Der Begriff der Arbeit auf Abruf wird unterschiedlich verwendet. Im Allgemeinen geht es darum, dass sich ein Arbeitnehmer bereithält und vom Arbeitgeber abgerufen werden kann. Um die rechtliche Ausgestaltung eines Arbeitsvertrages zu beurteilen kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer bei einem Abruf verpflichtet ist, diesem Folge zu leisten oder nicht. Bei der echten Arbeit auf Abruf wird vereinbart, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Abruf des Arbeitgebers Folge zu leisten. Bei einem unechten Arbeitsvertrag auf Abruf ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, dem Abruf des Arbeitgebers Folge zu leisten. Der Arbeitnehmer hat es  in der Hand, das Angebot des Arbeitgebers zu akzeptieren.

 

Postulat Arbeit auf Abruf

Robert Cramer, Mitglied des Ständerats (Genf, Grüne Fraktion) reichte am 20. Juni 2019 ein Postulat mit dem Titel «Arbeit auf Abruf regeln» (19.3748) mit folgendem Inhalt ein:

«Arbeit auf Abruf ist immer verbreiteter. Damit ist eine Reihe von Problemen verbunden. Es ist angezeigt, genauer zu prüfen, ob die geltende Gesetzgebung angesichts dieser neuen Realität noch genügt. Im Hinblick auf eine bessere Regelung der Arbeit auf Abruf wird der Bundesrat aufgefordert, insbesondere die folgenden Möglichkeiten zu prüfen:

  1. Eine Ergänzung von Artikel 319 des Obligationenrechts mit einem Absatz 3 mit folgendem Wortlaut: «Der Arbeitsvertrag bestimmt zwingend mindestens die durchschnittliche Arbeitszeit.»
  2. Eine Bestimmung, wonach für die Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung einzig verlangt wird, dass Beiträge für einen monatlichen Bruttolohn von mindestens 500 Schweizerfranken bezahlt wurden; so erhielten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Abruf, die in den letzten zwei Jahren während 12 Monaten einen Bruttomindestlohn von 500 Schweizerfranken pro Monat verdient haben, Anrecht auf Taggelder.»

Am 11. September 2019 nahm der Ständerat das Postulat entgegen der Empfehlung des Bundesrates an.

 

Bericht des Bundesrates zur Arbeit auf Abruf

Das Postulat Cramer 19.3748 beauftragte den Bundesrat, im Rahmen eines Berichts zu prüfen, ob die Arbeit auf Abruf im Obligationenrecht (OR) und im Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) zufriedenstellend geregelt ist.

Der durchaus lesenswerte Bericht hält die wesentlichen Grundlagen der Rechtsprechung zur Arbeit auf Abruf fest. Der Bundesrat sieht aber abschliessend im Zusammenhang mit der Arbeit auf Abruf keinen Handlungsbedarf zur Änderung des Obligationenrechts:

«Die Grenzen der Arbeit auf Abruf wurden von der Rechtsprechung auf der Grundlage der allgemeinen Regelungen des Arbeitsvertragsrechts festgelegt. Die Bereitschaftszeit gilt somit als Arbeitszeit und muss aufgrund dieser Tatsache entschädigt werden. Auf diesen Schutz kann jedoch durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag verzichtet werden. Bei einer isolierten Betrachtung der Möglichkeit, die Entschädigung der Bereitschaftszeit vertraglich auszuschliessen, müsste eingeräumt werden, dass «Nullstundenverträge» möglich sind: Der Arbeitnehmer erhält keine Entschädigung für seine Bereitschaftszeit, sodass er keine Entschädigung erhält, wenn der Arbeitgeber seine Leistungen nicht in Anspruch nimmt. Wie wir gesehen haben, müssen solche Klauseln jedoch zunächst die allgemeinen Grenzen des Vertragsrechts einhalten und können gegen die guten Sitten verstossen – und somit gemäss Art. 20 Abs. 1 OR nichtig sein –, wenn der Lohn tief und die Abrufregelung mit Einschränkungen verbunden ist. Vor allem aber schliesst die Tatsache, dass dem Arbeitnehmer auf der Grundlage der verbindlichen Regelungen über Kündigungsfristen, den Annahmeverzug des Arbeitgebers und die Übertragung des Betriebsrisikos ein ausreichendes Arbeitsvolumen garantiert werden muss, die Möglichkeit solcher Verträge aus. Die flexible Auslegung dieser Grenze, die darin besteht, gewisse Schwankungen des Arbeitsvolumens zuzulassen, bedeutet, dass de facto kein Verbot der Arbeit auf Abruf besteht, da der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, die Arbeitszeit gemäss seinen Bedürfnissen anzupassen. Im Hinblick auf die Grenzen dieser Freiheit und die anzuwendenden Kriterien bestehen Unsicherheiten, sodass die genaue Grenze der möglichen Arbeitszeitschwankungen nicht präzise festgelegt ist. Dennoch verfügen die Gerichte über die notwendigen rechtlichen Grundlagen, um in einem konkreten Fall zu entscheiden, selbst wenn die aktuellen Rechtsgrundsätze noch genauer festgelegt werden können.»

 

Siehe hierzu auch (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani

 

 

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