Per 1. Juli 2021 wurde ein Betreuungsurlaub eingeführt, für den Fall, dass ein Kind des Arbeitnehmers wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist. Der Urlaub ist auf 14 Wochen beschränkt und daran gekoppelt, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung nach den Artikeln 16i–16m EOG hat. Anknüpfungspunkt für das Eltern-Kind-Verhältnis bildet dabei das Kindesverhältnis nach Art. 252 ZGB. Ein Kind gilt als gesundheitlich schwer beeinträchtigt, wenn: a. eine einschneidende Veränderung seines körperlichen oder psychischen Zustandes eingetreten ist; b. der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar ist oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist; c. ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht; und d. mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen muss. Siehe hierzu den Beitrag zum Betreuungsurlaub.

 

Motion zur Ergänzung der Bestimmungen

Am 14. Juni 2022 hat Nationalrat Dobler eine Motion eingereicht. Damit soll der Bundesrat beauftragt werden beauftragt, eine Botschaft zur Änderung des EOG bezüglich der Betreuungsentschädigung für erwerbstätige Eltern von Kindern mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu unterbreiten. Von einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung soll auch dann ausgegangen werden, wenn ein mindestens viertägiger Spitalaufenthalt Teil der Behandlung und Genesung ist und mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die notwendige Betreuung des Kindes unterbrechen müsse. Für ausschliesslich ambulante Behandlungen sollen weiterhin die bestehenden Anspruchsvoraussetzungen in Artikel 16o EOG gelten.

 

Begründung der Motion

Die Motion wird wie folgt begründet:

[Es] zeigt sich, dass das Gesetz die vorgesehene Entlastung von Eltern und Arbeitgebern vielfach nicht gewährleistet und die Bestimmung ihr ursprüngliches Ziel damit nur zu einem kleinen Teil erreicht. Die Ausgestaltung bzw. das Attest zur Bestätigung der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung stellt die Ärzteschaft vor Schwierigkeiten und schafft grosse Ungleichheiten zwischen Familien. Dies weil nicht die akute Situation im Vordergrund steht, welche die Betreuung des Kindes aus gesundheitlichen Gründen notwendig macht, sondern die langfristige Prognose, die für den unmittelbaren Betreuungsbedarf irrelevant ist. Obwohl gemäss Gesetz das Attest massgebend sein sollte, ist im Vollzug nun je nach Ausgleichskasse in einigen Fällen die Anspruchsvoraussetzung strittig, dies widerspricht dem bewährten EO-Prinzip, dass der Anspruch möglichst einfach im Voraus bestimmbar sein muss (wie dies etwa bei Militär, Zivilschutz oder Mutterschaft der Fall ist). Die geltende Regelung führt somit zu einer langen Ungewissheit für Arbeitgeber und Eltern, ob die Absenz am Arbeitsplatz von den EO-Taggeldern gedeckt ist. Es muss verhindert werden, dass sich Eltern und Arbeitgeber rückwirkend um Absenzen kümmern müssen oder der Verlässlichkeit wegen – wie vor der Einführung der Betreuungsentschädigung – die Krankschreibung des Elternteils erfolgt und die Abwesenheit auf Kosten der Krankentaggeldversicherung geht.

Heute besteht nur dann Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung, wenn eine einschneidende Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustandes eines minderjährigen Kindes eingetreten ist, deren Verlauf oder deren Ausgang schwer vorhersehbar ist oder wenn mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist (Art. 16o). Eindeutig erfüllt sind die Bedingungen nur bei Kindern mit schlechter oder schwer vorhersehbarer Prognose (z.B. Kinder im Palliativstadium und mit Krebserkrankungen). Bei Kindern, die mit dem Ziel einer Verbesserung lange oder wiederholte Spitalaufenthalte für eine Operation oder Therapie machen müssen, ist die Erfüllung der Kriterien oft umstritten. Dies, obwohl sie ihre Eltern während der Zeit im Spital genauso brauchen wie Kinder mit schlechter Prognose und obwohl die Betreuung bei längeren Spitalaufenthalten gemäss dem damaligen Kommissionssprecher auch Ziel der Vorlage war. Die aktuelle Regelung erreicht dieses Ziel aber nur ungenügend. Dadurch fallen viele schwer kranke Kinder durch die Maschen eines Gesetzes, das eigentlich ihre Betreuung sicherstellen sollte. Gemäss einer ersten Kostenschätzung (vgl. 22.7194) schöpft die aktuelle Praxis das ursprüngliche Budget denn auch bei Weitem nicht aus.

