Die Durchführung einer Massenentlassung stellt eine besondere Herausforderung für die Geschäftsleitung und Personalverantwortlichen dar – dies nicht nur auf rechtlicher und organisatorischer, sondern auch auf emotionaler Ebene.

 

1. Einleitung

Eine Massenentlassung nach dem Obligationenrecht liegt vor, wenn ein Arbeitgeber in einem Betrieb innert 30 Tagen eine gewisse Anzahl von Arbeitnehmer entlässt, ohne dass die Kündigungen in einem Zusammenhang mit der Person der Arbeitnehmer (z.B. Leistung, Verhalten) stehen (Art. 335d OR; Jean Christophe Schwaab, Le licenciement collectif, collection « Quid luris », Genève/Zurich/Bâle 2018, S. 5.).

Ob aus rechtlicher Sicht eine Massenentlassung vorliegt, hängt von der Grösse des Betriebs und der Anzahl der entlassenen Arbeitnehmer ab (Art. 335d OR). Rechtlich als Massenentlassung gilt die Entlassung von:

  • mindestens 10 Arbeitnehmer in Betrieben, die «in der Regel» (dies entspricht der durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer, die in einer repräsentativen Referenzperiode, z.B. einem halben Jahr, angestellt sind, wobei Ersatz- und Aushilfskräfte unberücksichtigt bleiben) mehr als 20 Arbeitnehmer und weniger als 100 Arbeitnehmer beschäftigen;
  • mindestens 10 Prozent der Arbeitnehmer in Betrieben, die in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmer beschäftigen sowie
  • mindestens 30 Arbeitnehmer in Betrieben, die in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmer beschäftigen.

Die Ermittlung der genauen Schwellenwerte betreffend die beschäftigten Arbeitnehmer ist nicht immer einfach. Der Personalbestand kann auch schwanken. Der Zusatz im Gesetzestext „in der Regel“ lässt darauf schliessen, dass kurzfristige Schwankungen bei der Bestimmung der Anzahl beschäftigten Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden. Unter die Bestimmung zur Massenentlassung in Art. 335d OR fallen folgende Gruppen von Arbeitnehmern: Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte, Lehrlinge, Praktikanten und Volontäre, sämtliche Mitarbeiter, die sich in der Probezeit befinden sowie befristete Arbeitsverhältnisse, wenn diese länger als drei Monate dauern. Arbeitnehmer, die nur aufgrund einer kurzzeitigen Arbeitsvermehrung (Ausverkauf, Weihnachtsgeschäft, Abschlussarbeiten) oder als Ersatz für im Urlaub befindliche oder erkrankte Arbeitnehmer eingestellt werden sowie befristet Angestellte, deren Befristung weniger als drei Monate beträgt, sind nicht zu berücksichtigen. (Hat ein Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag unterzeichnet, aber die Stelle noch nicht angetreten, so ist er bei der Betriebsgrösse nicht mitzuzählen. Soll dieser aber im Rahmen der Massenentlassung entlassen werden, so ist die entsprechende Kündigung (vor oder nach Stellenantritt) bei den Kündigungen zu berücksichtigen.) Der Wohnort ist nicht relevant. Auch Grenzgänger sind normal in die Berechnung einzubeziehen.

Unseres Erachtens ist aber in jedem Fall für die Berechnung darauf abzustellen, ob ein Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag mit dem entsprechenden Arbeitgeber hat. So sind u.E. im Rahmen von Entsendungen, bei welchen mit den entsandten Mitarbeitern beim Einsatzbetrieb kein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird, die entsprechenden Mitarbeiter bei der Prüfung der Massenentlassung nicht mitzuzählen, ungeachtet der Tatsache, ob sie in den betreffenden Betrieb integriert sind oder nicht. Ebenso sind Arbeitnehmer, die im Rahmen des Personalverleihs einem Betrieb verliehen werden, bei der Berechnung nicht mitzuzählen.

Ungeachtet dieser Grenzwerte finden die Vorschriften zur Massenentlassung keine Anwendung, wenn der Massenentlassung eine gerichtliche Betriebseinstellung, der Konkurs des Arbeitgebers oder ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zu Grunde liegen (Art. 335e Abs. 2 OR).

Möglich ist aber, dass ein Gesamtarbeitsvertrag die Regeln betreffend Massenentlassungen bereits bei tieferen Schwellen vorsieht (Vgl. etwa Thomas Kälin/Kerstin Kirchhoff, Massenentlassung, in: Jusletter 5. Oktober 2009 Rz. 5). In einem solchen Fall sind die im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehenen Regeln anwendbar.

 

2. Kündigung durch den Arbeitgeber

2.1 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Die Kündigung durch den Arbeitgeber bildet den rechtlichen Anknüpfungspunkt für die Massenentlassung. Gleichgültig ist, ob der Arbeitgeber mit der Kündigung wirklich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder nur eine Änderung der Arbeitsbedingungen erreichen wollte (sog. Änderungskündigung). Unerheblich ist ferner, ob anstelle der entlassenen Arbeitnehmer andere neu eingestellt werden oder nicht – auch mitzuberücksichtigen sind somit Fälle, in denen eine Verminderung der Arbeitnehmerzahl gar nicht beabsichtigt ist. Ebenso sind Kündigungen einer Tochtergesellschaft mitzuzählen (im Rahmen einer Massenentlassung bei der entsprechenden Tochtergesellschaft), auch wenn danach die Einstellung bei der Muttergesellschaft oder einer anderen Konzerngesellschaft geplant ist (CHK-F. Emmel, Art. 335e N 1).

Bedeutend sind nur Kündigungen des Arbeitgebers aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen. Nicht mitgerechnet werden z.B. Kündigungen wegen leistungsmässiger Mängel oder aus disziplinarischen Gründen; solche Kündigungen haben ihren Grund in der Person des Arbeitnehmers. Sind sowohl in der Person des Arbeitnehmers liegende als auch andere Gründe für die Kündigung verantwortlich, so ist darauf abzustellen, welche Gründe für die Kündigung ausschlaggebend gewesen sind.

Liegt keine Kündigung, aber trotzdem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor, so wird die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen der Massenentlassung nicht berücksichtigt. Darunter fällt insbesondere die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Aufhebungsvereinbarung (unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs), aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages oder als Folge des Todes des Arbeitnehmers. Genauso wenig gilt die einvernehmliche Abänderung des Arbeitsvertrages als Kündigung in diesem Sinn (Nicolas Facincani/Reto Sutter, Massenentlassung: Der Ablauf der Massenentlassung, TREX 04/2018, S. 202 f.).

