Zuweilen wird die Ansicht vertreten, dass das, was nicht im schriftlichen Arbeitsvertrag oder in den anwendbaren Reglementen geregelt sei, auch nicht Vertragsbestandteil sein könne.
Das dem nicht so ist, hat das Bundesgericht in seinem Entscheid 4A_542/2023 vom 26. August 2024 noch einmal klargestellt. Neben dem Arbeitsvertrag können weitere Vereinbarungen bestehen, die auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis anwendbar sein sollen.
Weitere Vertragsbestandteile
Zwischen den Parteien eines Arbeitsvertrages war im Wesentlichen streitig, ob das Arbeitsverhältnis in erster Linie durch ein – beiderseits unterzeichnete – Schreiben vom 30. Oktober 2003 und den dieses ergänzenden Arbeitsvertrag vom 19./26. April 2004 und subsidiär durch die Allgemeinen Anstellungsbedingungen geregelt wurde, oder ob das Schreiben nicht Vertragsbestandteil war. Das Schreiben beinhaltete Sonderkonditionen in vier Absätzen betreffend die Rückdatierung der Anciennität des Arbeitnehmers, die jährliche Gesamtvergütung, die Kündigungsfrist und die Abgangsentschädigung.
Der Arbeitgeber behauptete, dieses Schreiben, welche auch durch eine Mitarbeiterin von ihm unterzeichnet war, habe keine Gültigkeit, schliesslich sei der Vertrag ja nachher abgeschlossen worden und beinhalte das Schreiben nicht und verweise auch nicht darauf.
Erwägungen des Obergerichts des Kantons Zürich
Die Vorinstanz erwog, dass gemäss dem Wortlaut des Schreibens vom 30. Oktober 2003 (Absatz 1) dem Arbeitnehmer die besonderen Bedingungen gemäss Abs. 2-5 „bestätigt“ wurden, die bei einer Anstellung in der Funktion als „Ingenieur commercial“ bis spätestens am 18. Mai 2004 gelten würden.
Mit dem sechsten Absatz des Schreibens sei der Arbeitnehmer aufgefordert worden, ein Exemplar unterzeichnet zu retournieren, worauf ihm die Arbeitgeberin einen Vorschlag für einen Vertrag mitsamt den allgemeinen Bedingungen zukommen lassen werde. Bereits aus der letztgenannten Formulierung ergebe sich, dass sich die Parteien mit dem Schreiben noch nicht endgültig hätten binden wollen, hätten sie sich doch die Ausfertigung und Unterzeichnung einer Vertragsurkunde vorbehalten. Das Schreiben vom 30. Oktober 2003 sei als sog. Punktation zu qualifizieren, mit der sich die Parteien ohne Rechtsbindungswillen unverbindlich im Sinne eines vorläufigen Verhandlungszwischenergebnisses über gewisse Eckpunkte des Verhandlungsgegenstands geeinigt hätten.
Es sei daher davon auszugehen, dass dem Arbeitnehmer danach bloss noch die von der Arbeitgeberin einseitig – ohne weitere Absprache – aufgesetzten Vertragsdokumente, einen Vertragsvorschlag und einen Arbeitsvertrag, zugeschickt wurden und dass der Arbeitnehmer diese Dokumente ohne Weiterungen unterzeichnet und retourniert habe. Er habe darauf vertrauen dürfen, die in dieser Sache handelnden Personen die Existenz und den Inhalt des Schreibens vom 30. Oktober 2003 gekannt hätten. Dies sei im Übrigen erstellt, wiesen doch der Vertragsvorschlag vom 8. März 2004 und der signierte Arbeitsvertrag vom 19. April 2004 die im Schreiben vom 30. Oktober 2003 genannte Referenznummer auf.
Darüber hinaus werde im Vertragsvorschlag vom 8. März 2004 einleitend explizit auf die bisher geführten Gespräche verwiesen, womit nur diejenigen zwischen dem Arbeitnehmer und den Vertretern der Arbeitgeberin gemeint sein könnten. Der Verweis auf die Gespräche müsse sich daher auf die bereits vereinbarten Sonderkonditionen gemäss Schreiben vom 30. Oktober 2003 beziehen.
Es sei zudem unbestritten, dass ein Arbeitsvertrag erst am 19./26. April 2004 zustande gekommen sei. Das Schreiben vom 30. Oktober 2003 und die darin festgehaltenen Sonderkonditionen seien deshalb nur dann zum Vertragsbestandteil geworden, wenn sie in den vertragsbegründenden Konsens einbezogen worden seien, was auch stillschweigend geschehen sein könne.
