Bonusstreitigkeiten sind häufig. Die Frage ist stets, ob es sich beim Bonus um eine freiwillige Leistung oder um einen Lohnbestandteil handelt (siehe hierzu den Beitrag Bedeutungen des Bonus), der geschuldet ist. So auch in BGer 4A_155/2019 vom 18. Dezember 2019. In diesem Entscheid bestätigte das Bundesgericht den Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich (LA180014), welche bereits hier besprochen wurde (siehe hierzu den Beitrag Akzessorietät des Bonus).

 

BGer 4A_155/2019 vom 18. Dezember 2019

Die Entlöhnung bestand des Arbeitnehmers aus einem fixen Jahreslohn von zuletzt Fr. 180’000.– und einem jährlichen Bonus (bar und aus früher zugeteilten Aktien im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms). Zusätzlich zum unter dem Titel Bonus zugesprochenen Betrag wurden dem Kläger für die Jahre 2009 und 2010 unter dem sog. X-Plan Werte über Fr. 228’000.– (für das Jahr 2009, wobei die Anwartschaft per 26. Februar 2010 entstand und der Betrag aufgrund der Sperrfrist erst später im Lohnausweis aufschien) und Fr. 138’000.– (für 2010; Entstehung der Anwartschaft per 28. Februar 2011) zugeteilt (nachfolgend: X-Awards). Im Jahr 2013 erhielt er zudem eine Abgangsentschädigung von Fr. 174’600.–. Für die Jahre 2011, 2012 und 2013 erhielt er keinen Bonus.

Der Arbeitnehmer klagte in der Folge auf den Bonus für das Jahr 2012. Das Arbeitsgericht Zürich (welches im Gegensatz zu anderen Gerichten eher eine hohe Messlatte zu Lasten der Arbeitnehmer anzusetzen scheint), wies die Klage ab.

Das Obergericht hingegen hiess die Beschwerde gegen den Entscheid des Arbeitsgerichts teilweise gut.

 

Zusammenfassung Entscheid Obergericht

Das Bundesgericht fasste den Entscheid des Obergerichts wie folgt zusammen (siehe hierzu den Beitrag Akzessorietät des Bonus):

«Es erwog, die Klage beziehe sich auf den Bonus für das Jahr 2011, der im Jahr 2012 auszubezahlen gewesen wäre. Der Kläger mache geltend, in allen Jahren zwischen 2000 und 2011 habe er neben dem Fixlohn einen Bonus in der Höhe von durchschnittlich 122 % des Fixlohns erhalten, sodass die Beschwerdeführerin ihm im Jahr 2012 eigentlich eine Gesamtvergütung von Fr. 399’600.– geschuldet hätte, da sein Fixlohn Fr. 180’000.– betragen habe und dieser zufolge des Bonus um 122 % zu erhöhen gewesen wäre. Aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach eine Gratifikation Ermessenssache sei, sobald sie den Betrag des fünffachen Medianlohns, der sich für das Jahr 2012 auf Fr. 367’725.– belaufe, übersteige, klage er aber nur die Differenz bis zu diesem Betrag ein. Weiter erwog das Obergericht, die zwischen den Parteien bestehenden schriftlichen Vereinbarungen liessen den Bonus als echte Gratifikation (auf die kein Anspruch bestehe) erscheinen. Massgeblich sei somit, ob in diese Vereinbarung angesichts der Höhe der bezahlten Boni korrigierend einzugreifen sei. Das Arbeitsgericht habe dies verneint, weil massgeblich nicht ein einziges Jahr (2012) sein könne, sondern als Berechnungsgrundlage auch die Jahre 2010, 2011 und 2013 einzubeziehen seien und der Kläger in diesen vier Jahren eine durchschnittliche Entschädigung von jährlich Fr. 385’366.– erhalten habe (inkl. Abgangsentschädigung). Entgegen dem Arbeitsgericht sei gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aber grundsätzlich auf das vom Arbeitnehmer während eines Jahres erzielte Einkommen abzustellen. Somit sei einzig das Jahr 2012 massgeblich; damit könne auch offenbleiben, ob die Abgangsentschädigung, die der Kläger im Jahr 2013 erhalten habe, bei der Berechnung, ob sein Einkommen den fünffachen Medianlohn übersteige, zu berücksichtigen wäre. Im Jahr 2012 habe der Kläger Fr. 278’941.– brutto erhalten und damit Fr. 88’139.– (statt Fr. 88’784.– wie vom Kläger aufgrund des mit Fr. 367’725.– nicht korrekt bezifferten Medianlohns eingeklagt) weniger als der fünffache Medianlohn des Jahres 2012 von Fr. 367’080.–. 

