Der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht führt die Geschäfte der Gesellschaft, soweit er die Geschäftsführung nicht an Dritte (oder einzelne Mitglieder) übertragen hat (Art. 716 Abs. 2 OR). Er ist somit grundsätzlich das geschäftsführende Organ der Gesellschaft. Zudem ist er das oberste strategische Führungsgremium der AG. Mit Blick auf die Konstituierung des Verwaltungsrats sind z.B. nur einige wenige gesetzlich vorgesehene Minimalvorschriften zu beachten. So bezeichnet etwa der Verwaltungsrat gemäss Art. 712 Abs. 1 OR seinen Präsidenten und den Sekretär. Weitere Vorschriften über den Bestand des Verwaltungsrats gibt es im OR nicht.

In diesem Zusammenhang stellt sich oft auch die Frage, ob ein Mitglied des Verwaltungsrates angestellt ist oder nicht, was in separat von diesem Beitrag behandelt wird.

 

Wahl, Dauer und Ende als Verwaltungsratspräsident

Gemäss Art. 712 Abs. 1 OR bestimmt der Verwaltungsrat (als Gremium) seinen Präsidenten. Davon abweichend kann der Präsident auch von der Generalversammlung bestimmt werden. Dazu müssen dies die Statuten ausdrücklich vorsehen (Art. 712 Abs. 2 OR). Davon abweichend muss der Präsident des Verwaltungsrats bei börsenkotierten Gesellschaften zwingend durch die Generalversammlung gewählt werden. Die Wahl des Präsidenten ist im Handelsregister einzutragen. Die Wahl eines Präsidenten ist zwingend vorgeschrieben, die Nichtbestimmung eines Präsidenten stellt einen Organisationsmangel dar, ausser der Verwaltungsrat besteht aus nur einem Mitglied.

Bestellt der Verwaltungsrat seinen Präsidenten bestimmt dieser dessen Amtsdauer mit der Wahl oder gemäss Organisationsreglement. Häufig wir eine einjährige Amtszeit vorgesehen, die jeweils im Zuge der alljährlichen Konstituierung des Verwaltungsrats nach der Generalversammlung erneuert wird. Dies unabhängig von der für das Verwaltungsratsmandat vorgesehenen Amtsdauer.

Falls der Präsident wegfällt, ohne dass bereits ein Nachfolger bestellt ist, übernimmt ein allfälliger Vizepräsident seine Aufgaben. Gibt es keinen Vizepräsidenten, wird man für begrenzte Zeit die Amtsführung durch ein beliebiges Mitglied zulassen müssen. Wird nicht innert angemessener Frist ein neuer Präsident bestellt, müssen Massnahmen wegen Organisationsmangels in Betracht gezogen werden.

Im Normalfall endet die Präsidentschaft mit dem Ende der Amtsperiode als Präsident des Verwaltungsrats oder mit dem Ende des Verwaltungsratsmandats. Soll der Präsident bereits vor dem Ende seiner Amtsperiode aus dem Amt als Präsident abberufen werden, kommt die Abberufung immer dem Wahlorgan zu. Das bedeutet, dass im Normalfall der Gesamtverwaltungsrat den Präsidenten abberuft. Falls die Generalversammlung den Präsidenten des Verwaltungsrats zu wählen hatte, kann der Gesamtverwaltungsrat den Präsidenten in seinem Amt vorläufig suspendieren und die Generalversammlung einberufen. Das Ende der Präsidentschaft hat auf die Stellung als „gewöhnliches“ Mitglied des Verwaltungsrats keinen Einfluss. Daneben kann der Präsident jederzeit, soweit nicht zur Unzeit, demissionieren oder sein Mandat als Verwaltungsrat niederlegen.

 

Verhältnis des Verwaltungsratspräsidenten zum Gesamtverwaltungsrat

Der Verwaltungsrat hat gemäss Art. 716a Abs. 1 OR die Oberleitung und die Oberaufsicht der Gesellschaft inne, insbesondere die Entwicklung der strategischen Unternehmensziele sowie die Festlegung der Mittel zu ihrer Erreichung. Vor allem in Grossgesellschaften reichen die zumeist vier bis sechs Sitzungen der grösstenteils nebenamtlichen Verwaltungsräte nicht aus, um diese Funktionen eigenständig zu erfüllen. In diese Lücke tritt der Verwaltungsratspräsident. Indem er die Geschäftsleitung ständig begleitet und überwacht, übernimmt er die Oberleitung des Verwaltungsrates.

