Vertragliche Vereinbarungen sind aufgrund des Vertrauensprinzips so auszule­gen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Um­ständen, die ihnen vorausgegangen und unter denen sie abgegeben worden sind, verstanden werden durften und mussten (objektive oder normative Auslegung).

Dabei ist vom Wortlaut der Erklärungen auszugehen, welche jedoch nicht isoliert, sondern aus ihrem konkreten Sinngefüge heraus zu beurteilen sind. Zu berücksichtigen ist insbesondere der vom Erklä­renden verfolgte Regelungszweck, wie ihn der Erklärungsempfänger in guten Treu verstehen durfte und musste (BGE 140 III 391 E. 2.3; 138 III 659 E. 4.2.1; 132 III 24 E. 4; Urteil des Bundesgerichts 4A_574/2013 vom 15. Mai 2014 E. 3.1).

Die sog. Unklarheitenregel gelangt dann zur Anwendung, wenn die übrigen Auslegungsmittel versagen. Danach sind mehrdeutige Klauseln gegen den Verfasser bzw. gegen jene Partei auszulegen, die als branchenkundiger als die andere zu betrachten ist und die Verwendung der (vorformulierten) Bestimmungen veranlasst hat (Urteil des Bundesgerichts, 4A-327/2015, E. 2.2.1, m.w.H.).

Es ist festzuhalten, dass die Formulierung des Arbeitsvertragstextes notorischerweise dem Arbeitgeber obliegt (so etwa das Arbeitsgericht Zürich).

 

BGer 4A_603/2018 vom 28. Juni 2019

Im Urteil BGer 4A_603/2018 vom 28. Juni 2019 war die Auslegung der Vertragsbestimmungen im Zusammenhang mit einem Bonusplan mehrfach streitig.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde (zitiert gemäss BGer):

Die A.________ Holding informierte den Arbeitnehmer Ende Januar/Anfangs Februar 2011 mit „Performance Share Unit Grant Notice“ (Grant Notice), sie gewähre ihm basierend auf der IPO-Regulation 300 „Performance Share Units“ („PSU“). Je ein Drittel dieser PSU sollte an drei auf den Börsengang bezogenen „Vesting Dates“ in Aktien nach einem „Vesting Multiple“ umgerechnet und ausbezahlt werden. Bei einem „Vesting Multiple“ von 1 entsprach ein PSU einer Aktie, infolge eines Aktiensplittings danach bei diesem „Vesting Multiple“ 100 Aktien. Dem Arbeitnehmer wurden am 20. März 2012 18’400 Aktien und am 20. März 2013 20’000 Aktien der A.________ Holding übertragen. Die letzte Tranche wurde ihm nicht bezahlt.

 

Freiwilligkeit der Ausrichtung der Aktien

Der A. Holding machte geltend, die Ausrichtung der Aktien sei freiwillig, das sei so in der „Grant Notice“ festgehalten worden“. Das Bundesgericht vereinte dies wie folgt:

Die Vorinstanz hat zunächst Art. 6 Abs. 3 der IPO-Regulation ausdrücklich in Verbindung mit der Grant Notice dargestellt, in der erwähnt wird, dass der Teilnehmer den Bedingungen des Plans vorbehaltlos zustimmt. Sie hat denn auch die Bestimmungen der IPO-Regulation ausgelegt, um die Tragweite des umstrittenen Freiwilligkeitsvorbehalts zu ermitteln. Die Kritik der Beschwerdeführerin, dass sich die Vorinstanz nicht damit auseinander gesetzt habe, dass die IPO-Regulation mit der Unterzeichnung der Grant Notice unmittelbar zur Anwendung gelangte, ist nicht nachvollziehbar. Die Vorinstanz hat den Vorbehalt der Freiwilligkeit sowohl in der Grant Notice selbst wie in den Bestimmungen der IPO-Regulation entgegen dem Standpunkt der Beschwerdeführerin nicht auf die in der Grant Notice individuell zugesicherten 300 PSU – auszahlbar in drei Tranchen – bezogen, sondern auf künftige PSU. Damit hat sie entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin den Vertrauensgrundsatz nicht verletzt. Vielmehr ergibt sich aus der Formulierung der in der Beschwerde zitierten Passagen, dass sich der Vorbehalt auf den Plan selbst und nicht auf die einzelnen zugeteilten Tranchen bezieht. So wird in Art. 6 Abs. 3 IPO-Regulation bestimmt, dass weder die Erstellung des Plans noch dessen Erfüllung durch Zuteilung von Shares oder Bezahlung von Boni oder ein sonstiges Verhalten einen Anspruch auf weitere PSU verschaffe. In der Grant Notice sodann wird festgehalten, dass die Teilnahme am Plan keine weiteren Ansprüche begründe. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin sind in Art. 9 IPO-Regulation die Vesting Dates und die Faktoren für die Umrechnung der PSU in Aktien eindeutig definiert. Die Behauptung, es handle sich um eine „Kann-Vorschrift“, weil „the board shall“ nicht mit „der Verwaltungsrat wird“, sondern „der Verwaltungsrat kann“ zu übersetzen sei, ist unzutreffend. Dass in Art. 8 Abs. 7 IPO-Regulation die definitive Umrechnung der zugeteilten PSU in Aktien verbindlich durch den Verwaltungsrat oder eine von ihm bezeichnete Einheit erfolgt und dann die Aktien verbindlich an den Teilnehmer zugeteilt werden, stützt die von der Beschwerdeführerin vertretene Interpretation nicht. Die Vorinstanz hat den Vertrauensgrundsatz nicht verletzt, wenn sie die Zuteilung der PSU in der Grant Notice als verbindlich und die Übertragung der entsprechenden Aktien nach festgelegten Umrechnungsfaktoren an drei definierten Daten nur als Auszahlungsmodalitäten qualifizierte. Der ausdrückliche Vorbehalt, dass damit kein Anspruch des Teilnehmers auf künftige PSU geschaffen werde, bezieht sich auf allfällige spätere entsprechende „Pläne“, deren Natur als Gratifikation im Sinne von Art. 322d OR die Beschwerdeführerin zu Recht nicht in Frage stellt (Erw. 2.2.2).

