In einigen Fällen ist es nicht klar, ob das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt wurde oder nicht. So auch im Sachverhalt, welcher dem Entscheid 4A_257/2019 vom 6. November 2019 zugrunde liegt.

 

Fristlose Kündigung durch Arbeitgeberin?

Mit E-Mail vom 31. Januar 2016 teilte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin mit, dass der Betrieb geschlossen werde und sie keine Lohnzahlungen mehr machen könne. Diese E-Mail wurde am 4. Februar 2016 durch eine einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrätin gestempelt und unterzeichnet.

Auf einer «Arbeitgeberbescheinigung international», welche am 4. Februar 2016 durch die Arbeitgeberin unterzeichnet und der Arbeitnehmerin zugunsten des Arbeitsamtes übergeben wurde,  führte die Arbeitgeberin sodann aus, dass das Arbeitsverhältnis vom 1. Januar 2014 bis am 31. Januar 2016 gedauert habe. Betreffend Kündigungszeitpunkt war sodann angegeben, dass die Kündigung am 1. Februar 2016 per 1. Februar 2016 erfolgt sei. Sodann war angekreuzt, dass die Kündigung schriftlich erfolgt sei.

Gemäss der kantonalen Vorinstanz ergab sich aus dem vorher beschriebenen Vorgehen, dass die Unterzeichnung der E-Mail vom 31. Januar 2016 (die Unterzeichnung geschah am 4. Februar 2016) vernünftigerweise nur bezweckt haben könne, eine solche – in der „Arbeitgeberbescheinigung international“ erwähnte – schriftliche Kündigung zu produzieren. Dabei müsse es sich um eine fristlose Kündigung gehandelt haben, weil eine ordentliche Kündigung der Beschwerdeführerin aufgrund der bereits erfolgten ordentlichen Kündigung der Beschwerdegegnerin sinnlos gewesen wäre. Die Arbeitnehmerin habe aufgrund der Erklärungen und des Verhaltens der Arbeitgeberin nach Treu und Glauben keinen Zweifel haben dürfen und müssen, dass die Arbeitgeberin ihr Arbeitsverhältnis fristlos auflösen wolle. Da eine rückwirkende Kündigung auf den 31. Januar 2016 nicht möglich sei, könne die von der Arbeitgeberin am 4. Februar 2016 erklärte Kündigung erst auf dieses Datum erfolgt sein. Die Vorinstanz ging also von einer fristlosen Kündigung der Arbeitgeberin am 4. Februar 2016 aus.

 

«Gilt als Kündigung»

Auf der gedruckten und gestempelten E-Mail vom 31. Januar 2019 war nachträglich angebracht worden: «gilt als Kündigung». Es konnte aber nicht mehr eruiert werden, wer diese Bemerkung angebracht hatte.

 

Widersprüchliche Arbeitgeberbescheinigung

Für das Bundesgericht war die «Arbeitgeberbescheinigung international» widersprüchlich – was offensichtlich ist. Diese war zusätzlich auf den 28. Januar datiert, als Datum der Kündigung wird der 1. Februar 2016 angegeben.

 

Zahlungsunfähigkeit

Für das Bundesgericht war in seiner Beurteilung aber eine E-Mail vom 3. Februar 2016 relevant, welche von der Arbeitgeberin verfasst worden war. Dort bezog sich Arbeitgeberin auf eine E-Mail vom „letzten Montag“ und fuhr fort: „Aus diesem eMail ist ersichtlich, dass keine Löhne mehr bezahlt werden können. Also ist es Ihr Recht, fristlos nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen„. Die Arbeitgeberin bezog sich damit auf ihre Zahlungsunfähigkeit, welche gemäss Art. 337a OR zur Folge hat, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen kann, sofern ihm für seine Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis nicht innert angemessener Frist Sicherheit geleistet wird.

Gemäss Arbeitgeberin hätte diese Erklärung keinen Sinn gemacht, wenn das Arbeitsverhältnis durch sie selber bereits zuvor, sei es am 31. Januar oder am 1. Februar 2016 aufgelöst worden wäre. Vor dem Hintergrund der E-Mail vom 3. Februar 2016 ist gemäss Bundesgericht denn auch nicht ersichtlich, wie die Arbeitnehmerin die mit der Unterzeichnung der Arbeitgeberbescheinigung verbundene Erklärung der Beschwerdeführerin als fristlose Kündigung durch diese per 4. Februar 2016 hätte verstehen können – auch wenn es sich bei ihr um eine juristische Laiin handelt.

 

Arbeitgeberbescheinigung für Arbeitslosenversicherung

Die kantonale Vorinstanz stellte vor allem darauf ab, dass auf dem Formular «Arbeitgeberbescheinigung» angekreuzt sei, die Kündigung sei durch die Arbeitgeberin und schriftlich erfolgt. Die Vorinstanz erachtete es dabei als irrelevant, dass es sich um ein Formular für die Arbeitslosenversicherung gehandelt habe. Gemäss Bundesgericht zu Unrecht. Dazu führte es das Folgende aus:

Das Formular enthielt nämlich als Alternativen zum Ankreuzen nur die Kündigung durch die Arbeitgeberin einerseits oder die Arbeitnehmerin andererseits, eine dritte Möglichkeit war nicht vorgesehen. Das Formular war Grundlage für die versicherungsrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmerin. Diese können eingeschränkt werden, wenn sie selber gekündigt hat und damit ihre Arbeitslosigkeit selber verschuldet hat. Vor diesem Hintergrund könnte die Tatsache, dass nicht die Rubrik „Kündigung durch die Arbeitnehmerin“ angekreuzt wurde, auch dadurch bedingt sein, dass das Arbeitsverhältnis zufolge Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin nicht fortgesetzt werden konnte und damit ein in der Sphäre der Arbeitgeberin liegender Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verantwortlich war. Daher kann daraus nicht einfach abgeleitet werden, mit dem Kreuz bei „Kündigung durch die Arbeitgeberin“ sei ein Kündigungswille per 4. Februar 2016 ausgedrückt worden und die Beschwerdegegnerin habe dies nach Treu und Glauben so verstehen dürfen und müssen. Dies gilt umso mehr, als die entsprechenden Angaben unter dem Titel „Auflösung des Arbeitsverhältnisses“ stehen, und dieser Titel handschriftlich ergänzt worden war mit dem Vermerk „Konkurs“.

 

Keine fristlose Kündigung

Für das Bundesgericht handelte es sich daher nicht um einer fristlose Kündigung durch die Arbeitgeberin am 4. Februar 2016.

 

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Autor: Nicolas Facincani