Der Begriff des leitenden Angestellten wird im Obligationenrecht vor allem im Zusammenhang mit der Entschädigung von Überstunden (im Sinne von Art. 321c OR) verwendet. Der Begriff des höheren leitenden Angestellten stammt aus dem Arbeitsgesetz. Fällt eine Person unter den Begriff des höheren leitenden Angestellten (wie im Arbeitsgesetz definiert) ist das Arbeitsgesetz für diesen nicht anwendbar.

 

BGer 4A_38/2020 vom 22. Juli 2020

Im Entscheid BGer 4A_38/2020 vom 22. Juli 2020 hatte sich das Bundesgericht unter anderem mit der Entschädigung von Überstunden (im Sinne von Art. 321c OR) sowie der Entschädigung von Überzeit zu befassen.

Ein Arbeitnehmer war Arbeitnehmer Mitgründer und Anteilshaber einer deutschen Gesellschaft. Er war seit Januar 2010 Deutschland als Senior Trader angestellt (deutscher Arbeitsvertrag) sowie seit 15. Juni 2011 in der Zweigniederlassung in der Schweiz als Senior Portfolio Manager (schweizerischer Arbeitsvertrag). Für die Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers in die schweizerische Zweigniederlassung sollte nach einer zwischen den Parteien abgeschlossenen „Ruhensvereinbarung“ das deutsche Arbeitsverhältnis ruhen.

Nach der Kündigung machte der Arbeitnehmer Ansprüche aus Überstunden und Überzeit geltend.

 

Überstunden und Überzeit

In einem ersten Schritt gilt es die Überstunden von der Überzeit abzugrenzen:

Zu unterscheiden ist zwischen Überstunden nach Art. 321c OR einerseits und Überzeit gemäss Art. 13 des Arbeitsgesetzes andererseits. Die über die verabredete oder übliche Arbeitszeit geleisteten Überstunden sind mit Freizeit auszugleichen oder mit einem Lohn zu entschädigen, der mindestens ein Viertel über dem Normallohn liegt (vgl. Art. 321c OR).

Überzeitarbeit entsteht demgegenüber insoweit, als die geleistete Arbeitszeit die gesetzliche Höchstarbeitszeit nach Art. 9 des Arbeitsgesetzes überschreitet. Gemäss Art. 13 Abs. 1 ArG hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmern für die Überzeitarbeit einen Lohnzuschlag von wenigstens 25 Prozent auszurichten. Dabei handelt es sich um eine zwingende Vorschrift, die jede abweichende Vereinbarung ausschliesst.

 

Überstundenentschädigung für leitende Angestellte

Der in einem Betrieb übliche zeitliche Umfang der Arbeit (nicht der vereinbarte Umfang der Arbeit) gilt für leitende Angestellte grundsätzlich nicht. Vielmehr wird von leitenden Angestellten erwartet, dass sie etwas mehr leisten als nur das übliche Pensum. Wegleitend ist die Überlegung, dass mit der Übernahme einer leitenden Funktion der Umfang und das Gewicht der vom Arbeitnehmer zu erfüllenden Aufgaben die Gegenleistung des Arbeitgebers in bedeutenderem Masse bestimmen als die wöchentliche Arbeitszeit und leitende Angestellte ihrer verantwortungsvollen und selbständigen Stellung entsprechend die Arbeitszeit weitgehend frei einteilen können. Leitende Angestellte haben somit ohne ausdrückliche Regelung der Arbeitszeit deshalb nur dann einen Anspruch auf Überstundenentschädigung, wenn ihnen zusätzliche Aufgaben über die vertraglich vereinbarten Pflichten hinaus übertragen werden oder wenn die ganze Belegschaft während längerer Zeit in wesentlichem Umfang Überstunden leistet (BGE 129 III 171 E. 2.1 S. 173). Siehe hierzu auch den Beitrag zu den Überstunden.

