Das Bundesgericht setzte sich im Entscheid (BGer 8C_228/2023 vom 6. Oktober 2023) kürzlich mit der Frage auseinander, ob Kurzarbeitsentschädigung für Arbeitnehmer im Ausland zu Recht bezahlt wurde, obwohl keine überprüfbaren Arbeitszeiten vorlagen, wie dies von der Praxis verlangt wird.

 

Sachverhalt

Dabei lag dem Entscheid folgender Sachverhalt zugrunde: Die A.GmbH beschäftigte März 2020 bis Februar 2021 für zwei Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Italien, wobei deren Tätigkeit „überwiegend (ca. 90 %) im Ausland, vor allem in Italien“ ausgeübt wurde. Ein Grossteil der Arbeit (80%) wurde an Booten in Italien und Europa (10%) verrichtet. Aufgrund der Pandemie und den in Italien getroffenen Massnahmen zur Eindämmung der Krankheit wurde der Reiseverkehr eingeschränkt, welcher den Zugang zu den Schifffahrtsdiensten verhinderte. Die A.GmbH bezog von März 2020 bis Februar 2021 für diese zwei Arbeitnehmer eine Kurzarbeitsentschädigung in der Höhe von CHF 43’214.05.

 

Entscheid der kantonalen Arbeitslosenkasse und Verwaltungsgericht

Mit Entscheid vom 3. Juni 2022 forderte die Kantonale Arbeitslosenkasse die Rückzahlung der bezogenen Kurzarbeitsentschädigungen, da die Arbeitszeiten der im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer nicht ausreichend kontrollierbar waren und die A.GmbH somit keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG hatte. A. GmbH erhob Einsprache bei der kantonalen Arbeitslosenkasse, welche abgewiesen wurde. Die Beschwerde beim Tessiner Versicherungsgericht blieb ebenfalls erfolglos. Das Tessiner Versicherungsgericht stellte fest, dass die Arbeit im Ausland an sich eine wirksame Überprüfung verhindert hat: „A questo punto, siccome l’attività dei tecnici informatici era svolta principalmente all’estero, il Tribunale cantonale ha ritenuto che il loro tempo di lavoro non era sufficientemente controllabile e perciò, in virtù dell’art. 31 cpv. 3 lett. a LADI, la ricorrente non aveva diritto alle ILR litigiose.“ (E.4.1).

 

Verfahren vor Bundesgericht

Folglich gelangte die A.GmbH mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Dieses machte zunächst Ausführungen zum Erfordernis der ausreichenden Überprüfbarkeit der Arbeitszeit nach Art. 31 AVIG, welche nur durch eine fortlaufende tägliche und echtzeitliche Erfassung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden hinreichend gewährleistet ist, ohne dass diese durch nachträglich erstellte Unterlagen ersetzt wird: „A diverse riprese il Tribunale federale ha stabilito che l’esigenza della sufficiente controllabilità del tempo di lavoro è adeguatamente garantita solo con una registrazione giornaliera continua („fortlaufend“) e in tempo reale („echtzeitlich“) del tempo di lavoro sulle ore di lavoro prestate effettivamente, senza che tali circostanze possano essere sostituite da documenti allestiti a posteriori“ (E. 5.2.1). Ein durch mechanisiertes, elektronisches oder computergestütztes System ist dabei nicht zwingend, weshalb eine hinreichend detaillierte Darstellung und eine tägliche Aufzeichnung der Daten zur gleichen Zeit (in Echtzeit) ausreichend ist: „Al riguardo le ore di lavoro non devono necessariamente essere registrate con un sistema meccanizzato, elettronico o informatico. Determinanti sono soltanto una presentazione sufficientemente dettagliata e una rilevazione giornaliera dei dati avvenuta simultaneamente (in tempo reale) al momento in cui le ore sono svolte.“ (E.5.2.1). Diese Regelung soll ermöglichen, dass die kantonale Ausgleichskasse jederzeit stichprobenartige Kontrollen durchführen kann. Der Arbeitgeber trägt folglich die Beweislast und muss auf Verlangen unverzüglich vorlegen muss (Art. 43 Abs. 2 und 3 ATSG sowie Art. 13 Abs. 1 lit. a VwVG). Insofern kann die Verwaltung nur die Rückerstattung des gesamten strittigen Betrages verlangen, da die gesetzliche Voraussetzung der Kontrollierbarkeit nicht erfüllt ist: „Nell’ipotesi in cui il datore di lavoro non riuscirà a convincere nel suo complesso, analogamente a una corretta contabilità, l’amministrazione non potrà che pretendere in restituzione la globalità dell’importo contestato, dato che la condizione legale della controllabilità non è adempiuta […]“ (E.5.2.1).

