Verschiedene im Jahr 2018 vom Bundesgericht veröffentlichte Entscheide haben sich mit der Zulässigkeit der fristlosen Kündigung auseinandergesetzt.

Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber (oder auch der Arbeitnehmer) das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Die fristlose Entlassung kann jederzeit ausgesprochen werden. Als wichtiger Grund gilt jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf.

Nach der Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung ist nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt, welche:

  • objektiv geeignet sind, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tief greifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zuzumuten ist, und
  • auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben.

BGer 4A_35/2017 vom 31. Mai 2017

Im zugrunde liegenden Sachverhalt wurde die Arbeitnehmerin von der Firma Z. SA (Arbeitgeber) als Italienischlehrerin eingestellt. Die Arbeitnehmerin konnte vom 9. Oktober 2013 bis zum 13. Januar 2014 (Mutterschaftsurlaub) nicht arbeiten; sie wurde von jemandem ersetzt, der am 9. Oktober 2013 eingestellt wurde. Mit E-Mail vom 12. Februar 2014 teilte die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber mit, dass sie nach ihrem Mutterschaftsurlaub unbezahlten Urlaub nehmen und ihre berufliche Tätigkeit am 1. Juli 2014 wieder aufnehmen wollte, weil bis zum Sommer kein Kindergartenplatz für ihr Kind verfügbar war. Der Arbeitgeber hat diesem Antrag am 17. Februar stattgegeben und seine Zustimmung am 20. März 2014 bestätigt. Mit E-Mail vom 22. April 2014 informierte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin über seine Entscheidung, ihren Arbeitsvertrag nicht zu verlängern und verwies auf die neue Organisation, die aufgrund ihres Wunsches, ihre Arbeit am Ende des Mutterschaftsurlaubs nicht wieder aufzunehmen, geschaffen wurde. Mit eingeschriebenem Brief vom gleichen Datum kündigte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag per 31. Juli 2014. Am 15. Mai 2014 erhielt die Arbeitnehmerin eine erneute Kündigung per 31. August 2014, da die vorherige die vorgesehene Schutzfrist nicht einhielt (Art. 336c Abs. 1 lit. c OR).

Die Arbeitnehmerin weigerte sich trotz wiederholter Aufforderung zu zwei Besprechungen zu kommen (um die weiteren Einsätze zu planen, weil bereits eine Nachfolgerin angestellt war). Mit eingeschriebenem Brief vom 7. Juli 2014 kündigte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerin mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund unter Bezugnahme auf die beiden von ihr nicht eingehaltenen Termine und die Abmahnung.

 

Erwägungen des BGer:

  • nach Art. 337 Abs. 1 OR können der AG oder der AN den Arbeitsvertrag jederzeit aus wichtigem Grund sofort kündigen
  • als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Art. 337 Abs. 2 OR)
  • über das Vorhandensein solcher Umstände entscheidet der Richter nach seinem Ermessen, darf aber in keinem Fall die unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung als wichtigen Grund anerkennen (Art. 337 Abs. 3 OR) (E. 4.1)
  • damit müsse eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund restriktiv zugelassen werden
  • nur ein besonders schwerwiegender Verstoß der Arbeitnehmerin rechtfertigte seine sofortige Entlassung; ein weniger schwerwiegender Verstoß kann nur dann zu einer sofortigen Kündigung führen, wenn er trotz Mahnung wiederholt wurde
  • das Versäumnis der Arbeitnehmerin bedeutet im Allgemeinen die Verletzung einer Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag in Bezug auf die Pflicht zur Arbeit oder die Pflicht zur Treue
  • die ungerechtfertigte Weigerung der Arbeitnehmerin zur Teilnahme an Besprechungen – vorbehaltlich einer entsprechenden Warnung – kann einen berechtigten Grund für die Kündigung durch den AG darstellen (E. 4.3.). Die fristlose Entlassung war somit gerechtfertigt.