 

Keine Ausrichtung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Die A.________ Holding stellte sich sodann auf den Standpunkt, die 3. Tranche sei nicht geschuldet, da das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt beendet gewesen sei. Tatsächlich war der Arbeitnehmer zunächst mit unbefristetem Vertrag vom 20. April 2010 auf den 1. Mai 2010. Mit Arbeitsvertrag vom 12. Dezember 2011 wurde das Arbeitsverhältnis mit Rückwirkung auf den 1. Januar 2011 bis und mit 31. Dezember 2013 befristet. Nachher fand keine Verlängerung mehr statt.

Die anwendbaren Regeln (Art. 17 IPO Regulation) sahen vor, dass nach einer Kündigung durch den Arbeitnehmer oder durch den Arbeitgeber keine PSU mehr in Aktien umgerechnet und auf den Teilnehmer übertragen werden sollen. In Absatz 2 der gleichen Regelung wurde demgegenüber bestimmt, dass im Falle von Pensionierung, Invalidität, Tod oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Teilnehmer aus berechtigten Gründen die Umrechnung in Aktien und die Übertragung der Aktien auf den Teilnehmer in Abweichung von Art. 9 IPO-Regulation erfolgt. Tritt eines der in Absatz 2 definierten Ereignisse in der Zeitspanne zwischen einem Jahr und zwei Jahren nach dem Börsengang ein, so soll die dritte Tranche mit Eintritt des Ereignisses fällig werden, und zwar nach Absatz 3 zu einem Umrechnungsfaktor von 1.

Das Bundesgericht stützte die Auslegung der Vorinstanz (Zitat: „die Auslegung der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden“), welche das Folgende festhielt:

Die Vorinstanz hat erwogen, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Befristung sei in Art. 17 IPO-Regulation nicht geregelt. Sie fand keine Anhaltspunkte für die von der Beklagten befürwortete Interpretation, wonach Absatz 1 die Grundregel für jede Beendigung des Arbeitsvertrags und Absatz 2 die Ausnahmen seien. Es wäre der Beschwerdeführerin vielmehr freigestanden, den Anspruch des Beschwerdegegners auf Übertragung von Aktien davon abhängig zu machen, dass der Arbeitsvertrag im Zeitpunkt des Vestings noch bestehe. Der Beschwerdegegner habe aus dem Zweck des Planes nicht schliessen müssen, dass sein Anspruch auf die dritte Tranche wegen Befristung seines Vertrags entfalle. Zwar sei in Art. 2 IPO-Regulation von einem Beitrag der Teilnehmer an die langfristige Entwicklung die Rede, wobei aber nach Art. 9 Abs. 4 IPO-Regulation die dritte Aktientranche schon zwei Jahre nach dem erfolgreichen Börsengang fällig werde, woraus die Parteien denn auch unterschiedliche Schlüsse zögen. Der geschäftliche Erfolg des Kalenderjahres 2013 sei zudem für die Berechnung des am 20. März 2014 fällig werdenden Anspruchs auf die dritte Tranche Aktien massgebend gewesen, weshalb der Beschwerdegegner motiviert gewesen sei, gute Leistungen zu erbringen. Dass Art. 17 Abs. 1 IPO-Regulation jegliche Beendigung des Arbeitsvertrages umfassen solle, widerspreche dem klaren Wortlaut der Bestimmung und die Befristung des Arbeitsvertrages bis Ende 2013 sei primär im Interesse der Beklagten gelegen, da damit der Abgang von Schlüsselpersonen nach dem Börsengang vermieden werden sollte.

Schliesslich stellte das Gericht fest, es seien keine Branchenusanzen für den Fall bekannt, dass ein Bonus im Hinblick auf einen Börsengang vereinbart werde, wobei der Bonus auf drei Jahre befristet und der Berechtigte überdies auf drei Jahre fest angestellt sei (Erw. 2.3.2).

 

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Autor: Nicolas Facincani