Wird eine Vertragspartei mittels absichtlicher Täuschung zum Abschluss eines Vertragsabschlusses verleitet worden, kann er den Vertrag grundsätzlich anfechten (Art. 28 Abs. 1 OR). Die Beweislast (Art. 8 ZGB) für die Voraussetzungen der absichtlichen Täuschung trägt der Getäuschte. Grundsätzlich ist eine Berufung auf eine absichtliche Täuschung auch bei einer Aufhebungsvereinbarung möglich.

 

Absichtliche Täuschung

Ein (aktives) täuschendes Verhalten nach Art. 28 OR besteht in einer Vorspiegelung  falscher Tatsachen (BGE 132 II 161 E. 4.1) bzw. dem Aufstellen von falschen Behauptungen. Eine derartige Täuschung kann auch durch Unterdrücken von  wahren Tatsachen bewirkt werden. Wird dagegen ein Irrtum beim Vertragspartner nicht aktiv hervorgerufen, sondern dieser lediglich durch das Verschweigen von Tatsachen in seinem Irrtum belassen, ist dies nur insoweit – als (passiv) täuschendes Verhalten – verpönt, als eine Aufklärungspflicht besteht; eine solche kann sich aus besonderer gesetzlicher Vorschrift und aus Vertrag ergeben oder wenn eine Mitteilung nach Treu und Glauben und den herrschenden Anschauungen geboten ist. Wann letzteres zutrifft, bestimmt sich auf Grund der Umstände im Einzelfall. Gegenstand der Täuschung sind Tatsachen, d.h. objektiv feststellbare Zustände oder Ereignisse tatsächlicher oder rechtlicher Natur; blosse subjektive Werturteile oder Meinungsäusserungen fallen nicht darunter, sofern diese nicht Tatsachenbehauptungen implizieren. Tatsachen können äussere oder innere Umstände sein. Für die Täuschungsabsicht genügt Eventualvorsatz. Andererseits ist erforderlich, dass der Vertragspartner durch die Täuschung zum Vertragsabschluss verleitet wurde. Der durch die Täuschung hervorgerufene Irrtum muss somit kausal für den Abschluss des Vertrages gewesen sein.

 

BGer 4A_23/2016 vom 19. Juli 2016

Das Bundesgericht hatte die Klage einer Arbeitnehmerin zu beurteilen, welche mit ihrer Arbeitgeberin einen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen hatte und diesen nun anfocht. Sie machte Täuschung geltend, weil sie davon ausgegangen sei, die Arbeitgeberin bezahle keine Abgangsentschädigungen mehr. Es lag auch ein entsprechender Geschäftsleitungsbeschluss vor. Allerdings wurde dieser kurz nach der Beendigung des betroffenen Arbeitsverhältnisses wieder umgestossen, ohne dass dies der Arbeitnehmerin bei Abschluss des Vergleiches mitgeteilt worden wäre.

Die beklagte Arbeitgeberin hatte unter anderem geltend gemacht, eine Täuschung könne nicht angenommen werden, denn es wäre unsinnig anzunehmen, ein global tätiger Konzern könnte sich in Bezug auf künftige Reorganisationen und damit zusammenhängende Sozialpläne ein für alle Mal festlegen. Verhältnisse und Bedürfnisse könnten sich auch in Bezug auf Abgangsentschädigungen bei Umorganisationen rasch ändern; Grosskonzerne mit vielen Länder- und Gruppengesellschaften und diversifizierten Sparten müssten ihre Handlungsfreiheit auch bezüglich künftiger Sozialpläne wahren (Zusammenfassung nach Geiser, AJP 2/2018, S 1 ff).

 

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht verneinte einen rechtlich relevanten Willensmangel und wies die Klage ab. Das Bundesgericht bekräftigte diese Überlegungen und schloss deshalb, dass die Arbeitgeberin damit rechnen musste, dass das Unternehmen auf seinen Entscheid zurückkommen kann, keine Abgangsentschädigungen auszurichten (BGer 4A_23/2016 vom 19. Juli 2016).