Habe der Kläger somit kein Einkommen über dem fünffachen Medianlohn bezogen, sei zu prüfen, ob die Boni nur akzessorisch zum Fixlohn gewesen seien. Seit 2005 habe der Kläger nur gerade zwei Mal, nämlich in den Jahren 2008 und 2009 einen Bonus erhalten, der den Grundlohn nicht überstieg. Der durchschnittliche Grundlohn habe in den Jahren zwischen 2005 und 2012 Fr. 151’190.– betragen, der Bonusdurchschnitt inkl. den X-Awards (Beteiligungsrechten) jedoch Fr. 197’286.–. Der Bonus sei somit Lohnbestandteil. Der eingeklagte Betrag, der (lediglich) 45 % des Bonusdurchschnitts der vorangegangenen Jahre betrage, sei somit als Lohn geschuldet.»

 

Allgemeine Bemerkungen des Bundesgerichts zum Bonus und Akzessorietät

Ob eine derart ins Ermessen der Arbeitgeberin gestellte freiwillige Vergütung eine Gratifikation i.S. von Art. 322d OR darstellt, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts freilich weiter von der Höhe des Gesamteinkommens aus Arbeitsvertrag und allenfalls vom Verhältnis der freiwilligen Vergütung zum vereinbarten Lohn ab (siehe hierzu auch die Rechtsprechungsübersicht) :

4.1. Um den Charakter einer Sondervergütung zu wahren, muss eine Gratifikation gegenüber dem Lohn  akzessorisch bleiben und darf im Rahmen der Entschädigung des Arbeitnehmers nur eine zweitrangige Bedeutung einnehmen. Denn dem Arbeitgeber soll es verwehrt sein, die eigentliche Vergütung des Arbeitnehmers in Form einer (freiwilligen) Gratifikation auszurichten (BGE 139 III 155 E. 5.3 S. 158 f.). Daher kann es sich auch bei einem Bonus, dessen Ausrichtung nach der Vereinbarung der Parteien ins Ermessen der Arbeitgeberin gestellt ist, um einen (variablen) Lohnbestandteil handeln, wenn sich die entsprechende Vergütung nicht als zweitrangig und damit nicht als akzessorisch erweist. Unter dem Blickwinkel der Akzessorietät kann bei  niedrigen Gesamteinkommen bereits ein im Verhältnis zum Lohn geringerer Bonus den Charakter eines (variablen) Lohnbestandteils aufweisen, da bei einem niedrigen Einkommen ein kleiner Einkommensunterschied mehr Bedeutung hat, als bei einem hohen Einkommen. Bei  mittleren und höheren Gesamteinkommen kann ein im Verhältnis zum Lohn sehr hoher Bonus, ein gleich hoher oder ein den Lohn übersteigender Bonus, der regelmässig bezahlt wird, trotz vereinbarter Freiwilligkeit ausnahmsweise einen (variablen) Lohnbestandteil darstellen. Die entsprechende Grenze kann nicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischen dem vereinbarten Lohn und dem freiwilligen Bonus liegen. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen: BGE 142 III 381 E. 2.2.1 S. 384; 141 III 407 E. 4.3.1 S. 408 f.; 139 III 155 E. 3.2 S. 156 f.; 131 III 615 E. 5.2 S. 621; 129 III 276 E. 2.1 S. 279 f.; Urteile 4A_159/2016 vom 1. Dezember 2016 E. 5.2.1; 4A_115/2007 vom 13. Juli 2007 E. 4.3.5).  

