Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Impfung verpflichten? Denkbar wäre ein Impfzwang aufgrund des gesetzlichen Weisungsrechts. Der Arbeitnehmer hat zudem die Interessen des Arbeitgebers zu wahren. Wie weit ist aber der Eingriff in die körperliche Sphäre des Arbeitnehmers als zulässig zu qualifizieren?

 

Weisungsrecht

Aus dem Unterordnungsverhältnis, das eines der Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages ist, ergibt sich das Weisungsrechts des Arbeitgebers (Art. 321d Abs. 1 OR; und die Pflicht zur Befolgung von Weisungen). Weisungen dienen der Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses und werden einseitig durch den Arbeitgeber erlassen. Sie müssen aber den Arbeitnehmern mitgeteilt werden, damit sie Geltung erlangen.

 

Arten von Weisungen

Mit dem Weisungsrechts wird das Arbeitsverhältnis konkretisiert, insbesondere in Bezug auf

  • die Ausführung der Arbeit (Arbeitsanweisungen). Diese Weisungen regeln die fachlichen Vorschriften.
  • das Verhalten der Mitarbeiter (Verhaltensanweisungen). Diese Weisungen regeln etwa die Aspekte der Sicherheit, Gesundheit, Bekleidung, Pausen, Benutzung von Telefon und Internet.
  • die Ziele (Zielanweisungen). Diese Weisungen regeln Art, Ort etc. von Aufgaben.

Dann wird unterschieden, ob sich die Weisungen an alle oder nur an bestimmte Personen richten:

  • Allgemeine Weisungen richten sich an alle Arbeitnehmer oder an eine Gruppe von Arbeitnehmern.
  • Spezifische Weisungen (besondere Weisungen) richten sich an einzelne Arbeitnehmer.

Eine Weisung zur Vornahme einer Impfung wäre als Verhaltensanweisung zu verstehen, da es primär die Gesundheit des Arbeitnehmers und indirekt auch jene der Mitmenschen bzw. Arbeitgeber betrifft.

 

Pflicht zur Befolgung mit Ausnahmen

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, den Weisungen des Arbeitgebers Folge zu leisten, soweit die ihm gemäss Treu und Glauben (Art. 321d Abs. 2) zugemutet werden kann. Weitere Schranken für die Befolgung von Weisungen bilden die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (Art. 328 OR) sowie der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers. Die Befolgung der Weisungen ist begrenzt durch die Treuepflichten der Arbeitnehmer (siehe unten).

 

Zumutbarkeit zur Befolgung

Weisungen betreffend der Arbeitsausführung müssen zumutbar sein. Weisungen betreffend das Verhalten müssen einen Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis aufweisen (z.B. Kleidervorschriften etc., siehe hierzu etwa den Beitrag zu den Tattoos am Arbeitsplatz). Weisungen sind auf das betrieblich Notwendige zu beschränken. Widerrechtliche oder schikanöse Weisungen oder unzulässige Weisungen müssen von einem Arbeitnehmer nicht befolgt werden. Eine solche Nichtbefolgung von unzulässigen Weisungen darf auch keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen.

 

Weitere Einschränkungen

Weiter ist das Weisungsrechts gegenüber Arbeitnehmern mit spezifischem Fachwissen eingeschränkt sowie auch gegenüber leitenden Angestellten.

In sogenannten Tendenzbetrieben kann das Weisungsrechts noch weiter gehen. So können sich in einem solchen Fall die Weisungen auch auf das Verhalten ausserhalb des Betriebes und auf die Freizeit auswirken.

Schranken für das Weisungsrecht ergeben sich dann auch aus dem Folgenden:

  • Übergeordnete Bestimmungen: Weisungen dürfen nicht gegen zwingendes Recht sowie die unabdingbaren Bestimmungen von Gesamtarbeitsverträgen und von Betriebsordnungen verstossen.
  • Persönlichkeitsrechte: Weisungen haben die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu respektieren. Aus diesem Grund dürfen sie nicht unzumutbar, schikanös oder unnötig belastend sein.
  • Gleichbehandlung: im Rahmen der Weisungen bedürfen Ungleichbehandlungen eines sachlichen Grundes.
  • Arbeitsvertrag: Vereinbarungen im Arbeitsvertrag gehen dem Weisungsrecht vor. Weisungen können daher den Arbeitsvertrag nicht einseitig abändern.
  • Verfassungsmässige Rechte: Weisungen dürfen nur unter besonderen Umständen in verfassungsmässige Rechte eingreifen.

 

Treuepflicht

Das Gegenstück des Weisungsrechts des Arbeitgebers ist die Treuepflicht des Arbeitnehmers. Als Treuepflicht gilt: Ein Arbeitnehmer ist gegenüber dem Arbeitgeber zur Interessenwahrung verpflichtet. Er hat grundsätzlich alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber schaden könnte. Er ist zur Solidarität und Loyalität verpflichtet. Generell zu unterlassen hat er ungebührliches und pflicht- oder rechtswidriges Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber, Arbeitskollegen, Vorgesetzten, Kunden und Lieferanten.

