Auch im Rahmen des Personalverleihs gilt, dass Arbeitnehmer bei Krankheit den Lohn weiter erhalten sollen. So wird im GAV Personalverleih die Lohnfortzahlungspflicht (welche sich auch bereits aus dem OR ergibt), explizit geregelt:

Erkrankt ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin während eines Einsatzes, so hat er oder sie Anspruch auf Lohnausfallentschädigung. Alle Arbeitnehmenden, die keine AHV Rente beziehen, sind obligatorisch für ein Krankentaggeld bei einer anerkannten Krankenkasse oder einer schweizerischen Versicherungsgesellschaft versichert. Die Bedingungen und Leistungen sind in Art. 29 dieses Vertrages geregelt. Die Leistungen dieser Versicherungen gelten als Lohnfortzahlung im Sinne von Art. 324a OR. AHV-berechtigte Arbeitnehmer werden gemäss Art. 324a OR entschädigt. Der Versicherungsschutz beginnt am Tag des vertraglich vereinbarten Arbeitsantritts.

Art. 29 des GAV Personalverleih verpflichtet die Personalverleiher für ihre Arbeitnehmer eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen:

Der Betrieb ist verpflichtet, die dem GAV Personalverleih unterstellten Arbeitnehmenden kollektiv für ein Taggeld von 80% des wegen Krankheit ausfallenden, der normalen vertraglichen Arbeitszeit entsprechenden zuletzt bezahlten Lohnes zu versichern. Mit den Taggeldleistungen des Kollektivversicherers und mit der hälftigen Prämienbeteiligung des Arbeitgebers ist die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach Art. 324a und 324b OR vollumfänglich abgegolten.

Die vorgenannten Regeln gelten, wenn für einen Arbeitnehmer der GAV Personalverleih anwendbar ist. Der GAV Personalverleih gilt grundsätzlich für Betriebe die (i) Inhaber einer Arbeitsverleihbewilligung nach Arbeitsvermittlungsgesetz (AVG) sind und (ii) deren Hauptaktivität der Personalverleih ist. Siehe hierzu dem Beitrag zum GAV Personalverleih.

 

BGer 4A_237/2020 vom 25. Juni 2020

In BGer 4A_237/2020 vom 25. Juni 2020 hatte sich das Bundesgericht mit einem Fall des zeitlichem Umfangs der Versicherungsdeckung auseinanderzusetzen.

Es stellte sich die Frage, ob der Versicherungsschutz ab Abschluss des Rahmenvertrages (zwischen Personalverleiher und dem Arbeitnehmer) oder nur während der Zeit besteht, während welcher der Arbeitnehmer tatsächlich einem Dritten vermittelt ist.

Zu beurteilen war die Leistungspflicht aus einer Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung. Derartige Zusatzversicherungen unterstehen gemäss den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (aArt. 12 Abs. 2 und 3 KVG [AS 1995 1331]; seit 1. Januar 2016: Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 26. September 2014 betreffend die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung; Krankenversicherungsaufsichtsgesetz [KVAG; SR 832.12]) dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG; SR 221.229.1). Streitigkeiten aus solchen Versicherungen sind privatrechtlicher Natur, weshalb als Rechtsmittel an das Bundesgericht die Beschwerde in Zivilsachen gemäss Art. 72 ff. BGG in Betracht kommt.

 

Versicherungsbestimmungen

Vorliegend massgebend waren die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Versicherung zur Krankentaggeldversicherung in der Ausgabe vom Juli 2010 (AVB).

Gemäss Art. B1 Abs. 1 AVB erbringt die Beschwerdegegnerin die in der Police aufgeführten Leistungen für die wirtschaftlichen Folgen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Unfälle sind nicht versichert (Art. B1 Abs. 2 Spiegelstrich 2 AVB). Versichert sind die in der Police aufgeführten Arbeitnehmer im Sinne des AHVG (Art. B3 Abs. 1 Satz 1 AVB). Laut vorliegend massgebender Police umfasst der Kreis der versicherten Personen das gesamte vermittelte und eigene Personal des Personalverleihers. Der Versicherungsschutz beginnt für den einzelnen Arbeitnehmer am Tag, an dem er in den versicherten Betrieb eintritt, frühestens jedoch an dem in der Police aufgeführten Versicherungsvertragsbeginn (Art. B4 Abs. 1 AVB). Der Versicherungsschutz erlischt für den einzelnen Versicherten mit seinem Ausscheiden aus dem Kreis der versicherten Personen (Art. B4 Abs. 2 Spiegelstrich 2 AVB). Ist der Versicherte nach ärztlicher Feststellung arbeitsunfähig, bezahlt die Beschwerdegegnerin das Taggeld nach Ablauf der vereinbarten Wartefrist längstens während der in der Police aufgeführten Leistungsdauer (Art. B8 Abs. 1 AVB). Nach Erlöschen des Versicherungsschutzes bezahlt die Beschwerdegegnerin das Taggeld für Rückfälle und laufende Krankheiten, die während der Versicherungsdauer eingetreten sind, noch bis zum Ablauf der vereinbarten Leistungsdauer, längstens jedoch bis zum Beginn einer Rente gemäss BVG oder entsprechender ausländischer Versicherungseinrichtungen (Art. B8 Abs. 7 AVB).

