Das Obergericht des Kantons Zürich hatte sich im Entscheid LA190011 mit der Frage der Haftung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der einem Leiterunfall auseinanderzusetzen. Dieser hatte sich beim Kirschenpflücken ereignet.

Dabei war der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vor, seine Sorgfalts- und Aufsichtspflicht gemäss Art. 328 Abs. 2 OR bzw. Art. 82 UVG verletzt zu haben, und machte Schadenersatz und Genugtuung geltend. Das Arbeitsgericht Andelfingen gab dem Arbeitnehmer recht.

 

Vorgeschichte

Der Arbeitnehmer ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 18. Dezember 2009 in die Schweiz ein und stellte gleichentags ein Gesuch um Asyl. Nach seiner Einreise wurde er der Asylkoordination Bezirk Andelfingen zugewiesen. Arbeitnehmer ist Bauer und betreibt einen Hof. Er beschäftig regelmässig sog. „Landdienstler“ oder „Tagelöhner“ auf seinem Bauernhof. Im Herbst 2010 leistete der Arbeitnehmer erste Einsätze auf dem Hof. Ab dem 1. März 2011 begann er für den Arbeitgeber in dessen Bauernbetrieb als Tagelöhner zu arbeiten. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag schlossen die Parteien nicht ab. Am 11. Juli 2011 erlitt der Arbeitnehmer einen Unfall, dessen Hergang umstritten ist. Er fiel beim oder nach dem Kirschenpflücken von einer Leiter oder vom Baum und erlitt unter anderem eine sensomotorische inkomplette Paraplegie sub Th10 (AIS B) und ist seither an den Rollstuhl gebunden.

 

Vom Arbeitsgericht Andelfingen erstellter Sachverhalt

Der Sachverhalt zwischen den Parteien zum Unfallhergang war strittig. Das Bezirksgericht Andelfingen führte ein aufwändiges Beweisverfahren durch und kam zu folgendem Sachverhalt, welcher dem Urteil zugrunde liegt und vom Obergericht wie folgt wiedergegeben wurde (E. IV.3:

„a) Der Kläger arbeitete ab März 2011 durchschnittlich maximal sechs Tage pro Woche auf dem Hof des Beklagten, wobei die Arbeitstage jeweils um 8 Uhr begannen. Normalerweise nahm der Kläger um 19 Uhr zusammen mit den anderen Arbeitern und der Familie des Beklagten das Abendessen ein (E. II.2.b) und E. II.5.q)).

b) Der Kläger verrichtete Hilfsarbeiten, wie beispielsweise den Reben Wasser geben, Reben binden, Mithilfe im Stall beim Misten und Putzen. Er stellte sich dabei ungeschickt an, befolgte Sicherheitsanweisungen nicht und man konnte ihn grundsätzlich nicht unbeaufsichtigt arbeiten lassen (E. II.5.q)).

c) Am 11. Juli 2011, kurz vor dem Mittagessen, bestieg der Kläger den kleinen Kirschbaum. Der Beklagte sah dies und „pfiff“ den Kläger herunter (E. II.9.p)). Beim anschliessenden Mittagessen sagte der Beklagte dem Kläger, er sei kein Vogel, habe keine Flügel und könne nicht fliegen (E. II.9.p)). Der Kläger verstand dies jedoch aufgrund seiner rudimentären Deutschkenntnisse nicht (E. II.9.p)). Aus der Tatsache, dass der Beklagte den Kläger vom kleinen Kirschbaum „heruntergepfiffen“ hatte, lässt sich nicht ableiten, dass der Kläger wusste, dass er die Leiter bei der Kirschenernte nicht verlassen (und sich somit nicht auf den Baum direkt begeben) dürfe; der Kläger benutzte nämlich keine Leiter, als er den kleinen Kirschbaum bestieg (E. II.9.p)). In einer solchen Konstellation ist es bei rudimentären Deutschkenntnissen nicht möglich, einen Konnex zur Tätigkeit ab Leiter herzustellen.

