Umstritten war in BGer 4A_116/2023 vom 16. April 2023, ob der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin aus dem Arbeitsverhältnis eine Überstundenentschädigung schuldet, wobei vor allem der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerin strittig war.

 

Zu den Überstunden

Werden Überstunden geleistet, können diese bei Einverständnis der Arbeitnehmerin und des Arbeitgebers innert eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von mindestens gleicher Dauer kompensiert werden. Kompensation durch Freizeit kann nicht gegen den Willen der Arbeitnehmerin durchgesetzt werden; in der Regel selbst dann nicht, wenn sie freigestellt worden ist. Vorbehältlich anderer vertraglicher Regelungen sind die Überstunden 1:1 zu kompensieren. Der in Art. 321c Abs. 3 OR genannte Zuschlag von 25 Prozent (siehe hiernach) findet beim Ausgleich durch Freizeit keine Anwendung.

Werden Überstunden von Arbeitnehmerinnen nicht durch Freizeit ausgeglichen, haben sie einen Anspruch auf Entschädigung im Umfang des auf die Überstunden entfallenden Lohns plus einen Zuschlag von 25 Prozent. Das gilt freilich nur, sofern nichts anderes schriftlich verabredet oder durch Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist. Dieser Zuschlag ist nicht zwingend. Soweit nicht öffentlich-rechtliche Bestimmungen entgegenstehen, kann von dieser gesetzlichen Regelung auch zuungunsten der Arbeitnehmerin abgewichen werden. Nach der wohl überwiegenden Lehrmeinung können Arbeitgeber und Arbeitnehmerin den Zuschlag von 25 Prozent oder sogar jegliche Entschädigung ausschliessen. Solche Klauseln sind allerdings in Arbeitsverträgen sorgfältig zu redigieren.

Ist die Überstundenentschädigung nicht wegbedungen, sind Überstunden, die durch den Arbeitgeber angeordnet wurden, in jedem Fall zu entschädigen. Wenn Überstunden aus eigener Initiative geleistet werden, ist Zeitausgleich oder Vergütung vom Arbeitgeber nur zu leisten, wenn die Überstunden entweder vom Arbeitgeber genehmigt wurden, objektiv notwendig waren oder von der Arbeitnehmerin aufgrund der konkreten Umstände in guten Treuen als notwendig erachtet werden durften. Wusste der Arbeitgeber, dass Überstunden geleistet wurden, so darf die Arbeitnehmerin nach Treu und Glauben die Zustimmung des Arbeitgebers annehmen. Überstunden sind aber handkehrum nicht zu entschädigen oder durch Freizeit auszugleichen, wenn sie ohne Zustimmung geleistet wurden und die Überstunden nicht durch die besonderen Umstände im Betrieb notwendig waren. Beachtlich ist, dass Überstunden, die gegen den Willen des Arbeitgebers erfolgen, ungeachtet dessen, weshalb sie geleistet worden sind, nicht entschädigt werden müssen. Grundsätzlich ist es nämlich Sache des Arbeitgebers, über die Leistung von Überstunden zu entscheiden.

 

Sachverhalt BGer 4A_116/2023 vom 16. April 2023

Die Parteien schlossen am 1. August 201z einen bis zum 30. September 2017 befristeten Arbeitsvertrag über die Pflege und Betreuung des Arbeitgebers ab. Vereinbart wurde ein Arbeitspensum nach Bedarf mit flexiblen Arbeitszeiten und mindestens einem freien Tag pro Woche zu einem Bruttolohn von Fr. 3’510.– (inklusive eines Zuschlags von 10.64 % für fünf Wochen Urlaub pro Jahr, zuzüglich Kost und Logis). Mit Arbeitsvertrag vom 30. September 2017 verlängerten die Parteien das Arbeitsverhältnis per 1. Oktober 2017 auf unbestimmte Zeit zu ansonsten gleich bleibenden Konditionen. Am 30. März 2019 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis per 30. April 2019.