 

2.2 Änderungskündigungen

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass auch Änderungskündigungen von den Bestimmungen einer Massenentlassung erfasst sind (Vgl. hierzu insbesondere Marco Kamber, Die Änderungskündigung im Arbeitsvertragsrecht, Bern 2014, S. 325 ff.). Es werden grundsätzlich 2 Arten von Änderungskündigungen unterschieden: die Änderungskündigung i.e.S. (hier wird formell gekündigt und gesagt, die Kündigung gelte nicht, sofern die neuen Vertragsbedingungen angenommen werden) und die Änderungskündigung i.w.S. (hier wird eine Vertragsofferte unterbreitet. Es besteht die Absicht, dass gekündigt wird, wenn die Offerte nicht angenommen wird).

Änderungskündigungen i.e.S. sind auf jeden Fall für die Bestimmung der Grenzwerte einer Massenentlassung mitzuzählen. Unklarer ist die Situation in Bezug auf die Änderungskündigung i.w.S. Man könnte argumentieren, die Kündigung sei auch hier geplant. So wären Änderungskündigungen i.w.S. bereits zum Zeitpunkt der Übermittlung der Änderungsofferten für die Bestimmung der Grenzwerte einer Massenentlassung mitzuzählen. Diese Ansicht wird nur vereinzelt vertreten. Auf der anderen Seite kann man argumentieren, dass es im Zeitpunkt der Übermittlung der Änderungsofferte noch nicht klar ist, ob dann tatsächlich eine Kündigung ausgesprochen wird. Wenn diese tatsächlich ausgesprochen wird, würde diese aber auf jeden Fall für die Bestimmung der Grenzwerte einer Massenentlassung mitzuzählen sein, im Zeitpunkt der Änderungsofferte aber noch nicht (Nicolas Facincani/Reto Sutter, Massenentlassung: Der Ablauf der Massenentlassung, TREX 04/2018, S. 203).

 

3. Kündigungen innert 30 Tagen

Für die Prüfung, ob eine Massenentlassung vorliegt, werden nur Kündigungen betrachtet, welche innert 30 Tagen ausgesprochen werden sollen. Werden also Kündigungen gestaffelt ausgesprochen, so wären die Vorschriften über die Massentlassung nicht anwendbar. Fälle der Gesetzesumgehung sind aber vorbehalten. Werden die Kündigungen lediglich gestaffelt ausgesprochen, um die Vorschriften betreffend Massenentlassungen zu umgehen, muss man gemäss herrschender Lehre (es gibt aber auch gewichtige Gegenmeinungen (Vgl. etwa Marco Kamber, Die Änderungskündigung im Arbeitsvertragsrecht, Bern 2014, S. 330)) mit der Anwendung der entsprechenden Vorschriften rechnen. Solche Fälle, bei welchen die Gerichte der Ansicht waren, es seien zu Unrecht die Vorschriften über die Massenentlassung nicht beachtet worden, sind aber relativ selten, die Folgen wären aber u.U. gewichtig (siehe unten). Sollen etwa im Rahmen von Betriebsschliessungen Kündigungen gestaffelt ausgesprochen werden, so empfiehlt es sich einerseits dafür zu sorgen, dass die Kündigungen nicht zu nahe beieinander ausgesprochen werden (also nicht gleich unmittelbar nach Ablauf der 30-Tage Frist) und andererseits in der Lage zu sein, sachliche Gründe für die Staffelung der Kündigungen bereit zu haben.

Das Gewerbliche Schiedsgericht Basel hatte einen solchen Fall im Jahr 2011 zu beurteilen und hielt für den konkreten Fall fest, dass die zeitliche Staffelung von Kündigungen eine Umgehung der Vorschriften über die Massenentlassung sei, wenn der Arbeitgeber damit keine arbeitsmarktpolitischen Ziele verfolge.

 

4. Kündigung innerhalb des Betriebs

Ein Unternehmen kann aus mehreren Betrieben bestehen. Die Prüfung, ob eine Massenentlassung vorliegt, findet für jeden einzelnen Betrieb statt (Zusatzbotschaft I zur EWR-Botschaft vom 27. Mai 1992 BBL 1992 V 407). D.h., umfasst ein juristisches Unternehmen mehrere Betriebe, so ist für die Bestimmung der Anzahl Beschäftigten sowie der in Betracht gezogenen Kündigungen nicht auf das Unternehmen, sondern auf die einzelnen Betriebe abzustellen.

Der Begriff des Betriebs ist im Schweizerischen Recht nicht definiert und aufgrund des europäischen Ursprungs der Massenentlassungsregeln wird hier oft ein Vergleich zu den Regeln in der Europäischen Union herangezogen. Gemäss dem Europäischen Gerichtshof bezeichnet der Begriff «Betrieb» in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 die Einheit, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Ob die fragliche Einheit eine Leitung hat, die selbständige Massenentlassungen vornehmen kann, ist gemäss Europäischem Gerichtshof für die Definition des Begriffs «Betrieb» nicht entscheidend. Im Urteil Athinaïki Chartopoiïa (C‑270/05, EU:C:2007:101) hat der Gerichtshof den Begriff „Betrieb“ weiter präzisiert, wobei er insbesondere in Rn. 27 dieses Urteils ausgeführt hat, dass für den Zweck der Anwendung der Richtlinie 98/59 ein „Betrieb“ im Rahmen eines Unternehmens u. a. eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität sein kann, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Durch die Verwendung der Ausdrücke „unterscheidbare Einheit“ und „im Rahmen eines Unternehmens“ hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich die Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ unterscheiden und dass der Betrieb normalerweise Teil eines Unternehmens ist. Das schließt jedoch nicht aus, dass – sofern ein Unternehmen nicht über mehrere unterscheidbare Einheiten verfügt – der Betrieb und das Unternehmen eins sein können.

Diese Überlegungen können auch auf den Schweizer Betriebsbegriff übertragen werden: Ein Betrieb ist die selbst am Wirtschaftsleben teilnehmende, organisatorische Zusammenfassung von persönlichen, sachlichen und immateriellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines arbeitstechnischen Zweckes (BGE 129 III 335 E. 2.1 und BGE 137 III 27 E. 3.2.). Unerheblich ist dabei, ob der Betrieb über eine eigene Geschäftsleitung verfügt, welche über die Kündigungen befinden kann. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht St. Gallen einzelnen Asylzentren Betriebseigenschaft zugebilligt. Es ist selbst dann von eigenständigen Betrieben auszugehen, wenn diese ausschliesslich oder überwiegend Dienstleistungen für Genossenschafter erbringen. So wurde denn auch von kantonalen Instanzen entschieden, dass das Vorliegen eines Betriebes nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass eine Tochtergesellschaft ausschliesslich Dienstleistungen für den Konzern erbringe. Keine genügende Eigenständigkeit besitzt demgegenüber etwa die Abteilung Weiterbildung der Zürcher Hochschule (Entscheid des Verwaltungsgerichtes ZH).