d) Für den Nachmittag des 11. Juli 2011 wies der Beklagte den Kläger an, zusammen mit E._____ vom grossen Kirschbaum zwischen Hof und Bahnlinie Kirschen zu pflücken (E. II.2.c)). Er hatte den Kläger mit Lytos-Wanderschuhen ausgestattet (E. II.9.p)). Der Kläger konnte nur wenige Worte Deutsch und war nicht in der Lage, Sicherheitsinstruktionen zu verstehen (E. II.8.u)); der Beklagte zeigte ihm daher vor, wie man Kirschen pflückt und eine Leiter hinauf- und wieder hinuntersteigt (E. II.8.u) und E. II.9.p)). Der Kläger hatte zudem schon vor dem Unfalltag Kirschen gepflückt (E. II.9.p)). E._____ sollte die benötigten Leitern selber korrekt positionieren (E. II.2.c)). Dabei handelte es sich um eine Auszugsleiter und eine Bassin-Leiter (E. II.6.l)). E._____ stellte die Leitern in der Folge an den Baum (E. II.2.c)) und sicherte die Auszugsleiter (E. II.6.l)). Der Kläger und E._____ stiegen über die Leitern in den Baum und pflückten zusammen Kirschen (E. II.2.c)). Um 16 Uhr beorderte der Beklagte E._____ in den Stall und wies den Kläger an, die Pflückarbeit von E._____s Auszugsleiter aus alleine weiterzuführen (E. II.2.c) und E. II.6.l)). Zu diesem Zeitpunkt stand die Auszugsleiter immer noch gesichert am Baum (E. II.6.l)); der Kläger wurde nicht angewiesen, sie umzupositionieren, und verstellte die Auszugsleiter auch nicht (E. II.6.l)). Der Kläger setzte die Pflückarbeit ab 16 Uhr alleine fort (E. II.2.c)).

e) Kurz vor 19 Uhr stieg der Kläger auf die Astgabelungen des Kirschbaumes, welche sich in 2 bis 2.5 m Höhe befinden, und fiel von dort herunter (E. II.10.q)). Er erlitt unter anderem eine sensomotorische inkomplette Paraplegie sub Th10 (AIS B) und ist seither an den Rollstuhl gebunden (E. II.2.c)). Der Beklagte hatte dem Kläger vor dem Unfall keinen Feierabend verordnet (E. II.7.n)).“

 

Entscheid des Arbeitsgerichts Andelfingen

Das Bezirksgericht Andelfingen schützte die Klage des Arbeitnehmers. Das Obergericht gab in seinem Urteil die entsprechenden Erwägungen wieder:

