Sieht das kantonale Recht ein Arbeitsgericht vor, so ist dieses für die Beurteilung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zuständig.

Im Entscheid BGer 4A_360/2021 vom 6. Januar 2022 hatte das Bundesgericht die Frage zu entscheiden, ob für die Beurteilung von Streitigkeiten aus einer Zusammenarbeitsvereinbarung das Arbeitsgericht zuständig ist oder nicht.

Das Arbeitsgericht Zürich hatte nämlich sein Zuständigkeit verneint. Es erwog, die Tatsachenbehauptungen und die eingereichten Urkunden liessen es nicht zu, die zu beurteilende Forderung als Streitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis zu qualifizieren, womit es an der sachlichen Zuständigkeit gemäss § 20 des zürcherischen Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1) vom 10. Mai 2010 fehle.

Eine dagegen gerichtete Berufung der Klägerin wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 19. Mai 2021 ab und bestätigte den Beschluss des Arbeitsgerichts. Es erwog, aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände könne das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht als Arbeitsvertrag qualifiziert werden, womit die Erstinstanz ihre sachliche Zuständigkeit zur Beurteilung der Klage zu Recht verneint habe.

 

Vertragliche Grundlage

Der Streitigkeit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Dr. A.________ (Klägerin, Beschwerdeführerin) ist seit 2010 im Kanton Zürich als selbständige Rechtsanwältin tätig. Diese Tätigkeit übte sie in Teilzeit aus. Hauptberuflich war sie bis zum 31. Juli 2019 in einem Pensum von 60-80 % als juristische Übersetzerin bei der D.________ AG angestellt. Daneben ist sie Gründerin und Vorsitzende der Geschäftsführung der 2012 gegründeten E.________ GmbH. Die B.________ AG (vormals: C.________ AG, Beklagte, Beschwerdegegnerin) betreibt eine Anwaltskanzlei. Einziger Gesellschafter ist, nach dem Ausscheiden von Dr. F.________, Dr. G.________.

Am 30. Juli 2019 schlossen die Parteien einen als „Zusammenarbeitsvereinbarung“ bezeichneten Vertrag. Darin beschlossen sie eine temporäre Zusammenarbeit für die Dauer von zwei Monaten in Bezug auf die Erbringung von anwaltlichen Dienstleistungen durch die Klägerin als Konsulentin unter dem Label der Beklagten. In Ziff. 1.2 wurde vereinbart, dass die Beklagte der Klägerin einen Arbeitsplatz, ihr Label, die Infrastruktur sowie ihre Akquise-Kanäle zur Verfügung stellt und bei Bedarf bestehende Mandate an die Klägerin überträgt. In Ziff. 2.1 wurde dafür eine hälftige Teilung des auf Mandaten der Beklagten generierten Umsatzes der Klägerin (einschliesslich über Akquisitionskanäle der Beklagten akquirierte Mandate) vereinbart. Der Anteil der Klägerin war auf maximal Fr. 15’000.– pro Monat begrenzt. Ziff. 2.2 sah für die von der Klägerin selbständig akquirierten Mandate – für die Nutzung des Labels und der Infrastruktur der Beklagten – eine Aufteilung des darauf generierten Umsatzes im Verhältnis von 80 % (Klägerin) zu 20 % (Beklagte) vor. Weiter sollte die Überweisung des Guthabens der Klägerin innert dreier Arbeitstage nach Genehmigung der Umsatzabrechnung erfolgen. Am 4. Oktober 2019 beschlossen die Parteien die Fortsetzung der Zusammenarbeit zu gleich bleibenden Konditionen.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2020 kündigte Dr. F.________ namens der Beklagten das „Auftragsverhältnis“ in Anwendung von Art. 404 Abs. 1 OR per sofort. Mit Schreiben vom 4. März 2020 kündigte die Klägerin ihrerseits das „Arbeitsverhältnis“ gemäss Zusammenarbeitsvereinbarungen vom 30. Juli 2019 bzw. 4. Oktober 2019 in Anwendung von Art. 337 OR fristlos.

 

Beurteilung unter dem Sozialversicherungsrecht

Die Sozialversicherungsanstalt (SVA) des Kantons Zürich verfügte am 19. Februar 2020, die Erwerbstätigkeit der Klägerin bei der Beklagten sei als unselbständig zu qualifizieren. Sie lehnte das Gesuch der Klägerin um Registrierung als Selbständigerwerbende ab. Unter sozialversicherungsrechtlichen Aspekten wurde die Klägerin somit als Arbeitnehmerin qualifiziert.

 

Beurteilung der Tätigkeit

Umstritten war somit – im Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts – ob die Zusammenarbeitsvereinbarungen als Arbeitsverträge qualifiziert werden können (E. 5.1.3):

Der Arbeitsvertrag weist nach der gesetzlichen Definition im Wesentlichen vier Merkmale auf: Das Erbringen einer Arbeitsleistung, die Entgeltlichkeit, die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation (sog. Subordinations- oder Unterordnungverhältnis) und das Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses (zit. Urteil 4A_64/2020 E. 6.1 mit Hinweisen; Urteile 4A_484/2018 vom 10. Dezember 2019 E. 4.1; 4A_594/2018 vom 6. Mai 2019 E. 4.1.1).  