4.2. Wenn der Arbeitnehmer hingegen ein  sehr hohes Gesamteinkommenerzielt, das seine wirtschaftliche Existenz bei Weitem gewährleistet bzw. die Lebenshaltungskosten erheblich übersteigt, kann die Höhe der Gratifikation im Verhältnis zum Lohn kein entscheidendes Kriterium mehr sein, um über den Lohncharakter der Sondervergütung zu entscheiden (BGE 141 III 407 E. 4.3.2 S. 409 m.H.). Diesfalls entfällt die Akzessorietätsprüfung, und eine ins Ermessen der Arbeitgeberin gestellte freiwillige Vergütung ist  in jedem Fall als Gratifikation zu qualifizieren, auf die kein Anspruch besteht, sofern der Arbeitnehmer auch ohne den umstrittenen Bonus ein sehr hohes Einkommen aus der gesamten Entschädigung für seine Arbeitstätigkeit erzielt. Als sehr hohe Entschädigung wird ein Einkommen aus Arbeitsvertrag angesehen, das den fünffachen Medianlohn übersteigt (BGE 142 III 381 E. 2.2.2 S. 384.; 141 III 407 E. 5 S. 409 ff.). 

 

Referenzperiode

Die Arbeitgeber bestreitet vor Bundesgericht, dass die Schwelle des fünffachen Medianlohns unterschritten wird, wie von der Vorinstanz angenommen. Er macht geltend, es könne nicht nur auf dieses eine Jahr als  Referenzperiode abgestellt werden, denn dieses sei nicht repräsentativ.

Bei dieser Frage handelt es sich um eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht frei zu prüfen ist.

 

Das Bundesgericht führte hierzu das Folgende aus:

5.1. Das Bundesgericht hat in dem für die Referenzperiode massgeblichen und auch von der Vorinstanz angeführten BGE 142 III 456 folgendes festgehalten (Regeste) : „Bei der Bestimmung des ’sehr hohen Einkommens‘ ist auf das tatsächliche Entgelt des Arbeitnehmers abzustellen, das für das Einkommen repräsentativ ist, das er regelmässig erzielt hat. Im Allgemeinen wird das während des Jahres erzielte Einkommen massgebend sein, ausnahmsweise das während der streitigen Zeitperiode (hier 17 Monate) erlangte“. Übersteigt dieses tatsächliche Einkommen den fünffachen Medianlohn in diesem Zeitraum bleibt der Bonus freiwillig. Dieser Entscheid nahm seinerseits Bezug auf BGE 141 III 407, mit dem erstmals die Schwelle des fünffachen Medianlohns festgelegt worden war. Die Umschreibung aus BGE 142 III 456 wird in zahlreichen späteren Urteilen übernommen (BGE 144 III 452 E. 2.3.3 S. 458; Urteile 4A_13/2018 und 4A_17/2018 vom 23. Oktober 2018 E. 5.3.2.1; 4A_463/2017 vom 4. Mai 2018 E. 3.1.4.2; 4A_485/2016 und 4A_491/2016 vom 28. April 2017 E. 4.3).  

