Die Neugierde oder die Verhinderung von Ungerechtigkeiten? Arbeitnehmer wollen ihren Lohn mit demjenigen von Kollegen vergleichen und die Lohnhöhe der anderen Arbeitnehmer des Betriebs kennen. Dabei ist es notwendig, den Lohn zu kommunizieren. Doch ist dies überhaupt zulässig? Dürfen Arbeitnehmer über den Lohn sprechen? Und darf der Arbeitgeber verbieten, dass über den Lohn gesprochen wird? Verbreitet sind solche Klauseln in Arbeitsverträgen oder Reglementen.

 

Treue- und Geheimhaltungspflicht des Arbeitnehmers?

Der Arbeitnehmer untersteht der allgemeinen Treuepflicht (Art. 321a Abs.1 OR – „Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren“). Als Treuepflicht gilt: Ein Arbeitnehmer ist gegenüber dem Arbeitgeber zur Interessenwahrung verpflichtet. Er hat grundsätzlich alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber schaden könnte. Er ist zur Solidarität und Loyalität verpflichtet. Generell zu unterlassen hat er ungebührliches und pflicht- oder rechtswidriges Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber, Arbeitskollegen, Vorgesetzten, Kunden und Lieferanten. Die Treuepflicht ist also in erster Linie eine Unterlassungspflicht – siehe hierzu auch den Beitrag zur Treuepflicht.

Gemäss Abs. 4 des gleichen Gesetzesartikels untersteht der Arbeitnehmer sodann einer Geheimhaltungspflicht (als besonderer Treuepflicht): „Der Arbeitnehmer darf geheim zu haltende Tatsachen, wie namentlich Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse, von denen er im Dienst des Arbeitgebers Kenntnis erlangt, während des Arbeitsverhältnisses nicht verwerten oder anderen mitteilen; auch nach dessen Beendigung bleibt er zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit es zur Wahrung der berechtigten Interessen des Arbeitgebers erforderlich ist.“

Gemäss Bundesgerichts gelten Löhne nicht als Geschäftsgeheimnisse, weshalb der Arbeitnehmer über den Lohn sprechen dürfen.

 

Ausnahmen

In gewissen Konstellationen können Löhne Geschäftsgeheimnisse darstellen, nämlich dann, wenn der Lohn Rückschlüsse auf Geschäftsgeheimnisse, wie Preiskalkulationen oder Umsätze, zulässt. Das dürfte aber wohl eher theoretisch sein und in der Praxis selten gelten.

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber seinerseits untersteht der Fürsorgepflicht. Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen. Von dieser Regelung darf zulasten des Arbeitnehmers nicht im Arbeitsvertrag abgewichen werden.

Eine vertragliche Regelung, welche das Sprechen über den Lohn verbietet, wird als Verstoss gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (und zum Teil sogar als persönlichkeitsverletzend) erachtet und ist deshalb nicht beachtlich. Verstösst ein Arbeitnehemer, trotz vertraglichem Verbot gegen die Regelung, dass er den Lohn nicht offenlegen darf, so stellt dies keine Verletzung der vertraglichen Pflichten oder der Treuepflicht durch den Arbeitnehmer dar.

 

Lohnforderungen nach Gleichstellungsgesetz

Das Gleichstellungsgesetz sieht vor, dass im Falle einer Lohndiskriminierung der Lohnunterschied nachgefordert werden kann (unter Vorbehalt der Verjährung). Wären Verbote über den Lohn zu sprechen zulässig, könnte eine solche Diskriminierung nur sehr selten nachgewiesen werden. Wären also „Lohnbesprechungsverbote“ zulässig, würde das dem Sinn und Zweck des Gleichstellungsgesetzes widersprechen. Die Lohngleichheitsanalyse wird hier wohl zusätzlich Abhilfe schaffen.

 

Missbräuchliche Kündigungen

Wird einem Arbeitnehmer (ordentlich) gekündigt, weil er mit Kollegen über den Lohn gesprochen hat, dürfte sich diese Kündigung als missbräuchlich erweisen und der Arbeitnehmer könnte eine Entschädigung geltend machen.

Im Falle einer fristlosen Kündigung dürfte diese ungerechtfertigt sein.

 

Siehe zur weiteren Vertiefung insbesondere die Artikel betreffend:

 

Autor: Nicolas Facincani