Die niederländische Uber B.V. muss als Arbeitgeberin mit Betriebsstätte in der Schweiz für das Jahr 2014 AHV-Beiträge für Fahrer von UberX, UberBlack und UberVan bezahlen. Das gleiche gilt für Rasier Operations B.V. in Bezug auf UberPopFahrer. Die beiden Gesellschaften sind verpflichtet, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich Angaben zu den bezahlten Löhnen zu machen. Das Bundesgericht weist ihre Beschwerden gegen die Urteile des Zürcher Sozialversicherungsgerichts ab und heisst diejenigen der Ausgleichskasse teilweise gut (BGer 9C_70/2022 vom 16. Februar 2023).

 

Entscheid der Ausgleichskasse

Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich stellte 2019 fest, dass die Fahrer von UberX, UberBlack, UberVan und UberGreen eine unselbstständige Erwerbstätigkeit für Uber B.V. ausüben würden und die Fahrer von UberPop eine unselbstständige Erwerbstätigkeit für Rasier Operations B.V. Die Uber Switzerland GmbH mit Sitz in Zürich sei die für die Abrechnung der entsprechenden AHV-Beiträge pflichtige Betriebsstätte. Die Ausgleichskasse legte sodann die Höhe der Beiträge für das Jahr 2014 fest.

 

Entscheid der Vorinstanz

Die Vorinstanz erwog, die Zusammenarbeit zwischen der Uber B.V. und den Uber-Fahrern habe sich im Jahr 2014 nach den sogenannten Partnerbedingungen (PB) gerichtet, welche später durch den Dienstleistungsvertrag (DLV) und den Fahrernachtrag zum Dienstleistungsvertrag (FDLV) ersetzt worden seien und diese in mancher Hinsicht konkretisiert hätten. Da inhaltlich zwischen den PB und dem DLV (einschliesslich FDLV) keine im vorliegenden Kontext entscheiderheblichen Unterschiede beständen, stütze sie sich in ihrem Urteil auf den DLV und den FDLV (sowie ergänzend die PB). In den entsprechenden Bestimmungen sei zwar weder von einem eigentlichen Weisungsrecht noch von einem Subordinationsverhältnis die Rede, doch ergäben sich diese für eine unselbstständige Erwerbstätigkeit sprechenden Elemente direkt oder indirekt aus verschiedenen Einzelbestimmungen. Die Uber B.V. habe eine dominierende Stellung, die den Fahrern faktisch keine bedeutenden Entscheidungsspielräume mehr lasse. Die „empfohlene“ Wartefrist, die faktische Vorgabe der Wegstrecke durch das System, die Bewertung der Fahrer durch die Fahrgäste mit festgelegter Sanktionierung, die ständige technische Überwachung, die faktische Preisbindung sowie die dominierende Stellung der Uber B.V. bei Inkasso, Quittungsausstellung und Preisstreitigkeiten liessen zwingend auf ein Unterordnungsverhältnis schliessen. Zudem übe die Uber B.V. (etwa über die Bewertung der Fahrer und deren Überwachung) indirekt auch ein Weisungsrecht aus. Ihren Anordnungen, die sie in die Form von „Empfehlungen“ kleide und mit Hilfe von „Bewertungen“ durchsetze, hätten nicht nur inhaltlich, sondern auch funktionell den Charakter von Weisungen, weil sie sanktionsbewehrt seien. Die bestehende Weisungsbefugnis und das ausgeprägte rechtliche und wirtschaftliche Subordinationsverhältnis seien für unselbstständige Erwerbstätigkeit typisch; sie fielen hier derart stark ins Gewicht, dass sie die grundsätzlich für eine selbstständige Erwerbstätigkeit sprechenden Elemente wie das Fehlen eines Konkurrenzverbotes, einer Pflicht zur persönlichen Arbeitserfüllung und einer Präsenzpflicht als belanglos erscheinen liessen. Hinzu komme, dass die Fahrer kein Unternehmerrisiko zu tragen hätten, denn sie müssten keine erheblichen Investitionen tätigen und akquirierten ihre Aufträge nicht selber. Weiter handelten sie zumindest aus Sicht des Publikums weder in eigenem Namen noch auf eigene Rechnung. Die Kriterien, die (eher) für das Vorliegen eines relevanten Unternehmerrisikos sprächen (Ausfallsrisiko betreffend Kreditkarte, Verlusttragung und Unkostenregelung), wiesen ein viel geringeres Gewicht auf. Allerdings seien (wenigstens theoretisch) Konstellationen denkbar, in denen die Fahrer derart viele andere Fahrer angestellt hätten, dass ein typisches Unternehmerrisiko zu bejahen wäre, wobei dies nicht nur von der Anzahl der angestellten Fahrer abhängen würde, sondern auch von weiteren Faktoren wie beispielsweise der Frage, ob die weiteren Fahrer nur bei Bedarf angestellt werden (Arbeit auf Abruf) oder ob der Fahrer das Risiko trägt, dass die angestellten Fahrer keine Fahrgäste befördern und trotzdem Lohn erhalten. Zusammenfassend gelangte die Vorinstanz zum Ergebnis, dass sich zwar Elemente für selbstständige und solche für unselbstständige Erwerbstätigkeit finden liessen, die Gewichtung der Gesichtspunkte aber eindeutig für das Vorliegen unselbstständiger Erwerbstätigkeit spreche.

