Lange war unklar, ob eine Kündigung während der Probezeit überhaupt missbräuchlich sein kann und somit der sachliche Kündigungsschutz greift. In Bezug auf den zeitlichen Kündigungsschutz ist sämtlich explizit festgehalten, dass eine Kündigung erst nach Ablauf der Probezeit zur Unzeit erfolgen kann – bei der missbräuchlichen Kündigung fehlt eine explizit gesetzliche Regelung. Im Bundesgerichtsentscheid BGE 134 III 108 hat sich das Bundesgericht erstmals dazu geäussert und die Anwendbarkeit des sachlichen Kündigungsschutzes während der Probezeit bejahrt – eine Kündigung kann also auch während der Probezeit missbräuchlich erfolgen (zur missbräuchlichen Kündigung siehe insbesondere Die missbräuchliche Entlassung. Zu prüfen bleibt aber im Einzelfall, ob die Kündigung, welche einen Tatbestand nach Art. 336 OR (d.h. die missbräuchliche Kündigung) erfüllt oder sonst in einem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis als missbräuchlich angesehen würde, mit Blick auf den durch die Probezeit verfolgten Zweck zulässig erscheint (BGE 134 III 108 E.7.1).

 

BGer 4A_59/2022 vom 18. März 2022

Im Entscheid BGer 4A_59/2022 vom 18. März 2022 hatte sich das Bundesgericht mit einer kurz nach Ablauf der Probezeit erfolgten Kündigung auseinanderzusetzen.

Die Arbeitnehmerin rügte vor Bundesgericht eine Verletzung von Art. 336 OR. Sie habe als Arbeitnehmerin nach Ablauf der Probezeit darauf vertrauen dürfen, dass auch im Falle von noch nicht ausreichenden Leistungen das Arbeitsverhältnis fortgesetzt und durch die Arbeitgeberin hinreichende Vorkehrungen getroffen würden, um der Arbeitnehmerin die Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Behebung der Leistungsdefizite zu geben.

Dazu gehörten beispielsweise regelmässige Qualifikationsgespräche mit Mitarbeitenden sowie eine nachvollziehbare Dokumentation der zugrundeliegenden Beobachtungen und der daraus abgeleiteten Ziel- und Entwicklungsvereinbarungen. Vorliegend habe die Arbeitgeberin nichts Derartiges unternommen. Es seien keine Bemühungen der Arbeitgeberin nachgewiesen, die aufzeigten, dass unter Einbezug der Beschwerdeführerin nach einer Lösung für die ihr vorgeworfenen Leistungsdefizite gesucht worden sei. Damit habe die Arbeitgeberin das Gebot der schonenden Rechtsausübung in schwerwiegender Weise verletzt und sei ihrer Fürsorgepflicht nicht hinreichend nachgekommen. Dies mache die Kündigung missbräuchlich im Sinne von Art. 336 Abs. 1 lit. d OR.

 

Gesetzliche Missbrauchstatbestände

Wird die Kündigung aus den folgenden Gründen ausgesprochen, ist sie missbräuchlich (liegt eine missbräuchliche Entlassung vor) – unabhängig davon, ob vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer ausgesprochen (Art. 336 OR):

  • Persönliche Eigenschaft der von der Kündigung betroffenen Partei, ohne Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und ohne bedeutende Beeinträchtigung des Arbeitsklimas (Art. 336 Abs. 1 lit. a OR), z.B. aufgrund des Geschlechts, Alter, Krankheiten etc.
  • Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts der durch die Kündigung betroffenen Partei, ohne Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsvertrag und ohne bedeutende Beeinträchtigung des Arbeitsklimas (Art. 336 Abs. 1 lit. b OR), z.B. wegen Parteizugehörigkeit etc.
  • Verhinderung der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag durch die von der Kündigung betroffene Partei (Art. 336 Abs. 1 lit. c OR), z.B. wenn der Arbeitgeber verhindern will, dass gewisse Leistungen erbracht werden müssen, auf die der Arbeitnehmer aufgrund des Dienstalters Anspruch hätte etc.
  • Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag durch die von der Kündigung betroffene Partei (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR), wenn der Arbeitnehmer Leistungen aus Überstunden einfordert etc.
  • Leistungen von schweizerischem obligatorischem Zivilschutz-, Militär- oder Schutzdienst oder Übernahme einer nicht freiwillig übernommenen gesetzlichen Pflicht (Art. 336 Abs. 1 lit. e OR). Auch militärische Beförderungsdienste fallen darunter, wenn sie freiwillig angetreten werden.

