Grundsätzlich gilt der Grundsatz, dass bei ausbleibender Arbeit auch kein Lohn geschuldet ist (Art. 82). Ist es von Anfang an unmöglich, den Vertrag zu erfüllen, kann dies mehrere Ursachen haben:

  • Es ist von Anfang an objektiv gesehen unmöglich, den Arbeitsvertrag zu erfüllen. Hier liegt ein Fall eines nichtigen Arbeitsvertrages vor.
  • Hat der Arbeitgeber die Unmöglichkeit zu verantworten, liegt ein Fall von Art. 324 OR vor. Der Arbeitgeber hat den Lohn weiterhin zu entrichten.
  • Es liegt von Anfang an ein Fall subjektiver Unmöglichkeit vor, den Arbeitsvertrag zu erfüllen (etwa, weil der Arbeitnehmer gar nicht die Fähigkeiten mitbringt, den Arbeitsvertrag zu erfüllen). Hier haftet der Arbeitnehmer unter Umständen nach Art. 97 OR.

Auch wenn es erst im Nachhinein unmöglich wird, den Vertrag zu erfüllen, wird danach unterschieden, wer die Unmöglichkeit zu verantworten hat.

  • Hat der Arbeitgeber die Unmöglichkeit verschuldet oder fällt sie in seinen Risikobereich, liegt ein Fall von Art. 324 OR vor. Der Arbeitgeber hat den Lohn weiterhin zu entrichten.
  • Hat der Arbeitnehmer die Unmöglichkeit verschuldet, haftet er dem Arbeitgeber nach Art. 97 OR.
  • Ist die Unmöglichkeit auf Gründe zurückzuführen, die weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu verantworten sind, fällt die Lohnzahlungspflicht grundsätzlich dahin, es sei denn, es liege ein Fall von Art. 324a OR vor. Im Falle von Art. 324a OR  ist der Lohn, zumindest unter bestimmten Voraussetzungen und für eine gewisse Zeitdauer, weiterhin geschuldet.

Wird aus anderen Gründen die Arbeit nicht erbracht, ist der Lohn nicht geschuldet (Art. 82 OR).

 

BGer 4A_464/2018 vom 18. April 2019

Im zu beurteilenden Fall war die Arbeitnehmerin von Januar 2013 bis am 20. Oktober 2013 das erste Mal, vom März 2014 bis am 2. Dezember 2014 sodann ein zweites Mal schwanger. Nachher war sie aufgrund eines operativen Eingriffs arbeitsunfähig und von Ende Juni 2015 bis am 30. März 2016 ein drittes Mal schwanger. 

Mit Schreiben vom 9. April 2014 wurde ihr im Rahmen einer Massenentlassung per Ende Juni 2014 gekündigt. Dies Kündigung war aufgrund von Art. 336c OR nichtig, wie auch weitere 4 Kündigungen, welche zwischen dem 9. April 2014 und dem 14. Mai 2015 ausgesprochen wurden.

Eine 5. Kündigung, die der Arbeitgeber mit Schreiben vom 14. Mai 2015 mit Wirkung zum 31. Juli 2015 mitgeteilt hat, wurde vor Beginn der dritten Schwangerschaft zugestellt. Diese Kündigungsfrist wurde durch die Schwangerschaft unterbrochen und endete erst nach Ablauf der Sperrfrist (Art. 336c Abs. 2 Satz 2 OR) Ende August 2016.

Nach dem 31. Juli 2015 hatte die Arbeitnehmerin die Arbeit nicht mehr angeboten. Sie war davon ausgegangen, dass die nicht notwendig sein würde. Der Arbeitgeber stellte seinerseits die Lohnzahlungen ein.

Strittig war somit, ob die Arbeitnehmerin trotz des Unterlassens des Arbeitsangebotes Anspruch auf den Lohn bis zum Ende der Kündigungsfrist Ende August 2016 haben würde.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellte klar, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet sei, den Lohn für den Zeitraum nach dem 31. Juli 2015 auszurichten, dies aus den nachfolgenden Gründen:

 

Regel von Art. 82 OR

Gemäss Art. 82 OR muss eine Person, die einen zweiseitigen Vertrag eingeht, ihre eigene Verpflichtung erfüllt oder angeboten haben, damit die Gegenpartei zur Leistung verpflichtet werden kann, es sei denn, es liegt nach den Vertragsbedingungen oder dem Gesetz eine Ausnahme vor.

