Im Entscheid 4A_124/2022 vom 23. August 2022 hatte sich das Bundesgericht mit der Bedeutung einer Schadloshaltungsklausel zugunsten des Arbeitnehmers auseinanderzusetzen:

Im Laufe des Arbeitsverhältnisses schlossen der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin verschiedene Arbeitsverträge und Zusatzvereinbarungen ab, unter anderem eine Zusatzvereinbarung vom 30. April 2011, die in Ziffer 6 eine Schadloshaltungsvereinbarung enthält. Diese lautet wie folgt:

„6. SCHADLOSERKLÄRUNG 

Sollte der Mitarbeiter im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der B.________ in zivilrechtlicher Hinsicht belangt oder in strafrechtliche Verfahren einbezogen werden, verpflichtet sich die B.________, soweit im Rahmen der anwendbaren Versicherungen keine Versicherungsdeckung besteht, sämtliche Kosten derartiger Verfahren (Anwaltskosten bei freier Anwaltswahl, Schadenersatz, Bussen, etc.) zu übernehmen.“

 

Versicherungsdeckung

In der Folge (nach erfolgter Kündigung) war strittig, was unter dem Begriff der Versicherungsdeckung zu verstehen sei.

Die Vorinstanz (das Obergericht des Kantons Zürich) erwog dazu, diese Bestimmung enthalte eine Schadloshaltungserklärung zugunsten des Arbeitnehmers für Kosten, die ihm durch einen allfälligen Einbezug in zivil- oder strafrechtliche Verfahren im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Arbeitgeberin entstünden, aber nur „soweit im Rahmen der anwendbaren Versicherungen keine Versicherungsdeckung“ bestehe.

Es stelle sich somit vorab die Frage, was unter dem Begriff der „Versicherungsdeckung“ zu verstehen sei. Der Arbeitnehmer wolle ihn offenbar mit „Zahlung durch die Versicherung“ gleichsetzen. Hierzu bestehe zwischen den Parteien kein übereinstimmendes Verständnis bzw. ein solches sei nicht behauptet worden.

Welcher wirkliche Sinn der Wendung „soweit… keine Versicherungsdeckung besteht“ zukomme, sei deshalb durch objektivierte Auslegung zu eruieren.

 

Leistungspflicht

Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass man nach allgemeinem und auch juristischem Sprachverständnis unter „Versicherungsdeckung“ das Vorliegen von Versicherungsschutz mit einem spezifischen Deckungsumfang verstehe. Sie liege vor, wenn bezüglich eines Risikos alle Komponenten eines Versicherungsschutzes definiert und eingeschlossen seien. Im Einzelfall bestimme sich die Versicherungsdeckung vor allem nach dem Versicherungsvertrag und den allgemeinen Versicherungsbedingungen. Versicherungsdeckung bedeute also, für den Eintritt eines bestimmten Risikos versichert zu sein, über Versicherungsschutz zu verfügen. Das sei dann der Fall, wenn ein Schaden bzw. das verwirklichte Risiko in den in den Versicherungsbedingungen festgelegten Umfang falle, wenn der Versicherer für ein bestimmtes Ereignis also eine Versicherungsleistung zu erbringen habe. Massgebend sei mithin die Leistungspflicht, nicht deren allfällige Erfüllung (Zahlung). Versicherungsdeckung bestehe somit dann und in dem Umfang, in welchem der Versicherte gegenüber dem Versicherer einen Anspruch auf Versicherungsleistung habe, und nicht insoweit, als der Versicherer eine Versicherungsleistung bereits erbracht habe.