 

Vorbringen der Arbeitnehmerin vor Bundesgericht

Die Arbeitnehmerin brachte vor Bundesgericht vor, die angenommene durchschnittliche Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche sei nicht mit einer von ihr ins Recht gelegten Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 27. März 2018 (IV- Verfügung 2018) vereinbar. Im Einzelnen beanstandete sie, aus der IV-Verfügung 2018 ergebe sich ein monatlicher Pflegebedarf des Arbeitnehmers von 417.14 Stunden. Dies entspreche einem Pflegeaufwand von 50 Stunden pro Betreuerin und Woche. Die Vorinstanz habe zudem die Verordnung vom 17. Januar 1961 über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) falsch angewandt, indem sie davon ausgegangen sei, der in der IV-Verfügung 2018 ermittelte Bedarf von 360 Stunden beruhe auf einer Addition der in der IVV vorgesehenen Höchstansätze von 40 bzw. 120 Stunden. Aus den in Art. 39e Abs. 2 IVV gesetzlich vorgesehenen Höchstansätzen für Pflegeleistungen ergebe sich ein Total von 220 Stunden. Nicht darin enthalten seien die Entschädigungen für Nachtdienste nach Art. 39c lit. i IVV, die pauschal nach der Intensität der zu erbringenden Hilfeleistung festgelegt würden.

 

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde ab. Die aus prozessualen und materiellen Gründen.

 

Zu den prozessualen Gründen:

Soweit die Arbeitnehmerin gestützt auf die IV-Verfügung 2018 von einem Pflegebedarf von 417.14 Stunden pro Monat ausging, so hatte sie den vorinstanzlichen Sachverhalt in unzulässiger Weise ergänzt. Sie zeigt nicht auf, inwiefern sie diesen Pflegebedarf bereits vor den Vorinstanzen prozesskonform geltend gemacht hat (tas Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich im Sinne von Art. 9 BV).

 

Zu den materiellen Gründen

Gemäss Bundesgericht ergebe sich aus der IV-Verfügung 2018 nicht der von der Arbeitnehmerin erwähnte Pflegebedarf. Die IV-Verfügung 2018 sehe nach Abzug der Leistungen für die Hilfeentschädigung (57.14 Stunden pro Monat) und der Krankenpflegeversicherung (24.58 Stunden pro Monat) einen Pflegebedarf von 278.28 Stunden vor. Da die Addition von 278.28 Stunden mit 57.14 Stunden und 24.58 Stunden ein Total von 360 Stunden ergebe, sei es unzutreffend, wenn die Arbeitnehmerin von einem Betrag von ausgehe.14 Stunden und damit von einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 50 Stunden ausgeht. Die Arbeitnehmerin vermöge auch nicht darzulegen, inwiefern die Feststellung der Vorinstanz, die Verfügung beruhe auf einer pauschalen und nicht auf einer konkreten Bedarfsermittlung, offensichtlich unhaltbar sein soll. Nichts daran vermöge die von der Arbeitnehmerin vorgenommene Berechnung der in der IVV vorgesehenen Höchstansätze zu ändern, welche einen angeblichen Pflegebedarf von 220 Stunden ergeben solle. So werde in der Berechnung der Arbeitnehmerin nicht berücksichtigt, dass die Hilfeleistung gemäss Art. 39e Abs. 2 lit. a Ziff. 3 IVV von 40 Stunden mehrfach zugesprochen werden kann (“ pro alltägliche Lebensverrichtung „). Ferner gestehe die Arbeitnehmerin selbst zu, dass die Entschädigung für den Nachtdienst gerade pauschal festgelegt und nicht im angeblichen Total von 220 Stunden enthalten sei. Entsprechend ist es nicht offensichtlich unhaltbar, wenn die Vorinstanz annimmt, der Betrag von 360 Stunden setze sich aus einer Addition der in Art. 39e IVV vorgesehenen Pauschalbeiträge für Hilfeleistungen zusammen.

 

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Autor: Nicolas Facincani 

 

 

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