„Vorliegend konnte der Beklagte den Kläger nur für Hilfsarbeiten einsetzen; selbst da verhielt sich der Kläger jedoch ungeschickt und befolgte keine Sicherheitsanweisungen; man konnte ihn deshalb grundsätzlich nicht unbeaufsichtigt arbeiten lassen (E. II.11.b)). Keine der Parteien brachte zudem vor, dass der Kläger über eine landwirtschaftliche Ausbildung verfügt hätte. Der Beklagte selbst erwischte den Kläger sodann am Unfalltag auf einem Kirschbaum (E. II.11.c)). Leiterarbeiten sind gefährlich, weshalb die SUVA Empfehlungen erlassen hat (act. 4/11). Vor diesem Hintergrund galten vorliegend erhöhte Anforderungen an die Instruktion und Kontrolle. Der Kläger konnte indessen aufgrund seiner sehr spärlichen Deutschkenntnisse keine Sicherheitsanweisungen verstehen (E. II.11.d)). Dies führte dazu, dass er die Leiter letztendlich ohne Instruktion bestieg. Er konnte höchstens wissen, wie er sich auf der Leiter halten sollte, nicht jedoch, wie man sie umpositioniert oder dass man sie nicht verlassen darf (siehe E. II.11.d)). Bei diesen Gegebenheiten hätte der Beklagte den Kläger nicht von einer Leiter Kirschen pflücken lassen dürfen. Erst recht hätte er den Kläger ab 16 Uhr nicht unbeaufsichtigt weiter arbeiten lassen dürfen. Die Tatsache, dass der Kläger schon einmal Kirschen gepflückt hatte (E. II.11.d)), ändert daran nichts. Ebenso irrelevant ist die Tatsache, dass der Beklagte den Kläger mit Wanderschuhen ausrüstete und der Kläger vom Baum (und nicht von der Leiter) fiel; der entscheidende Fehler des Beklagten bestand nämlich darin, den unerfahrenen und ungeschickten Kläger mit der Kirschpflückarbeit ab Leiter betraut zu haben und dies ohne ihn ausreichend über die Sicherheitsaspekte aufklären zu können. Allein damit verstiess der Beklagte gegen die Pflichten gemäss Art. 328 Abs. 2 OR, Art. 82 Abs. 1 UVG und Art. 6 Abs. 1 und 3 VUV. Der Beklagte kann sich davon nicht exkulpieren (siehe dazu CLAIRE HUGUENIN, Obligationenrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, 2. Aufl., Zürich / Basel / Genf 2014, Rz. 900). Eine weitere Pflichtverletzung ist darin zu sehen, dass der Beklagte spätestens ab dem Zeitpunkt, als er E._____ in den Stall beorderte, nicht mehr sicherstellen konnte, dass der Kläger die Kirschen korrekt pflückte. So hätte der Umstand, dass der Kläger auf den Baum kletterte und nicht von der Leiter aus arbeitete (E. II.10.q)), von einer anwesenden Zweitperson verhindert werden können.“

Die Vorinstanz erwog weiter, der Arbeitnehmer müsse die Weisungen des Arbeitgebers in Bezug auf die Arbeitssicherheit befolgen und die allgemein anerkannten Regeln berücksichtigen (Art. 11 Abs. 1 VUV; siehe Art. 82 Abs. 2 UVG). Vorliegend habe der Kläger die Sicherheitsinstruktion nicht verstehen und sie daher auch nicht befolgen können. Ob ihn ein Selbstverschulden am Unfall im Sinne von Art. 44 Abs. 1 OR in Verbindung mit Art. 99 Abs. 3 OR treffe, brauche an dieser Stelle nicht erörtert zu werden, ebensowenig die Grösse des Verschuldens des Beklagten (Art. 43 Abs. 1 OR) oder weitere Reduktionsgründe wie beispielsweise Art. 99 Abs. 2 OR.

 

Vorbringen vor Obergericht – Selbstverschulden

Vor Obergericht machte der Arbeitgeber vorallem geltend, das Arbeitsgericht Andelfingen habe den Sachverhalt falsch erstellt.

Sodann machte der Arbeitgeber insbesondere Selbstverschulden des Arbeitnehmers geltend, weshalb der Arbeitgeber nicht haften würde. Das Selbstverschulden wurde folgt begründet:

