Vertrag für Honorarbezüger

Die rechtliche Qualifikation eines Vertrages ist eine Rechtsfrage (BGE 131 III 217, Erwägung 3, S. 219). Das Gericht bestimmt die Art der Vereinbarung frei auf der Grundlage der objektiven Vertragsgestaltung, ohne an die gleiche einheitliche Qualifikation der Parteien gebunden zu sein (BGE 129 III 664 Erwägung 3.1, S. 667; BGE 84 II 493, Erwägung 2, S. 496).

Das Bundesgericht hatte sich im Entscheid BGer 8C_573/2022 vom 6. Juni 2023 mit der Qualifikation eines zwischen einem Arzt und der Logistikbasis der Armee abgeschlossenen Vertrag auseinanderzusetzen und diesen Vertrag zu qualifizieren.

 

Sachverhalt

Dr. med. A. schloss am 1. Mai 2015 mit der Logistikbasis der Armee (LBA), Bereich Sanität, einen Vertrag für Honorarbezüger (Contrat pour les bénéficiaires d’honoraires) für den Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis 31. Dezember 2015 betreffend Arzt UCR (Untersuchungskommission Rekrutierung) ab. Am 10. Dezember 2015 verlängerten die Parteien das Vertragsverhältnis vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019. Gegenstand des als „Auftrag“ bezeichneten Vertrags vom 10. Dezember 2015 war das Erbringen von medizinischen Leistungen ausserhalb der Praxis in den Rekrutierungszentren. Danach konnte der Arbeitseinsatz auch kurzfristig und auf Abruf erfolgen. Termin und Ort für die Leistungserbringung bestimmten sich nach dem Bedarf der LBA. Für die im Rekrutierungszentrum aufgewendete Zeit vereinbarten die Parteien ein Honorar von Fr. 201.60 brutto pro Stunde (28 Taxpunkte à je Fr. 7.20; einschliesslich sämtlicher Spesen und anderweitiger Aufwendungen) sowie ein Kostendach von Fr. 240’000.-, das mit Nachtrag vom 18. November 2013 um weitere Fr. 150’000.- erhöht wurde. Per 1. Januar 2018 wurde die Sanität neu dem Armeestab (A Stab) unterstellt.

 

Entscheid der Vorinstanz

Das dem Streit zugrunde liegende, zwischen den Parteien mit dem „Vertrag für Honorarbezüger“ vom 10. Dezember 2015 begründete, Rechtsverhältnis qualifizierte die Vorinstanz in ihrem rechtskräftigen Urteil vom 16. März 2020 als Arbeitsverhältnis, das vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 gedauert hatte (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. August 2022 (A-3122/2021)). Ob von einem gültigen Arbeitsvertrag nach Bundespersonalrecht auszugehen ist, beurteilte die Vorinstanz weder im angefochtenen Urteil noch nahm sie im Urteil vom 16. März 2020 eine weitergehende Vertragsauslegung vor (vgl. BGE 143 II 297 E. 6.4.1; 131 III 217 E. 3; 129 III 664 E. 3.1).

 

Arbeitsvertrag auf Abruf

Nach dem relevanten Sachverhalt musste sich der der Arzt sich nicht für Einsätze nach einseitigem Abruf durch den Vertragspartner bereithalten, da ihm die geplanten Einsätze vielmehr Anfang des jeweiligen Jahres mitgeteilt wurden. Auch wenn der Arzt an diese Einsatzzeiten in grundsätzlicher Hinsicht gebunden war, kann nicht angenommen werden, dass er zu den Arbeitseinsätzen einseitig verpflichtet war, ohne dass auf seine Verfügbarkeit und Wünsche, soweit möglich, Rücksicht genommen worden wäre. Damit liegt gemäss Bundesgericht eine Vereinbarung über unechte Arbeit auf Abruf vor, weshalb weder Bereitschaftsdienst zu entschädigen wäre, noch der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann.

Das Bundesgericht nutzte die Gelegenheit, um die verschiedenen Arten der Arbeit auf Abruf kurz darzustellen:

5.3.2.2. Bei echter Arbeit auf Abruf kann die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer einseitig abrufen, wobei dieser einsatzpflichtig ist (BGE 124 III 249 E. 3; Urteile 4A_334/2017 vom 4. Oktober 2017 E. 2.2; 4A_509/2009 vom 7. Januar 2009 E. 2.3 mit weiteren Hinweisen). Bei der unechten Arbeit auf Abruf trifft den Arbeitnehmer keine Einsatzpflicht. Er hat vielmehr ein Ablehnungsrecht, denn ein Einsatz kommt jeweils durch gegenseitige Vereinbarung zustande (SVR 2022 UV Nr. 38 S. 150, 8C_587/2021 E. 4.3.3.1; Urteile 4A_334/2017 vom 4. Oktober 2017 E. 2.2; 4A_94/2009 vom 7. Januar 2010 E. 2.3). Während die Arbeitgeberin bei der unechten Arbeit auf Abruf keine Pflicht zur Beschäftigung trifft und sie grundsätzlich nicht in Annahmeverzug geraten kann, ist bei der echten Arbeit auf Abruf Gegenteiliges der Fall. Hier verletzt sie den Arbeitsvertrag, wenn sie keine Arbeit bereit stellt, und gerät in Annahmeverzug, wenn sie auf ein Einsatzangebot des Arbeitnehmers verzichtet (vgl. SVR 2022 UV Nr. 38 S. 150, 8C_587/2021 E. 4.3.3.1 mit Hinweisen; Urteil 4A_509/2009 vom 7. Januar 2010 E. 2.3).

 

Weitere Beiträge zur Qualifikation von Verträgen:

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

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