 

Auslegung der AGB

Das Bundesgericht machte zuerst allgemeine Ausführungen zur Auslegung der AGB:

Die Klauseln allgemeiner Geschäftsbedingungen sind, wenn sie in Verträge übernommen werden, grundsätzlich nach denselben Prinzipien auszulegen wie andere vertragliche Bestimmungen (BGE 142 III 671 E. 3.3 S. 675; 135 III 1 E. 2 S. 6; je mit Hinweisen). Entscheidend ist demnach in erster Linie der übereinstimmende wirkliche Wille der Vertragsparteien und in zweiter Linie, falls ein solcher – wie hier – nicht festgestellt werden kann, die Auslegung der Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips (BGE 142 III 671 E. 3.3 S. 675; 140 III 391 E. 2.3 S. 398; je mit Hinweisen). Dabei ist vom Wortlaut der Erklärungen auszugehen, welche jedoch nicht isoliert, sondern aus ihrem konkreten Sinngefüge heraus zu beurteilen sind (BGE 140 III 391 E. 2.3 S. 398; 138 III 659 E. 4.2.1 S. 666; 123 III 165 E. 3a S. 168). Demnach ist der vom Erklärenden verfolgte Regelungszweck massgebend, wie ihn der Erklärungsempfänger in guten Treuen verstehen durfte und musste (BGE 140 III 391 E. 2.3 S. 398; 138 III 659 E. 4.2.1 S. 666; 132 III 24 E. 4 S. 28). Das Bundesgericht überprüft diese objektivierte Auslegung von Willenserklärungen als Rechtsfrage, wobei es an Feststellungen des kantonalen Gerichts über die äusseren Umstände sowie das Wissen und Wollen der Beteiligten grundsätzlich gebunden ist (Art. 105 Abs. 1 BGG; vgl. E. 2.2 hiervor). 

 

Vermitteltes Personal

Der Arbeitnehmer stellte sich auf den Standpunkt, gemäss Police sei der Personalvermittler Versicherungsnehmerin. Versicherte Personen seien das gesamte vermittelte Personal. Gemäss Art. B4 Abs. 1 AVB beginne der Versicherungsschutz für den einzelnen Arbeitnehmer am Tag, an dem er in den versicherten Betrieb eintritt. Versicherter Betrieb sei der Personalvermittler. Folglich sei der Beschwerdeführer mit dem Abschluss des Rahmenarbeitsvertrags beim Personalvermittler eingetreten und damit krankentaggeldversichert.

Die Vorinstanz erwog, für das vermittelte Personal beginne der Versicherungsschutz mit dem Antritt eines vermittelten Arbeitseinsatzes und erlösche mit dessen Beendigung. Daraus schloss sie, eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin bestehe nur, wenn der Beschwerdeführer in einem vermittelten Arbeitseinsatz stand, als das versicherte Ereignis eintrat.

Das Bundegericht schützte die Auslegung der Vorinstanz:

Diese Auslegung ist bundesrechtskonform. Die Police erfasst einerseits das gesamte eigene Personal und anderseits das gesamte vermittelte Personal des Personalvermittlers. Für das vermittelte Personal bedeutet dies, dass nicht schon der Rahmenarbeitsvertrag mit dem Personalvermittler einen Versicherungsschutz begründet, sondern erst der Vertrag mit einem Einsatzbetrieb. Denn von vermitteltem Personal kann erst gesprochen werden, wenn es vermittelt ist. Sonst würde es wenig Sinn machen, in der Police zwei Kategorien zu bilden und zwischen eigenem und vermitteltem Personal überhaupt zu unterscheiden.  

 

Weitere Beiträge zum Personalverleih:

 

Autor: Nicolas Facincani