  • der Arbeitnehmer sei darauf hingewiesen und ausgebildet worden und habe sich insbesondere nach dem „Anpfiff“ durch den Chef vor dem Mittagessen bewusst sein müssen, welche Gefahren die Kirschernte für die Beteiligten berge. Er habe sich offenkundig, ausserhalb der als beendet erklärten Arbeitszeit, darüber hinweggesetzt
  • der Arbeitnehmer habe sich über die ihm erteilten Verbote und Anweisungen seines Arbeitgebers wie auch des faktischen Vorarbeiters E._____ hinweggesetzt und damit Art. 82 Abs. 3 UVG verletzt. Mit seiner mutwilligen Aktion, über deren Hergang er seit dem Unfall eisern schweige, habe er ein Selbstverschulden zu verantworten, das jegliche Haftung der Beklagten ausschliesse
  • dem Arbeitnehmer müsse Mutwillen vorgeworfen werden, der in einer Verletzung von Art. 82 Abs. 3 UVG gegipfelt habe, weshalb eine Haftung auch an grobem Selbstverschulden des Verletzten scheitere
  • die Klage sei widerlegt, der Arbeitnehmer habe seine weissen Turnschuhe auch bei der Arbeit am 11.7.2015 getragen. Und wäre das eventuell doch der Fall gewesen, könnte er dem Vorwurf des grobfahrlässigen Selbstverschuldens nicht entgehen, wenn er trotz Anweisung, Arbeitsschuhe zu tragen, die ihm zur Verfügung standen, wieder zu seinen weissen Turnschuhen gewechselt haben sollte, obwohl diese für die Landarbeit und speziell auf einer Metallleiter ungeeignet seien.

Das Obergericht verneinte das Vorliegen eines Selbstverschuldens des Arbeitnehmers. Zusammengefasst gehe der Vorwurf des Arbeitgebers dahin, der Arbeitnehmer habe Verboten und Anweisungen, obwohl er auf die entsprechenden Gefahren hingewiesen worden sei, zuwidergehandelt. Das Beweisverfahren habe allerdings ergeben, dass der Arbeitnehmer nur wenige Worte Deutsch konnte und nicht in der Lage war, Sicherheitsinstruktionen zu verstehen, und ihm die Arbeiten durch Vorzeigen erklärt wurden. Ferner sei erstellt, dass er Arbeitsschuhe getragen habe und sich der Unfall während der Arbeitszeit ereignet habe.

Da der Arbeitnehmer Inhalt und Bedeutung der Verbote und Anweisungen gar nicht habe richtig erfassen können, können ihm auch nicht vorgeworfen werden, diese mutwillig nicht befolgt und elementarste Vorsichtsgebote missachtet zu haben. Selbst wenn angenommen werden wollte, dass ein erwachsener Mann die Gefahren beim Erklettern eines Baumes kenne, auch wenn er die Gefahrenhinweise nicht verstanden habe, fehle es vorliegend an der erforderlichen Intensität seines Verhaltens für eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs. Dass der Arbeitnehmer gewissermassen aus Freude an der Baumkletterei auf den Kirschbaum geklettert wäre, stehe nicht fest. Er kam seinem Auftrag nach, Kirschen zu pflücken. Dass selbst erwachsene Personen beim Klettern die nötige Vorsicht missen lassen, sei nicht so ungewöhnlich. Dies gelte noch vermehrt für den Arbeitnehmer, der sich ungeschickt anstellte, Sicherheitsanweisungen nicht befolgte und den man grundsätzlich nicht unbeaufsichtigt arbeiten lassen können.

Der Arbeitgeber habe den Arbeitnehmer denn auch als schusselig und nannte ihn der „Schussli“. Unter diesen Umständen habe mit einer Grobfahrlässigkeit des Arbeitnehmers gerechnet werden müssen. Diesfalls vermöge das eigene Verschulden des Opfers den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verhalten des Schädigers nicht zu unterbrechen, selbst dann nicht, wenn das Selbstverschulden des Geschädigten überwiegt (BGE 116 II 519 E. 4b S. 524 mit Hinweisen; BK-Brehm, N. 138 und 139a zu Art. 41 OR). Ein grobes, den adäquaten Kausalzusammenhang unterbrechendes Selbstverschulden sei daher zu verneinen.

