhängig davon, ob vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer ausgesprochen (Art. 336 OR):

  • Persönliche Eigenschaft der von der Kündigung betroffenen Partei, ohne Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und ohne bedeutende Beeinträchtigung des Arbeitsklimas (Art. 336 Abs. 1 lit. a OR), z.B. aufgrund des Geschlechts, Alter, Krankheiten etc.
  • Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts der durch die Kündigung betroffenen Partei, ohne Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsvertrag und ohne bedeutende Beeinträchtigung des Arbeitsklimas (Art. 336 Abs. 1 lit. b OR), z.B. wegen Parteizugehörigkeit etc.
  • Verhinderung der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag durch die von der Kündigung betroffene Partei (Art. 336 Abs. 1 lit. c OR), z.B. wenn der Arbeitgeber verhindern will, dass gewisse Leistungen erbracht werden müssen, auf die der Arbeitnehmer aufgrund des Dienstalters Anspruch hätte etc.
  • Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag durch die von der Kündigung betroffene Partei (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR), wenn der Arbeitnehmer Leistungen aus Überstunden einfordert etc.
  • Leistungen von schweizerischem obligatorischem Zivilschutz-, Militär- oder Schutzdienst oder Übernahme einer nicht freiwillig übernommenen gesetzlichen Pflicht (Art. 336 Abs. 1 lit. e OR). Auch militärische Beförderungsdienste fallen darunter, wenn sie freiwillig angetreten werden.

 

In weiteren Fällen sieht das Gesetz die Missbräuchlichkeit der Kündigung in gewissen Fällen durch den Arbeitgeber vor:

  • Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft des Arbeitnehmers bei einer Gewerkschaft oder legale Tätigkeit bei einer Gewerkschaft (Art. 336 Abs. 2 lit. a OR)
  • Tätigkeit des Arbeitnehmers als gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder einer dem Unternehmen angeschlossenen Vorsorgeeinrichtung (Art. 336 Abs. 2 lit. b OR)
  • mangelnde oder zu kurzfristige Konsultierung der von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer (Art. 336 Abs. 2 lit. c OR).

 

Weitere, nicht in Art. 336 OR genannte Missbrauchstatbestände

Durch Art. 336 OR wird das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB konkretisiert (BGE 134 III 108 E 7.1), womit für eine eigenständige Anwendung des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots eigentlich kein Raum bestehen würde (siehe allerdings BGE  121 III 60). Somit sind nicht nur die in diesem Artikel aufgelisteten Fälle missbräuchlich. Vielmehr ist Art. 336 nicht abschliessend. Somit fallen auch gegen das Rechtsmissbrauchsverbot fallende Fälle darunter, die eine mit den in Art. 336 OR genannten vergleichbare Schwere aufweisen (BGE 136 III E 2.3).

So sind auch demütigende Kündigungen missbräuchlich. Ebenso, wenn in Mobbingsituationen eine Kündigung ausgerechnet gegen das Mobbingopfer ausgesprochen wird. Ebenso kann einen Kündigung in Konfliktsituationen missbräuchlich sein (sog. Konfliktkündigungen). So ist nach der jüngeren Rechtsprechung eine Kündigung dann missbräuchlich, wenn ein Arbeitgeber in einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz eine Kündigung ausspricht, ohne zuvor zumutbare Massnahmen zur Entschärfung der Kündigung getroffen zu haben – dabei ist insbesondere auch eine zu spät angesetzte Aussprache ungenügend.

Auch im Zusammenhang mit unklaren Kompetenzabgrenzungen ausgesprochene Kündigungen sind u.U. missbräuchlich. So wurde etwa eine Kündigung in einer Konfliktsituation, welche darauf zurückzuführen war, dass eine unklare Kompetenzabgrenzung vorlag, missbräuchlich (BGE 8C_594/2010 vom 25.8.2011, vgl. Entscheid des Arbeitsgerichts ZH 2007, Nr. 19, wo eine Missbrauchsklage trotz mehrerer Gespräche und Coaching wegen ungenügenden Konfliktlösungsmassnahmen gutgeheissen wurde).

Auch widersprüchliches Verhalten macht eine Kündigung missbräuchlich. Ebenso, wenn ein Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzt und dann wegen einer Leistungseinbusse kündigt, die sich als eine Folge der Verletzung der Fürsorgepflicht erweist (vgl. etwa BGE 4A_381/2011 vom 24.10.2011). Der Missbrauch einer Kündigung kann sich wie aufgrund der Beispiele dargelegt nicht nur aus den Kündigungsmotiven, sondern auch aus der Art und Weise ergeben, wie die kündigende Partei ihr Recht ausübt. Selbst wenn eine Partei die Kündigung rechtmässig erklärt, muss sie das Gebot schonender Rechtsausübung beachten. Sie darf insbesondere kein falsches und verdecktes Spiel treiben, das Treu und Glauben widerspricht (BGE 131 III 535 E. 4.2 S. 538 f.; 125 III 70 E. 2b S. 73; 118 II 157 E. 4b/bb S. 166 f.). Ein vertragswidriges Verhalten, namentlich eine Persönlichkeitsverletzung im Umfeld einer Kündigung macht diese missbräuchlich. Zu beachten ist nämlich, dass der Arbeitgeber gemäss Art. 328 OR verpflichtet ist, die Persönlichkeitsgüter des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. Er hat sich jeden durch den Arbeitsvertrag nicht gerechtfertigten Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte zu enthalten und diese auch gegen Eingriffe Vorgesetzter, Mitarbeiter oder Dritter zu schützen. Diese Fürsorgepflichten bilden das Korrelat der Treuepflicht des Arbeitnehmers (Art. 321a OR; Rehbinder, Berner Kommentar, N. 1 f. zu Art. 328 OR; Vischer, Der Arbeitsvertrag, Schweizerisches Privatrecht VII/4, 3. Auflage, S. 168). Daraus hat das Bundesgericht abgeleitet, dass wenn sich ein Arbeitgeber nicht oder ungenügend um die Lösung des Konflikts bemüht, er seiner Fürsorgepflicht nicht hinreichend nachgekommen ist, weshalb sich die Kündigung in einem solchen Fall als missbräuchlich erweist (BGE 125 III 70 E. 2c S. 74; Bundesgerichtsurteile 4C.189/2003 vom 23. September 2003, E. 5.1 und 5.2 mit Hinweisen; 4C.253/2001 vom 18. Dezember 2001, E. 2 und 3, wo eine späte Ermahnung an nur eine der am Konflikt beteiligten Personen als ungenügende Massnahme erachtet wurde). Die Praxis im Zusammenhang mit missbräuchlichen Kündigungen wurde vom Bundesgericht in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet und verschärft.

Wäre es dem Arbeitnehmer tatsächlich gelungen zu beweisen, dass der Arbeitgeber für die Verschlechterung des Zustandes des Arbeitnehmers verantwortlich war und dass gerade diese Verschlechterung der Grund für die Kündigung war, so hätten die Gerichte zum Schluss kommen müssen, dass die Kündigung missbräuchlich war.

 

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Autor: Nicolas Facincani