Der Präsident des Verwaltungsrats hat dafür zu sorgen, dass das Organ „Verwaltungsrat“ die gesetzlichen, statutarischen und reglementarischen Pflichten wahrnimmt. Auch im Zusammenhang mit Informationen ist er Schaltzentrale, indem er Informationen sammelt und diese weiterleitet und auch als Anlaufstelle für Informationsbegehren fungiert. Gegenüber allfälligen anderen Mitgliedern des Verwaltungsrates kommt dem Präsidenten somit eine gewisse «Vorrangstellung» zu. Aus seiner Funktion ergibt sich, dass er die Anlaufstelle für die anderen Mitglieder des Verwaltungsrats ist, etwa wenn diese eine Sitzung einberufen möchten oder Gesuche um Auskunft, Anhörung oder Einsicht stellen.

 

Gesetzliche Pflichten des Verwaltungsratspräsidenten

Im Gegensatz zur Aufgabenliste des Verwaltungsrates umschreibt das Gesetz die Rechte und Pflichten des Verwaltungsratspräsidenten nicht ausführlich. Aus diesem Grund werden die Aufgaben des Verwaltungsratspräsidenten in den meisten Gesellschaften im Organisationsreglement konkretisiert. Insofern besteht im konkreten Fall auch – je nach Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des Verwaltungsratspräsidenten der Aktiengesellschaft in deren Organisationsreglement – ein gewisser Spielraum.

Dennoch erwähnt das Obligationenrecht den Verwaltungsratspräsidenten und dessen Pflichten an verschiedenen Stellen. So in den folgenden Zusammenhängen:

Einberufung von Verwaltungsratssitzungen: Gemäss Art. 715 OR werden Verwaltungsratssitzungen vom Verwaltungsratspräsidenten einberufen, allenfalls aufgrund des Antrags eines Mitglied des Verwaltungsrats. Der Verwaltungsratspräsident entscheidet damit auch gleichzeitig, in welcher Form die Sitzung durchzuführen ist und in welcher Reihenfolge die Traktanden verhandelt werden.

Auskunfts- und Einsichtsrecht: Primärer Ort der Informationsbeschaffung für ein Verwaltungsratsmitglied ist gemäss Art. 715a Abs. 2 OR die Verwaltungsratssitzung. Ausserhalb dieser Sitzungen erteilt gemäss Art. 715a Abs. 3 OR der Verwaltungsratspräsident die Ermächtigung zu Auskünften über einzelne Geschäfte bzw. zur Einsicht in Bücher und Akten der Gesellschaft. Lehnt der Verwaltungsratspräsident ein solches Begehren ab, so kann der betreffende Verwaltungsrat den Entscheid an den Gesamtverwaltungsrat weiterziehen.

Mitunterzeichnung von Verwaltungsratsprotokollen: Gemäss Art. 713 Abs. 3 OR muss der Vorsitzende, der zumeist der Verwaltungsratspräsident ist, die Verwaltungsratsprotokolle mitunterzeichnen. Im Gegensatz zum früheren Recht muss aber eine Handelsregisteranmeldung nicht mehr zwingend vom Verwaltungsratspräsidenten unterzeichnet werden, sondern es genügt, wenn die durch Mitglieder des Verwaltungsrats im Rahmen ihres Zeichnungsrechts vorgenommen wird.

Stichentscheid: Die in Art. 713 Abs. 2 OR erwähnte Befugnis des Verwaltungsratspräsidenten, bei Patt-Situationen einen Stichentscheid zu fällen, ist dispositiver Natur, d.h. sie kann in den Statuten wegbedungen werden. Diese Regelung wird oft in Zweimanngesellschaften übersehen. Halten zwei Aktionäre je 50% einer Gesellschaft und sind beide Mitglieder des Verwaltungsrates, so kann derjenige, welcher gleichzeitig Präsident des Verwaltungsrates ist, die Gesellschaft beherrschen. Dennoch kann es wichtig sein, dass einer Person die endgültige Entscheidbefugnis zukommt, hat das Bundesgericht doch eine andauernde Patt-Situation als Organisationsmangel qualifiziert und eine Aktiengesellschaft deshalb gerichtlich aufgelöst.