 

4.1 BGer 4A_531/2021 vom 18. Juli 2022

Das Bundesgericht hatte in BGer 4A_531/2021 vom 18. Juli 2022 mit dem Betriebsbegriff im Zusammenhang mit einer Massenentlassung auseinanderzusetzen.

Im Zusammenhang mit einer Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Einspruch gegen ihre Entlassung mit der Begründung, dass diese frauendiskriminierend sei und die Verfahren im Zusammenhang mit Massenentlassungen nicht eingehalten würden, weshalb sie missbräuchlich sei.

Die Arbeitnehmerin, welche bei der Post CH AG in der Einheit «Poststellennetz» in einer Filiale angestellt war, vertrat die Ansicht, dass der Begriff des Betriebs im Sinne von Art. 335d OR bei der Arbeitgeberin der auf schweizerischer Ebene genommenen Einheit „Poststellen-Netz“ entspreche und somit das Massentlassungsverfahren hätte angewendet werden müssen (da somit die entsprechenden Schwellenwerte erreicht würden) und somit nicht nur die einzelne Filiale (bei der sie angestellt war) zu betrachten sei.

Gemäss der Arbeitgeberin ist die streitige Filiale eine sogenannte eigenbetriebene Filiale, d.h. eine Filiale mit Führung, die von einem Filialleiter geleitet wird. Ihrer Ansicht nach stellt jede ihrer Filialen, ob mit oder ohne Leitung, einen Betrieb dar.

 

4.2 Der Betrieb

Ein Betrieb ist wie oben ausgeführt die selbst am Wirtschaftsleben teilnehmende, organisatorische Zusammenfassung von persönlichen, sachlichen und immateriellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines arbeitstechnischen Zweckes. Unerheblich ist dabei, ob der Betrieb über eine eigene Geschäftsleitung verfügt, welche über die Kündigungen befinden kann. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht St. Gallen einzelnen Asylzentren Betriebseigenschaft zugebilligt. Es ist selbst dann von eigenständigen Betrieben auszugehen, wenn diese ausschliesslich oder überwiegend Dienstleistungen für Genossenschafter erbringen. So wurde denn auch von kantonalen Instanzen entschieden, dass das Vorliegen eines Betriebes nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass eine Tochtergesellschaft ausschliesslich Dienstleistungen für den Konzern erbringet.

Auch das Bundesgericht folgte diesem Betriebsbegriff:

5.3 L’unité déterminante pour établir si les seuils prévus à l’art. 335d CO sont atteints est celle de l’“ établissement “ (“ Betrieb „, “ stabilimento „), mentionnée aux ch. 1 à 3 de cette disposition, et ce bien que l’art. 335d i.i. CO se réfère à la notion d’“ entreprise “ (“ Betrieb „, “ azienda „).

Selon la doctrine, il faut entendre par établissement une structure organisée, dotée en personnel, en moyens matériels et immatériels qui permettent d’accomplir les objectifs de travail. Lorsqu’un employeur possède plusieurs établissements qui font partie de la même entreprise, l’existence d’un éventuel licenciement collectif se détermine dans chaque établissement, et non pas au niveau de l’entreprise (ATF 137 III 27 consid. 3.2 et les références citées).

De nombreux auteurs s’accordent sur le fait qu’un établissement doit disposer d’une certaine autonomie mais que celle-ci n’a pas besoin d’être financière, économique, administrative ou juridique et sur le fait qu’il n’est pas nécessaire que l’établissement ait la compétence de décider seul d’un licenciement collectif (JEAN CHRISTOPHE SCHWAAB, Le licenciement collectif, 2018, p. 41; FACINCANI/SUTTER, Arbeitsvertrag, 2021, no 47 ad art. 335d CO p. 582; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7e éd. 2012, no 8 ad art. 335d CO p. 949; SARA LICCI, Die Massenentlassung im schweizerischen Recht, 2018, p. 77 s. n. 121; WYLER/HEINZER, Droit du travail, 4e éd. 2019, p. 670; PHILIPPE CARRUZZO, Le contrat individuel de travail, 2009, p. 502 n. 3).

 

4.3 Nahe beieinander liegende Betriebe

Das Bundesgericht hat bisher die Frage offen gelassen, ob, wie einige Autoren vorschlagen, der Begriff des Betriebs ausgeweitet werden muss, wenn Betriebe so nahe beieinander liegen, dass sie einen einzigen Betriebsort bilden (BGE 137 III 27 E. 3.2). Die Lehre ist in dieser Frage gespalten. Das wurde auch erneut vom Bundesgericht festgehalten:

5.5. Le Tribunal fédéral a jusqu’ici laissé ouverte la question de savoir si, comme certains auteurs le suggèrent, la notion d’établissement doit être étendue lorsque des établissements sont proches au point de constituer un seul lieu d’exploitation (ATF 137 III 27 consid. 3.2).

La doctrine est divisée sur cette question.

Une partie des auteurs plaide en faveur d’une comptabilisation commune des congés donnés dans des établissements distincts mais proches géographiquement; selon ces auteurs, les établissements font, en effet, partie du même marché du travail et les congés donnés produisent les mêmes conséquences économiques et sociales que des congés donnés dans un seul établissement (AUBERT, op. cit., p. 701; SCHWAAB, op. cit., p. 43; CHRISTIAN BRUCHEZ, in Commentaire du contrat de travail, 2013, no 12 ad art. 335d CO; THOMAS GEISER, in Stellenwechsel und Entlassung, 2e éd. 2012, p. 94 n. 3.53; le même, in Sanierung der AG, 2e éd. 2003, p. 178; ROLAND A. MÜLLER, Die Arbeitnehmervertretung, 1999, p. 293 s.; MÜLLER, Massenentlassungen, p. 119).

