Art. 335a OR lautet wie folgt:

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer dürfen keine verschiedenen Kündigungsfristen festgesetzt werden; bei widersprechender Abrede gilt für beide die längere Frist.

Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt oder eine entsprechende Absicht kundgetan, so dürfen jedoch durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag für den Arbeitnehmer kürzere Kündigungsfristen vereinbart werden.

Art. 335a Abs. 1 OR verankert das sogenannte Prinzip der Kündigungsparität. Für beide Parteien eines Arbeitsvertrags gelten dieselben Kündigungsfristen. Zusätzlich wird  Abs. 1 so ausgelegt, dass für die Parteien eines Arbeitsvertrages die gleichen Voraussetzungen für die Kündigung zu gelten haben.

Es wird zwischen der formellen und materiellen Kündigungsparität unterschieden. Vom Grundsatz der Kündigungsparität kann nicht zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.

 

Formelle Kündigungsparität

Das Prinzip der (formellen) Kündigungsparität ist verletzt, wenn ein Arbeitsvertrag für die Kündigung unterschiedliche Kündigungsfristen für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer vorsieht. In diesem Fall gelten für beide Parteien die längeren Kündigungsfristen. Unter dem Titel der formellen Kündigungsparität werden alle Fälle behandelt, wo aus formeller Sicht die Kündigung für eine Partei zu einem früheren Zeitpunkt als für die andere Partei möglich ist.

Zu denken ist etwa an folgende Konstellationen:

  • Der Arbeitsvertrag sieht vor, dass eine der beiden Parteien erst nach Ablauf einer Mindestfrist kündigen kann oder der Vertrag sieht verschiedene Mindestdauern für die Parteien vor. In diesem Fall gelten für beide Parteien die längeren Mindestdauer.
  • Der Arbeitsvertrag sieht vor, dass im Falle einer Übernahme des Arbeitgebers durch eine Drittpartei der Arbeitsvertrag vom Arbeitgeber unter Einhaltung einer kürzeren Frist gekündigt werden darf. Solche Klauseln sind aber relativ weit verbreitet.
  • Nur eine Partei ist zur Herbeiführung einer Situation berechtigt, in welcher die Parteien den Vertrag überhaupt kündigen dürfen. So etwa, wenn der Arbeitsvertrag nur kündbar ist, wenn der Arbeitnehmer aus dem Ausland zurückgerufen wird und nur dem Arbeitgeber ein entsprechendes Rückrufrecht eingeräumt wird (BGE 116 II 145 E. 7; BGE 108 II 115 E. 4a).

Materielle Kündigungsparität

Die sogenannte materielle Kündigungsparität ist verletzt, wenn eine Vertragsklausel eines Arbeitsvertrages vorsieht, dass einer Partei durch die Kündigung einseitig Nachteile entstehen. Dies ist etwa der Fall, wenn eine Partei, wenn sie kündigt, gewisse Rechte, wie z.B. Option etc. verliert.

Nicht jede solche faktische Schlechterstellung führt zu einer Verletzung der Kündigungsparität. Wird aber durch eine vertragliche Regelung das Kündigungsrecht illusorisch gemacht, so liegt eine Verletzung der Kündigungsparität vor. Ist eine vertragliche Regelung klar vereinbart, sachlich begründet und von angemessener Dauer (vgl. CHK Emmel 335a N 2), liegt keine Verletzung der Kündigungsparität vor. Eine Verletzung der sachlichen Kündigungsparität kann etwa vorliegen, wenn der Arbeitnehmer bei Kündigung – ohne Berücksichtigung der Umstände der Kündigung – stets allfällige Weiterbildungskosten zurückzahlen müsste oder sämtliche Optionen, die ihm als Lohn gewährt wurden, verlieren würde.

 

Abweichungen von der formellen Kündigungsparität aus wirtschaftlichen Gründen

Liegen wirtschaftliche Gründe vor, können abweichende Regeln von der formellen Kündigungsparität getroffen werden. Art. 335a Abs. 2 OR lautet wie folgt:

Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt oder eine entsprechende Absicht kundgetan, so dürfen jedoch durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag für den Arbeitnehmer kürzere Kündigungsfristen vereinbart werden.

Für den Fall einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen ist es zulässig, durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag für den Arbeitnehmer kürzere Kündigungsfristen zu vereinbaren. Solche Vereinbarungen sind vor und nach Eintritt wirtschaftlicher Gründe gültig. In der Praxis sind solche Vereinbarungen aber selten anzutreffen.

 

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Autor: Nicolas Facincani