 

Verfahren vor Bundesgericht

Der Arbeitnehmer ging gegen den Entscheid der Vorinstanz vor Bundesgericht. Er brachte vorab vor, die Vorinstanz stelle den Sachverhalt aktenwidrig und willkürlich fest, indem sie unter Verletzung des Vorrangs der empirischen Auslegung verkenne, dass nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien die Arbeitgeberin die Anwaltskosten des Arbeitnehmers zuerst habe bezahlen müssen und allfällige Versicherungsleistungen nach deren Erhalt nachträglich anzurechnen seien. Er habe zudem  habe entgegen der Auffassung der Vorinstanz im erstinstanzlichen Verfahren ein tatsächliches Verständnis behauptet, wonach die Pflicht der Arbeitgeberin zur Bezahlung der Anwaltskosten unabhängig von der D&O-Versicherung bestehe und wonach der von der D&O-Versicherung effektiv ausbezahlte Betrag anzurechnen sei.

Das Bundesgericht wies teilte diese Auffassung nicht:

3.2.3. Die Vorinstanz legte dar, dass mit Bezug auf die Auslegung der Schadloserklärung keine relevanten Begleitumstände ersichtlich oder von den Parteien dargetan seien, sodass allein auf den Wortlaut abzustellen sei.  

Dagegen macht der Beschwerdeführer theoretische Ausführungen zur Vertragsauslegung, wonach es keinen klaren Wortlaut gebe und eine „rein grammatikalische oder formalistische“ Auslegung unzulässig sei. Er setzt sich damit aber nicht hinreichend mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinander (Erwägung 2.1), welche darlegte, weshalb mangels relevanter Begleitumstände im vorliegenden Fall einzig auf den Wortlaut der Schadloshaltungserklärung abzustellen sei, noch ist ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz eine „formalistische Auslegung“ vorgenommen hätte. Vielmehr stützte sie sich mangels tatsächlichen Vorbringen der Parteien notgedrungen einzig auf den Wortlaut der Bestimmung ab und legte diesen sorgfältig und nachvollziehbar unter Berücksichtigung des allgemeinen und juristischen Sprachverständnisses aus. Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. 

3.2.4. Bereits vor der Vorinstanz berief sich der Beschwerdeführer darauf, dass der Begriff der „Versicherungsdeckung“ in Ziff. 6 der hier strittigen Zusatzbedingung zum Arbeitsvertrag mit „Zahlung durch die Versicherung“ gleichzusetzen sei. Die Vorinstanz verwarf diesen Standpunkt und kam zum Schluss, massgebend sei die Leistungspflicht, nicht deren allfällige Erfüllung (oben Erwägung 3.1). Diese Auslegung des Wortlautes der Schadloshaltungsklausel stellt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht in Frage, zumindest nicht hinreichend (Erwägung 2.1). Er stellt sich vielmehr im Wesentlichen auf den Standpunkt, dass dieses Auslegungsresultat nicht dem Sinn und Zweck der Vereinbarung entspreche. Objektiver Sinn der Schadloshaltungsklausel sei es, dem Mitarbeiter eine rasche und effektive Wahrung seiner Rechte im Zivil- oder Strafverfahren zu ermöglichen und den Mitarbeiter für die entstehenden Kosten schadlos zu halten. Für einen Arbeitnehmer sei es nie sinnvoll, die Schadloshaltung von seinem Arbeitgeber erst dann einfordern zu können, wenn der Bestand und der Umfang der Versicherungsdeckung feststehe, da dies stets mit Unsicherheiten behaftet sei und Jahre dauern könne. Angesichts der beträchtlichen Kosten, die bei einem Einbezug in ein zivil- oder strafrechtliches Verfahren entstehen könne, sei der Arbeitnehmer auf eine rasche und effektive Übernahme der Kosten angewiesen. Vernünftige und nach Treu und Glauben handelnde Personen könnten die fragliche Klausel im Sinne einer sachgerechten Lösung nur so verstehen, dass mit „Versicherungsdeckung“ eine effektiv vorgenommene Deckung, d.h. Zahlung der Versicherung, gemeint sei und dass zwecks Vermeidens einer Überentschädigung effektiv erhaltene Zahlungen anzurechnen seien. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz habe der Beschwerdeführer somit einen Anspruch gegen die Beschwerdegegnerin auf Schadloshaltung, auch wenn noch nicht klar sei, ob und in welchem Umfang die Versicherungsdeckung bestehe.  