5.2. In der Lehre wird kritisiert, das Bundesgericht begrenze damit die Referenzperiode auf ein Jahr bzw. die im Streit liegende Zeitperiode. Die Frage der Referenzperiode sei zentral; diese müsste mehrere Jahre umfassen. Mit der Verlängerung könnte auch Massnahmen des Arbeitgebers entgegengewirkt werden, mit denen dieser im Hinblick auf die Vertragsauflösung versuche, die Entschädigung künstlich in den Bereich der (freiwilligen) Gratifikation fallen zu lassen (PHILIPPE EHRENSTRÖM, Bonus et très hauts revenus: une appréciation de la jurisprudence récente, in: Jusletter 10. Oktober 2016, Rz. 25 f. und 33; AURÉLIEN WITZIG, La détermination de la rémunération pertinente pour l’atteinte du seuil de très hauts revenus; analyse de l’arrêt du Tribunal fédéral 4A_565/2015 [BGE 142 III 381], in: Newsletter DroitDuTravail.ch, Juni 2016, S. 7 f.). Ähnlich auch RICHA/RAEDLER, wobei sie zutreffend betonen, dass dies im von ihnen besprochenen BGE 141 III 407 unproblematisch war, da der Arbeitnehmer regelmässig eine Entschädigung über der Schwelle des „sehr hohen“ Einkommens erhalten hatte. Diese Autoren befürworten eine Periode von fünf Jahren als Referenzperiode, entsprechend der (heute noch geltenden) Verjährungsfrist (Art. 128 Ziff. 3 OR) für arbeitsrechtliche Forderungen (ALEXANDRE RICHA/DAVID RAEDLER, La qualification du bonus pour les très hauts revenus – suite et fin?, in: GesKR 2015, S. 561 ff., 566 f.). Allgemein wird gesagt, es müsse auf eine aussagekräftige Periode (période pertinente) abgestellt werden; das sei allerdings nicht ohne weiteres der im Streit liegende Zeitraum, wie in BGE 142 III 456 angenommen (PATRICIA DIETSCHY-MARTENET, Bonus et très haut revenu: du nouveau?; analyse de l’arrêt du Tribunal fédéral 4A_557/2015, in: Newsletter DroitDuTravail.ch, August 2016, S. 4).  

5.3. Mangels Repräsentativität wurde in BGE 142 III 456 nicht auf die letzten fünf Monate abgestellt, sondern auf eine Periode von siebzehn Monaten. Gleichzeitig gab es keine Anhaltspunkte, dass in früheren Jahren unregelmässige und unter dem fünffachen Medianlohn liegende Entschädigungen bezahlt wurden; aufgrund des eingeklagten Betrages von beinahe Fr. 2 Mio. für die Jahre 2011 und (pro rata) 2012 konnte das ausgeschlossen werden. Relevant hinsichtlich der Referenzperiode war einzig, ob lediglich das Jahr 2012 berücksichtigt wird oder 2011 und 2012 (siebzehn Monate). Im ersten Fall wäre das tatsächliche Entgelt unter der massgeblichen Schwelle (pro rata) geblieben, im zweiten Fall nicht (zutreffend: PATRICIA DIETSCHY-MARTENET, a.a.O., S. 4). Auch im kurz zuvor entschiedenen BGE 142 III 381 E. 2.4 wurde vorerst festgehalten, gemäss BGE 141 III 407 E. 5.3.1 S. 412 sei der massgebliche Zeitraum zur Beurteilung, ob ein Arbeitnehmer ein sehr hohes Einkommen erziele, in der Regel ein Jahreslohn. Dann wurde aber präzisiert: Die in BGE 141 III 407 dem Arbeitnehmer bis Ende Juni (2013) zugeflossenen Einkünfte hätten die Grenze des sehr hohen Einkommens überschritten, während der Arbeitnehmer in diesem Fall früher noch höhere Einkünfte erzielt habe; es sei daher nicht in Frage gestanden, dass auch die Einkünfte der letzten sechs Monate vor Ende des Arbeitsvertrages aussagekräftig gewesen seien (vgl. auch die in E. 5.2 erwähnte Analyse von RICHA/ RAEDLER). Entsprechend wurde auch in BGE 142 III 381 ohne weiteres auf das letzte Jahr abgestellt, denn es bestehe „kein Grund, an der Aussagekraft dieser Einkünfte zu zweifeln“ (E. 2.4). In einem kürzlich entschiedenen Fall (zit. Urteil 4A_13/2018 und 4A_17/2018 E. 5.3.2.2) wurde zwar wieder auf die Bezüge im letzten Jahr bzw. den letzten dreizehn Monaten (Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Januar 2014) abgestellt. Auch hier war aber entscheidend, dass die Entschädigung in diesem Zeitraum (über Fr. 1 Mio.) repräsentativ war, während es die Entschädigung im ersten Jahr des Anstellungsverhältnisses (2011), auf welches der Arbeitnehmer abstellen wollte, nicht war.  

