Überstunden bilden regelmässig Gegenstand arbeitsrechtlicher Streitigkeiten. Auch im Arbeitsrecht gilt grundsätzlich Art. 8 ZGB. Dieser lautet wie folgt: «Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.»

Gemäss dieser Regel muss also der Arbeitnehmer, welcher Ansprüche aus Überstunden geltend machen will, die Überstunden beweisen. Ihm obliegt also der Nachweis von Überstunden. Oft sind die einzigen Beweismittel zum Nachweis der Anzahl Überstunden die Behauptungen des Arbeitnehmers, wie etwa seine eigenen Aufzeichnungen.

Soweit ein Beweis der Überstunden nicht möglich ist, kann das Gericht die Anzahl der Überstunden nach Art. 42 OR schätzen (Art. 42 OR stammt aus dem Haftpflichtrecht lautet wie folgt:  Der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden ist nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen). Auch im Entscheid BGer 4A_482/2017 vom 17. Juli 2018 des Bundesgerichts hielt dieses fest: Der Arbeitnehmer muss aber für die Schätzung alles Mögliche vorlegen, um das Vorliegen von Überstunden zu belegen.

 

Entscheid des Arbeitsgerichts Zürich 2012, Nr. 2

Dass der Beweis für geleistete Überstunden bisweilen schwierig sein kann, soll anhand des Entscheids des Arbeitsgerichts Zürich 2012, Nr. 2 aufgezeigt werden.

Die Klägerin (Arbeitnehmerin) machte geltend, sie habe in den Monaten Dezember 2010 bis Februar 2011 ab der zweiten Dezemberwoche wöchentlich 16,5 Überstunden geleistet. Die Klägerin arbeitete in einer Bar. Die Beklagte bestritt das und hielt entgegen, die Klägerin habe 47 Minusstunden gehabt, welche ihr freiwillig bezahlt worden seien. Die Klägerin hatte einerseits die Lohnabrechnungen, andererseits auch die von der Beklagten geführten monatlichen Zeiterfassungstabellen gemäss L-GAV unterzeichnete.

Gemäss Arbeitsgericht konnte der Beweis der geleisteten Überstunden nicht erbracht werden:

  • Aus der vom klägerischen Rechtsvertreter mit Blick auf den Zeitraum 1. Dezember 2010 bis 17. Januar 2011 angesprochenen Auffälligkeit, dass immer exakt neun Arbeitsstunden verbucht wurden, obwohl die Schliessungszeit der Bar offenbar variierte, lasse sich – selbst wenn man die Zeiterfassung als nicht korrekt unterstellen würde – nicht ohne Weiteres die Leistung von Überstunden ableiten, da die Klägerin doch gemäss den unterschiedlichen Tagesarbeitszeiten der Folgewochen regelmässig auch weniger als neun Stunden pro Tag gearbeitet habe.
  • Es dürfe schliesslich nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin jeweils nicht bloss die Lohnabrechnungen, sondern auch die von der Beklagten geführten monatlichen Zeiterfassungstabellen gemäss L-GAV unterzeichnete. Auch wenn diese immerhin hinsichtlich der einzelnen Arbeitstage bzw. Ruhe-/Freitage mit der Arbeitszeitübersicht der Beklagten übereinstimmten, würden sie betreffend die täglichen Arbeitszeiten (Dauer) zwar in weiten Teilen von der Arbeitszeitübersicht abweichen. Ein positiver Überstundensaldo zugunsten der Klägerin resultiere jedoch auch aus dieser Berechnungsgrundlage nicht.
  • Die Klägerin begnüge sich mit einer an einem einzigen Tag und mehrere Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus dem Gedächtnis erstellten Auflistung der geltend gemachten Überstunden über einen Zeitraum von beinahe drei Monaten, deren Beweiswert sich als unzureichend herausstellte. Auch die Aussagen der angerufenen Zeugen vermochten die klägerische Sachdarstellung nicht zu erhärten. Die von der Beklagten stammenden Unterlagen schliesslich würden zwar bisweilen so stark voneinander abweichen, dass ihr Beweiswert ebenso in Frage stehe. Dies allein zwinge aber keineswegs zum Schluss, dass die Klägerin Überstunden geleistet habe.

Das Gericht war der Ansicht, dass nicht habe dargelegt werden, dass Überstunden geleistet worden seien. Aus diesem Grund bleibe auch für die Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 2 OR kein Raum:

 

Keine Anwendung von Art. 42 Abs. 2 OR

Nachdem es der Klägerin bereits mit den von ihr bezeichneten Beweismitteln nicht gelungen ist, den Nachweis der Leistung von Überstunden zu erbringen, lässt sich dies auch nicht aus den von der Beklagten eingereichten Unterlagen folgern. Art. 42 Abs. 2 OR ist indes grundsätzlich nur anwendbar, soweit dem Gericht keine Zweifel am Bestehen abgeltungspflichtiger Mehrstunden bleiben, da dafür vorausgesetzt ist, dass aufgrund der vorgebrachten Umstände die Leistung solcher Überstunden nicht bloss im Bereich des möglichen liegt, sondern als annähernd sicher erscheint (Urteil des BGer 4C.307/2006 vom 26. März 2007 E. 3.2). Zwar kann die Beweislasterleichterung nach Art. 42 Abs. 2 OR nicht nur für das Ausmass der Überzeit, sondern auch für die Leistung als solche anwendbar sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich aufgrund der konkreten Umstände ein genauer Beweis als unmöglich oder unzumutbar erweist. Diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn der Beweis im konkreten Fall misslingt. Die fehlende Beweisbarkeit muss aus objektiven Gründen gegeben sein (Urteil des BGer 4A_338/2011 vom 14. Dezember 2011 E. 2.2).

 

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Autor: Nicolas Facincani 

 

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