Wenn das eigene Kind erkrankt und beide Elternteile erwerbstätig sind, kann dies schnell zu Betreuungsengpässen führen. Grundsätzlich steht den Eltern eine Arbeitsbefreiung von 3 Tagen zu, wobei die Lohnfortzahlung (bzw. die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers) gewährt bleibt. Wie verhält es sich aber, wenn die Kinder «vermeintlich krank gesehen werden», namentlich dann, wenn die Lehrpersonen Kinder nach Hause schicken, weil sie husten oder verschnupft sind?

 

Kinderbetreuung

Die Kinderbetreuung stellt eine Familienpflicht dar, welche Bestandteil der elterlichen Sorge ist. Die Ausgestaltung der Betreuung, sei dies in finanzieller oder organisatorischer (bspw. bei geschiedenen Eltern) Hinsicht, wird dem betreuenden Elternteil überlassen. Es bedarf folglich einer Integration der Kinderbetreuung in den eigenen Lebensalltag. Da diese einen hohen Individualisierungsgrad aufweist, ist auf den Einzelfall abzustellen, weshalb hierzu keine weiteren familienrechtlichen Ausführungen gemacht werden sollen.

Öffentlich-rechtlich gewährt jedoch das Arbeitsgesetz Arbeitnehmern mit Familienpflichten zur Betreuung kranker Kinder einen Anspruch auf Freizeit bis zu drei Tagen, sofern ein Arztzeugnis vorgelegt wird (Art. 36 Abs. 3 ArG), was gestützt auf Art. 328 OR für alle Arbeitnehmer gelten soll.

 

Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR

Die Lohnfortzahlung ist als Ausnahme vom Grundsatz «ohne Arbeit kein Lohn» zu sehen, da unter gewissen Voraussetzungen ein Lohnanspruch besteht, obwohl die Arbeitsleistung fehlt. Hierfür müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein (Ausführungen zu den Voraussetzungen finden sich im Beitrag: Lohnzahlung bei Krankheit):

  • Dauer des Arbeitsverhältnisses (mehr als drei Monate)
  • Subjektive Gründe
  • Fehlendes Verschulden

Auch im Falle der Kinderbetreuung müssen die genannten Bedingungen erfüllt sein, damit ein Lohnanspruch abgeleitet werden kann. Grundsätzlich kann aber, sofern das Arbeitsverhältnis unbefristet ist oder mehr als drei Monate andauert, davon ausgegangen werden, dass die Kinderbetreuung unter subjektiven Gründen und ohne Verschulden stattfindet. Die Erkrankung des Kindes ist nicht als direkter persönlicher Grund zu qualifizieren, da der Elternteil ja (noch) nicht selber krank ist. Die Kinderbetreuung gehört aber zur Wahrnehmung einer gesetzlichen Pflicht, zumindest bis das Kind 15 Jahre alt ist, weshalb dies dennoch als persönlicher Grund zu verstehen ist. Vom fehlenden Verschulden ist ferner auch deshalb auszugehen, da Erkrankungen in der Regel unverschuldet sind, erst recht bei Kindern. Infolgedessen fällt die Kinderbetreuung, als Wahrnehmung einer gesetzlichen Pflicht (Art. 276 ZGB) unter die Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324a OR.

Obwohl das Arbeitsgesetz nur einen bezahlten Lohnanspruch von 3 Tagen (Art. 36 Abs. 3 ArG) vorsieht kann der Lohnanspruch über diese Tage hinaus dauern, sofern das Kind weiter betreut werden muss und keine Fremdbetreuung möglich ist.  So bestätigte das Obergericht Bern etwa die Lohnfortzahlung während dreier Monate im Zusammenhang mit einer Mutter, die ihr schwerkrankes, fünf Monate altes Kind intensiv pflegen musste. Eine Fremdplatzierung bzw. -betreuung erachtete das Obergericht unter den konkreten Umständen für nicht angebracht

Es gibt auch Meinungen, dass die 3 Tage Arbeitsbefreiung (Art. 36 Abs. 3 ArG) und eine damit verbunden Lohnfortzahlung nicht gelte, wenn die Erkrankung in den Ferien oder während des Mutterschaftsurlaubs eintrete. Diese Auffassung ist abzulehnen (so AppG BS in BJM 2009 S. 103).