Zitat des Bundesgerichts

Somit bleibt zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin absichtlich täuschte, indem sie die Beschwerdegegnerin nicht über den Konzernleitungsbeschluss vom 12. Mai 2009 informierte, obwohl sie diesbezüglich eine Aufklärungspflicht gehabt hätte. Die Vorinstanz hat die Aufklärungspflicht nicht weiter begründet und auch zur Tatbestandsvoraussetzung der Absicht finden sich wie erwähnt im angefochtenen Entscheid keine Ausführungen. 

Eine Aufklärungspflicht ergibt sich weder aus gesetzlicher Vorschrift noch aus Vertrag (vgl. dazu E. 4 hiervor); das Arbeitsverhältnis war bereits beendet, als die Parteien die Auflösungsvereinbarung schlossen. Zwar dauert die Fürsorge- und Treuepflicht in beschränktem Ausmass auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinweg an (BGE 130 III 699 E. 5.1 S. 704 mit Hinweisen), wie die Beschwerdegegnerin zu Recht geltend macht, jedoch ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen Informationspflichten sich daraus ergeben sollten, über jene hinaus, die sich aufgrund der konkreten Umstände aus Treu und Glauben ableiten liessen (dazu nachfolgend). Das Bundesgericht hat denn auch wiederholt bestätigt, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine generelle Informationspflicht der Arbeitgeberin betreffend die gesetzlichen Ansprüche der Arbeitnehmerin besteht (BGE 118 II 58 E. 2a S. 60; Urteil 4C.230/2005 vom 1. September 2005 E. 3.3 mit Hinweisen; ANDREAS BÜSCHER, Die einvernehmliche Aufhebung von Schuldverträgen, 2015, S. 111 f. Rz. 263). Zu Unrecht beruft sich die Beschwerdegegnerin auch auf BGE 117 II 218 E. 6a S. 228 ff., wo das Bundesgericht eine Aufklärungspflicht des Ehegatten im Rahmen einer Scheidung bejahte. Zwar konnte sich das Bundesgericht in diesem Fall noch nicht auf die (heute bestehende) gesetzliche Auskunftspflicht gemäss Art. 170 ZGB stützen. Jedoch leitete es die Verpflichtung des Ehemanns zur Auskunfterteilung über alle wirtschaftlichen Belange, die für die scheidungsrechtlichen Ansprüche von Bedeutung sind, unter Hinweis auf BGE 90 II 467 E. 3b S. 469 aus dem Scheidungsrecht selber ab; denn andernfalls würden der Ehefrau regelmässig die Beweismittel fehlen, um Höhe und Umfang des ehelichen Vermögens darzutun. Das Bundesgericht kam somit durch Auslegung zum Ergebnis, es bestehe eine Auskunftspflicht kraft Gesetzes. Eine entsprechende Grundlage im Arbeitsrecht fehlt.  