In weiteren Fällen sieht das Gesetz die Missbräuchlichkeit der Kündigung in gewissen Fällen durch den Arbeitgeber vor:

  • Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft des Arbeitnehmers bei einer Gewerkschaft oder legale Tätigkeit bei einer Gewerkschaft (Art. 336 Abs. 2 lit. a OR)
  • Tätigkeit des Arbeitnehmers als gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder einer dem Unternehmen angeschlossenen Vorsorgeeinrichtung (Art. 336 Abs. 2 lit. b OR)
  • mangelnde oder zu kurzfristige Konsultierung der von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer (Art. 336 Abs. 2 lit. c OR).

 

Weitere, nicht in Art. 336 OR genannte Missbrauchstatbestände

Durch Art. 336 OR wird das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB konkretisiert (BGE 134 III 108 E 7.1) Art. 336 ist daher nicht abschliessend. Somit fallen auch gegen das Rechtsmissbrauchsverbot fallende Fälle darunter, die eine mit den in Art. 336 OR genannten vergleichbare Schwere aufweisen (BGE 136 III E 2.3). Zu diesen weiteren Missbrauchstätbeständen siehe insbesondere: Der Arbeitgeber war schuld?!

Auch die Art und Weise einer Kündigung kann diese missbräuchlich machen, siehe hierzu insbesondere: Missbräuchliche Art und Weise der Kündigung – Entschädigung geschuldet!

Sodann sind Kündigungen missbräuchlich, die gegen das Gleichstellungsgesetz verstossen bzw. diskriminierend sind oder sog. Rachekündigungen nach dem Gleichstellungsgesetz darstellen. Siehe hierzu insbesondere: Überblick über das Gleichstellungsgesetz und Anfechtung der Kündigung – Wiedereinstellung.

 

Entscheid der Gerichte

Die Vorinstanz kam zusammengefasst zum Ergebnis, der Beschwerdeführerin sei gekündigt worden, weil ihre Arbeitsleistung ungenügend gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe zwar Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. Art. 336 Abs. 1 lit. d OR geltend gemacht. Dies sei aber für die Kündigung nicht ausschlaggebend gewesen. Die Kündigung sei damit nicht missbräuchlich.

Mit diesen Erwägungen setzte sich die Arbeitnehmerin vor Bundesgericht nicht hinreichend auseinander, noch zeigte sie rechtsgenüglich auf, inwiefern diese Erwägungen bundesrechtswidrig wären. Insbesondere zeigte sie solches nicht nachvollziehbar auf, indem sie ohne Weiteres behauptet, die Kündigung sei missbräuchlich, weil die Beschwerdeführerin Überstunden geleistet habe, der Arbeitsmarkt für Tiermediziner ausgetrocknet sei oder sich die Arbeitgeberin gegenüber der Arbeitnehmerin nicht um die „Schaffung angemessener Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und Behebung der Leistungsdefizite“ bemühte habe, zumal die Arbeitgeberin aufgrund des ausgetrockneten Arbeitsmarktes gerade versucht habe, der Arbeitnehmerin eine Chance zu geben, ihre praktischen Fähigkeiten zu verbessern. Der Entscheid der kantonalen Vorinstanz wurde damit geschützt.

 

Weitere Beiträge zum Thema Probezeit:

 

Autor: Nicolas Facincani 

 

Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden sie hier.