Schranken der Treuepflicht bilden das Prinzip von Treu und Glauben sowie die berechtigten eigenen Interessen des Arbeitnehmers an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Es geht also um eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und denjenigen des Arbeitnehmers. Die Treuepflicht gilt nicht nur während der Arbeitszeit, sondern – wenn auch eingeschränkt – in der Freizeit des Arbeitnehmers. Im Hinblick auf eine Impfung hat der Arbeitgeber ein Interesse an gesunden Arbeitnehmer. Er ist auch im Rahmen seiner Fürsorgepflicht (Link) darum bemüht, das physische und psychische Wohlsein des Arbeitnehmers zu gewährleisten.

Da die Bestimmungen für die allgemeine Treuepflicht dispositives Recht darstellen, können die Parteien im Arbeitsvertrag oder in den Reglementen davon abweichende Regelungen treffend und so z.B. erlauben, dass das Firmenfahrzeug auch privat genutzt werden kann.

Hieraus wäre also in erster Linie eine Impfpflicht via dispositives Recht bzw. durch vertragliche Regelung denkbar. Noch nicht juristisch geklärt ist die Frage, ob eine solche vertragliche Bestimmung eine übermässige Bindung darstellt und daher nichtig wäre. In den Fällen, wo eine Impfpflicht einseitig durch den Arbeitgeber angeordnet werden darf (siehe unten), ist eine solche Regelung wohl unproblematisch.

 

Staatlicher Zwang?

Eine Impfung stellt regelmässig ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte physische Integrität einer Person dar (Art. 10 II BV). Ein solcher Eingriff ist dann gerechtfertigt, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht, ein öffentliches Interesse wie vorliegend die Gesundheit der Bevölkerung verfolgt wird, sowie die Verhältnismässigkeit (Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit) gegeben ist (Art. 36 BV).

Zunächst stellt sich die Frage nach einer gesetzlichen Grundlage, welche sich im Epidemiengesetz (EpG) findet:

So kann der Bundesrat in der besonderen Lage gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. d EpG Impfungen «bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären». Genauso besteht eine Kompetenz der Kantone für die Anordnung obligatorischer Impfungen; «Die Kantone können Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, von besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, sofern eine erhebliche Gefahr besteht.» (Art. 22 EpG). Die Kosten eines solchen Obligatorium würde der Bund bzw. die Kantone tragen (Art. 68 EpG).

Impfobligatorien rechtfertigen sich folglich gemäss dem EpG aufgrund einer spezifischen Gefahr, welche medizinisch-epidemiologisch zu begründen wäre. Infolgedessen kann der Bund oder die Kantone für gewisse Gesellschaftsgruppen eine solche Anordnung vornehmen.

Das öffentliche Interesse begründet sich in der öffentlichen Gesundheit und einen Teilgehalt des Verhältnismässigkeitsprinzips lässt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ableiten.

 

Impfpflicht am Arbeitsplatz?

Die hier relevante Frage ist nun, ob ein solcher Zwang auch durch den Arbeitgeber aufgrund des Weisungsrechts möglich ist. Hier ist bereits im Zuge der Verhältnismässigkeit zu erwähnen, dass eine pauschale Impfpflicht für den gesamten Betrieb als unverhältnismässig und somit als nicht zulässig erachtet wird. Aber: Wer einer exponierten Tätigkeit nachgeht, und beispielsweise engen Kontakt zu Infizierten oder vulnerablen Personen hat, bei solchen ist auch immer der Schutz von Rechten Dritter zu berücksichtigen. Gerade bei Spitalangestellten, welche vor allem die Patienten zu schützen haben, kann dies gegeben sein (in diese Richtung hat auch das St. Galler Verwaltungsgericht im Jahr 2006 entschieden).

Hier ist insbesondere auch die gesetzliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hervorzuheben, wonach er auch für die Gesundheit des Betriebs und den Mitarbeiter bemüht sein muss (Art. 328 OR, Art. 6 ArG). Bei solchen Personen kann eine Weisung zur Impfpflicht ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen – stets ist aber der Einzelfall zu betrachten. Die Impfungen müssen aber auch sicher und wirkungsvoll sein.

Von diesem Punkt ausgehend ist eine Verweigerung der Impfpflicht mit Konsequenzen verbunden, welche bis zur Kündigung gehen können, da dies einem Missachten des Weisungsrechts gleichkommt. Denkbar wären aber auch Versetzungen in Bereiche, wo das Gesundheitsrisiko geringer ist.

Im Allgemeinen wird die Impfung aber nicht angeordnet: Stattdessen wird versucht, die Angestellten mehr über proaktive Informationen zu gesundheitlichen Vor- und Nachteilen von Impfungen aufzuklären und die Mitarbeiter so zur Impfung «motivieren», sie aber nicht zwingen.

 

Autoren: Nicolas Facincani / Matteo Ritzinger