Im Zusammenhang mit der Kündigung eines Kantonsschullehrers hatte sich das Bundesgericht mit Fragen einer allfällig geltenden Treuepflicht von Lehrern sowie der Kündigungsfreiheit auseinanderzusetzten.

Auf das entsprechende Arbeitsverhältnis waren das Gesetz des Kantons Schaffhausen vom 3. Mai 2004 über das Arbeitsverhältnis des Staatspersonals (Personalgesetz [PG], SHR 180.100), das Schulgesetz des Kantons Schaffhausen vom 27. April 1981 (SchulG, SHR 410.100) sowie das Schuldekret des Kantons Schaffhausen vom 27. April 1981 (SHR 410.110) anwendbar.

 

Treuepflicht von Lehrern im Kanton Schaffhausen

Arbeitnehmende sind nach diesen Regeln verpflichtet, die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren (Art. 30 Abs. 1 PG). Die Anforderungen an die Treuepflicht sind anhand der konkreten Funktion und der Stellung des Arbeitnehmers für jedes Arbeitsverhältnis gesondert aufgrund der Umstände und der Interessenlage des konkreten Einzelfalls zu bestimmen. Konkretisiert wird die Treuepflicht namentlich durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers und die Befolgungspflicht des Arbeitnehmers (Art. 30 Abs. 3 PG; für die Kantonsschule vgl. ferner § 55 des Schuldekrets). Die Nichtbefolgung bedeutet die Verletzung einer gesetzlichen Pflicht und stellt grundsätzlich einen Kündigungsgrund im Sinn von Art. 11 Abs. 4 lit. a PG dar (vgl. Urteil 1C_234/2008 vom 7. November 2008 E. 5.2). Massgebend ist nicht allein die Wichtigkeit der Pflicht, gegen die verstossen wird; vor allem die Intensität der Verletzungshandlung entscheidet darüber, ob ein rechtmässiger Kündigungsgrund vorliegt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-4312/2016 vom 23.Februar 2017 E. 5.4 mit Hinweis). Die Treuepflicht besteht gemäss dem Wortlaut von Art. 30 Abs. 1 PG gegenüber dem Arbeitgeber.

 

Missbräuchliche Kündigung von Kantonsschullehrern im Kanton Schaffhausen

Sodann können Kündigungen von Lehrern missbräuchlich sein. Eine Kündigung ist missbräuchlich, wenn sie aus bestimmten unzulässigen Gründen ausgesprochen wird, die in Art. 336 OR umschrieben werden (Art. 15 Abs. 1 lit. c PG), wobei die Aufzählung nicht abschliessend ist. Eine Kündigung kann aber auch wegen der Art und Weise, wie das Recht ausgeübt wird, missbräuchlich sein, etwa wenn der Arbeitgeber bei der Kündigung seine Fürsorgepflicht verletzt (Urteil 8C_590/2020 vom 8. Juli 2021 E. 12.1 mit Hinweisen). Aus diesem Grund kann die Missbräuchlichkeit der Kündigung nicht bereits deshalb ausgeschlossen werden, weil diese sachlich hinreichend begründet war. Auch eine sachlich an sich begründete Kündigung kann mithin missbräuchlich sein (Urteil 8C_594/2010 vom 25. August 2011 E. 4.4).

 

BGer 8C_385/2022 vom 14. Juni 2023

Ein Lehrer machte geltend, die gegen Ihn ausgesprochen Kündigung sei missbräuchlich und es fehle ein sachlicher Grund. Dies wurde von der kantonalen Vorinstanz abgelehnt, namentlich aus folgenden Gründen (auch Zusammenfassung des Sachverhalts):

Gemäss Vorinstanz habe die Prorektorin der Kantonsschule am 17. Oktober 2020 eine E-Mail eines Schülers an dessen Lehrpersonen und damit auch an den Arbeitnehmer weitergeleitet. Darin habe der Schüler erklärt, er sei „trans“ und ein Junge. Er bitte darum, nur noch mitseinem neu gewählten (männlichen) Rufnamen und nicht mehr mit dem (weiblichen) Geburtsnamen angesprochen zu werden. Die Prorektorin habe im besagten E-Mail an die Lehrerschaft betont, es sei wichtig, nur noch den neuen Vornamen zu verwenden. Der Schüler werde am 20. Oktober 2020 in der Lektion seiner Klassenlehrperson seine Mitschülerinnen und Mitschüler („Klasse“) informieren.