 

Keine Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes für höhere leitende Angestellte

Das Arbeitsgesetz ist nach seinem Art. 3 lit. d nicht anwendbar auf Arbeitnehmer, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben. Der Sinn liegt darin, dass Arbeitnehmer, die eine solch besondere Stellung im Betriebe einnehmen, keines öffentlichrechtlichen Schutzes bedürfen und für den Arbeitgeber vor allem in zeitlicher Hinsicht frei verfügbar sein sollten. Siehe hierzu auch den Beitrag betreffend höhere leitende Angestellte.

 

Kein höherer leitender Angestellter

Das Bundesgericht kam vorliegend zum Schluss, dass der Arbeitnehmer ein höherer leitender Angestellter sei. Komme man in einem Fall zum Schluss, dass ein Arbeitnehmer höherer leitender Angestellter sei, so handle es sich in jedem Fall auch um einen leitenden Angestellten:

4.7.1. Gemäss der Definition in Art. 9 der Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (SR 822.111, ArgV 1) übt eine höhere leitende Tätigkeit aus, wer auf Grund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen kann.  

Da auch die nähere Definition der Verordnung nichts daran ändert, dass es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, ist zunächst ein Blick auf die beispielhafte Aufzählung der Botschaft von höheren leitenden Tätigkeiten zu werfen. Dort werden unter anderem die Geschäftsführer und Vertreter einer GmbH genannt (BBl 1960 II 947 f.). Entgegen dem, was das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO in seiner Wegleitung zur ArGV 1 zu Art. 9 ArgV 1 und auch die Lehre (vgl. z.B. MÜLLER/MADUZ, a.a.O., N. 11 zu Art. 3 ArG) teilweise anzunehmen scheinen, erwähnt die Botschaft aber die schlichte GmbH-Teilhaberschaft nicht als Beispiel einer höheren leitenden Tätigkeit (vgl. dazu auch das zit. Urteil 2C_745/2014 E. 3.4). Die unpräzise Wiedergabe der Botschaft ist allenfalls damit zu erklären, dass für die GmbH gesetzlich grundsätzlich Selbstorganschaft vorgesehen ist (vgl. Art. 809 Abs. 1 OR). Unabhängig davon, wie es sich damit im Einzelnen verhält, verbietet es sich ohnehin, pauschale Kategorisierungen vorzunehmen. Die beispielhafte Auflistung in der Botschaft ist in den Kontext der notwendigen Einzelfallbetrachtung (vgl. auch MÜLLER/MADUZ, a.a.O., N. 11 zu Art. 3 ArG; sowie die Wegleitung des SECO zu Art. 9 ArgV 1) zu setzen: Die erwähnte Geschäftsführungs- und/oder Vertretungsbefugnis kann zwar genauso auf eine höhere leitende Tätigkeit hinweisen wie andere Aspekte, namentlich eine Vertrauensstellung im Unternehmen, Weisungsbefugnis oder die Höhe des Lohnes. Diese Indizien sind aber weder zwingend notwendig, noch reichen sie für sich allein aus, um die Ausnahme einer Überzeitentschädigung zu begründen. Wesentlich ist vielmehr das Gesamtbild der wirklich ausgeübten Tätigkeit mit Blick auf die Unternehmensstruktur, ungeachtet der Funktionsbezeichnung oder der Ausbildung der betreffenden Person. Da die Entscheidbefugnisse auf Grund der Stellung und Verantwortung im Betrieb je nach Grösse und Organisation des Unternehmens unterschiedlich zu bewerten sind, bleiben die gesamthaft zu würdigenden Umstände des konkreten Falles entscheidend (vgl. zum Ganzen BGE 126 III 337 E. 5a S. 340 f.; 98 Ib 344 E. 2 S. 348; zit. Urteil 2C_745/2014 2015 E. 3.1; Urteile 4A_258/2010 vom 23. August 2010 E. 1; 4C.157/2005 vom 25. Oktober 2005 E. 5.2 sowie Wegleitung des SECO zu Art. 9 ArgV 1). 

