Die Schulen in der Schweiz sind geschlossen. Die Kinder müssen zu Hause bleiben – für gewisse Fälle sind die Kantone verpflichtet, eine Fremdbetreuung bereitzustellen. In vielen Fällen müssen Eltern aber für die Kinderbetreuung zu Hause bleiben. Ist in diesem Fall der Lohn weiterhin geschuldet?

 

Grundsatz „ohne Arbeit, kein Lohn

In der Schweiz gilt der Grundsatz: „ohne Arbeit, kein Lohn„. Es gibt aber Fälle, in denen der Lohn trotzdem geschuldet wird. So ist der Lohn für eine beschränkte Zeit geschuldet, wenn eine Person ohne Verschulden von der Arbeit fernbleibt und die Verhinderung in den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers liegt.

Eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitnehmers ist bei Hinderungsgründen geben, die in der Person des Arbeitnehmers liegen oder seine Person individuell treffen (sog. subjektive Leistungshindernisse). Beispielhaft verweist Art. 324a Abs. 1 OR auf die Szenarien, in denen der Arbeitnehmer erkrankt ist, einen Unfall erlitten, eine gesetzliche Pflicht (wie etwa Militär- oder Zivildienst) zu erfüllen oder ein öffentliches Amt (wie etwa der Dienst bei der Pflichtfeuerwehr oder die Ausübung eines parlamentarischen Mandats) auszuüben hat. All diese Umstände nehmen den Arbeitnehmer individuell in Anspruch und wirken sich unmittelbar hindernd auf seine Arbeitskraft aus. Weitere Umstände, die den Arbeitnehmer persönlich in Anspruch nehmen, sind etwa ein Arztbesuch, ein Umzug, eine Heirat oder die temporäre Pflege eines erkrankten Angehörigen.

Andernfalls ist besteht keine Lohnzahlungspflicht ausser der Arbeitgeber habe die Unmöglichkeit verschuldet oder fällt sie in seinen Risikobereich. In diesem Fall liegt ein Fall von Art. 324 OR vor. Zur Abgrenzung siehe auch etwa den Beitrag betreffend Naturkatastrophen.

 

Schulschliessung – die Eltern erscheinen nicht zur Arbeit

Ob der Lohn geschuldet ist, wenn alle Schulen durch die Behörden geschlossen werden, ist nicht restlos geklärt. Einen Entscheid des Bundesgerichts gibt es nicht.

Auf der einen Seite wird argumentiert, es liege ein Fall von Art. 324a OR vor. Denn die Eltern sind individuell aufgrund des Zivilrechts verpflichtet, in jedem Fall für ihr Kind da zu sein und für dieses zu sorgen – Coronavirus hin oder her. Der Lohn wäre aber für eine beschränkte Zeit geschuldet, sofern die Eltern wirklich nicht zu Arbeit erscheinen können. Diese Argumentation stützt sich auch auf Art. 36 Abs. 3 ArG: Der Arbeitgeber hat Arbeitnehmern mit Familienpflichten gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses die zur Betreuung kranker Kinder erforderliche Zeit im Umfang bis zu drei Tagen freizugeben. Während dieser Zeit ist der Lohn nach Art. 324a OR geschuldet. Auch für eine längere Zeit ist der Lon geschuldet, wenn die Drittbetreuung nicht sichergestellt werden kann. Das SECO stütz diese Ansicht, betont aber, dass Arbeitnehmer in jedem Fall versuchen müssen, eine Drittbetreuung sicherzustellen.

Auf der anderen Seite wird argumentiert, es läge hier eben gerade eben gerade keine Krankheit vor. Sodann sei ein Arbeitgeber mit einem Kind nicht individuell betroffen, da es eine kollektive Massnahme sei, die alle betreffe. Aus diesem Grund sei Art. 324a OR nicht anwendbar. Es gelte das Prinzip, «ohne Arbeit kein Lohn». Es liege eine objektives Leistungshindernis vor.

Eine vermittelnde Lösung würde die Lohnzahlungspflicht in Analogie zu Art. 36 Abs. 3 ArG für drei Tage bejahen, aber nicht für länger.