BGer 8C_800/2016 vom 12. Dezember 2017

Die betreffende Arbeitnehmerin war seit 2000 in verschiedenen Funktionen in einem Betreibungsamt im Kanton Waadt tätig, zuletzt als Chef-Vollstreckungsbeamtin. Ihr Vorgesetzter hegte den Verdacht, dass sie ihre Arbeitszeit nicht korrekt meldete, weshalb er anlässlich eines Ausseneinsatzes der Arbeitnehmerin eine detaillierte Kontrolle durchführte. Dabei wurde festgestellt, dass sie ihre Arbeit eine halbe Stunde später als von ihr gemeldet angetreten hatte. Nur zwei Tage später fand ein Abschiedsanlass in der internen Cafeteria statt, anlässlich welchem die Arbeitnehmerin und einige weitere Mitarbeiter trotz Rauchverbots in der Cafeteria rauchten, was bei solchen Anlässen spätabends gelegentlich vorkam.Die Arbeitnehmerin nahm an diesem Abend mit ihrem Mobiltelefon ein Video von etwa einer Minute Länge auf, auf welchem man einige Mitarbeiter in den Räumlichkeiten rauchen sah. Am Ende des Videos machten sich die Arbeitnehmerin und eine Kollegin über einen Vorgesetzten lustig, den sie namentlich erwähnten, und spotteten über das Rauchverbot. Mehrere Mitarbeiter des Betreibungsamts, welche regelmässig in der Öffentlichkeit tätig sind, waren in dem Video erkennbar. Die Arbeitnehmerin veröffentlichte das Video auf ihrem Facebook-Account und entfernte es einige Tage später wieder. Die Arbeitnehmerin wurde daraufhin fristlos entlassen und zwar wegen der falschen Arbeitszeiterfassung, der Missachtung des Rauchverbots in der Cafeteria wie auch wegen der Veröffentlichung des aufgenommenen Videos auf Facebook.

 

Erwägungen des BGer:

  • 61 des Personalgesetzes des Kantons Waadt erklärt eine fristlose Kündigung für zulässig, wenn die Weiterführung des Dienstverhältnisses nach guten Treuen nicht mehr zumutbar ist
  • 337b und Art. 337c OR sind dabei subsidiär anwendbar
  • das Bundesgericht erachtete deshalb die Rechtsprechung zu Art. 337 OR für analog auf Art. 61 des Personalgesetzes anwendbar
  • eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber sei gemäss Art. 337 OR nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt
  • diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist
  • andererseits müssen sie auch tatsächlich zu einer Zerstörung oder Erschütterung des Vertrauensverhältnisses geführt haben
  • bei einer weniger schwerwiegenden Verfehlung ist eine fristlose Kündigung nur zulässig, wenn sie trotz Verwarnung erneut erfolgt
  • das Bundesgericht hielt mit Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung in genereller Weise fest, dass bewusste Falschangaben zur Arbeitszeit eine schwere Treuepflichtverletzung darstellten
  • es liess in seinen Erwägungen jedoch offen, ob die von der Arbeitnehmerin nachweislich bewusst und trotz entsprechender Warnhinweise falsch erfasste Arbeitszeit die fristlose Kündigung rechtfertige
  • das Bundesgericht befand, dass es zumindest zweifelhaft sei, ob eine einmalige falsche Zeiterfassung bei einer Anstellung von rund 15 Jahren einen genügenden Kündigungsgrund bilde, dies selbst bei einer Kaderangestellten
  • gemäss Bundesgericht waren die kurz nach der falschen Arbeitszeiterfassung erfolgten Verfehlungen der Arbeitnehmerin nämlich objektiv und subjektiv genügend schwerwiegend, um das Vertrauensverhältnis mit dem Arbeitgeber zu zerstören und eine fristlose Kündigung ohne vorhergehende Verwarnung zu rechtfertigen
  • das Bundesgericht hielt fest, dass die Veröffentlichung einer Videoaufnahme auf Facebook, auf welcher man bestimmte Mitarbeiter in den Geschäftsräumlichkeiten rauchen sehe und in der sich die Arbeitnehmerin und eine Kollegin über einen namentlich bezeichneten Vorgesetzten lustig machten, dies alles während sie über das Rauchverbot ironische Bemerkungen machten, eine schwerwiegende Verfehlung darstelle, welche einen Vertrauensverlust des Arbeitgebers nach sich ziehen könne
  • hinzu komme, dass weitere Beamte, welche regelmässig in Kontakt mit der Öffentlichkeit gestanden hätten, auf dem Video erkennbar gewesen seien und allenfalls ihre Zustimmung zur Veröffentlichung eines für sie rufschädigenden Videos nicht gegeben hätten
  • ein solches Verhalten sei angesichts der hierarchischen Position der Arbeitnehmerin als umso schwerwiegender einzustufen
  • eine Gesamtbeurteilung zeige den Willen der Arbeitnehmerin, sich den Anordnungen und Warnungen des Arbeitgebers nicht anzupassen, sowie ein respektloses Verhalten gegenüber einem Vorgesetzten
  • dieses sei umso weniger zulässig sei, als sich die Arbeitnehmerin über ihn nicht in einem kleinen Kreis lustig gemacht habe, sondern in einer Veröffentlichung auf einem breit zugänglichen sozialen Netzwerk, welche während mehrerer Tage aufgeschaltet gewesen sei
  • das Bundesgericht erachtete deshalb im Ergebnis die fristlose Kündigung als gerechtfertigt.

 

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Autoren: Nicolas Facincani/Annina Wyss