In einem Arbeitsstreit forderte der Arbeitnehmer unter anderem die Differenz zwischen dem tatsächlich erhaltenen Gehalt und dem im Waadtländer Werkstattgesamtvertrag (im Folgenden: GAV) vorgesehenen Gehalt, den in diesem GAV vorgeschriebenen dreizehnten Monatslohn und die Vergütung.

Der Arbeitsvertrag sah eine wöchentliche Arbeitszeit von 50 Stunden pro Woche vor, während dem der GAV eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden vorsah.

Die kantonalen Gerichte verurteilten den Arbeitgeber zu Leistung einer Überstundenentschädigung für die Stunden, welche die wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden überschritten.

Der Arbeitgeber war hier nicht einverstanden und meinte, es sei insbesondere Art. 321c OR verletzt. Einerseits hätte nachgewiesen werden müssen, dass der Arbeitgeber diese Stunden (mehr als 42 pro Woche) verlangt oder diese zumindest objektiv gerechtfertigt gewesen seien. Andererseits sei es in der Verantwortung des Mitarbeiters gewesen, die geleisteten Stunden nachzuweisen, was aber nicht rechtsgenügend getan worden sei. Die Beweise seien ungenügend gewesen.

 

Entscheid des Bundesgerichts (4A_376/2018 vom 7. August 2019)

Das Bundesgericht machte zu den Überstunden und den Erwägungen die folgenden Ausführungen:

  • Überstunden im Sinne von Art. 321c OR sind Arbeitszeiten, die die im Vertrag, Normalarbeitsvertrag, Tarifvertrag oder in der Nutzung vorgesehene Arbeitszeit überschreiten (vgl. Art. 321c Abs. 1 OR; ATF 116 II 69 Erwägung 4a S. 70).
  • Der Vertrag habe 50 Stunden vorgesehen, währenddem der GAV 42 Stunden vorgesehen habe. Die Vorinstanzen seien zum Schluss gekommen, dass der Mitarbeiter acht Überstunden pro Woche im Sinne des GAV geleistet hat, der einen Viertelzuschlag nach Art. 321c Abs. 3 OR vorsah.
  • Der Mitarbeiter habe ordnungsgemäß behauptet und bewiesen, dass er 50 Stunden pro Woche vertragsgemäß gearbeitet hat.

 

Somit wurden auch vom Bundesgericht alle Stunden, welche zusätzlich zu den im GAV vorgesehenen 42 Stunden geleistet wurden, als Überstunden anerkannt.

 

Kurzübersicht über die rechtlichen Grundlagen

Als Überstundenarbeit gilt diejenige Arbeit, die über die im Einzelarbeits-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag vereinbarte, im Betrieb geltende oder in der Branche übliche Stundenzahl hinaus geleistet wird.

 

Pflicht zur Leistung von Überstunden

Überstunden können einseitig durch den Arbeitgeber angeordnet werden. Sie sind zu leisten, soweit sie sich als notwendig erweisen, der Arbeitnehmer sie zu leisten vermag und ihm dieser Zusatzaufwand nach Treu und Glauben zugemutet werden kann. Die Anordnung für die Leistung der Überstunden muss nicht immer ausdrücklich durch den Arbeitgeber erfolgen. Vielmehr muss der Arbeitnehmer auch dann Überstunden leisten, wenn er deren Notwendigkeit erkennt oder erkennen muss bzw. wenn der Arbeitnehmer erkennt oder erkennen muss, dass diese zur Wahrung der betrieblichen Interessen notwendig sind. Überstunden, die ein Arbeitnehmer ohne Wissen des Arbeitgebers geleistet hat, muss er diesem unverzüglich melden. Nur so kann der Arbeitgeber allfällige organisatorische Massnahmen treffen (z.B. Anstellung von weiteren Personen, Trennung vom Arbeitnehmer wegen dessen ungenügenden Fähigkeiten oder Überforderung etc., wenn er offensichtlich zu viel Zeit für gewisse Aufgaben braucht).