 

Vorbringen vor Obergericht – Arbeitgeberpflichten

Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers machte führte das Obergericht das Folgende aus (Erw. 4.1):

Gemäss Art. 328 OR hat der Arbeitgeber „im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen“ (Abs. 1), und er hat „zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes oder Haushaltes angemessen sind, soweit es mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung ihm billigerweise zugemutet werden kann“ (Abs. 2). Lehre und Praxis halten in diesem Zusammenhang fest, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Gefahren hinzuweisen und ihn zu instruieren hat, und dass er für geeignete Überwachung auf Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen zu sorgen hat (vgl. BSK OR I-Portmann/ Rudolph, Art. 328 N 11 sowie den dortigen Verweis auf BGE 102 II 18), wobei die Anforderungen umso höher sind, je geringer die Erfahrung des Arbeitnehmers ist (vgl. BSK OR I-Portmann/Rudolph, Art. 328 N 10, sowie BGE 95 II 137). Weiter wird in der Lehre auch festgehalten, dass auch die Art der Arbeitsleistung den Umfang der erforderlichen Schutzvorkehrungen beeinflusst; es kann nicht verlangt werden, dass der Arbeitnehmer vor jeder Gefahr absolut geschützt wird, da gewisse Verrichtungen ihrer Natur nach unvermeidliche Gefahren in sich schliessen, für die „nach Anschauung selbst des gesunden und sorgfältigen Verkehrs Schutzmassnahmen nicht vorgekehrt werden oder praktisch nicht möglich sind, wo also der Arbeitnehmer selber die entsprechende Vorsicht walten lassen muss“. Beispielhaft wird diesbezüglich ein Dachdecker angeführt, der nicht die gleiche Möglichkeit freier Bewegung beanspruchen könne wie der auf ebener Erde Arbeitende, und bei seiner Arbeit die drohende Gefahr kenne und sich selber ohne Instruktion schützen könne (ZK-Staehelin, Art. 328 OR N 22).

Präzisiert wird Art. 328 OR – soweit das Arbeitsgesetz anwendbar ist, was vorliegend nicht der Fall ist (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. d ArG) – in Art. 6 ArG, wobei dessen Abs. 1 festhält, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer „alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind“. In ähnlichem Sinne bestimmt Art. 82 UVG, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, „zur Verhütung von Berufsunfällen […] alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind“ (Abs. 1), und umgekehrt sind die Arbeitnehmer verpflichtet, den Arbeitgeber bei der Durchführung der Vorschriften zur Verhütung von Berufsunfällen zu unterstützen, wobei sie insbesondere verpflichtet sind, die Sicherheitseinrichtungen richtig zu gebrauchen (Abs. 3). Die zu berücksichtigende Erfahrung hat den Bekanntmachungen von Fachorganisationen und den Richtlinien der SUVA zu entsprechen (Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl. 2012, Art. 328 N 4).

Soweit die Vorinstanz die Grundlagen der Haftung gemäss Art. 328 OR darlegte, bemängelte der Arbeitgeber, sie erwähne nur beiläufig, dass die Schutzpflichten des Arbeitgebers Grenzen hätten, welche die Betriebsverhältnisse und das technisch Mögliche sowie die persönliche und wirtschaftliche Zumutbarkeit setzten. Insbesondere sei der Arbeitgeber nicht gehalten, gegen jede nur mögliche Gefahr Vorkehrungen zu treffen, und die Schutzpflicht, die das Gesetz dem Arbeitgeber auferlege, umfasse nur die Pflicht zur Verhütung eines Unfalles, der nicht auf ein nicht voraussehbares, ein schweres Verschulden darstellendes Verhalten des Verunfallten selber oder Dritter zurückzuführen sei

In Bezug auf die Vorbringen des Arbeitgebers führte das Obergericht aus, es sei richtig, dass die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers die Verhütung derjenigen Unfälle umfasse, welche nicht auf ein unvorhersehbares Verhalten bzw. auf schweres Verschulden des geschädigten Arbeitnehmers zurückzuführen seien. Der Arbeitgeber müsse folglich alles beachten, was bei normalem Lauf der Dinge und selbst bei Unaufmerksamkeit oder Unachtsamkeit des Arbeitnehmers geschehen könne.

