Gemäss Art. 16 des Arbeitsgesetzes (ArG) (Verbot der Nachtarbeit) ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern ausserhalb der betrieblichen Tages- und Abendarbeitszeiten nach Art. 10 ArG untersagt. Ausnahmen vom Verbot der Nachtarbeit bedürfen der Bewilligung (Art. 17 Abs. 1 ArG). Die Bewilligung dauernder oder regelmässig wiederkehrender Nachtarbeit setzt in sachlicher Hinsicht eine Unentbehrlichkeit aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen voraus (Art. 17 Abs. 2 ArG). Die Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) konkretisiert die Voraussetzungen (Art. 40 Abs. 1 Bst. b ArG.

Vorübergehende Nachtarbeit wird zudem bewilligt, sofern ein dringendes Bedürfnis besteht (Art. 17 Abs. 3 ArG). Zudem wird Nachtarbeit zu Randstunden bewilligt, sofern ein dringendes Bedürfnis besteht (Art. 17 Abs. 4 ArG).

Zu den weiteren Ausnahmen siehe etwa den Artikel: das Verbot der Nachtarbeit und seiner Ausnahmen.

 

Technische Unentbehrlichkeit und wirtschaftliche Gründe im Sinne von Art. 17 Abs. 2 ArG

Im Urteil des BVGer B-5341/2018 vom 21. Mai 2019 hatte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Bedeutung der «technischen Unentbehrlichkeit» bzw. der «wirtschaftlichen Gründe» zu befassen. Die entsprechenden Ausführungen werden nachfolgend – wegen ihrer grossen Bedeutung – (wörtlich) wiedergegeben:

 

Auslegung der Ausnahme

Die Nachtarbeit soll entsprechend dem gesetzgeberischen Grundgedanken möglichst eingeschränkt werden, und Ausnahmen davon sind grundsätzlich eng auszulegen. Blosse Zweckmässigkeitsüberlegungen genügen nicht, um das Nachtarbeitsverbot aufzuweichen (vgl. BGE 136 II 427 E. 3.2 mit Verweis auf die im Gesetzestext enthaltene Tatbestandsvoraussetzung der Unentbehrlichkeit; Urteil des BGer 2C_475/2017 vom 15. Dezember 2017 E. 2.2 und E. 3.3.1 mit Hinweisen; Urteile des BVGer B-5340/2017 vom 28. März 2018 E. 7.1 und B-3578/2014 vom 15. Juli 2015 E. 4.2; DANIEL SOLTERMANN, Die Nacht aus arbeitsrechtlicher Sicht, Schriften zum Schweizerischen Arbeitsrecht, Heft 59, 2004, S. 179).

 

Technische Unentbehrlichkeit

Eine technische Unentbehrlichkeit im Sinne von Art. 17 Abs. 2 ArG liegt insbesondere vor, wenn ein Arbeitsverfahren oder Arbeiten nicht unterbrochen oder aufgeschoben werden können, weil mit der Unterbrechung oder dem Aufschub erhebliche und unzumutbare Nachteile für die Produktion und das Arbeitsergebnis oder die Betriebseinrichtungen verbunden sind (Art. 28 Abs. 1 Bst. a ArGV 1); andernfalls die Gesundheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen oder die Umgebung des Betriebes gefährdet werden (Art. 28 Abs. 1 Bst. b ArGV 1). Die Unentbehrlichkeit aus technischen Gründen wird in Art. 28 Abs. 1 ArGV 1 nicht abschliessend geregelt (vgl. SOLTERMANN, a.a.O., S. 179). Als unbestimmter Rechtsbegriff ist sie im konkreten Anwendungsfall auszulegen. Die Bestimmungen von Bst. a und Bst. b bilden jedoch diejenigen Gründe, an denen sich andere, aber gleichwertige Ausnahmen ausweisen lassen müssen (vgl. Urteil des BVGer B-6642/2018 vom 21. März 2019 E. 4.3 und E. 6.5). Immerhin hat das Bundesgericht mit Bezug auf das grundsätzliche Verbot der Sonntagsarbeit (Art. 18 f. ArG) festgehalten, dass bei der technischen Unentbehrlichkeit weniger strenge Anforderungen gelten als bei den Erfordernissen der wirtschaftlichen Unentbehrlichkeit und der besonderen Konsumbedürfnisse (vgl. Urteil des BGer 2C_344/2008, 2C_345/2008 vom 26. März 2009 E. 5.2 mit Hinweisen; siehe sogleich). Insofern ist auch an die Ausnahmen vom Nachtarbeitsverbot kein ungebührlich strenger Massstab anzulegen; dies umso mehr, als das Nachtarbeitsverbot nach dem gesetzgeberischen Willen in der Tendenz etwas weniger restriktiv zu handhaben ist (vgl. BGE 120 Ib 332 E. 4b mit Hinweis; MARRO/FRUNZ/GROSS, Kurzkommentar Arbeitsgesetz, Art. 19 N 1, je mit Hinweisen).