Die Beschwerdegegnerin beruft sich denn auch vor allem auf eine sich aus Treu und Glauben ergebende Verpflichtung. Diesbezüglich ist wie erwähnt (vgl. E. 4 hiervor) auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Zu berücksichtigende Umstände sind namentlich die Natur des Vertrages, die Art, wie sich die Verhandlungen abwickelten, sowie die Art und Kenntnisse der Beteiligten (BGE 105 II 75 E. 2a S. 80; Urteile 4A_538/2013 vom 19. März 2014 E. 5.1 betr. Art. 199 OR und 4C.26/2000 vom 6. September 2000 E. 2a/bb). Insofern sind Aufklärungspflichten insbesondere anzunehmen bei Verträgen, die zwischen den Parteien ein besonderes Vertrauensverhältnis begründen (wie Gesellschaftsvertrag, Auftrag) und bei Dauerschuldverhältnissen, weniger bei reinen Austauschverträgen (zit. Urteil 4C.26/2000 E. 2a/bb; BUCHER, a.a.O., S. 120; SCHMIDLIN, a.a.O., N. 34 zu Art. 28 OR; SCHWENZER, a.a.O., N. 9 zu Art. 28 OR; CLAIRE HUGUENIN, Obligationenrecht, 2. Aufl. 2014, S. 162 f. Rz. 538). Eine Aufklärungspflicht setzt sodann voraus, dass der Informations- und Aufklärungsbedarf für den aufklärungspflichtigen Vertragspartner erkennbar ist (BGE 117 II 218 E. 6b S. 230; Urteil B 160/06 vom 7. November 2007 E. 4.3.1; SCHWENZER, a.a.O., N. 9 zu Art. 28 OR; HUGUENIN, a.a.O., S. 163 Rz. 539). 

Täuschungsabsicht bedeutet sodann, dass der Täuschende weiss, dass er einen Irrtum beim Vertragsgegner hervorruft oder unterhält und dass er diesen so – und sei es auch nur mit Eventualvorsatz – zum Vertragsabschluss verleiten will (vgl. bereits Rückweisungsurteil E. 5.1 mit Hinweisen). Der (Eventual-) Vorsatz muss sich auf die Täuschungshandlung, die Irrtumserregung und die dadurch erfolgende Willensbeeinflussung erstrecken.  

Geht es um Täuschung durch das Behaupten einer unwahren Tatsache, bedeutet Eventualvorsatz, dass der Täuschende entweder weiss, dass seine Information falsch ist und dabei in Kauf nimmt, dass sein Vertragspartner dadurch in die Irre geleitet wird oder dass er zwar nicht sicher weiss, dass es sich um eine Falschinformation handelt, jedoch damit rechnet, dass sie falsch sein könnte und auch damit den Irrtum der Gegenpartei in Kauf nimmt (enger betr. die betrügerische Begründung eines Versicherungsanspruchs Urteil 4A_432/2015 vom 8. Februar 2016 E. 5.3.4.3, wo für Eventualvorsatz Kenntnis der objektiven Unwahrheit der Auskünfte vorausgesetzt und offengelassen wird, ob Eventualvorsatz überhaupt genügt). 

Bei Täuschung durch das blosse Verschweigen einer Information ist die Abgrenzung schwieriger, weil sich die Beurteilung der Offenbarungspflicht als Voraussetzung der Täuschungshandlung und der subjektive Tatbestand überschneiden können. Beim Vergleichsvertrag ist die Situation aufgrund seines Wesens besonders komplex. Beim Vergleich haben die Parteien naturgemäss unterschiedliche Auffassungen darüber, wie sich die rechtliche Situation präsentiert, und es ist für eine Partei nicht ohne weiteres ersichtlich, aus welchen Gründen die Gegenpartei letztlich dem Vergleich zugestimmt hat. In der Literatur zum Vergleichsvertrag wird daher als Voraussetzung genannt, dass der (angeblich) Täuschende den Irrtum der Gegenpartei tatsächlich erkannt hat und der Verhandlungspartner des Irrenden über einen Informationsvorsprung verfügt (PETER GAUCH, Der aussergerichtliche Vergleich, in: Festgabe zum 60. Geburtstag von Walter R. Schluep, 1988, S. 3 ff., 21; vgl. auch PATRICK HÜNERWADEL, Der aussergerichtliche Vergleich, 1989, S. 103). Während sich bezüglich der Informationspflicht die Frage stellen kann, ob ein tatsächliches Erkennen des Irrtums des Vertragsgegners nötig ist, oder ob Erkennbarkeit genügt, stellt sich die Frage in Bezug auf eine absichtliche Täuschung anders. Wer tatsächlich nicht zumindest erkennt, dass sich der Vertragspartner irren könnte, nimmt nicht billigend in Kauf, dass dieser in die Irre geleitet und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt wird. Dass der Irrtum erkennbar gewesen wäre, ändert daran nichts. Erkennbarkeit des Irrtums allein genügt nicht zur Annahme einer absichtlichen Täuschung.  

Die Beschwerdegegnerin macht wie erwähnt geltend, sie sei davon ausgegangen, nicht nur beim HR Realignment im Jahr 2008, sondern generell würden ab diesem Sozialplan künftig keine Abfindungen mehr bezahlt. Die Vorinstanz legt nicht dar, weshalb die Beschwerdeführerin aufgrund der Umstände hätte von diesem Irrtum ausgehen müssen. Die Beschwerdegegnerin beruft sich namentlich auf das grosse Informationsgefälle. Auch wenn ein solches besteht, führt dies nur zu einer Aufklärungspflicht, wenn die Arbeitgeberin zumindest erkennen konnte (oder aber tatsächlich erkannt hat), dass die Arbeitnehmerin sonst von einer irrigen Vorstellung ausging. Die Beschwerdegegnerin bekräftigt erneut, sie sei falsch informiert worden, wovon wie dargelegt (vgl. E. 5 hiervor) nicht auszugehen ist. Sie ist der Auffassung, für die Beschwerdeführerin sei erkennbar gewesen, dass sich die Beschwerdegegnerin über die Wiedereinführung bzw. Fortsetzung der Abfindungspraxis geirrt habe; nachdem sie ihre Ansprüche nachdrücklich geltend gemacht habe, sei „offensichtlich, dass sie Transparenz und korrekte Information von der Arbeitgeberin über die gesamte Abfindungspraxis und deren Weiterführung“ verlangt habe.  

Die Beschwerdeführerin vertrat grundsätzlich den Standpunkt, worauf die Beschwerdegegnerin zu Recht hinweist, dass sie in guten Treuen weder objektiv noch subjektiv Anlass gehabt habe, die Beschwerdegegnerin oder die andern vom HR Realignment 2008 Betroffenen über den Geschäftsleitungsbeschluss vom 12. Mai 2009 zu informieren, da diese Personen nicht in den Anwendungsbereich dieser Restrukturierungsregelung fielen. Und sie macht geltend, es wäre unsinnig anzunehmen, ein global tätiger Konzern könnte sich in Bezug auf künftige Reorganisationen und damit zusammenhängende Sozialpläne ein für alle Mal festlegen, denn Verhältnisse und Bedürfnisse könnten sich auch in Bezug auf Abgangsentschädigungen bei Umorganisationen rasch ändern; Grosskonzerne mit vielen Länder- und Gruppengesellschaften und diversifizierten Sparten müssten ihre Handlungsfreiheit auch bezüglich künftiger Sozialpläne wahren. 

Letzteres leuchtet ein. Aus Sicht der Beschwerdeführerin war es daher nicht naheliegend anzunehmen, dass die Beschwerdegegnerin ihrerseits davon ausgehen könnte, sie wolle sich entsprechend für die Zukunft festlegen und grundsätzlich in der Zukunft keine Abfindungen mehr zahlen („Systemwechsel“). Zwar trifft zu, dass die Beschwerdegegnerin energisch unter Hinweis auf frühere Zahlungen an Referenzpersonen auf ihre Ansprüche pochte und für die Beschwerdeführerin ersichtlich war, dass die Beschwerdegegnerin davon ausging, sie habe in der Vergangenheit systematisch Abfindungen bezahlt; doch deswegen musste die Beschwerdeführerin nicht annehmen, die Beschwerdegegnerin habe nicht letztlich eingelenkt und akzeptiert, dass für die Restrukturierung HR Realignment keine Abfindungen (mehr) bezahlt würden. 

Demnach ist Täuschung zu verneinen.

 

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Autor: Nicolas Facincani