 

Zum konkreten Fall das Folgende und die Haftung des Arbeitgebers bejahend:

„War eine Dauerüberwachung des Klägers, wie der Beklagte ausführt, beim Kirschenpflücken betrieblich nicht möglich, oder hätte der Kläger allenfalls die Töchter des Beklagten nicht als Aufsichtspersonen akzeptiert oder eine permanente Beaufsichtigung als persönlichkeitsverletzend zurückgewiesen (was blosse Spekulation ist), hätte er diesem eine andere Arbeit zuweisen oder diesen nach Hause schicken müssen. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass der Selbsterhaltungstrieb den Kläger vor Wagnissen schütze und der erwachsene Kläger nicht wie ein kleines Kind beim Alleinsein riskante Aktionen unternehmen würde, nachdem er selber immer wieder gegenteilige Erfahrungen mit dem Kläger gemacht hat, der Vorschriften und Sicherheitsanweisungen nicht einhielt und immer wieder kontrolliert, überwacht und begleitet werden musste (vgl. oben Erw. IV.5.2). Der Beklagte räumt selber ein, dass ihm bekannt war, dass der Kläger öfters ungeschickt gewesen sei und darum zusammen mit E._____ habe arbeiten müssen (Urk. 1 S. 30 Rz 52). Er wusste um die Defizite des Klägers bei der Verrichtung landwirtschaftlicher Arbeiten, verglich den Betreuungsbedarf des Klägers selber mit demjenigen eines Kindes und gab an, dass er den Kläger zu seinem Selbstschutz nicht alleine lassen konnte (Urk. 5/165 S. 3 f. und S. 29). Aufgrund der Risiken beim Kirschenpflücken eignete sich diese Arbeit deshalb gerade nicht für einen Alleineinsatz. Dass – entgegen dem Dafürhalten des Beklagten (Urk. 1 S. 30 Rz 52) – davon auszugehen ist, dass der Kläger die Sicherheitsinstruktionen nicht richtig verstanden hat, wurde bereits ausführlich erörtert (vgl. oben Erw. IV.5.3). Soweit der Beklagte geltend macht, er und der Zeuge E._____ hätten den Kläger für’s Kirschenpflücken ausgebildet und dabei die bewährte dreistufige Methodik mit Anlern-, Festigungs- und Anwendungsstufe gemäss Reglement Ausbildungsmethodik der Schweizer Armee angewandt (Urk. 1 S. 28 Rz 49 Ziff. 6), erfolgt diese Behauptung so erstmals im Berufungsverfahren und ist unbeachtlich. Dass der Beklagte dem Kläger vorzeigte, wie man Kirschen pflückt und eine Leiter hinauf- und hinuntersteigt, hat bereits die Vorinstanz festgestellt (Urk. 65 S. 66 Erw. III.11.d)). Ebenso hat sie aber auch festgestellt, dass der Kläger nicht wusste und er somit nicht auf eine ihm verständliche Art instruiert worden war, dass er die Leiter bei der Kirschernte nicht verlassen (und sich somit nicht auf den Baum direkt begeben) dürfe. Dass das Kirschenpflücken ab Leiter keine einfache Aufgabe, sondern mit erheblichen Risiken verbunden ist, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Von seinen Fürsorgepflichten als Arbeitgeber nicht zu entbinden vermag den Beklagten, dass aufgrund der Defizite des Klägers die Alternative sonst nur noch die Kündigung und Freistellung oder sogar fristlose Kündigung des Klägers gewesen wäre (Urk. 1 S. 30 f. Rz 53). Die Erklärung des Beklagten, er sei seiner Schutzpflicht nachgekommen, indem er den Kläger auch weiterhin beschäftigt habe, zielt an der Sache vorbei. Der Beklagte hält dafür, die arbeitsrechtliche Schutzpflicht habe menschliche, organisatorische und wirtschaftliche Grenzen; der