Une partie importante de la doctrine conteste toutefois cette interprétation, qui n’est selon elle couverte ni par la lettre de la loi ni par l’intention du législateur telle qu’explicitée dans le Message du Conseil fédéral (cf. supra consid. 5.4); selon elle, des établissements faisant partie de la même personne morale sont distincts, même s’ils sont proches d’un point de vue géographique ou de par l’activité concernée (FACINCANI/SUTTER, op. cit., no 49 ad art. 335d CO; PORTMANN/RUDOLPH, in Basler Kommentar, 7e éd. 2020, no 6 ad art. 335d CO; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, op. cit., no 8 ad art. 335d CO; WYLER/HEINZER, ibid.; REHBINDER/STÖCKLI, op. cit., no 13 ad art. 335d CO; ADRIAN STAEHELIN, Zürcher Kommentar, 4e éd. 2014, no 3 ad art. 335d CO; LICCI, op. cit., p. 76 n. 119; ISABELLE WILDHABER, Das Arbeitsrecht bei Umstrukturierungen, 2011, p. 276; MEYER, op. cit., pp. 64-66). MEYER souligne qu’une telle comptabilisation commune de plusieurs établissements peut conduire à un changement de seuil et, donc, à une augmentation du nombre de licenciements nécessaires afin que la procédure de licenciement collectif soit applicable (MEYER, op. cit., p. 65).

 

4,4 Einzelne Filiale ist ein Betrieb

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass jede Poststelle – die eine Filiale ist – ein „Betrieb“ im Sinne von Art. 335d OR ist, d.h. eine organisierte Struktur, die mit Personal, materiellen und immateriellen Mitteln ausgestattet ist, die es ermöglichen, die Arbeitsziele zu erreichen, und die eine gewisse Autonomie geniesst, ohne dass diese Autonomie finanziell, wirtschaftlich, administrativ oder rechtlich sein muss oder die Kompetenz erfordert, allein über eine Massenentlassung zu entscheiden.

 

5. Ablauf des Verfahrens zur Massenentlassung

Beabsichtigt ein Arbeitgeber eine Massenentlassung, sind durch ihn bestimmte gesetzliche Pflichten zu beachten, welche vorwiegend den Schutz der Arbeitnehmenden und die Information des zuständigen kantonalen Arbeitsamts bezwecken. Das Schweizerische Obligationenrecht (Art. 335f und Art. 335g) sieht insbesondere folgende Pflichten des Arbeitgebers vor (Beim Informations- und Konsultationsrecht handelt es sich um Mitwirkungsrechte gemäss Art. 10 des Mitwirkungsgesetzes.):

  • Pflicht des Arbeitgebers zur Information der Arbeitnehmenden;
  • Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines Konsultationsverfahrens unter seinen Arbeitnehmenden sowie
  • Pflicht des Arbeitgebers zur rechtzeitigen Information des kantonalen Arbeitsamtes.

Diese Pflichten sind sodann in der richtigen Reihenfolge vorzunehmen. Die gesetzlichen Vorschriften über die Massenentlassung gelten nicht für Betriebseinstellungen infolge gerichtlicher Entscheide sowie bei Massenentlassung im Konkurs oder bei einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Art. 335e Abs. 2 OR).

Die Pflicht zur Beachtung der gesetzlichen Pflichten betreffend eine Massenentlassung entsteht in dem Moment, in welchem eine Massenentlassung konkret beabsichtigt wird. Wird eine Massenentlassung aber nur in Betracht gezogen, so werden die Pflichten noch nicht ausgelöst (BGE 123 III 176.) Unter Umständen kann es aber schwierig sein zu bestimmen, wann eine konkrete Absicht vorliegt oder nicht.

Wichtig ist, dass der definitive Entscheid über die Entlassungen erst nach durchgeführtem Konsultationsverfahren gefällt werden darf. Aus diesem Grund sind, sofern die Bestimmungen über die Massenentlassungen anwendbar sind, die Beschlüsse des Verwaltungsrates jeweils unter der Bedingung zu fassen, dass das Konsultationsverfahren nichts anderes hervorbringt bzw. keine Lösung offenlegt. Dementsprechend sind auch die Mitteilungen an die Arbeitnehmer und allfällige Medienmitteilungen umsichtig zu formulieren (Nicolas Facincani/Reto Sutter, Massenentlassung: Der Ablauf der Massenentlassung, TREX 04/2018, S. 204.).

 

6. Informationspflicht

6.1 Mindestmitteilungen

Beabsichtigt der Arbeitgeber konkret eine Massenentlassung vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertretung bzw. die einzelnen Arbeitnehmer (zum relevanten Konsultationspartner vgl. weiter unten) zu informieren. Er muss über folgende Faktoren schriftlich (Erst ab dieser Mitteilung läuft die Konsultationsfrist bzw. gestützt auf diesen Zeitpunkt ist die Dauer der Konsultationsfrist zu bestimmen. Für den Fall, dass alle Arbeitnehmer die Konsultationspartner sind (siehe unten), dürfte allerdings darauf abzustellen sein, wann der Grossteil der Arbeitnehmer die Information erhält. Wird die Information anlässlich einer Mitarbeiterversammlung übergeben, sind wohl krankheits- und ferienhalber abwesende Arbeitnehmer nicht zu berücksichtigen, ansonsten die Konsultationsfrist nie zu laufen beginnen würde. Das gleiche gilt beim Postversand, hier dürfte wohl auf den Tag abzustellen sein, an welchem mit dem Empfang durch die Arbeitnehmer zu rechnen ist, auch wenn die Arbeitnehmer aufgrund von Ferien oder Spitalaufenthalt die Postsendung tatsächlich nicht erhalten.) Auskunft geben:

  • die Gründe der Massenentlassung,
  • die Zahl der Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll,
  • die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer sowie
  • den Zeitraum, in dem die Kündigungen ausgesprochen werden sollen.

Anhand dieser Informationen können die Konsultationspartner prüfen, ob überhaupt eine Massenentlassung vorliegt oder nicht. Dabei sind die Informationen so gut wie möglich wahrheitsgetreu anzugeben. Insbesondere müssen die Gründe für die Massenentlassung vollständig und möglichst konkret beschrieben werden, damit im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach Lösungen gesucht werden kann. Neue wesentliche Gründe sind nachträglich mitzuteilen und führen zu einer neuen Konsultationsfrist (Thomas Kälin/Kerstin Kirchhoff, Massenentlassung, in: Jusletter 5. Oktober 2009 Rz. 12).

Oft wird die Eröffnung eines Verfahrens zur Massenentlassung mit einer Mitarbeiterversammlung kombiniert, was sinnvoll sein kann, aber vom Gesetz nicht verlangt wird. Die Durchführung einer Mitarbeiterversammlung hat den Vorteil, dass den Mitarbeitern gleich an der Versammlung die schriftliche Information übergeben werden kann und sie lediglich den Empfang quittieren. Ansonsten empfiehlt es sich, die schriftliche Information per Einschreiben zuzustellen.

 

6.2 Kopien an das Arbeitsamt

Eine Kopie der schriftlichen Mitteilung muss dem kantonalen Arbeitsamt zugestellt werden. Die Zustellung kann auch per Fax oder Email-Scan erfolgen. Die Kopie muss mit der schriftlichen Mitteilung an die Arbeitnehmer zu Beginn der Konsultation übereinstimmen. Eine Nichtzustellung der Kopie führt zur Verletzung der Konsultationspflicht. Dabei trägt der Arbeitgeber die Pflicht zum Nachweis, dass die Kopie dem Arbeitsamt eingereicht worden ist. Anhand der Zustellung der Mitteilung hat das Arbeitsamt die Möglichkeit die zu erwartenden Auswirkungen auf den lokalen Arbeitsmarkt abzuschätzen.

Das Gesetz gibt keine Antwort auf die Frage, welches Arbeitsamt zu informieren ist, sofern ein Betrieb in mehreren Kantonen liegt. Unseres Erachtens wäre es wohl ausreichend dasjenige Arbeitsamt zu informieren, in welchem sich der betriebliche Schwerpunkt des Betriebes befindet (A.M. Jean Christophe Schwaab, Le licenciement collectif, collection « Quid luris », Genève/Zurich/Bâle 2018, S. 44.). Gerichtsentscheide zu dieser Frage sind aber, soweit ersichtlich, nicht ergangen und der vorsichtige Arbeitgeber wird im Zweifel alle kantonalen Arbeitsämter derjenigen Kantone informieren, in welchen der betreffende Betrieb über Standorte verfügt.

 

6.3 Weitere zweckdienliche Auskünfte

Der Arbeitgeber muss zu den obigen Mindestinformationen jegliche weiteren zweckdienlichen Auskünfte erteilen (Sind die einzelnen Arbeitnehmer die Konsultationspartner, so sind die zusätzlichen zweckdienlichen Auskünfte nicht allen Arbeitnehmern, sondern nur denjenigen zu erteilen, welche diese verlangen. Schriftlichkeit der Auskünfte ist nicht verlangt. Zum Umfang der Information siehe insbesondere Laura Widmer/Matthew T. Reiter, Bemerkungen zu den Urteilen des Schweizerischen Bundesgerichts vom 17. März 2011 (4A_483/2010) i.S. Gewerkschaft X. c. A. AG, sowie des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 16. Juli 2010 (ZKAPP.2009.74), AJP 2011, p. 1103 ff.). Dabei haben sich die Arbeitnehmer auf Informationen zu beschränken, die für die Auswahl, Ausarbeitung und Verbesserung erfolgsversprechender Projekte notwendig sind (BGE 137 III 162 E. 2.1.). Darunter versteht man etwa Angaben

  • über die Möglichkeit von Versetzungen innerhalb des Betriebes oder der Unternehmensgruppe,
  • über die Neuorganisation der Arbeitszuteilung
  • über die Mittel, welche zur Verfügung stehen, um die Arbeitnehmer zu entschädigen, die den Betrieb freiwillig verlassen oder
  • über frühzeitige Pensionierungen.

Die Mitteilung der zweckdienlichen Auskünfte muss der Arbeitgeber, anders als die Mindestinformationen, nicht von sich aus vornehmen. Die frühzeitige und Eigeninitiative Mitteilung seitens Arbeitgeber kann aber zur Vermeidung von unnötigen Verlängerungen des Verfahrens von Vorteil sein. Es empfiehlt sich, dass der Arbeitgeber den Arbeitgebern eine bestimmte Person oder Anlaufstelle im Betrieb bekannt gibt, an welche man sich mit Informationsbegehren wenden kann. Am Besten wird dies gleich in das zwingende Informationsschreiben integriert.

 

7. Konsultationsverfahren

Nach Art. 335f OR ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitnehmerschaft (d.h. der Arbeitnehmervertretung wo eine solche vorhanden ist oder den Arbeitnehmern, wo keine Vertretung vorhanden ist.)zur geplanten Massenentlassung zu konsultierten (Die Informationspflicht ist eigentlich bereits Teil der Konsultation.) und ihnen die Möglichkeit zu geben, Vorschläge zu unterbreiten, wie die Kündigungen vermieden oder deren Zahl beschränkt sowie ihre Folgen gemildert werden können (den Arbeitnehmern steht aber kein Mitbestimmungsrecht zu. Vgl. hierzu Thomas Geiser/Roland Müller, Arbeitsrecht in der Schweiz, Bern 2018, N 597) Dazu muss der Arbeitgeber der Arbeitnehmerschaft sämtliche zweckdienlichen Auskünfte erteilen und ihnen gewisse Informationen schriftlich mitteilen (vgl. hiervor). Den Arbeitsnehmern ist eine angemessene Frist für die Einreichung ihrer Vorschläge zu setzen. Die Frist ist an die Dringlichkeit und Komplexität der Angelegenheit sowie an den Organisationsgrad der Arbeitnehmer anzupassen. Eine gut organisierte Arbeitnehmervertretung braucht weniger Zeit für die Konsultation als eine nicht organisierte Arbeitnehmerschaft. In der Regel sollte eine Frist von mindestens 10 Tagen gewährt werden. In einfachen oder sehr dringlichen Fällen werden auch kürzere Fristen zugelassen (zur Frist siehe insbesondere Jürg Brühwiler, Einzelarbeitsvertrag, Art. 335 f N 3)

Das Ziel der Konsultation besteht darin, eine Einigung zu erzielen (vgl. zum Gesetzgebungsprozess: Sara Licci, Massenentlassung im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 2018, N 166) bzw. Massenentlassungen möglichst zu verhindern, deren Zahl zu beschränken oder mindestens deren Folgen zu lindern.

Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite haben im Bereich der betrieblichen Mitwirkung, wozu auch das Konsultationsverfahren bei Massenentlassungen zählt (Art. 10 lit. c MwG), nach Treu und Glauben zusammenzuarbeiten (Art. 11 Abs. 1 MwG).