 

Entscheid des Bundesgerichts (BGer 9C_70/2022 vom 16. Februar 2023)

Das Bundesgericht wies die Beschwerde gegen den Entscheid der Vorinstanz ab. Die Beschwerdeführer machten insbesondere geltend, es liege kein Weisungsrecht sowie auch kein Subordinationsverhältnis vor. Ebenso liege für die Fahrer kein Unternehmensrisiko vor.

Zusammenfassend ergebe sich, dass das kantonale Gericht angesichts der von der Uber B.V. erlassenen weitreichenden Weisungen, deren Einhaltung sie über die App kontrolliert, des in wesentlichen Bereichen bestehenden, von der Anbindung an die App ausgehenden Unterordnungsverhältnisses und des praktisch inexistenten wirtschaftlichen Risikos bundesrechtskonform erkannt habe, dass die für unselbstständige Erwerbstätigkeit sprechenden Merkmale überwiegen.

Zu beachten ist, dass sich der Bundesgerichtsentscheid auf die vertraglichen Ausgestaltung der Fahrer im Jahr 2014 bezieht. Ob die späteren Jahre gleich zu beurteilen sind, hängt von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung ab und ist gesondert zu beurteilen.

 

Das Bundesgericht zur unselbständigen Erwerbstätigkeit im Allgemeinen

Das Bundesgericht nutzte sodann die Gelegenheit, die Merkmale der unselbständigen Erwerbstätigkeit in allgemeiner Weise darzulegen:

6.1. Vom Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit, massgebender Lohn genannt, werden paritätische Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge erhoben (Art. 5 Abs. 1 und Art. 13 AHVG). Als massgebender Lohn gilt jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 AHVG). Demgegenüber wird vom Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ein Beitrag des Selbstständigerwerbenden erhoben (Art. 8 AHVG). Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ist jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für in unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt (Art. 9 Abs. 1 AHVG).  

6.2. Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung einer erwerbstätigen Person jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zu Tage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche im konkreten Fall überwiegen (BGE 146 V 139 E. 3.1; 144 V 111 E. 4.2).  

6.3. Als unselbstständig erwerbstätig ist im Allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt (BGE 146 V 139 E. 3.1; 144 V 111 E. 4.2). Von einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ist auszugehen, wenn die für den Arbeitsvertrag typischen Merkmale vorliegen, d.h. wenn der Versicherte Dienst auf Zeit zu leisten hat, wirtschaftlich vom „Arbeitgebenden“ abhängig ist und während der Arbeitszeit auch in dessen Betrieb eingeordnet ist, praktisch also keine andere Erwerbstätigkeit ausüben kann. Indizien dafür sind das Vorliegen eines bestimmten Arbeitsplans, die Notwendigkeit, über den Stand der Arbeiten Bericht zu erstatten, sowie das Angewiesensein auf die Infrastruktur am Arbeitsort. Das wirtschaftliche Risiko des Versicherten erschöpft sich diesfalls in der (alleinigen) Abhängigkeit vom persönlichen Arbeitserfolg oder, bei einer regelmässig ausgeübten Tätigkeit, darin, dass bei Dahinfallen des Erwerbsverhältnisses eine ähnliche Situation eintritt, wie dies beim Stellenverlust von Arbeitnehmenden der Fall ist (BGE 122 V 169 E. 3c und 281 E. 2b mit Hinweisen).  

6.4. Eine selbstständige Erwerbstätigkeit liegt im Regelfall vor, wenn der Beitragspflichtige durch Einsatz von Arbeit und Kapital in frei bestimmter Selbstorganisation und nach aussen sichtbar am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt mit dem Ziel, Dienstleistungen zu erbringen oder Produkte zu schaffen, deren Inanspruchnahme oder Erwerb durch finanzielle oder geldwerte Gegenleistungen abgegolten wird (BGE 143 V 177 E. 3.3). Charakteristische Merkmale für eine selbstständige Erwerbstätigkeit sind nach der Rechtsprechung die Tätigung erheblicher Investitionen, die Benutzung eigener Geschäftsräumlichkeiten sowie die Beschäftigung von eigenem Personal. Das spezifische Unternehmerrisiko besteht dabei darin, dass unabhängig vom Arbeitserfolg Kosten anfallen, die der Versicherte selber zu tragen hat. Für die Annahme selbstständiger Erwerbstätigkeit spricht sodann die gleichzeitige Tätigkeit für mehrere Gesellschaften in eigenem Namen, ohne indessen von diesen abhängig zu sein. Massgebend ist dabei nicht die rechtliche Möglichkeit, Arbeiten von mehreren Auftraggebern anzunehmen, sondern die tatsächliche Auftragslage (BGE 122 V 169 E. 3c und 281 E. 2b, je mit Hinweisen).  