Der Arbeitnehmer habe, so das kantonale Gericht, mit E-Mail vom 19. Oktober 2020 darauf geantwortet und geschrieben, der Wunsch des Schülers, als Junge angesprochen zu werden, werfe bei ihm diverse grundlegende Fragen auf, namentlich jene, auf welche rechtliche Grundlage eine solche Änderung der Ansprache abgestützt sei, und ob der Schüler beabsichtige, künftig die Herrentoilette zu benutzen, wo beider Lehrer den weiblichen Namen genannt habe.

Gemäss Vorinstanz habe der Schüler und dessen Klasse am 20. Oktober 2020, noch vor der Lektion bei der Klassenlehrperson, Unterricht beim Lehrer gehabt. Die Kantonsschule werfe letzterem vor, er habe während dieser Lektion den Wunsch des Schülers nicht respektiert und die entsprechende Weisung der Prorektorin missachtet, indem er diesen weiterhin mit dem weiblichen Geburtsnamenangesprochen habe. Der Lehrer habe sich auf den Standpunkt gestellt, er sei davonausgegangen, der Schüler werde sich erst in der Lektion der Klassenlehrperson „outen“. Ausserdem seien noch offene Fragen im Raum gestanden.

Das kantonale Gericht erkannte darüber hinaus, dass am 22. Oktober 2020 ein Gespräch zwischen dem Rektor, der Prorektorin und dem Lehrer stattgefunden habe. Dabei hätten die beteiligten Personen die Vorkommnisse der vergangenen Tage im Zusammenhang mit dem „Outing“ des Schülers diskutiert. Zum Gespräch sei eine Aktennotiz erstellt worden. Der Lehrer habe geäussert, dass er den Schüler nicht beim männlichen Namen nennen könne, da dies seiner fundamentalen religiösen Position zuwiderlaufen würde. Diese könne er nicht in Frage stellen und nicht im Ansatz davon abweichen. Wenn er gezwungen werde, den Schüler mit dem neuen männlichen Namen anzusprechen, verletze dies seine Religionsfreiheit. Aufgrund der Bibel gelte nur das biologische Geschlecht, ein soziales Geschlecht gebe es nicht. Er könne nicht darauf verzichten, einem Menschen, der zutiefst verletzt sei, die Realität verleugne und in einer völligen Verblendung lebe, die zum Selbstmord führen werde, aufzuzeigen, dass es einen Ausweg gebe. Dieser sei der Weg zum Glauben; er hoffe und bete für diesen Menschen, dass „sie“ diesen Weg finden könne.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 habe die Kantonsschule dem Lehrer ihre Absicht mitgeteilt, das Arbeitsverhältnis mit ihm aufzulösen, so das kantonale Gericht. Als Begründung habe sie die im Verweis vom 3. September 2020 erwähnten Gründe sowie das im Gespräch vom 22. Oktober 2020thematisierte Verhalten des Lehrers bzw. dessen Weigerung, dieses Verhalten zu ändern, genannt. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2020 habe die Kantonsschule dem Lehrer erneut die Gründe für die beabsichtigte Kündigung, namentlich dessen Weigerung, sein Verhalten zu ändern und den Schüler mit dem neuen Rufnamen anzusprechen, genannt. Der Lehrer habe darauf mit E-Mail vom 3. November 2020 geantwortet. Er habe geschrieben, es gebe keine Rechtsgrundlage für das Anliegender Kantonsschule, den Schüler mit einem anderen Namen als dem Geburtsnamen anzusprechen und „sie“ als Jungen zu behandeln.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Da der Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts auf kantonalem Recht beruhte, konnte vom Bundesgericht nur geprüfte werden, ob der angefochtene Entscheid auf willkürlicher Gesetzesanwendung beruht oder ob das Gesetz oder seine Anwendung sonstwie gegen übergeordnetes Recht verstossen (BGE 137 V 57 E. 1.3 S. 60; vgl. auch BGE 138 I 225 E. 3.1 und 3.2 S. 227 f., je mit Hinweisen).