Jedenfalls müssen zusätzlich zu den Bestimmungen des Obligationenrechts auch die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes über die Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden.

Grundlage für die Bestimmung, ob eine gewisse Arbeitszeit als Überstunden betrachtet werden kann, ist also die vertragliche oder übliche Stundenzahl. Lässt sich keine vertragliche oder übliche Stundenzahl nachweisen, sind auch keine Überstunden, wohl jedoch Überzeit möglich. Die Regelungen betreffend die Überzeit gelten von Gesetzes wegen.

 

Unterscheidung Überstunden und Überzeit

Im Rahmen der Mehrarbeit müssen Überstunden von der Überzeit abgegrenzt werden. Letztere liegt dann vor, wenn die arbeitsgesetzlich normierte Maximalarbeitszeit überschritten wird.

Überzeit ist zwingend zu entschädigen oder durch Freizeit auszugleichen. Überzeit ist zudem regelmässig viel schneller nicht mehr zumutbar als Überstunden, weil hier gesetzliche Maximalarbeitszeiten unter anderem die Gesundheit des Arbeitnehmers schützen sollen.

 

Folgen von Überstunden

Ausgleich durch Freizeit

Werden Überstunden geleistet, können diese bei Einverständnis des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers innert eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer kompensiert werden. Kompensation durch Freizeit kann nicht gegen den Willen des Arbeitnehmers durchgesetzt werden; in der Regel selbst dann nicht, wenn er freigestellt worden ist.

Vorbehältlich anderer vertraglicher Regelungen sind die Überstunden 1:1 zu kompensieren. Der in Art. 321c Abs. 3 OR genannte Zuschlag von 25 Prozent (siehe hiernach) findet beim Ausgleich durch Freizeit keine Anwendung.

Entschädigung

Werden Überstunden von Arbeitnehmern nicht durch Freizeit ausgeglichen, haben sie einen Anspruch auf Entschädigung im Umfang des auf die Überstunden entfallenden Lohns plus einen Zuschlag von 25 Prozent. Das gilt freilich nur, sofern nichts Anderes schriftlich verabredet oder durch Nominal- oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist.

Dieser Zuschlag ist nicht zwingend. Soweit nicht öffentlich-rechtliche Bestimmungen entgegenstehen, kann von dieser gesetzlichen Regelung auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Nach der wohl überwiegenden Lehrmeinung können Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Zuschlag von 25 Prozent oder sogar jegliche Entschädigung ausschliessen. Solche Klauseln sind allerdings in Arbeitsverträgen sorgfältig zu redigieren. Oft stellt sich in der Praxis nämlich die Frage, was genau die Parteien überhaupt wegbedingen wollten.

Ist Überstundenentschädigung nicht wegbedungen, sind Überstunden, die durch den Arbeitgeber angeordnet wurden, in jedem Fall zu entschädigen. Wenn Überstunden aus eigener Initiative geleistet werden, ist Zeitausgleich oder Vergütung vom Arbeitgeber nur zu leisten, falls die Überstunden entweder vom Arbeitgeber genehmigt wurden, objektiv notwendig waren oder vom Arbeitnehmer aufgrund der konkreten Umstände in guten Treuen als notwendig erachtet werden durften. Wusste der Arbeitgeber, dass Überstunden geleistet wurden, so darf der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben die Zustimmung des Arbeitgebers annehmen. Überstunden sind aber handkehrum nicht zu entschädigen oder durch Freizeit auszugleichen, wenn sie ohne Zustimmung geleistet wurden und die Überstunden nicht durch die besonderen Umstände im Betrieb notwendig waren. Beachtlich ist, dass Überstunden, die gegen den Willen des Arbeitgebers erfolgen, ungeachtet weshalb sie geleistet worden sind, nicht entschädigt werden müssen. Grundsätzlich ist es nämlich Sache des Arbeitgebers, über die Leistung von Überstunden zu entscheiden.

 

Autor: Nicolas Facincani