5.4. In diesen Urteilen war somit nicht zu entscheiden, ob allenfalls auf das grundsätzlich massgebliche streitgegenständliche Jahr deshalb nicht abgestellt werden kann, weil dieses nicht repräsentativ ist. Vorliegend kann die Frage aber relevant sein. Stellt man wie die Vorinstanz auf das Jahr 2012 ab, für welches der Bonus geltend gemacht wird, erreichen die insgesamten tatsächlichen Einkünfte von Fr. 278’941.– die Schwelle des fünffachen Medianwerts nicht. Demgegenüber resultieren durchschnittliche Einkünfte über dem Schwellenwert, wenn man wie das Arbeitsgericht (vgl. Sachverhalt B.b) und die Beschwerdeführerin auf das gesamte Einkommen der Jahre 2010, 2011, 2012 und 2013 abstellt. Die Berücksichtigung der Entschädigungen ab 2010 erachten diese deshalb als aussagekräftig und sachgerecht, weil im Jahr 2010 letztmals der Fixlohn auf Fr. 180’000.– erhöht worden war.  

Allein auf das Jahr 2012 abzustellen, setzt voraus, dass die in diesem Jahr tatsächlich ausbezahlte Entschädigung repräsentativ war. Dies kann nur beurteilt werden, wenn man sie mit den Entschädigungen der vergangenen Jahre vergleicht. In BGE 142 III 456 wurde wie erwähnt festgehalten, die Repräsentativität ergebe sich aus der Regelmässigkeit. Vorliegend schwankten die tatsächlichen Bezüge in den vergangenen Jahren erheblich. Trotzdem kann nicht gesagt werden, die gesamten Einkünfte von Fr. 278’941.– seien nicht repräsentativ. Auch eine Durchschnittsbetrachtung zeigt nämlich, dass diese Entschädigung durchaus im Rahmen der bisherigen Grössenordnung lag. Entgegen dem Arbeitsgericht und der Beschwerdeführerin ergibt sich diesbezüglich aber nichts Entscheidendes daraus, dass letztmals für das Jahr 2010 der Fixlohn erhöht wurde und deshalb nur auf die Entschädigungen seit 2010 abzustellen wäre. Massgeblich ist nicht der Fixlohn, sondern die gesamten Vergütungen. Der Beschwerdegegner wurde per März 2006 zum „Director“ befördert; dies blieb er bis zu seiner Entlassung. Die Ergebnisse des Jahres 2006 waren Grundlage für die im Jahr 2007 ausgerichteten Boni. Es rechtfertigt sich deshalb, für den Durchschnitt die Entschädigungen ab 2007 zu berücksichtigen. Im Durchschnitt erhielt der Beschwerdegegner in den Jahren zwischen 2007 und 2011 – dem letzten Jahr, in dem gestützt auf die Ergebnisse des Vorjahres (2010) ein Bonus zugesprochen wurde – eine tatsächlich ausgerichtete Entschädigung von Fr. 314’558.80 (314’932.– + 232’985.– + 193’565.– + 398’799.– + 432’513.–: 5). Die dem Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Jahr 2012 ausgerichtete tatsächliche Entschädigung von Fr. 278’941.– bewegt sich in diesem Rahmen. Es lässt sich also nicht sagen, diese Vergütung sei nicht repräsentativ. 

