Arbeitgeber sehen sich regelmässig damit konfrontiert, dass ihnen Arbeitnehmer Arztzeugnisse zustellen, die eine Arbeitsunfähigkeit ab einem früheren Zeitpunkt als dem Arzttermin bescheinigen. Dies stösst in der Regel auf Seiten des Arbeitgebers auf Unverständnis und die Beweiskraft solcher Zeugnisse wird in Frage gestellt. Die Rechtsprechung ist hier grosszügig, wie auch der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts A-536/2019 vom 9. Dezember 2019 aufzeigt.

 

Kündigung zur Unzeit

Im konkreten Fall ging es um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers der SBB, welche am 18. Dezember 2020 ausgesprochen worden war. Der Arbeitnehmer brachte im Wesentlichen vor, die angefochtene Kündigung sei zur Unzeit ergangen. Es liege ein Arztzeugnis vom 20. Dezember 2018 vor, welches seine Arbeitsunfähigkeit zu 100 % für die Zeit vom 17. Dezember 2018 bis 14. Januar 2019 belege.

Die SBB stellte sich auf den Standpunkt, die angefochtene Kündigung sei nicht zur Unzeit ergangen. Am 17. Dezember 2018 habe der Arbeitnehmer seinem Vorgesetzten telefonisch mitgeteilt, seine restlichen Ferien beziehen zu wollen. Er habe in keiner Art und Weise zum Ausdruck gebracht, arbeitsunfähig zu sein. Gemäss der fachärztlichen Überprüfung habe der Erhalt der Kündigung am 19. Dezember 2018 den gesundheitlichen Zustand des Arbeitnehmers wahrscheinlich derart verschlechtert, dass der behandelnde Arzt ihn zu 100 % arbeitsunfähig geschrieben habe. Eine Rückwirkung auf den 17. Dezember 2018 sei indes aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar, da der Arbeitnehmer anlässlich des Gesprächs mit seinem Vorgesetzten keine gesundheitlichen Gründe für sein Nichterscheinen geltend gemacht habe. Aufgrund des Telefonats vom 17. Dezember 2018 und der fachärztlichen Beurteilung sei von einer korrekten Kündigungsverfügung auszugehen. Darüber hinaus bestreitet die Vorinstanz, ihren Fürsorgepflichten als Arbeitgeberin nicht hinreichend nachgekommen zu sein.

 

Auswirkungen einer Krankheit auf die Kündigung

Vorliegend handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis eines SBB-Mitarbeitenden. Primär ist das BPG anwendbar. Gestützt auf den Verweis in Ziff. 1 Abs. 3 des anwendbaren GAV 2015 und Art. 6 Abs. 2 BPG ist im Krankheitsfall die Bestimmung von Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR anwendbar.

Nach Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR darf eine Kündigung nicht erfolgen, während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen. Erfolgt die Kündigung während der Sperrfrist, ist sie qualifiziert rechtswidrig und es besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung (vgl. BVGE 2015/45 E. 3; Peter Hänni, Personalrecht des Bundes, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Bd. I/2, 3. Aufl. 2017, Rz. 119 ff;). Der Lohn ist indessen nur geschuldet, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit richtig anbietet.

Ist die Kündigung jedoch vor Beginn einer Sperrfrist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt. Das Ende des Arbeitsverhältnisses verschiebt sich somit nach hinten. Für die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses ist der Lohn aber nur geschuldet, wenn die Arbeit gehörig angeboten wird.

Grundsätzlich würde eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit die gleichen Rechtsfolgen auslösen. In der Praxis wird vermehrt aber anders argumentiert und zwar aufgrund des Sinns und Zwecks des zeitlichen Kündigungsschutzes. Der Sinn und Zweck des Sperrfristenschutzes besteht darin, dass der arbeitsunfähige Arbeitnehmende in Zeiten, in denen seine Chancen gering sind, während der Kündigungsfrist eine neue Arbeit zu finden, vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes geschützt wird. Diese Voraussetzungen sind aber bei einer „nur“ arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit nicht gegeben. Eine Kündigung wäre somit während einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit gültig, bzw. bei bereits ausgesprochenen Kündigungen würde die Kündigungsfrist nicht verlängert. Zu beachten ist aber, dass es auch stimmen gibt, welche auch in Bezug auf den zeitlichen Kündigungsschutz eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit nicht anders behandeln wollen als eine „gewöhnliche“ Arbeitsunfähigkeit.