Angesichts dieser Pflicht zum Verhalten nach Treu und Glauben und zum Zwecke der Zielerreichung des Konsultationsverfahrens, die Vermeidung von Kündigungen oder mindestens deren Reduzierung, hat die Arbeitgeberseite sich ernsthaft mit den Vorschlägen des Sozialpartners auseinanderzusetzen. Der Arbeitnehmerschaft muss die Möglichkeit gewährt werden, auf die Entscheidfindung des Arbeitgebers einzuwirken (BGE 130 III 102 E.4.2). Allerdings ist der Arbeitgeber frei, Vorschläge der Arbeitnehmerschaft tatsächlich umzusetzen; sie sind für ihn nicht etwa verbindlich, wenn sie aus Sicht eines objektiven Dritten allenfalls nicht sinnvoll erscheinen. Das Gesetz schreibt nicht vor, wie lange die Prüfungsphase zu dauern hat. Damit der Arbeitgeber nicht in Zeitnot gerät und sich auch nicht der Kritik aussetzen lassen muss, er hätte sich nicht genügend ernsthaft mit den Vorschlägen auseinandergesetzt, sollte er eine ausreichend bemessene Zeitspanne einplanen, binnen welcher er die Vorschläge prüft und seinen Entscheid fällt (Thomas Kälin/Noëlle Stalder, Massenentlassung und Sozialplan, in: AJP 2018 S. 1014, S. 1017 f.) U.E. kann aber auch ein Tag zur Beurteilung genügend sein. Die Prüfung kann zudem bereits während dem laufenden Konsultationsverfahren stattfinden, sofern die Vorschläge bereits vorher eingereicht werden.

Über den Inhalt des Konsultationsrechts besteht in der juristischen Lehre Uneinigkeit. Ein Teil der Lehre versteht darunter ein reines Anhörungsrecht. Ein anderer Teil der Lehre spricht sich für ein eigentliches Mitspracherecht aus, bei welchem der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich mit den Vorschlägen der Arbeitnehmer ernsthaft auseinanderzusetzen und eine allfällige Ablehnung der Vorschläge zu begründen. Der zweiten Meinung folgend, hat das Obergericht des Kantons Zürich eine Begründungspflicht bei Ablehnung der Vorschläge grundsätzlich bejaht (ZR 103/2004 S. 14-21, E. 10). Andere Meinungen wiederum fordern sogar einen Dialog zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerschaft, mithin also eine gemeinsame Beratung (auch wenn man diese Beratungspflicht bejahen würde (was vorliegend aber abgelehnt wird), so wären in die Beratung, bei Fehlen einer Arbeitnehmervertretung höchstens diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, welche Vorschläge eingebracht haben.). Das Bundesgericht hielt schlicht fest, dass der Arbeitgeber aus dem Grundsatz nach Treu und Glauben (vgl. Art. 11 MwG) verpflichtet sei, die Lösungsvorschläge seriös zu prüfen (BGE 137 III 162 E.1.1. Gemäss Bundesgericht ist eine Auseinandersetzung zudem nur ernsthaft, wenn dafür genügend Zeit vorgesehen wurde (es kann aber den Umständen entsprechend auch nur ein Tag genügend sein). Eine über die schlichte seriöse Prüfung der Vorschläge der Arbeitnehmerschaft hinausgehende Beratungspflicht des Arbeitgebers mit den Arbeitnehmern besteht unseres Erachtens nicht (a.M. Sara Licci, Massenentlassung im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 2018, N 167, mit Hinweis auch auf die Europäische Rechtsprechung) und auch eine eigentliche Begründungspflicht durch den Arbeitgeber ist, entgegen des obergerichtlichen Entscheids, abzulehnen (Selbst wenn man eine Begründungspflicht bejahen würde, so wäre die Begründung im Schreiben an das Arbeitsamt, welches den Arbeitnehmern in Kopie zuzustellen ist, ausreichend und eine zusätzliche Begründung an die Arbeitnehmer nicht notwendig. Vgl. zur Begründungsflicht der Entscheid des Obergericht Zürich: demnach hat «der Arbeitgeber die Pflicht […], die Arbeitnehmervorschläge zu prüfen und seine allfällige Ablehnung zu begründen» (Entscheid vom 2.4.2003, in ZR 103/2004 S. 14-21, E. 10).).

 

8. Konsultationspartner

Die Konsultationspartnerin des Arbeitgebers beim Verfahren der Massenentlassung ist vorrangig die Arbeitnehmervertretung, sofern eine solche im Betrieb vorhanden ist; fehlt die Arbeitnehmervertretung, sind die Arbeitnehmer direkt zu konsultieren; der Austausch im Rahmen der Konsultation findet aber jeweils nur zwischen dem Arbeitgeber und denjenigen Arbeitnehmern statt, die sich einbringen. Bringt also ein Arbeitnehmer Vorschläge ein, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dieser Vorschläge allen Mitarbeitern mitzuteilen.

Unseres Erachtens sind dabei nur diejenigen Arbeitnehmer zu konsultieren, welche im Zeitpunkt der Eröffnung des Konsultationsverfahrens in einem Arbeitsverhältnis stehen, wobei es sich im Einzelfall aufdrängen kann, auch Arbeitnehmer, die während dem Konsultationsverfahren ihre Stelle antreten, zu konsultieren (diesen wäre in diesem Fall vor deren Stellenantritt die schriftliche Information betreffend die Massenentlassung zuzustellen.).

Zu konsultieren sind nicht etwa nur diejenigen Arbeitnehmer, deren Entlassung geplant ist, sondern alle Arbeitnehmer des fraglichen Betriebs (Vgl. Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. A., Zürich 2012, Art. 335f N 6, S. 967.); nicht jedoch alle Arbeitnehmer des Arbeitgebers.

In Fällen, bei denen der Arbeitgeber Partei eines Gesamtarbeitsvertrags ist, müssen je nach dessen Regelung auch die Arbeitnehmerverbände an der Konsultation beteiligt werden.

 

9. Information des Arbeitsamtes

Nach Durchführung der Konsultation hat der Arbeitgeber dem kantonalen Arbeitsamt die beabsichtigte Massenentlassung schriftlich anzuzeigen; eine Kopie dieser Anzeige geht an die Arbeitnehmerschaft.

Die Anzeige muss die Ergebnisse der Konsultation und alle (für das Amt) zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung enthalten.

Der Arbeitnehmerschaft muss eine Kopie dieses Schreibens zugestellt werden. Deswegen dürfte eine gesonderte Mitteilung an die Arbeitnehmer über die Ergebnisse der Konsultation nicht notwendig sein (Aus Vorsichtsgründen kann es sich aber empfehlen, den Arbeitnehmern die Ergebnisse der Konsultation separat zusammenzufassen und diese Zusammenfassung zusammen mit der Kopie der Mitteilung an das Arbeitsamt den Arbeitnehmern zuzustellen. Oft wird auch anlässlich einer Mitarbeiterversammlung über die Ergebnisse der Konsultationsverfahrens berichtet, was u.E. in der Regel empfehlenswert ist.).Die Zustellung des Schreibens an das Arbeitsamt ersetzt diese Mitteilung.