5.5. Die Beschwerdeführerin ist mit dem Arbeitsgericht der Auffassung, die insgesamte Entschädigung für 2013 sei mitzuberücksichtigen. Der Beschwerdegegner habe ab November 2012 und im Jahr 2013 gar keine berufliche Tätigkeit mehr entfaltet. Genau unter solchen Umständen habe das Bundesgericht in BGE 142 III 456 E. 3.2 die Mitberücksichtigung des Folgejahres befürwortet. Der fünffache Medianlohn im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2012 und Ende August 2013 belaufe sich auf Fr. 613’513.33, das vom Beschwerdegegner erzielte Einkommen auf Fr. 710’152.– (Fr. 278’941 + Fr. 431’211.–). Demzufolge sei er nicht schutzwürdig im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Der vom Beschwerdegegner nicht bestrittene Betrag für 2013 enthält auch die 2013 ausgerichtete Abgangsentschädigung in Höhe von Fr. 174’600.–. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das Urteil 4A_69/2016 vom 17. August 2016, E. 4.2.2 und das zit. Urteil 4A_290/2017 E. 4.1.4.2. Danach seien sämtliche tatsächlichen Einkünfte zu berücksichtigen, also auch eine Abgangsentschädigung. Diese Ansicht beruht auf einem Missverständnis. Mit der Formulierung, es seien sämtliche tatsächlichen Einkünfte bzw. Vergütungen („rémunération“) zu berücksichtigen, sind alle Entschädigungen als Gegenleistung für die Arbeit gemeint, die in einem bestimmten Jahr ausbezahlt werden, seien es regelmässige oder einmalige Lohnzahlungen, Zahlungen für besondere Projekte oder Anstrengungen, Prämien zu irgendwelchen Anlässen etc. (zit. Urteil 4A_69/2016 E. 4.2.2). Die Abgangsentschädigung soll demgegenüber die künftigen Nachteile aus dem Verlust der Arbeitsstelle abfedern und stellt keine Gegenleistung im Sinn der oben genannten Beispiele für geleistete Arbeit dar. Berücksichtigt man die Abgangsentschädigung nicht, bleiben die Vergütungen für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis Ende August 2013 mit insgesamt Fr. 535’552.– deutlich unter dem von der Beschwerdeführerin selber genannten Schwelle. Es kann daher offenbleiben, ob vorliegend, wo keine Entschädigung für das Jahr 2013 eingeklagt wurde, die Monate in diesem Jahr überhaupt zugrunde gelegt werden dürften.  

 

Akzessorietät

Der Arbeitgeber macht sodann geltend, selbst wenn nicht von einem sehr hohen Einkommen ausgegangen werde, wäre die Klage abzuweisen. Denn die in den vergangenen Jahren ausgerichteten Boni hätten nicht  regelmässig den Fixlohn überstiegen. Dies sei aber nach der sog. Akzessorietätsrechtsprechung des Bundesgerichts Voraussetzung, damit ein Bonus bei einem mittleren bis hohen Einkommen zum Lohnbestandteil werde.

 

Hierzu führte das Bundesgericht das folgende aus:

Im bereits zitierten Urteil 4A_714/2016 E. 6 wurden diese Grundsätze so wiedergegeben, dass bei mittleren und hohen Einkommen der Bonus gleich hoch oder höher sein  müsse als der Fixlohn, um als Lohnbestandteil qualifiziert werden zu können („[…] le critère retenu par la jurisprudence est que le bonus doit être très élevé en comparaison du salaire annuel, équivalent ou même supérieur à ce dernier […]“). Daraus wurde in der Lehre abgeleitet, damit habe das Bundesgericht die Akzessorietätsrechtsprechung zwar nicht abgeschafft, aber weitgehend bedeutungslos gemacht. Im Lohnsegment zwischen dem einfachen Medianlohn (tiefe Einkommen) und dem fünffachen Medianlohn (sehr hohe Einkommen), um das es hier gehe, seien nämlich Boni in dieser Höhe selten, sodass damit für das Gros dieser Mitarbeiterkategorie dasselbe wie für Spitzenverdiener gelte, die von vornherein als nicht schutzbedürftig angesehen würden (WOLFGANG PORTMANN/ROGER RUDOLPH, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2015: VII. Qualifikation eines Bonus als Gratifikation bei sehr hohem Einkommen, in: ZBJV 154/2018 S. 77; welche das Akzessorietätskriterium aber ohnehin grundsätzlich als falsch erachten). Auf das zit. Urteil 4A_714/2016 berief sich auch das Arbeitsgericht. Diesem Urteil lässt sich allerdings keine so weitgehende Aussage bzw. Änderung der bisherigen Grundsätze entnehmen. Gleichzeitig weist es nämlich auch darauf hin, dass immer die konkreten Umstände entscheidend sind (zutreffend: PHILIPP EGLI, Abgrenzung von Lohn und Gratifikation – alles klar?, in iusNet Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht vom 30. Januar 2018, II.2.b am Ende S. 2). Vielmehr fehlt es bei mittleren und hohen Einkommen grundsätzlich immer an der Akzessorietät, wenn der Bonus regelmässig gleich hoch oder höher als der Grundlohn ist. Ist der Bonus tiefer als der Grundlohn kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; eine feste Verhältniszahl besteht nicht. Die Quote des Fixlohnes, die regelmässig und ohne besonderen Anlass ausgeschüttet werden kann, ohne dass die für Gratifikation notwendige Akzessorietät entfällt, steigt vielmehr bei höherem Lohn an.