4.7.2. Während vor diesem Hintergrund die Gesellschafterstellung des Beschwerdeführers nicht wie von der ersten Instanz als „starkes Indiz“ für eine höhere leitende Tätigkeit gewertet werden kann, überzeugt der von ihr gezogene Vergleich mit einer Anwaltskanzlei. Sowohl in einem Zusammenschluss von Händlern als auch von Anwältinnen kommt „Senior Equity Partnern“ der Schutz des Arbeitsgesetzes bezüglich Überzeit regelmässig auch dann nicht zu, wenn sie weniger weitgehende Kompetenzen innehaben als andere teilhabende Partner, die etwa in der Personalpolitik mitwirken. Ob der Beschwerdeführer eine höhere leitende Tätigkeit ausübte, ist unabhängig davon zu beurteilen, ob andere Gesellschafter ebenfalls eine solche Stellung innerhalb der GmbH einnahmen. Deshalb kann der Beschwerdeführer keine niedrige Stellung aus dem Umstand ableiten, dass dem angefochtenen Urteil keine aktive Mitwirkung seinerseits in Personalangelegenheiten entnommen werden kann. Da er selbst nicht behauptet, ihm sei ein grösserer Einbezug verwehrt worden, ist im Übrigen nicht anzunehmen, er wäre bereit gewesen, seine bonusrelevante Handelstätigkeit in V.________ (Schweiz) für Vorstellungsgespräche in U.________ (Deutschland) zu unterbrechen. Dass ihm keine Personen unterstellt waren, tut ebenfalls nichts zur Sache, wurden in der Zweigniederlassung doch nie Junior Partner angestellt. Die Ausübung einer höheren leitenden Tätigkeit bei einem Zusammenschluss von Personen eines sogenannten freien Berufes bedingt für gewöhnlich ohnehin nicht die Unterstellung weiterer Personen dieses freien Berufes. Sollte die Behauptung des Beschwerdeführers zutreffen, wonach seit der Gründung der GmbH nie Gesellschafter ein- oder austraten, jedoch weitere Personen als Händler angestellt wurden, die nicht Gesellschafter wurden, spricht das nur, aber immerhin für eine Hierarchie zwischen teilhabenden und nicht teilhabenden Händlern.  

Abgesehen von gewissen Grenzen, die für alle Händler galten und teils durch äussere Gegebenheiten wie die Regulierung der Börse und deren Öffnungszeiten vorgegeben waren, hatte sich der Beschwerdeführer wie die anderen teilhabenden Senior Partner an keine Weisungen hinsichtlich seiner Arbeitsausführung und Arbeitszeiteinteilung zu halten. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer eine Vertrauensstellung innerhalb der Gesellschaft genossen zu haben scheint. Wenn er über den festgestellten Sachverhalt hinaus einwendet, er sei für die tägliche Überprüfung aller in-house Systeme wie sämtlicher Börsenanschlüsse und des ORC-Handelssystems zuständig gewesen, zeigt er nämlich keine Einschränkung seiner autonomen Tätigkeit auf, sondern gesteht selbst ein, dass ihm eine eigentliche Schlüsselposition in der GmbH zukam. Ansonsten wären ihm solch wichtige Aufgaben kaum zur eigenständigen Erledigung anvertraut worden. 

4.7.3. Ausschlaggebend bleibt, ob der Beschwerdeführer als Gründungsmitglied und Senior Trader tatsächlich einen nachhaltigen Einfluss auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung des Betriebs nehmen konnte. Ihm ist zuzustimmen, dass hierfür die Möglichkeit nicht genügt, Vorschläge oder Anträge zur Unternehmensführung zu machen. Er bringt auch zu Recht vor, dass es ebenso nicht ausreicht, die Geschäftsergebnisse durch gute Arbeit zu beeinflussen, zumal weder der Einfluss am Umsatz noch die Anteilnahme daran mit der Bestimmung der Geschäftspolitik gleichzusetzen ist. Er blendet in seiner Argumentation indes stets aus, dass ihm dank seinem 9 %-Anteil an der GmbH eine starke Position in der Gesellschafterversammlung zukam, welche als wichtigstes Organ für die strategische Positionierung der Gesellschaft auf dem Markt zuständig ist (vgl. dazu E. 4.6.1 hiervor).  