Arbeitgeber müsse keine Zumutungen dulden, während umgekehrt der Mitarbeiter nicht verhalten werden könne, permanent die Betreuung durch eine „Nanny“ oder eine Videoüberwachung zu erdulden. Die Forderung der Vorinstanz, der Beklagte hätte für den Kläger bei seinen Arbeiten auf dem C._____ eine permanente Beaufsichtigung sicherstellen müssen, sei deshalb objektiv unter den gegebenen betrieblich-personellen Verhältnissen unangemessen. Die Massnahme sei aber auch subjektiv gegenüber dem Kläger unangemessen. Zudem habe der Beklagte davon ausgehen dürfen, dass es auch im Heimatland des 35-jährigen zum Gemeinwissen zähle, dass das Beklettern von Bäumen gefährlich sei (Urk. 1 S. 31 f. Rz 54). Der Kläger habe damit die Folgen seines Selbstverschuldens zu tragen, ohne Auftrag und ohne Sinn auf den grossen Kirschbaum und dessen Äste gestiegen zu sein. Der Vorwurf, der Beklagte hätte den Kläger nicht unbeaufsichtigt die Kirschpflückarbeit ab Leiter ausführen lassen dürfen, sei auch unfallversicherungsrechtlich unhaltbar. Denn auch Art. 6 Abs. 3 VUV verlange keine permanente Überwachung jedes Mitarbeiters, sondern es liege im Ermessen des Arbeitgebers, ob und wie er eine Beaufsichtigung eines bestimmten Mitarbeiters organisieren müsse. Die Strenge der Vorinstanz gegenüber dem Beklagten sei unangemessen, nicht bloss praxisfremd, und das Urteil lasse gar Raum für den Gedanken, dass dem Kläger geholfen werden solle (Urk. 1 S. 32 Rz 55). Dem Beklagten ist zwar beizupflichten, dass unfallversicherungsrechtlich nichts anderes gilt als im Arbeitsrecht. Die allgemeinen Anforderungen an die Arbeitgebenden sind öffentlich-rechtlich und privatrechtlich die gleichen, und die drei massgebenden Bestimmungen (Art. 82 Abs. 1 UVG, Art. 6 Abs. 1 ArG und Art. 328 Abs. 2 OR) haben auch beinahe einen identischen Wortlaut (vgl. BSK UVG-Mosimann, Vor Art. 81-87a N 4). Mit dem Kläger (Urk. 9 S. 29) ist indes festzuhalten, dass die Einschätzung der Vorinstanz, dass der Beklagte den unerfahrenen und ungeschickten Kläger, der nicht genügend über die Sicherheitsaspekte hatte aufgeklärt werden können, nicht unbeaufsichtigt mit der Kirschpflückarbeit ab Leiter hätte betrauen dürfen, nicht mit einer generellen Forderung nach einer „permanenten Beaufsichtigung“ des Klägers gleichzusetzen ist. Andere, einfachere und risikolose Arbeiten hätte der Kläger auch ohne Aufsicht übernehmen können. Dem Beklagten wäre es ferner zumutbar gewesen, den Kläger um 16.00 Uhr, als E._____ in den Stall beordert wurde, mit einer anderen Arbeit zum Beispiel im Stall zu betrauen oder diesen nach Hause zu schicken, wenn eine Beaufsichtigung aus betrieblich-personellen Gründen nicht mehr möglich gewesen wäre. Eine unangemessene Strenge der Vorinstanz ist nicht auszumachen, zumal sich die Anforderungen an die Überwachung erhöhen, wenn es sich um besonders schutzbedürftige Arbeitnehmer, wie z.B. unerfahrene Arbeitnehmer, handelt. Selbst wenn den Arbeitnehmer ein erhebliches Selbstverschulden an seiner Schädigung trifft, so ändert dies nichts am Mitverschulden des Arbeitgebers und dessen eintretender Haftung (vgl. BK-Rehbinder/Stöckli, Art. 328 OR N 18).“

 

Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers siehe auch (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani