Ob der Bonus als Lohnbestandteil oder als Gratifikation einzustufen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Gratifikation zeichnet sich dadurch aus, dass sie «in einem gewissen Masse vom Willen des Arbeitgebers» abhängt (BGE 129 III 276 E.2) (siehe hierzu etwa den allgemeinen Beitrag zum Bonus).

 

Regelmässigkeit und Vorbehalt

Ein Rechtsanspruch auf die Entrichtung einer Sondervergütung kann sich auch daraus ergeben, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmenden eine Vergütung regelmässig und vorbehaltslos entrichtet. Regelmässigkeit liegt dabei dann vor, wenn die Vergütung «während mindestens drei aufeinander folgenden Jahren ausgerichtet worden ist» (BGE 129 III 276 E.2). Dies gilt selbst dann, wenn im Arbeitsvertrag explizit festgehalten wurde, dass die Bonuszahlung nur freiwillig erfolgt; aufgrund der regelmässigen Entrichtung wird gleichsam von einer stillschweigenden Vertragsänderung ausgegangen. Will ein Arbeitgeber verhindern, dass der Bonus als Lohnbestandteil qualifiziert, so muss er bei jeder Auszahlung auf die Freiwilligkeit hinweisen und somit einen entsprechenden Vorbehalt anbringen. Doch selbst ein solcher Vorbehalt kann bei mehrfacher (gemäss Bundesgericht jahrzehntelanger; vgl. BGE 129 III 276 E.2.3) Wiederholung als blosse leere Floskel qualifiziert werden.

 

Akzessorietät

Aus dem Umstand, dass die Gratifikation in Art. 322d Abs. 1 OR als eine Vergütung beschrieben wird, die «neben dem Lohn» entrichtet wird, folgert das Bundesgericht, dass die Gratifikation notwendigerweise ein Akzessorium zum Lohn darzustellen hat (BGE 139 III 155 E.5.3). Ist die Gratifikation fast gleich hoch oder gar noch höher als der Lohn, so wird die Gratifikation demnach – trotz der vereinbarten Freiwilligkeit – «zumindest teilweise zum Lohn im Rechtssinn» (BGE 129 III 276 E.2.1).

 

BGer 4A_714/2016 vom 29. August 2017

Im Urteil 4A_714/2016 vom 29. August 2017 wurde das Akzessorietätserfordernis präzisiert (siehe auch allgemein den Beitrag zur Bonusrechtssprechung). Keine Anwendbarkeit findet das Kriteriums der Akzessorietät bei sehr hohen Einkommen. Eine ins Ermessen des Arbeitgebers gestellte freiwillige Vergütung ist in jedem Fall als Gratifikation zu qualifizieren. Als sehr hohe Entschädigung wird ein Einkommen aus Arbeitsvertrag angesehen, das den fünffachen Medianlohn übersteigt (BGE 142 III 381 E. 2.2 ff. m.w.H.)

Lediglich die niedrigen sowie die mittleren und höheren Einkommen können unter gewissen Umständen in einen Lohnbestandteil umgedeutet werden (Urteil 4A_714/2016 vom 29. August 2017 E. 3.3.2). Das Kriterium der Akzessorietät ist bei sehr hohen Einkommen nicht anzuwenden (Urteil 4A_714/2016 vom 29. August 2017 E. 3.3.a). Ein niedriges Einkommen liegt vor, wenn der Betrag dem einfachen Medianlohn für den Privatsektor entspricht oder darunter liegt. Mittlere und höheren Einkommen liegen vor, wenn sie mehr als den einfach Medianlohn, jedoch weniger als den fünffachen Medianlohn für den Privatsektor betragen (zum Ganzen Urteil 4A_714/2016 vom 29. August 2017 E. 3.3.3).

Nach diesem Urteil ist bei Löhnen, die zwischen dem einfachen und dem fünffachen Medianlohn liegen, von mittleren und höheren Einkommen im Sinne der Rechtsprechung auszugehen, bei denen das Akzessorietätskriterium – jedenfalls in der Regel – nicht erfüllt ist, wenn der Bonus mindestens die Höhe des Grundlohns erreicht (vgl. BGE 142 III 456 E. 3.1; BGE 142 III 381 E. 2.2.1; BGE 141 III 407 E. 4.3). Ist der Bonus bei mittleren und höheren Einkommen gleich oder höher als der Grundlohn, handelt es sich um Lohn, der geschuldet ist.

 

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Autor: Nicolas Facincani