Soweit der Beschwerdeführer seine effektive Stimmkraft innerhalb der Gesellschafterversammlung in Frage stellt, mag der Stimmbindungsvertrag zwischen der C.________ B.V. und E.________ aufgrund des vereinbarten 2/3-Quorums zwar eine Sperrminorität bewirkt haben. Doch galt die Stimmbindung nur bezüglich Erhöhung von Löhnen und/oder vom Bonus; bei den übrigen Geschäftsbelangen konnte der Beschwerdeführer genauso zusammen mit der C.________ B.V. oder anderen Gesellschaftern eine Sperrminorität organisieren, zumal seiner Stimme mit 9 % der Anteile mehr Gewicht zukam, als derjenigen des Geschäftsführers E.________ (8 %) und der übrigen Manager (1.75 %, 1 % und 0.5 %). 

4.7.4. Eine Gesamtbetrachtung der anderen Sachverhaltselemente bestätigt, dass der Beschwerdeführer Entscheide von grosser Tragweite nicht nur theoretisch massgeblich beeinflussen konnte, sondern dies auch tatsächlich tat und dadurch auf die Struktur des Betriebs nachhaltig Einfluss nahm. So erfolgte die Errichtung des neuen Betriebsteils in V.________ (Schweiz) nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern auch auf seinen Wunsch hin, in die Schweiz zurückzukehren. Ebenfalls spielt eine Rolle, dass der Beschwerdeführer zusammen mit D.________ die neue Bonusreglung entwarf und damit einen wichtigen Punkt der Anstellungsbedingungen. Nicht zuletzt dank dieser den individuellen Erfolg stark belohnenden Lohnausgestaltung erzielte er ein hohes, aber schwankendes Einkommen.  

Insoweit drängt sich der Vergleich mit einem selbständigen Unternehmer auf, für welche der öffentlich-rechtliche Schutz bezüglich Überzeitarbeit nicht konzipiert wurde (vgl. dazu Wegleitung des SECO zu Art. 9 ArgV 1). Es erscheint genauso wenig sinnvoll, die Arbeitszeit des Beschwerdeführers staatlich zu kontrollieren. Seinem stark leistungsbedingten Einkommen entsprechend war er sowohl hinsichtlich der Art und Weise der Arbeitsausführung als auch bezüglich Arbeitszeiteinteilung ähnlich selbstbestimmt tätig, wie wenn er sich keiner juristischen Person mit ihrer gesetzlich und regulatorisch bedingten Organisationsform unterstellt hätte. Denn der Beschwerdegegner, der sich mit anderen Händlern und administrativ tätigen Mitarbeitern zusammenschloss, um unter dem juristischen Mantel einer GmbH im Wesentlichen gleichberechtigt zu agieren, hatte sich nur an Weisungen zu halten, die gemeinsam im Gesamtinteresse des Kollektiv entworfen wurden. Die Weiterentwicklung der Struktur der Beschwerdegegnerin konnte der Beschwerdeführer als Mitgründer und drittgrösster Anteilshaber sodann auch ohne spezielle Exekutiv- oder Vertretungsbefugnisse massgebend und nachhaltig beeinflussen. 

Zusammenfassend folgt aus der Würdigung des Gesamtbilds der wirklich ausgeübten Tätigkeit mit Blick auf die Unternehmensstruktur, dass der Beschwerdeführer eine höhere leitende Tätigkeit im Sinne von Art. 3 lit. d ArG und Art. 9 ArgV 1 ausübte und ihm der öffentlichrechtliche Schutz der Überzeitregelung des Arbeitsgesetzes abzusprechen ist. 

4.8. Wenn der Beschwerdeführer eine höhere leitende Tätigkeit gemäss Arbeitsgesetz ausübte, sind die weniger strengen Anforderungen, welche die Rechtsprechung für den Begriff des leitenden Angestellten im Sinne des Obligationenrechts entwickelt hat (vgl. dazu E. 4.1), ohne Weiteres ebenfalls erfüllt.

 

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Autor: Nicolas Facincani