 

Entscheid des Obergerichts Zürich

Aufgrund einer Gesamtwürdigung könne das Vertragsverhältnis gemäss Obergericht nicht als Arbeitsvertrag qualifiziert werden. Die Beschwerdeführerin habe mit den Zusammenarbeitsvereinbarungen eine selbständige Tätigkeit nicht nur angestrebt, sondern sie habe auch tatsächlich selbständig und weitestgehend frei Mandate für die Beschwerdegegnerin bearbeitet. Es habe weder in persönlicher, sachlicher noch zeitlicher Hinsicht eine Abhängigkeit bestanden. Nach ihren Vorbringen habe sie die Mandate selber akquiriert und habe direkt am wirtschaftlichen Erfolg ihres Arbeitseinsatzes partizipiert, indem sie den von ihr erwirtschaftete Umsatz abzüglich des Anteils der Beschwerdegegnerin als Einkommen erhalten sollte. Insofern habe sie die Dispositionsmöglichkeit und das unternehmerische Verlustrisiko bezüglich des Einsatzes ihrer Arbeitskraft selbst innegehabt. Sie sei auch nicht in relevantem Mass in die Arbeitsorganisation der Beschwerdegegnerin eingegliedert gewesen, sondern habe die Mandate nach eigener Darstellung unter eigener Adresse und eigener Vollmacht betreut. Sie habe ihre Arbeitsleistung mithin wie eine Selbständigerwerbende anbieten und den Umfang ihrer Tätigkeit selbst bestimmen können. All diese Umstände sprächen gegen ein arbeitsvertragliches Verhältnis. Dass ihre unternehmerische Freiheit aufgrund gewisser organisatorischer Weisungsbefugnisse der Beschwerdegegnerin eingeschränkt gewesen sei (Ferienvertretung, Telefondienst, Vorgaben für Büro- und Infrastrukturnutzung, Zeiterfassung, Angabe des Firmenkontos der Beschwerdegegnerin bei der Rechnungsstellung gegenüber Klienten) reiche zur Annahme eines Subordinationsverhältnisses nicht aus. Zudem fehle es an einer eigentlichen Pflicht zur Arbeitsleistung und an einem (Mindest-) Lohn.

Das Obergericht Zürich setzte sich auch mit dem Entscheid des Sozialversicherungsgerichts auseinander:

Es erwog, die Einstufung der Tätigkeit als selbständige Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungsrecht weise für die Qualifikation als Arbeitsvertrag nur eine untergeordnete Bedeutung auf, insbesondere weil im Sozialversicherungsrecht von eigenen Begriffsumschreibungen ausgegangen werde (mit Hinweis auf BGE 128 III 129 E. 1a/aa; zit. Urteil 4A_64/2020 E. 6.4). Nach der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung beurteile sich die Frage, ob im Einzelfall eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliege, nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend seien vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermöchten dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte zu bieten ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Zudem sei auch der Blickwinkel ein anderer; entscheidend für die SVA sei, dass die Sozialversicherungsbeiträge gesetzeskonform bezahlt würden. Dass die SAV die Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin für die Beschwerdegegnerin als unselbständig qualifiziert habe, sei daher für die Vertragsqualifikation nicht entscheidend. Dies gelte umso mehr, als die Begründung der SVA im Wesentlichen aus pauschalen Verweisen auf die Ziffern 1, 2, 4 und 5 der betreffenden Zusammenarbeitsvereinbarung bestehe und keine eigentliche Auseinandersetzung mit den Kriterien der arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit und des Unternehmerrisikos erfolge.

 

Beurteilung durch das Bundesgericht

Das Bundesgericht schützte den Entscheid des Obergerichts (E. 5.3.2):

Die Vorinstanz hat ausführlich dargelegt, weshalb sie den Entscheid der SVA für die Frage, ob die Zusammenarbeitsvereinbarungen als Arbeitsverträge zu qualifizieren seien, nicht als ausschlaggebend erachtet hat. Die Beschwerdeführerin scheint in der Beschwerde von der falschen Annahme auszugehen, dass die Einschätzung der SVA auch für die Vorinstanzen (ohne Weiteres) verbindlich gewesen wäre. Weiter tut sie auch nicht hinreichend dar, welche Kriterien die Vorinstanz zusätzlich hätte berücksichtigen müssen, wenn sie pauschal ausführt, die Vorinstanz habe statt die in Lehre und Rechtsprechung aufgestellten Kriterien in einer Gesamtschau zu prüfen, auf die Kriterien der „arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit“ und des „Unternehmerrisikos“ abgestellt. Der Vorinstanz ist insgesamt keine Verletzung von Bundesrecht vorzuwerfen, wenn sie nicht der Einschätzung der SVA gefolgt ist.

 

Zur Qualifikation der Verträge siehe auch:

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

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