 

Bestätigung des Entscheids

In der Sache bestätigte das Bundesgericht die Ansicht des Tessiner Versicherungsgericht, wonach der Schifffahrtsverkehr für lebenswichtige Güter auf jeden Fall nicht vollständig eingestellt war: „[…] il traffico navale delle merci riguardanti beni essenziali „non era in ogni caso completamente sospeso.“ (E. 4.1) und die Arbeit im Ausland an sich eine wirksame Überprüfung verhindert hatte, um festzustellen, ob das Unternehmen die Kurzarbeitsentschädigung zu Recht bezogen wurde oder nicht: „il lavoro all’estero ostacolava di per sé verifiche efficaci al fine di ottenere elementi dirimenti per determinare se a ragione o meno l’impresa abbia ricevuto le ILR […] va comunque considerato non sufficientemente controllabile“ (E.4.1).

Die A.GmbH berief sich erfolglos auf einen Präzedenzfall, bei welchem ein Betrieb auf behördliche Anordnung wegen hoher Lawinengefahr vom 21. bis 26. Februar 1999 geschlossen wurde. Der Betrieb wurde erst wieder am 1. März 1999 an die Stromversorgung angeschlossen. In diesem Fall war der Arbeitsausfall zwar nicht überprüfbar, wie im hiesigen Urteil mehrfach unterstrichen wurde, jedoch erachtete das Bundesgericht (vormalig Eidg. Versicherungsgericht) als übermässig formalistisch keine Kurzarbeitsentschädigung zuzusprechen, da der gesamte Arbeitsausfall eindeutig hätte nachgewiesen werden können. Das Bundesgericht sah den überspitzten Formalismus auf den hiesigen Sachverhalt allerdings als nicht anwendbar, da der Verlust von Arbeitszeit jedenfalls nicht eindeutig nachgewiesen war. Die Argumentation der A.GmbH läuft fälschlicherweise darauf hinaus, dass ein solches Kontrollsystem ohnehin nicht notwendig gewesen sei, indem sie sich auf den Einwand der Unanwendbarkeit der soeben erörterten klaren und strengen Anforderungen an die Kontrollierbarkeit der Arbeitszeit beruft – ohne jedoch den überspitzten Formalismus auch nur zu kritisieren: „A torto l’argomentazione ricorsuale converge sull’idea che un tale sistema di controllo non fosse ad ogni modo necessario, richiamando l’eccezione d’inapplicabilità delle chiare e severe esigenze sulla controllabilità del tempo di lavoro appena discusse – senza peraltro neppure censurare il formalismo eccessivo.“ (E.5.3.1).

Das Bundesgericht schützte den Entscheid des Kantonsgerichts und damit die Rückerstattung. Das bereits von der kantonalen Arbeitslosenkasse festgestellte Fehlen eines praxisgerechten Arbeitszeitkontrollsystems begründet die offensichtliche Fehlerhaftigkeit des Entscheids und auch die erhebliche Bedeutung seiner Berichtigung nach ständiger Rechtsprechung war im konkreten Fall gerechtfertigt.

 

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Autoren: Nicolas Facincani Matteo Ritzinger

 

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