Diese Ergänzung des EOG ermöglicht Eltern von Kindern mit vielen Spitaltagen und vorübergehend sehr schlechtem Gesundheitszustand – aber guter Prognose – den Zugang zur Betreuungsentschädigung. Das Erfordernis eines Aufenthalts von mind. 4 Tagen als Teil der Behandlung und Genesung ist erstens eine gut objektivierbare, ärztlich zu bestätigende Grundlage, um die Schwere einer Erkrankung zu messen. Zweitens könnten so die bestehenden Kriterien bei ausschliesslich ambulanten Behandlungen, wo die Objektivierbarkeit schwieriger ist, weiter zur Anwendung kommen. Drittens wird damit dem besonders hohen Betreuungsbedarf begegnet, der mit einem Kind im Spital und Geschwistern zuhause besteht. Viertens würde damit verhindert, dass ein Gesuch trotz Attest Monate nach dem Spitalaufenthalt abgelehnt wird und damit bei Eltern und Arbeitgebern grosse Probleme schafft. Fünftens ermöglicht die Regelung eine lückenlose Betreuung von Kindern mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, da bei Spitalaufenthalten oder Aufenthalten zu Hause bis und mit drei Tagen die Arbeitgebenden der Eltern aufkommen.

 

Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat lehnt die Motion aus folgenden Gründen ab:

Der 14-wöchige Betreuungsurlaub hat zum Ziel, dass Eltern ihre gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kinder betreuen können, ohne die Erwerbstätigkeit aufgeben zu müssen. Bei Bagatellkrankheiten oder leichten Unfallfolgen besteht unabhängig von deren Dauer kein Anspruch. In solchen Fällen kann ein maximal dreitägiger Urlaub für die Betreuung von Angehörigen, während dem der Lohn weiterbezahlt wird (Art. 329h OR; SR 220), geltend gemacht werden. Hinzu kommt die Lohnfortzahlung bei der Betreuung von kranken Kindern (Art. 324a OR).

Die schwere gesundheitliche Beeinträchtigung wurde vom Parlament bewusst offen definiert. Die ungewisse Prognose und die gesundheitliche Situation des Kindes sind dabei massgebende Eckwerte. Das Parlament hat zudem bewusst darauf verzichtet, eine Hospitalisationsdauer als Eckwert vorzusehen, aber darauf hingewiesen, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung eine stationäre oder ambulante ärztliche Behandlung des Kindes über eine längere Dauer (mehrere Monate) bedingen muss. Die Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung spiegelt sich somit in der Dauer der Behandlung, weshalb 98 Tage für den Urlaub vorgesehen wurden. Bei einem viertägigen Spitalaufenthalt wäre kein solcher Urlaub erforderlich. Ausserdem würden so auch leichte und mittelschwere Beeinträchtigungen erfasst.

Mit der verlangten Ausweitung wären jährlich insgesamt rund 20 000 Familien anspruchsberechtigt, was mit einem erheblichen Anstieg der Kosten in der EO verbunden sein könnte. Die effektiven Kosten wären davon abhängig, ob unabhängig von der Hospitalisationsdauer stets 98 Tage entschädigt würden.

Der Betreuungsurlaub ist erst im letzten Jahr in Kraft getreten, weshalb nach wie vor Erfahrungswerte gesammelt werden müssen. Der Bundesrat ist deshalb der Ansicht, dass es noch zu früh ist, Bilanz zu ziehen.

 

Annahme der Motion im Ständerat

Der Ständerat hat die Motion am 13. September 2022 angenommen. Das weitere Verfahren kann hier nachgeschlagen werden.

 

Weitere Beiträge zu verschiedenen Urlaubsformen (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani 

 

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