 

Inwiefern ist der Lohn geschuldet, wenn die Eltern ihre Kinder betreuen müssen, weil die Lehrperson das Kind aufgrund von Krankheitssymptomen nicht im Unterricht haben möchte?

Die Betreuung insbesondere der eigenen Kinder ist zwar eine gesetzliche Pflicht, rechtfertigt jedoch nicht immer eine Arbeitsbefreiung, weshalb auf den Einzelfall abzustellen ist, wie nachfolgend gezeigt wird:

Als eine Kinderkrippe wegen des grassierenden Schweinegrippevirus geschlossen blieb und die Mutter deswegen selber die Kinderbetreuung übernehmen und der Arbeit fernbleiben musste, lag für das Arbeitsgericht Zürich eine seuchenähnliche Situation und kein Fall von persönlicher Arbeitsverhinderung vor, da das eigene Kind gesund war (JAR 2011, 628). Sie hatte keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung (Beitrag Coronavirus Schule geschlossen – Lohnanspruch des Arbeitnehmers).

Indessen wichtig ist die Differenzierung nach der Krankheitsursache und nach den getroffenen behördlichen Massnahmen. So ist die Pflege erkrankter Kinder durch die Eltern unter 324a Abs. 1 OR zu subsumieren (siehe hiervor sowie auch das Urteil des Arbeitsgerichts Zürich im Beitrag Coronavirus Schule geschlossen – Lohnanspruch des Arbeitnehmers).

Werden Kinder wegen Schnupfen nun von der Schule nachhause geschickt, so sind sie (evtl. noch) nicht krank. Es stellt sich die Frage, ob auch in diesem Fall der Lohn weiter geschuldet ist, sofern ein Arbeitnehmer wegen der Kinderbetreuung zu Hause bleiben muss (und auch kein gleichzeitiges Homeoffice möglich ist).

Die zu beantwortende Frage ist folglich, was in der Phase geschieht zwischen Nachhause schicken und potentiellem Erkranken, denn es ist nicht sicher, dass das Kind auch tatsächlich erkrankt. Juristisch gesehen sind nach wie vor die oben genannten Voraussetzungen massgebend. Hier stehen vor allem die subjektiven Gründe im Zentrum. Diese müssen nämlich den Arbeitnehmer direkt treffen. Wenn folglich die Lehrperson ein Kind aus der Klasse nachhause schickt, so kann sich dies durchaus als subjektive Betroffenheit im Einzelfall, aufgrund der Wahrnehmung der Kinderbetreuung des einzelnen Kindes, verstehen. Somit wäre die Lohnfortzahlung gegeben. Werden ganze Klassen nachhause geschickt, so befinden wir uns schnell in der objektiven Unmöglichkeit und – folgt man der aktuellen Rechtsprechung (AGer ZH) – der Arbeitnehmer hat das Lohnrisiko zu tragen. Dies wäre ein sogenannter überpersönlicher Grund, da zwar einzelne Eltern direkt betroffen wären aber der Personenkreis weit ausfällt (zur Abgrenzung siehe auch etwa den Beitrag betreffend die Naturkatastrophen).

Wird folglich ein Kind nur wegen Schnupfen nachhause geschickt, so ist während den ersten 2-3 Tagen zu eruieren, ob sich eine Krankheit auszeichnet oder nicht. Nach der hier vertetenen Auffassung dürfte in dieser Zeit die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gegeben sein. Die 3-Tage Regel (des Arbeitsgesetzes; Art. 36 Abs. 3 ArG) dürfte somit auch beim verschnupften Kind zur Anwendung gelangen, sofern es nicht zurück in die Schule gelassen wird und keine Drittbetreuung sichergestellt werden kann, auch wenn es nicht krank wird.

Der Lohnanspruch kann (nach der hier vertretenen Auffassung auch über diese Tage hinaus dauern, sofern das Kind weiter betreut werden muss und keine Fremdbetreuung möglich ist. Im Gegensatz zu kranken Kindern dürfte dies aber eher selten sei, da eine Drittbetreuung eher möglich sein sollte, wobei aber auf den Einzelfall abzustellen ist.

 

Weitere relevante Beiträge zur Lohnfortzahlungspflicht (Auswahl):

 

Autoren: Nicolas Facincani / Matteo Ritzinger