Zwar werde im Arbeitsvertrag nicht explizit auf das Schreiben vom 30. Oktober 2003 verwiesen, es werde dort aber immerhin dieselbe Referenznummer aufgeführt wie im Schreiben. Der Bezug zu diesem werde verstärke durch den Vertragsvorschlag vom 8. März 2004, worin explizit auf die bereits geführten Gespräche zwischen den Parteien verwiesen werde. Weil nach dem 30. Oktober 2003 keine weiteren Gespräche stattgefunden hätten, könne der Verweis im Vertragsvorschlag vom 8. März 2004 nach Treu und Glauben nur als Verweis auf die bisherige (unverbindliche) Einigung verstanden werden.
Entgegen der Auffassung der Erstinstanz enthalte der Arbeitsvertrag auch keine Regelungen, welche den Sonderkonditionen teilweise widersprechen würden. Ebenso wenig lasse sich aus dem Umstand, dass im Arbeitsvertrag nur die Regelung der Vergütung aus den Sonderkonditionen explizit wiedergegeben werde, im vorliegenden Kontext etwas ableiten. Der Arbeitnehmer habe eine durchaus plausible Erklärung dafür geliefert, weshalb sich die Parteien im Arbeitsvertrag auf die Wiedergabe der Vergütungsregelung beschränkt hätten. Da das im Schreiben vom 30. Oktober 2003 und im Vertragsvorschlag vom 8. März 2004 angekündigte Prozedere eingehalten worden und es zu keinem Zeitpunkt aus Sicht des Arbeitnehmers zu einem eigentlichen Bruch mit dem bisherigen Verhandlungsergebnis gekommen sei, habe er nach Treu und Glauben davon ausgehen dürfen, dass die Sonderkonditionen gemäss dem Schreiben vom 30. Oktober 2003 – wie vereinbart – gelten würden, falls wie vorgesehen ein Arbeitsvertrag abgeschlossen und die unverbindliche Einigung nicht vorab widerrufen würde. Dass es sich bei den Sonderkonditionen gemäss dem Schreiben vom 30. Oktober 2003 um durchaus gewichtige Absprachen von grosser finanzieller Tragweite handle, spreche, entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin, nicht gegen, sondern für deren Einbezug in den vertraglichen Konsens. Die von der Arbeitgeberin angeführten weiteren Umstände würden allesamt nachträgliches Parteiverhalten betreffen und seien nicht geeignet, am vorstehenden Ergebnis der Vertragsauslegung etwas zu ändern. Vorrangig würden somit die Bestimmungen des Arbeitsvertrages vom 19. April 2004 und die Sonderkonditionen gemäss dem Schreiben vom 30. Oktober 2003 gelten. Nur nachrangig, d.h. nur soweit in den genannten Dokumenten keine Bestimmungen enthalten seien, würden die allgemeinen Anstellungsbedingungen „GTCE“ gelten.
Entscheid des Bundesgerichts
Für das Bundesgericht sind die Erwägungen der Vorinstanz überzeugend. Es sei nicht ersichtlich oder dargetan, dass sie in tatsächlicher Hinsicht in Willkür verfallen wäre oder sonst Bundesrecht verletzt hätte.
Sodann verletze die Vorinstanz nicht die Regeln der Vertragsauslegung, indem sie zum Schluss gelangte, die im Schreiben vom 30. Oktober 2003 festgelegten Sonderkonditionen seien vom Konsens des am 19./26 April 2004 geschlossenen Arbeitsvertrags mitumfasst und damit Vertragsbestandteil geworden. Es könne auf ihre überzeugenden und zutreffenden Erwägungen verwiesen werden.
Nicht zu beanstanden sei insbesondere die Feststellung der Vorinstanz, dass sich die Parteien am 30. Oktober 2003 auf gewisse Eckpunkte des Verhandlungsgegenstands grundsätzlich geeinigt haben und dass sie davon in der Folge nicht abgewichen sind. In diesem Zusammenhang sei nicht entscheidend, ob die Vorinstanz das Schreiben vom 30. Oktober 2003 zu Recht als sog. Punktation bezeichnet und deren Rechtswirkungen zutreffend gewürdigt habe. Es sei unbestritten, dass der Erklärung vom 30. Oktober 2003 für sich genommen keine Rechtswirkungen zukamen. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass es keinen Sinn ergeben würde, sich über die Eckpunkte des in Aussicht genommenen Arbeitsverhältnisses zu verständigen und dann – ohne entsprechende, anderweitige Abrede oder weitere Gespräche – allein durch den Hinweis auf die allgemeinen Anstellungsbedingungen vom bisher Besprochenen abzuweichen. Die Vorinstanz erkenne im Vorgehen der Parteien zu Recht eine Fortführung des bisher Vereinbarten und keinen Bruch desselben. Sie begründet dies überzeugend.
Das Bundesgericht schützte somit den Arbeitnehmer. Zu beachten ist, dass es nicht unbedingt – wie vorliegend – eine schriftliche Vereinbarung braucht, sondern dass ich ein Arbeitnehmer auch auf mündliche Vereinbarungen (rechtsgültige Versprechen) berufen kann. Hier befindet es sich aber oft im Beweisnotstand.
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Autor: Nicolas Facincani
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