Das Bundesgericht hatte sich im Entscheid 4A_416/2019 vom 5. Februar 2020 mit der Frage zu befassen, ob es zulässig ist, dass der Friedensrichter/der Vermittler dem Kläger die Klagebewilligung ohne dessen Erscheinen ausstellt, wenn der Beklagte mitteilt, er würde nicht zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.

Diese Frage ist auch in den vielen arbeitsrechtlichen Verfahren von grosser Relevanz.

 

Pflicht zur Schlichtungsverhanldung

Grundsätzlich geht einem Gerichtsverfahren ein Schlichtungsverfahren voraus (zu den Ausnahmen ziehe Art. 198 f. ZPO, so etwa für Verfahren im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes, etc.).

Gemäss Art. 204 ZPO müssen Parteien persönlich an der Schlichtungsverhandlung erscheinen (zu den Ausnahmen siehe Art. 198 f. ZPO). Hintergrund dieser Spezialregel für das Schlichtungsverfahren war die Überlegung, dass eine Schlichtungsverhandlung meist dann am aussichtsreichsten ist, wenn die Parteien persönlich erscheinen, da nur so eine wirkliche Aussprache stattfinden kann. Auch wenn sich die Parteien begleiten lassen dürfen, sollen sie sich an der Verhandlung doch primär selber äussern. Durch die Pflicht zum persönlichen Erscheinen soll mithin ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien vor der allfälligen Klageeinreichung ermöglicht werden. Art. 204 Abs. 1 ZPO zielt in diesem Sinne – wie das Schlichtungsverfahren überhaupt – darauf ab, diejenigen Personen zu einer Aussprache zusammenzubringen, die sich miteinander im Streit befinden und die über den Streitgegenstand auch selber verfügen können

 

Vertreten lassen kann man sich nur, wer

  • einen ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat
  • wegen Krankheit Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist
  • in Streitikgeiten nach Art. 243 ZPO (vereinfachtes Verfahren) als Arbeitgeber bzw. als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftenverwaltung delegiert,  sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt sind.

Siehe hierzu auch den Beitrag betreffend die Vertretung von juristischen Personen an der Schlichtungsverhandlung.

 

Streitigkeiten über CHF 100’000

Die Parteien können nach dem Gesagten bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten erst ab einem Streitwert von CHF 100’000 gemeinsam auf das Schlichtungsverfahren verzichten. Im Umkehrschluss haben die Parteien daher bei einem Streitwert von unter CHF 100’000, unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen (siehe oben), in jedem Fall ein Schlichtungsverfahren durchzuführen, auch wenn sie dies gemeinsam nicht wollen.

Die Bestimmung von Art. 199 Abs. 1 ZPO regelt somit die Situation, in welcher die Parteien gemeinsam übereinkommen, das Schlichtungsverfahren zu überspringen und die Klage direkt beim Gericht anhängig zu machen, was sie bei einem Streitwert ab CHF 100’000 tun können.

 

Beklagter kündigt Nicht-Teilnahme an – was nun?

In dem dem Urteil 4A_416/2019 vom 5. Februar 2020  zugrunde liegenden Sachverhalt reichte der ein Schlichtungsgesuch gegen den Beklagten ein. Erst nach Einleitung des Schlichtungsgesuchs teilte der Beklagte mit, dass er nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen werde. Daraufhin ersuchte der der Kläger den Friedensrichter, von der Schlichtungsverhandlung dispensiert zu werden. Die Parteien verzichteten damit nicht auf das Schlichtungsverfahren, sofern sie erklärten nach Einleitung des Schlichtungsverfahrens einer nach dem anderen, dass sie an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen wollen.

 

Für das Bundesgericht ist dieses Vorgehen nicht zulässig:

Nach dem Ausgeführten gilt somit: Erklärt der Beklagte gegenüber der Schlichtungsbehörde vorab, er werde an der einberufenen Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, hat die Schlichtungsbehörde am bereits festgesetzten Termin festzuhalten und die Parteien allenfalls erneut auf die Erscheinungspflicht aufmerksam zu machen. Die Schlichtungsbehörde darf den Kläger in diesem Fall nicht von der Schlichtungsverhandlung dispensieren und der Kläger hat trotz Mitteilung des Beklagten, er werde nicht kommen, an der Verhandlung teilzunehmen, allenfalls einzig um die Klagebewilligung abzuholen.

 

Autor: Nicolas Facincani