Nach der Rechtsprechung gilt diese Bestimmung (d.h. Art. 82 OR) zumindest analog für den Arbeitsvertrag (BGE 135 III 349, Erw. 4.2; 120 II 209, Erw. 6a; Tercier/Bieri/Carron, Les contrats spéciaux, 5e éd. 2016, n. 335; Gauch/Schluep/Emmenegger, Schweizerisches Obligationenrecht, Generaliner Teil, T. II, 10e éd. 2014, n. 2215).

Der Arbeitnehmer gerät mit der Erfüllung seiner eigenen Verpflichtung, d.h. der Erbringung seiner Arbeit (Art. 102 ff. OR), in Verzug, wenn er seine Arbeit nicht verrichtet (oder anbietet), ohne durch einen anerkannten Grund verhindert zu sein; der Arbeitgeber kann sich dann auf die Ausnahme der Nichterfüllung des Art. 82 OR berufen, um die Zahlung des Gehalts zu verweigern (BGE 135 III 349, Erw. 4.2; 115 V 437, Erw. 5a).

Der Arbeitgeber gerät in der Regel seinerseits mit seiner eigenen Verpflichtung (Art. 102 ff. OR) in Verzug, wenn er mit der Zahlung überfälliger Löhne in Verzug ist; der Arbeitnehmer kann sich dann auf die Ausnahme der Nichterfüllung durch analoge Anwendung von Art. 82 OR berufen und die Ausführung seiner Arbeit verweigern (BGE 120 II 209). Während dieser Zeit wächst der Lohnanspruch weiter.

Art. 82 OR gewährt dem Schuldner eine sog. „aufschiebende Einrede“ („exceptio non adimpleti contractus“) die es ihm erlaubt, erst dann zu leisten, wenn sein Vertragspartner seine Leistung erbracht oder angeboten hat. Es liegt an dem Schuldner, diese Einrede zu erheben. Nach der Berufung des Schuldners auf die Einrede (vorliegend dem Arbeitgeber) obliegt es dem Gläubiger (vorliegend der Arbeitnehmerin), den Nachweis zu erbringen, dass er seine eigene Leistung erbracht oder angeboten hat (BGE 127 III 199 Erw. 3a; 123 III 16, Erw. 2b; BGer 4A_252/2008 vom 28. August 2008, Erw. 2.2).

 

Situation im Zusammenhang mit Art. 336c OR

Die Ungültigkeit oder Unterbrechung einer Kündigung nach Art. 336c Abs. 2 OR berührt die Rechte und Pflichten der Parteien nicht: Der Arbeitnehmer muss seine Arbeit verrichten, während der Arbeitgeber zur Zahlung des Lohnes verpflichtet bleibt (Art. 319 und 324 OR) (BGE 115 V 437, Erw. 5a). Wenn der Arbeitgeber durch sein Verschulden die Ausführung der Arbeit verhindert oder aus anderen Gründen nicht annimmt, bleibt er nach Art. 324 Abs. 1 OR verpflichtet, das Gehalt zu zahlen, ohne dass der Arbeitnehmer seine Arbeit bereitstellen muss.

Art. 324 OR setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Dienstleistungen angeboten hat (BGE 135 III 349, Erw. 4.2; 115 V 437, Erw. 5a, S. 444), es sei denn, er sei vom Arbeitgeber freigestellt worden. Die Arbeitsleistung ist auch wieder anzubieten, wenn die Arbeitnehmerin bis zu einem bestimmten Punkt freigestellt ist oder sich das Arbeitsverhältnis aufgrund der Schwangerschaft und dem Unterbruch der Kündigungsfrist um mehr als ein Jahr verlängert hat (vgl. etwa BGer 4C.259/2003 vom 2. April 2004, Erw. 2.2).

Die Arbeitnehmerin muss auch in der Lage und in der Lage sein, ihre Arbeit effektiv auszuführen (Leistungsbereitschaft; BGE 111 II 463 Erw. 5a; BGer 4C.259/2003 vom 2. April 2004, Erw. 2.2).  Nur unter diesen Bedingungen kann der Arbeitgeber (Gläubiger dieser Leistung) in Verzug geraten, sie anzunehmen und somit gemäß Art. 324 Abs. 1 OR zur Zahlung des Lohnes verpflichtet werden.

 

Autor: Nicolas Facincani