Die Arbeitnehmerschaft ist frei, dem Arbeitsamt ihre eigenen Bemerkungen einzureichen. Allerdings muss das Arbeitsamt nicht prüfen, ob das Konsultationsverfahren eingehalten wurde. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, nach Lösungen für die Probleme zu suchen, welche die Massenentlassung aufwirft. Grundsätzlich empfiehlt es sich, das zuständige kantonale Arbeitsamt möglichst früh zu informieren (Die Zuständigkeit des kantonalen Arbeitsamts richtet sich nach dem Standort des Betriebs, auch wenn der Arbeitgeber dort keinen statutarischen Sitz hat. Zur Frage der Zuständig, sofern der Betrieb in verschiedenen Kantonen Standorte hat, siehe oben.).

Ein im Rahmen einer Massenentlassung gekündigtes Arbeitsverhältnis endigt in jedem Fall frühestens 30 Tage nach der Anzeige an das Arbeitsamt.

 

10. Verletzung der Vorschriften zur Massenentlassung – Konsequenzen

Liegt eine Massenentlassung vor und werden die entsprechenden Vorschriften nicht eingehalten, hat dies spürbare Folgen für den fehlbaren Arbeitgeber.

Zum einen ist gemäss Art. 336 Abs. 2 lit. c OR jede Kündigung missbräuchlich, die im Rahmen einer Massenentlassung erfolgt, ohne dass ein Konsultationsverfahren durchgeführt worden ist. Verletzt der Arbeitgeber das Konsultationsrecht seiner Mitarbeiter, führt dies folglich dazu, dass jeder der betroffenen Mitarbeiter, der rechtzeitig formelle und inhaltlich korrekt Einsprache gegen seine Kündigung erhebt, Anspruch auf eine Entschädigung in der Höhe von maximal zwei Monatslöhnen hat.

Zum anderen kann die Nichtinformation des Arbeitsamts dazu führen, dass die Arbeitsverhältnisse fortlaufen und die Arbeitnehmer entsprechende Lohnforderungen stellen können.

Beachtlich ist, dass die Sperrfristenregelung gemäss Art. 336c OR auch auf Kündigungen im Rahmen einer Massenentlassung anwendbar sind. Es sei daran erinnert, dass unter Umständen einzelne Kündigungen aufgrund der arbeitsrechtlichen Bestimmungen über den Schutz vor Kündigungen zur Unzeit (Art. 336c OR) erst später ausgesprochen werden können bzw. dass der Ablauf der Kündigungsfrist neu berechnet werden muss.

In der Praxis ist oft nicht bekannt, dass neben den Informations- und Konsultationspflichten von Art. 335f und 335g OR noch andere Meldepflichten bestehen können. So muss der Arbeitgeber die Entlassung einer grösseren Anzahl von Arbeitnehmern sowie Betriebsschliessungen dem zuständigen Arbeitsamt möglichst frühzeitig, spätestens aber mit dem Aussprechen der Kündigung, melden (Art. 29 AVG). Als „grössere Anzahl“ gelten dabei zehn Arbeitnehmer wobei dieser Schwellenwert von den Kantonen auf sechs herabgesetzt werden kann (Art. 53 AVV).

 

11. Sozialplanpflicht

Im Zuge der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung- und Konkurs wurde im Jahr 2014 eine Sozialplanpflicht eingeführt. Demgemäss ist im Falle der Kündigung von 30 Arbeitnehmern innerhalb von 30 Tagen bei Betrieben, in denen üblicherweise mindestens 250 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ein Sozialplan zu verhandeln, sofern sich der Arbeitgeber nicht im Konkurs oder einem Nachlassverfahren befindet. Beide Grenzwerte, 30 bzw. 250 Arbeitnehmer beziehen sich auf den betroffenen Betrieb und nicht etwa auf den Arbeitgeber (so auch Sara Licci, Massenentlassung im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 2018). Werden die Schwellen nicht erreicht, so ist es möglich, dass ein anwendbarer Gesamtarbeitsvertrag die Pflicht zum Sozialplan vorsieht. Ebenso steht es jedem Arbeitgeber frei, auf freiwilliger Basis einen Sozialplan zu erlassen.

Besteht eine Sozialplanpflicht, so muss der Arbeitgeber mit dem Konsultationspartner also aktiv Verhandlungen führen, welche zwingend in einem Sozialplan münden müssen. Können sich die Parteien nicht auf einen Sozialplan einigen, so muss ein Schiedsgericht bestellt werden, das schliesslich verbindlich den Sozialplan aufstellt.

 

11.1 Gesetzliche und vertragliche Verpflichtungen

Im Rahmen der Ausgestaltung und Umsetzung eines Sozialplans sind sowohl die gesetzlichen als auch vertraglichen Verpflichtungen zu gewährleisten. Hierzu sind insbesondere zu erwähnen:

  • Kündigungsfristen
  • Ferienansprüche
  • Lohnansprüche inkl. Nebenleistungen, die Lohnbestandteile sind
  • Ansprüche aus betrieblicher Personalvorsorge inkl. Freizügigkeitsleistungen.

 

11.2 Ausgestaltung eines Sozialplans

Was genau Inhalt des Sozialplans sein soll, darüber schweigt sich das Gesetz aus. Es wird lediglich festgelegt, dass im Sozialplan Massnahmen festgelegt werden sollen, um Kündigungen zu vermeiden, deren Zahl zu beschränken und deren Folgen zu mindern. Damit können im Sozialplan grundsätzlich alle Massnahmen vereinbart bzw. angeordnet werden, die zur Erreichung dieser Ziele zweckmässig sind. Folgende Massnahmen können grundsätzlich Inhalt eines Sozialplans sein:

  • Abgangsentschädigungen
  • Vorzeitige Pensionierungen
  • Finanzierung von Überbrückungsrenten
  • Durchhalteprämien
  • Mithilfe bei Stellensuche
  • Zusätzliche Leistungen in Härtefällen
  • Verkürzung oder Verlängerung von Kündigungsfristen
  • Einräumung von Versetzungsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe.

Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass der Sozialplan den Fortbestand des massgebenden Betriebs nicht gefährden darf (Art. 335h Abs. 2 OR). Weitere gesetzliche Vorgaben für den Umfang der Sozialplanleistungen bestehen nicht.

 

11.3 Exkurs: Pflicht zur Gleichbehandlung der Arbeitnehmer?

In Sozialplänen tritt man oft Regelungen an, welche gewisse Arbeitnehmer, etwa diejenigen, welche bereits lange für den entsprechenden Arbeitgeber tätig sind, oder älter sind, bevorzugen. Nachfolgend sollen diese Regelung unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer analysiert werden.