 

Beweiswert von Arztzeugnissen

Die Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer (Art. 8 ZGB). Die direkte Beweisführung über den Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit ist ausgeschlossen. Dies gilt umgekehrt ebenso für die Arbeitsfähigkeit, sofern nicht der entsprechende Tatbeweis in Form der (uneingeschränkten) Arbeitsleistung erbracht wird. Obwohl der Beweis der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder Unfalls – und ausnahmsweise auch derjenige der Arbeitsfähigkeit – in der Regel durch ärztliches Zeugnis erbracht wird, bewirkt dieser Anscheinsbeweis keine Beweislastumkehr. Ein Arztzeugnis stellt kein absolutes Beweismittel, sondern lediglich eine Parteibehauptung dar. Es bleibt eine Frage der Beweiswürdigung, ob die entscheidende Instanz darauf abstellt. Nur aufgrund der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer sich nicht gut fühlt oder Kopfschmerzen hat, kann in der Regel noch nicht die Arbeitsunfähigkeit bewiesen werden.

Das Arztzeugnis ist somit ein wichtiges Indiz für Arbeitsunfähigkeit. Wird nur eine Krankheit attestiert, so bedeutet das noch nicht automatisch die Arbeitsunfähigkeit. Dem Wortlaut des Arztzeugnisses kommt daher grosse Bedeutung zu. Das Arztzeugnis ist einer von möglichen Beweisen für die Arbeitsunfähigkeit. Es sind aber grundsätzlich andere Beweise möglich. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, einen Besuch beim Vertrauensarzt anzuordnen, sofern er Zweifel an der Richtigkeit des durch den Arbeitnehmer eingereichten Zeugnisses hat. Hierfür muss er aber die Kosten übernehmen.

 

Rückwirkende Arztzeugnisse

Das Bundesverwaltungsgericht fasste zusammen, dass nur aufgrund der Tatsache, dass Arztzeugnisse mit Rückwirkung ausgestellt werden, nicht per se deren Ungültigkeit angenommen werden könne.

Gemäss Lehre und Rechtsprechung ist ein rückwirkend ausgestelltes Arztzeugnis zwar nicht unproblematisch, kann aber nicht von vornherein als ungültig erachtet werden (vgl. Urteile des BVGer A-4973/2012 vom 5. Juni 2013 E. 4.2 und A-6509/2010 vom 22. März 2011 E. 10.2; Humbert/Lerch, Fachhandbuch, Rz. 11.184 f., Maria Wenger, Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und Lohnfortzahlung, 2018, Rz. 44, Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O., Art. 336c N 8 i.V.m. Art. 324a/b N 12, Müller, a.a.O., S. 172; je mit Hinweisen). Auch darf von einer allfälligen Ferienfähigkeit nicht ohne Weiteres auf die Arbeitsfähigkeit geschlossen werden (vgl. Urteil des BVGer A-6361/2015 vom 27. April 2016 E. 6.2; Carina Oehri, Arbeitsunfähigkeit, Ferienunfähigkeit und Stellensuchunfähigkeit im Arbeitsrecht, S. 3, Streiff/von Kaenel/Rudolph, a.a.O., Art. 329a N 6; je mit Hinweisen). Ferner setzt der zeitliche Kündigungsschutz keine Kenntnis der Arbeitsunfähigkeit voraus und es ist grundsätzlich auch unerheblich, ob der Arbeitgeber darüber informiert ist (vgl. BGE 128 III 212 E. 2c; Humbert/Lerch, Fachhandbuch, Rz. 11.153 f., Streiff/Von Kaenel/Rudolph, a.a.O., Art. 336c N 8; je mit Hinweisen).

Deswegen war zu klären, ob die am 19. Dezember 2018 zugestellte Kündigungsverfügung innerhalb der Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR ergangen ist und dem Beschwerdeführer deshalb ein Weiterbeschäftigungsanspruch gemäss Ziff. 185 Abs. 1 Bst. c GAV 2015 und Art. 34c Abs. 1 Bst. c BPG zukomme.

 

Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesverwaltungsgericht kam zum Schluss, dass die Arbeitsunfähigkeit trotz der Rückwirkung der Arztzeugnisse erstellt sei und analysierte hier insbesondere die Aussagen und Berichte der behandelnden Ärzte: Relevant war insbesondere (vgl. E. 4 des Entscheides):

  • Es gab keine wesentlichen formellen oder materiellen Mängel;
  • Eine Rückwirkung von drei Tagen könne noch nicht als übermässig erachtete werden;
  • Es wirkt der zeitliche Kündigungsschutz grundsätzlich auch dann, wenn die Vorinstanz erst verspätet von der Arbeitsunfähigkeit Kenntnis erhält.

 

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Autor: Nicolas Facincani