Unbestritten ist, dass es sich bei der Ziff. 6 der Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 30. April 2011 um eine Schadloshaltungsverpflichtung der Beschwerdegegnerin als Arbeitgeberin gegenüber dem Beschwerdeführer als Arbeitnehmer handelt. Danach übernimmt die Beschwerdegegnerin Kosten, die dem Beschwerdeführer durch einen allfälligen Einbezug in zivil- oder strafrechtliche Verfahren im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit entstehen, „soweit im Rahmen der anwendbaren Versicherungen keine Versicherungsdeckung“ besteht. 

Man kann sich in der Tat fragen, ob es allenfalls der Regelungszweck der Vertragsbestimmung war, dass die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer in finanzieller Hinsicht rasch unterstützt und seine Kosten sofort und unabhängig von allfälligen Versicherungsleistungen vorab übernimmt, sollte dieser im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die Beschwerdegegnerin in zivil- oder strafrechtliche Verfahren einbezogen werden. Umstände zur Zeit des Vertragsschlusses, die dem Bundesgericht diesen Schluss erlauben würden, fehlen jedoch im vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt vollständig, und der Beschwerdeführer verlangt diesbezüglich keine Sachverhaltsergänzung, zumindest nicht hinreichend (Erwägung 2.2). Jedoch spricht der Vorbehalt der Versicherungsdeckung für die Sicht der Vorinstanz, dass die Leistung durch die Arbeitgeberin nur subsidiär zur Unterstützung durch die Versicherung greifen soll. 

Einzig gestützt auf den von der Vorinstanz feststellten Wortlaut der Zusatzvereinbarung ist nicht ersichtlich, dass es der Zweck der Regelung von Ziff. 6 der Zusatzvereinbarung ist, den Beschwerdeführer als Arbeitnehmer in den genannten Situationen möglichst rasch finanziell zu unterstützen, noch bevor der Umfang einer allfälligen Leistungspflicht durch die Versicherung feststeht. Vielmehr besteht der daraus ableitbare Regelungszweck, wie ihn eine redliche Person in der Situation des Beschwerdeführers in guten Treuen verstehen durfte und musste, einzig darin, dass die Beschwerdegegnerin die darin genannten Kosten übernimmt und den Beschwerdeführer damit von finanziellen Schäden schadlos hält, die ihm im Zusammenhang mit seiner Arbeitstätigkeit für die Beschwerdegegnerin durch straf- oder zivilrechtliche Verfahren entstehen. Mit der betreffenden Klausel wird gerade klar gestellt, dass die Arbeitgeberin nur solche Schäden übernimmt, die nicht von der Versicherung gedeckt sind. Zur Schadenssubstanziierung gehört mithin die Darlegung, dass keine Versicherungsdeckung für die Klageforderung besteht. 

Das Auslegungsresultat der Vorinstanz ist damit bundesrechtlich nicht zu beanstanden. 

3.2.5. An dieser Schadenssubstanziierung (fehlende Versicherungsdeckung) ist der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz gescheitert. Vor Bundesgericht macht er nicht geltend, zumindest nicht hinreichend (Erwägung 2.1), dass er entgegen der Auffassung der Vorinstanz erstinstanzlich tatsächliche Vorbringen zur fehlenden Versicherungsdeckung gemacht, oder die Vorinstanz bundesrechtswidrig überspannte Anforderungen an die tatsächlichen Vorbringen gestellt hätte. Es bleibt damit beim Ergebnis der Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer es vor der Erstinstanz an tatsächlichen Vorbringen zur Anspruchsvoraussetzung der fehlenden Versicherungsdeckung mangeln liess.

 

Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers siehe auch (Auswahl):

 

Autor: Nicolas Facincani 

 

Weitere umfassende Informationen zum Arbeitsrecht finden sie hier.