In der Schweiz ist ein arbeitsrechtlicher, geschlechtsübergreifender Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz leitet sich aus der Pflicht des Arbeitgebers zum Schutz der Persönlichkeit der Arbeitnehmer ab (Art. 328 OR). Das Gleichbehandlungsgebot gilt anerkanntermassen auch bei freiwilligen Sozialleistungen wie Abgangsentschädigungen (BGer 4A_63/2007 vom 6.7.2007, KGer SG in JAR 2009 S. 579 E.III.4.c, GPräs 3 Bern-Laupen, in: plädoyer 2001/5 S. 68). Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung stellt eine Persönlichkeitsverletzung der Arbeitnehmer dar.

Jedoch hat das Bundesgericht festgestellt, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit dem Gleichbehandlungsgebot vorgeht: «En matière de contrat individuel de travail, la jurisprudence a déjà affirmé que la liberté contractuelle prévalait sur le principe de l’égalité de traitement» (BGE 129 III 276 E. 3.2). Aufgrund der Vertragsfreiheit sind deshalb grundsätzlich beliebige Differenzierungen zwischen einzelnen Arbeitnehmern zulässig. Somit ist zwar ein arbeitsrechtlicher, geschlechterübergreifender Gleichbehandlungsgrundsatz anerkannt, allerdings ist dessen Schutzwirkung begrenzt (Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. A., Zürich 2012, Art. 328 N 12, S. 534.).

Eine persönlichkeitsverletzende Ungleichbehandlung liegt nur im Falle einer willkürlichen (also sachlich ungerechtfertigten), individuellen Diskriminierung vor. Gemäss Bundesgericht kann jedoch auch eine unsachliche Entscheidung des Arbeitgebers nur dann als Persönlichkeitsverletzung und damit als Verstoss gegen das individuelle Diskriminierungsverbot gelten, wenn darin eine den Arbeitnehmer verletzende Geringschätzung seiner Persönlichkeit zum Ausdruck kommt, was von vornherein nur dann gegeben sein kann, wenn ein einzelner Arbeitnehmer gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern deutlich schlechter gestellt wird – nicht jedoch, wenn nur ein einzelner Arbeitnehmer bessergestellt wird (BGE 129 III 276 E. 3.1. Das Zürcher Obergericht hat diesbezüglich spezifiziert, dass die gewählte Einzahl „ein Arbeitnehmer“ wohl nicht wörtlich zu verstehen sei; auch die vom Bundesgericht angeführten Literaturstellen gingen davon aus, auch eine ganze (wenn auch kleine) Gruppe von Arbeitnehmern könne rechtswidrig schlechter gestellt sein (ZR 104/2005 S. 141, 10.03.2004, Obergericht Zürich, S. 141–147). Sodann stellte das Zürcher Obergericht fest, dass der streitige Fall einen Grenzfall darstelle: Ein Sechstel der Mitarbeitenden resp. der Stellenprozente (welche i.c. diskriminiert wurden) sei an sich zwar bereits ein relativ erheblicher Teil der ganzen Belegschaft. Anderseits könne es stossend sein, eine klare persönlichkeitsverletzende Schlechterstellung (nur) aufgrund dieses zahlenmässigen Verhältnisses als unangreifbar zu behandeln.). Somit ist eine sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung eines einzelnen Arbeitnehmers oder einer Minderheit von Arbeitnehmern gegenüber der Mehrheit der Belegschaft oder die Besserstellung der Mehrheit der Belegschaft, aber eben nicht aller, unzulässig. Demgegenüber ist die Besserstellung eines einzelnen Arbeitnehmers oder einer Minderheit bzw. kleinen Gruppe von Arbeitnehmern sowie die Benachteiligung von grösseren Gruppen oder gar ganzen Mitarbeiterkategorien nicht zu beanstanden (Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. A., Zürich 2012, Art. 328 N 12, S. 534 mit Verweis auf OGer ZH in JAR 2006, S. 546 und KGer SG in JAR 2009, S. 579):

  • Unzulässig ist es also, einen oder eine Minderheit von Arbeitnehmern gegenüber der Mehrzahl der Belegschaft schlechter zu stellen
  • Zulässig ist es demgegenüber, einen oder eine Minderheit bzw. kleine Gruppe von Arbeitnehmern besserzustellen.

In der Regel ist somit eine Differenzierung nach den zu erwartenden Nachteilen und ihrer Vermeidbarkeit legitim. So ist eine Klausel im Sozialplan, wonach Arbeitnehmer, die eine andere zumutbare Anstellung im Betrieb oder Konzern abgelehnt oder bereits eine neue Stelle gefunden haben, keine oder eine tiefere Abfindung erhalten, nicht zu beanstanden. Ebenfalls denkbar wäre, nur denjenigen Arbeitnehmern eine Abfindung zu entrichten, die bis zum Ende der Kündigungsfrist keine neue Stelle gefunden haben (Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (Sanierungsrecht) vom 8. September 2010 BBl 2010, 6498).Sodann sind in der Praxis häufig (zulässige) Klauseln anzutreffen, welche die Ausrichtung oder den Umfang von Leistungen vom Alter oder Dienstalter des Arbeitnehmers abhängig machen (BSK – Portmann/Rudolph, Art. 335 h N 6). Je nach Ausgestaltung kann eine im Rahmen eines Sozialplanes gewährte Abgangsentschädigung somit beispielsweise eine Sozial-, eine Lebensalters- und eine Dienstalterskomponente enthalten, deren Endbetrag sich sodann aus einer festgesetzten Berechnungsgrundlage mit diversen Komponenten ergibt. Es ist zudem möglich, die Höhe der Abgangsentschädigung durch einen bestimmten Betrag (beispielsweise ein Jahresbasisgehalt) zu deckeln. Als weitere Regelungsinhalte kann der Arbeitgeber zusätzlich eine Einmalzahlung für jedes berechtigte Kind (gemäss Kinderzulage) vorsehen oder einen zusätzlichen Leistungsanspruch für vorzeitig Pensionierte ausdrücklich ausschliessen.

Der Sozialplan setzt somit grundsätzlich keine inhaltliche Gleichbehandlung sämtlicher Arbeitnehmer voraus (BK – Rehbinder/Stöckli, Art. 335h N 4.). Allerdings darf er nicht nach unzulässigen Kriterien differenzieren (Diskriminierungsverbot).

 

Weitere Beiträge zur Massenentlassung:

 

Autoren: Nicolas Facincani /  Reto Sutter