6.5. Wie die Rechtslage von in neuen Arbeitsformen wie namentlich im Rahmen sogenannter Plattformarbeit beschäftigten Personen, insbesondere von Uber-Fahrern, zu beurteilen ist, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet (vgl. dazu unter anderem GABRIELA RIEMER-KAFKA, Plattformarbeit oder andere Formen der Zusammenarbeit: Sind die Abgrenzungskriterien für selbständige oder für unselbständige Erwerbstätigkeit noch tauglich?, SZS 2018 S. 581 ff.; THOMAS GÄCHTER/ MICHAEL E. MEIER, Zur sozialversicherungsrechtlichen Qualifikation von Uber-Fahrern, Jusletter 3. September 2018; KURT PÄRLI, Neue Formen der Arbeitsorganisation, Internet-Plattformen als Arbeitgeber, ARV 2016 S. 243 ff., S. 252 f.; GABRIELA RIEMER-KAFKA/VIVIANA STUDER, Digitalisierung und Sozialversicherung – einige Gedanken zum Umgang mit neuen Technologien in der Arbeitswelt, SZS 2017 S. 354 ff.; THOMAS RIHM, Vermittlungsplattformen sind keine Arbeitgeber, Jusletter 1. April 2019; SONIA DE LA FUENTE/PHILIPP FISCHER, Les plateformes numériques à l’épreuve du droit de travail, Jusletter 10. Dezember 2018, S. 14 ff.). Weiter existieren zur Frage des Beitragsstatuts der Uber-Fahrer verschiedene Rechtsgutachten: Die beiden im Auftrag der Uber Switzerland GmbH von Ueli Kieser und Bettina Kahil-Wolff erstatteten sprachen sich für selbstständige Erwerbstätigkeit aus, während die beiden von der Gewerkschaft Unia bei Thomas Gächter/Michael Meier und Kurt Pärli eingeholten zum gegenteiligen Ergebnis gelangten (vgl. dazu auch RIEMER-KAFKA, a.a.O., S. 598 Fn. 29).   

6.6. In der in E. 6.5 zitierten Literatur wurde auch diskutiert, ob sich die von der Rechtsprechung unter Bezugnahme auf traditionelle Arbeitsformen entwickelten Kriterien für die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit überhaupt eignen, um digitalisierte Geschäftsmodelle wie namentlich die Plattformarbeit zu beurteilen. Die Frage bildet auch Gegenstand des bundesrätlichen Berichtes «Digitalisierung – Prüfung einer Flexibilisierung des Sozialversicherungsrechts («Flexi-Test») » vom 27. Oktober 2021 (www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/68678.pdf). Als Ergebnis wird darin festgehalten, dass kein Handlungsbedarf bestehe, weil das schweizerische Sozialversicherungssystem eher flexibel sei und ein gutes Anpassungspotenzial hinsichtlich neuer Arbeitsformen aufweise. Dass sich die von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien in diesem Sinne auch auf die hier zu beurteilende Tätigkeit der Uber-Fahrer anwenden lassen, zeigen auch die folgenden Erwägungen.  

6.7. Am 30. Mai 2022, d.h. nach dem vorinstanzlichen Urteil, entschied die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts in einem den Kanton Genf betreffenden Fall (Urteil 2C_34/2021 vom 30. Mai 2022, insbesondere E. 10.9, in: Pra 2022 Nr. 97 S. 1114), es sei nicht willkürlich, dass das Kantonsgericht im Rahmen der Anwendung des kantonalen Gesetzes über Taxis und Transportfahrzeuge mit Chauffeur (loi sur les taxis et les voitures de transport avec chauffeur vom 13. Oktober 2016, RS/GE H 1 31) das Vertragsverhältnis zwischen der Uber B.V. und zumindest den vier vom kantonalen Arbeitsamt angehörten Fahrern als Arbeitsvertrag im Sinne von Art. 319 OR betrachtet habe (und es sei dementsprechend nicht unhaltbar, die Uber B.V. als Transportunternehmen nach dem kantonalen Recht zu qualifizieren).

 

Zur Qualifikation der Verträge siehe auch:

 

Autor: Nicolas Facincani

 

Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden sie hier.

 

Umfassende Informationen zum Gleichstellungsrecht finden sie hier.