Das Bundesgericht bestätigte in BGer 8C_385/2022 vom 14. Juni 2023, dass unter den vorgenannten Umständen die kantonale Vorinstanz willkürfrei davon ausgegangen sei, dass in der eindeutig geäusserten Ankündigung des Lehrers, seiner Weisungsbefolgungspflicht (Art. 30 Abs. 3 PG; § 55 des Schuldekrets) nicht nachzukommen, ein sachlicher Kündigungsgrund im Sinneiner schweren Pflichtverletzung (Art. 11 Abs. 4 lit. a PG) erblickt werden könne. Die Rüge des Lehrers, er habe den Schüler nur einmal mit dem weiblichen Vornamen angesprochen und danach nie mehr, ist mit Blick auf seine kategorische Weigerungshaltung unbehelflich. Das kantonale Gericht hat diesbezüglich zu Recht festgehalten, die Kantonsschule sei angesichts der konkreten Tatsachen und der unmissverständlichen Äusserung des Beschwerdeführers nicht gehalten gewesen, mit der Kündigung bzw. deren Ankündigung zuzuwarten, bis dieser den Schüler entgegen der Weisung (erneut) mitseinem Geburtsnamen ansprechen würde.

Ebenso sei die Kündigung nicht missbräuchlich, was vom Bundesgericht ebenfalls verneint wurde:

Der Beschwerdeführer übersieht hierbei zweierlei. Erstens ist er als Lehrperson an einer öffentlichen Kantonsschule in einem besonderen staatlichen Verhältnis gestanden, in das er freiwillig eingetreten war (vgl. BGE 123 I 296 E. 3). Die Vorinstanz hat dazu bundesrechtskonform dargelegt, dass für die öffentliche Schule ein Neutralitätsgebot gelte und die für sie handelnden Lehrpersonen zu Neutralität und konfessioneller Gleichbehandlung verpflichtet seien (BGE 139 I 280 E. 5.5.2; vgl. auch BGE 142 I 49 E. 3.3 und E. 9.2). Beim hier betroffenen Schüler handelt es sich nicht um eine beliebige Drittperson, sondern um einen Jugendlichen, der dem Beschwerdeführer im schulischen Rahmen anvertraut gewesen ist. Mit der blossen Aufforderung an die Lehrpersonen, den Schüler mit dem männlichen Namen anzusprechen, ist die Schule ihrer Verpflichtung nachgekommen, die Grundrechte des betroffenen Schülers zu schützen. Denn das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz der individuellen Selbstbestimmung umfasst auch die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität (vgl. Art. 8 EMRK; Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs.1 BV). Zweitens mag es zutreffen, dass es seinen inneren Überzeugungen widerstrebt, den Schüler mit dem männlichen Rufnamen anzusprechen, wie der Beschwerdeführer moniert. Allerdings hat die Vorinstanz vor dem Hintergrund des Gesagten in nicht zu beanstandender Weise den Schutz des Schülers in seiner individuellen Selbstbestimmung höher gewichtet. Daran ändern auch die übrigen Vorbringen des Beschwerdeführers nichts. Namentlich zielt die Rüge ins Leere, gemäss EGMR dürfe ein Standesbeamter nicht verpflichtet werden, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu schliessen, wenn er dies aus religiösen Gründen ablehne. Es sei diskriminierend, ihn aufgrund seiner Überzeugung zu entlassen. Der EGMR hat zwar im Urteil Eweida u.a. gegen Grossbritannien vom 15. Januar 2013, Nr. 48420/10, 59842/10, 51671/10 und 36516/10 festgehalten, dass sich die Standesbeamtin, die sich geweigert habe, homosexuelle Paare zu trauen und sich zwischen ihren religiösen Überzeugungen und den Vorgaben an ihrer Arbeitsstelle habe entscheiden müssen, auf Art. 9und 14 EMRK berufen könne. Allerdings hat er in der Folge – entgegen dem Beschwerdeführer – eine Verletzung dieser Bestimmungen im Fall der Standesbeamtin verneint, weshalb dieser daraus nichts für sich ableiten kann.

 

Weitere Beiträge zur Treuepflicht:

 

Autor: Nicolas Facincani 

 

 

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