 

Wirtschaftliche Gründe

Die Unentbehrlichkeit aus wirtschaftlichen Gründen wird in Art. 28 Abs. 2 ArGV 1 mittels eines abschliessenden Alternativkatalogs umschrieben (vgl. HURNI/GRAF, Kurzkommentar Arbeitsgesetz, Art. 17 N 16 mit Hinweisen). Darüber hinaus stellt die Verordnung der wirtschaftlichen Unentbehrlichkeit die besonderen Konsumbedürfnisse gleich, deren Befriedigung im öffentlichen Interesse liegt und nicht ohne Nacht- oder Sonntagsarbeit möglich ist. Solche Konsumbedürfnisse sind täglich notwendige und unentbehrliche Waren oder Dienstleistungen, deren Fehlen von einem Grossteil der Bevölkerung als wesentlicher Mangel empfunden würde (Art. 28 Abs. 3 Bst. a ArGV 1); und bei denen das Bedürfnis dauernd oder in der Nacht oder am Sonntag besonders hervortritt (Art. 28 Abs. 3 Bst. b ArGV 1).

 

Art. 28 ArGV 1

Art. 28 ArGV 1 lautet wie folgt:

1 Technische Unentbehrlichkeit liegt insbesondere vor, wenn ein Arbeitsverfahren oder Arbeiten nicht unterbrochen oder aufgeschoben werden können, weil:

  1. mit der Unterbrechung oder dem Aufschub erhebliche und unzumutbare Nachteile für die Produktion und das Arbeitsergebnis oder die Betriebseinrichtungen verbunden sind;
  2. andernfalls die Gesundheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen oder die Umgebung des Betriebes gefährdet werden.

2 Wirtschaftliche Unentbehrlichkeit liegt vor, wenn:

  1. die Unterbrechung eines Arbeitsverfahrens und dessen Wiederingangsetzung hohe Zusatzkosten verursachen, die ohne die Leistung von Nacht- oder Sonntagsarbeit eine merkliche Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes gegenüber seinen Konkurrenten zur Folge hat oder haben könnte;
  2. das angewandte Arbeitsverfahren mit unvermeidlich hohen Investitionskosten verbunden ist, die ohne Nacht- oder Sonntagsarbeit nicht amortisiert werden können; oder
  3. die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Ländern mit vergleichbarem sozialem Standard wegen längerer Arbeitszeiten oder anderer Arbeitsbedingungen im Ausland erheblich beeinträchtigt ist und durch die Bewilligung die Beschäftigung mit grosser Wahrscheinlichkeit gesichert wird.

3 Der wirtschaftlichen Unentbehrlichkeit gleichgestellt sind die besonderen Konsumbedürfnisse, deren Befriedigung im öffentlichen Interesse liegt und nicht ohne Nacht- oder Sonntagsarbeit möglich ist. Solche Konsumbedürfnisse sind:

  1. täglich notwendige und unentbehrliche Waren oder Dienstleistungen, deren Fehlen von einem Grossteil der Bevölkerung als wesentlicher Mangel empfunden würde; und
  2. bei denen das Bedürfnis dauernd oder in der Nacht oder am Sonntag besonders hervortritt.

4 Unentbehrlichkeit wird für die im Anhang aufgeführten Produktions- und Arbeitsverfahren vermutet (siehe hierzu den Anhang der Verordnung).

 

Beweislast

Wer geltend macht, dass die Ausnahmebedingungen erfüllt sind, hat dies nachzuweisen (Art. 8 ZGB analog; vgl. B-5340/2017 vom 28. März 2018 E. 7.4). Die Beweislast liegt beim Gesuchsteller (vgl. Urteil des BVGer B-2257/2010 vom 15. Oktober 2010 E. 5.4).

 

Weitere Beiträge zum Arbeitsgesetz:

 

Autor: Nicolas Facincani