Gemäss Swiss Code of Best Practice obliegt dem Präsidenten die Leitung des Verwaltungsrats und die Sicherstellung angemessener Information.

 

Ungeschriebene Aufgaben und Kompetenzen des Verwaltungsratspräsidenten

Lehre und Rechtsprechung halten einhellig fest, dass sich die Aufgaben des Verwaltungsratspräsidenten nicht in diesen vom Gesetz aufgezählten Fällen erschöpfen. Das Bundesgericht wies in einem älteren Entscheid explizit auf die Führungsposition des Verwaltungsratspräsidenten hin und verwirft die Auffassung, wonach sich die Funktion des Verwaltungsratspräsidenten in Sitzungsleitungen erschöpfe.

Der Verwaltungsratspräsident hat die Oberleitung des Verwaltungsrates wahrzunehmen. In diesem Bereich kommt ihm eine „natürliche Führungsaufgabe“ zu. Er sorgt für Kontinuität zwischen den Verwaltungsratssitzungen. Er hat dabei „fiduziarisch“ zu handeln, d.h. er muss in Erfüllung dieser Pflichten seine eigenen Interessen zurückstecken und auch gegenüber missliebigen Verwaltungsräten das Gleichbehandlungsprinzip gewährleisten. Diese Oberleitung beinhaltet auch, dass der Verwaltungsratspräsident die Rechtmässigkeit der Handlungen des Verwaltungsrates gewährleistet, beispielsweise, indem er Anträge in eine korrekte Form bringt, auf die Rechts- oder Statutenwidrigkeit eines Antrages hinweist oder gar schlecht informierte oder mangelhaft vorbereitete Verwaltungsräte umzustimmen versucht und seinen Informationsvorsprung mit ihnen teilt. Unterlässt er dies, so kann es ihm als Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit Verantwortlichkeitsansprüchen ausgelegt werden.

Zur Erfüllung seiner präsidialen Leitungsfunktionen verfügt der Verwaltungsratspräsident über weitgehende Befugnisse. So ist er einerseits befugt, in dringenden, unaufschiebbaren Geschäften, soweit keine Einberufung einer Sitzung des Verwaltungsrates mehr möglich ist, im Namen des Verwaltungsrates zu handeln und bindende Entscheidungen zu treffen. Anderseits ist der Verwaltungsratspräsident befugt, ordnungserhaltende Massnahmen (z.B. Wortentzug bei der Sitzung), nicht aber disziplinarische Massnahmen zu erlassen. Anlässlich der Leitung der Verwaltungsratssitzungen bestimmt der Verwaltungsratspräsident Länge und Ausführlichkeit der Diskussionen, erteilt den Votanten das Wort und begrenzt die Redezeiten. Er ist es auch, der die Themen durch eine Zusammenfassung des Diskutierten zur Abstimmung bringt.

Sofern die Statuten keine andere Lösung vorschreiben, übernimmt der Verwaltungsratspräsident auch die Leitung der Generalversammlung. Seine Befugnisse gehen in diesem Fall weniger weit als bei der Verwaltungsratssitzung, doch ist er für die ordnungsgemässe Einladung und Durchführung verantwortlich.

Ebenfalls im Rahmen seiner Oberleitungsfunktion nimmt der Verwaltungsratspräsident die Repräsentationsfunktion im Organisationsgefüge der Gesellschaft sowie gegenüber Dritten wahr. Er vertritt die Gesellschaft nach innen und nach aussen. Er ist Ansprechperson und Erklärungsempfänger des Verwaltungsrates. Insbesondere hat der Verwaltungsratspräsident stets über die Kommunikation mit den Medien informiert zu sein und auch diesbezüglich die Verantwortung zu übernehmen. Dadurch kann der Präsident grossen Einfluss auf die Wahrnehmung des Unternehmens ausüben.

Als Leiter des Verwaltungsrates und Begleiter der Geschäftsleitung kommt dem Verwaltungsratspräsidenten neben der Überwachungsfunktion auch eine starke Rolle bei der Auswahl und Beurteilung des obersten Kaders zu. Er ist primäre Ansprechperson der Geschäftsleitung. Zudem hat er dafür zu sorgen, dass die Geschäftsleitung die Entscheide und Vorgaben des Verwaltungsrates richtig umsetzt.

 

Autor: Nicolas Facincani