6.3 Der Rechtsprechung zur „Umqualifizierung“ von Gratifikationen (Boni) in Lohnansprüche („Akzessorietätsrechtsprechung“) liegt neben dem Gedanken des Sozialschutzes namentlich ein Rechtsmissbrauchsaspekt und ein Vertrauensaspekt zugrunde: es soll verhindert werden, dass ein Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Lohnzahlung umgeht, indem er freiwillige Leistungen in erheblichem Ausmass ausrichtet, die er jederzeit widerrufen kann, und es soll der Arbeitnehmer in seinem Vertrauen geschützt werden, wenn er regelmässig zusätzlich zu seinem Lohn einen Bonus erhält. Letzteres weil der Arbeitnehmer in einem gewissen Mass auch seine Lebenshaltung danach ausrichtet. Vorliegend hat der Beschwerdegegner abgesehen von den beiden für die Arbeitgeberin gerichtsnotorisch sehr kritischen Jahre 2008 und 2009 (bzw. die Basisjahre 2007 und 2008) immer einen Bonus (ohne X-Awards) zwischen 162’000.– und 220’000.– erhalten. Er konnte davon ausgehen, dass es sich bei den beiden Krisenjahren um „Ausreisser“ in einer speziellen Situation handelte. Die von der Beschwerdeführerin in Frage gestellte Regelmässigkeit ist daher zu bejahen.  

Daran ändert auch das bereits zitierte Urteil 4A_159/2016 nichts, das ebenfalls die Beschwerdeführerin betraf und auf das sie sich beruft. Dort war der Bonus in den ersten Jahren nach der Anstellung (2000 bis 2004) im Vergleich zum Grundlohn eher tief (nur einmal etwas mehr als die Hälfte des Lohns); in den drei weiteren Jahren (2005 bis 2007) überstiegen die Boni dann den Basislohn, um dann in den Jahren 2008 und 2009 wieder viel tiefer zu liegen. Die Tatsache, dass in drei sich folgenden Jahren der Bonus über dem Basislohn lag, wurde nicht als genügend erachtet, um das Kriterium der Regelmässigkeit zu erfüllen und von einem Lohnbestandteil auszugehen, zumal der Bonus anschliessend wieder sank (E. 5.2.2 und Sachverhalt A). Sachverhaltsmässig war also am Schluss der Tätigkeit von sinkenden bzw. tiefen Boni auszugehen, sodass kein Anlass bestand, dem Arbeitnehmer zuzugestehen, er hätte auch für die Zukunft auf so hohe Boni wie in den Jahren 2005 bis 2007 vertrauen dürfen. Nicht so hier, wo nach den aussergewöhnlich tiefen Boni der Jahre 2008 und 2009 wieder hohe Boni ausbezahlt wurden. Dass derjenige im Jahr 2011 mit Fr. 162’000.– etwas tiefer lag als der Grundlohn, vermag daran nichts zu ändern, da der Bonus wie dargelegt (E. 6.1 hiervor) nicht zwingend höher als der Grundlohn sein muss. 

Das Bundesgericht bejaht somit den Anspruch auf den Bonus.

 

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Autor: Nicolas Facincani