Ein höchstrichterliches Urteil liegt – wie bereits erwähnt – nicht vor. Soweit ersichtlich gibt es einen einzigen Entscheid des Arbeitsgerichts Zürich aus dem Jahr 2010, der sich mit dieser Rechtsfrage befasst. Die Lohnzahlungspflicht wurde vereint. Aufgrund der Tatsache, dass nur der Lohn für 2 Tage eingeklagt war, dürfte es sich um einen Entscheid eines Einzelrichters und nicht eines Kollegialgerichts handeln.

 

Entscheid des Arbeitsgerichts Zürich

Der Entscheid soll nachfolgend, so wie er in der Entscheidsammlung des Jahres 2010 (Entscheid Nr. 7) veröffentlich wurde, wörtlich wiedergegeben werden:

7. OR 324a; Lohnfortzahlung für Kinderbetreuung?

Zu prüfen war, ob ein Lohnanspruch für eine Absenz zwecks Betreuung des Kindes besteht, nachdem die Kinderkrippe wegen des Schweinegrippevirus vorübergehend ge­schlossen worden war.

Aus den Erwägungen:

«Wird die Arbeitnehmerin aus Gründen, die in ihrer Person liegen ohne ihr Verschul­den an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihr der Arbeitgeber für eine beschränk­te Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten (Art. 324a OR). Eine Voraus­setzung der Lohnfortzahlung ist mithin, ob die Verhinderung in den persönlichen Verhältnissen der Arbeitnehmerin liegt oder auf objektive Ursachen zurückzuführen ist.

Klargestellt haben Lehre und Praxis, dass auch die Pflege erkrankter Ange­höriger, insbesondere die Pflege des erkrankten Kindes durch die Mutter unter Art. 324a Abs. 1 zu subsumieren ist (Streiff/von Kaenel, a.a.O., N 20 zu Art. 324a/b OR mit weiteren Hinweisen). Darum geht es vorliegendenfalls allerdings nicht, nachdem eine Krankheit des Kindes nicht erwiesen ist. Vielmehr sah sich die Klägerin ausser Stande ihrer Arbeit nachzugehen, weil die Kinderkrippe zufolge mit dem Schweinegrippevirus infizierter Kinder und des Risikos weiterer Ansteckungen geschlossen worden ist. Die Gründe für die Arbeitsverhinderung liegen damit nicht in den per­sönlichen Verhältnissen der Klägerin, sondern es handelt sich um ein objektives (all­gemeines) Leistungshindernis (Schliessung der Kinderkrippe zur Verhinderung einer Ausbreitung des Virus, letztlich vergleichbar mit Seuchengefahr: Streiff/von Kaenel, a.a.O., N 6 zu Art. 324a/b OR), das dazu geführt hat, dass die Klägerin den Sohn zu betreuen hatte und nicht zur Arbeit gehen konnte. Von der Schliessung der Kinderkrippe war nicht nur die Klägerin betroffen, sondern gleichermassen alle be­rufstätigen Eltern, deren Kinder in der fraglichen Krippe betreut worden sind. Alle diese Eltern sahen sich grundsätzlich vor die nämlichen Schwierigkeiten wie die Klägerin gestellt.

Für die beiden Fehltage besteht damit keine Lohnzahlungspflicht des Be­klagten.»

(AGer, AN090655 vom 16. August 2010)

Der Coronavirus lässt viele Konstellationen zu, wo fraglich ist, ob der Lohn geschuldet ist. Siehe hierzu etwa den Beitrag betreffend Coronavirus und Lohnzahlungspflicht sowie den Beitrag betreffend die besonders gefährdete Personen. Neu haben hütende Eltern Anspruch auf Taggeld (ab dem 4. Tag), sofern sie die Kinder hüten und daher die Arbeit unterbrechen müssen (siehe den Beitrag betreffend Taggeld für hütende Eltern).

 

Beachten Sie auch die bisherigen, im Zusammenhang mit COVID-19 erschienen Beiträge (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani