Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, haben Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn:

  • gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen zustehen
  • der Konkurs nur deswegen nicht eröffnet wird, weil sich infolge offensichtlicher Überschuldung des Arbeitgebers kein Gläubiger bereit findet, die Kosten vorzuschiessen,
  • sie gegen ihren Arbeitgeber für Lohnforderungen das Pfändungsbegehren gestellt haben.
  • die Nachlassstundung bewilligt wurde
  • ein richterlicher Konkursaufschub vorliegt.

Die Insolvenzentschädigung ist eine Lohnausfallversicherung bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Sie bezweckt für eine beschränkte Zeit den Schutz der Lohnguthaben sowie die Sicherung des Lebensunterhaltes des Arbeitnehmers und damit die Vermeidung sozialer Härten.

Der Antrag auf Insolvenzentschädigung muss spätestens 60 Tage nach …

  • der Veröffentlichung des Konkurses im SHAB,
  • der Veröffentlichung der provisorischen oder definitiven Nachlassstundung im SHAB,
  • der Veröffentlichung des richterlichen Konkursaufschubs im SHAB,
  • dem Pfändungsvollzug bzw. dem Tag nach der Zustellung der Pfändungsurkunde,
  • der Kenntnisnahme des unbenützten Ablaufs der Frist für die Leistung des Kostenvorschusses nach Art. 169 Abs. 2 SchKG (im Falle der offensichtlichen Überschuldung)

… erfolgen.

 

Umfang der Deckung der Insolvenzentschädigung

Gedeckt sind die letzten vier Monatslöhne vor der Konkurseröffnung bis zu einem ­Maximallohn von 12 350 Franken pro Monat. Als Lohn gilt auch der anteilsmässige 13. Monatslohn. Nicht zum Lohn gehören Spesen. Familienzulagen sind direkt bei der Familienausgleichskasse des Arbeitgebers geltend machen.

Wenn jemand ohne etwas vom Konkurs zu wissen über die Konkurseröffnung hinaus gearbeitet hat, sind auch diese von der Insolvenzentschädigung gedeckt.

 

Was ist nicht gedeckt durch die Insolvenzentschädigung?

Nicht durch die Insolvenzentschädigung gedeckt sind insbesondere:

  • Forderungen, die bei einer Zwangsvollstreckung nicht zugelassen sind;
  • Kinder- und Ausbildungszulagen (diese können bei der Familienausgleichskasse des letzten Arbeitgebers eingefordert werden);
  • andere Lohnzuschläge, die Spesencharakter haben und damit nicht beitragspflichtig im Sinne des AHV-Gesetzes sind (z.B. Reisespesen);
  • Schadenersatzforderungen (z.B. wegen fristloser Auflösung des Arbeitsverhältnisses).

 

Nur tatsächlich erbrachte Leistung wird entschädigt – BGer 8C_526/2017 vom 15.Mai 2018

Der Schutzzweck der Insolvenzentschädigung erstreckt sich nach gefestigter Rechtsprechung nur auf tatsächlich geleistete, aber nicht entlöhnte Arbeit. Sie erfasst nicht Lohnforderungen wegen ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses und für noch nicht bezogene Ferien [betreffend die Ferien, siehe den Beitrag Antworten zur Insolvenzentschädigung]. Dem Tatbestand der geleisteten Arbeit gleichgestellt werden nach der Rechtsprechung jene Fälle, in denen der Arbeitnehmer nur wegen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers im Sinne von Art. 324 OR keine Arbeit leisten konnte. Solange der Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, hat er einen Lohnanspruch, der gegebenenfalls einen Anspruch auf Insolvenzentschädigung rechtfertigen kann (BGE 132 V 82 E. 3.1 S. 84 f. mit Hinweis).  

Ansprüche für geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG in Frage stehen, beurteilt sich also nicht danach, ob qualitativ oder quantitativ vertragsmässig gearbeitet wurde. Ebenso wenig ist der rechtliche Bestand eines Arbeitsverhältnisses allein ein taugliches Kriterium, weil eine faktische Betrachtungsweise Platz zu greifen hat. Es geht vielmehr um Lohnansprüche für effektive Arbeitszeit, während der die versicherte Person der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen kann, weil sie in dieser Zeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss. Massgebend für die Beantwortung der Frage, ob Anspruch auf Insolvenzentschädigung besteht, mithin geleistete Arbeit im Sinne von Art. 51 ff. AVIG vorliegt, ist somit die Abgrenzung gegenüber der Arbeitslosenversicherung und damit, ob die versicherte Person in der fraglichen Zeit vermittlungsfähig war (Art. 15 Abs. 1 AVIG) und die Kontrollvorschriften (Art. 17 AVIG) erfüllen konnte. Ist dies zu bejahen, so besteht kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung. Diese Grundsätze gelten auch bei ungerechtfertigter fristloser Entlassung (Art. 337c OR) und wenn das Arbeitsverhältnis zur Unzeit aufgelöst wird (Art. 336c OR). In diesen Fällen weist die versicherte Person eine genügend grosse Verfügbarkeit auf, um eine zumutbare Arbeit anzunehmen und sich den Kontrollvorschriften zu unterziehen (BGE 125 V 495 E. 3b, 121 V 380 E. 3; ARV 2006 Nr. 6 S. 73 ff., C 214/04). Nicht anders ist die Freistellung während der Kündigungsfrist zu behandeln (zum Ganzen: BGE 132 V 82 E. 3.2 S. 85 f. mit Hinweisen)

 

Ausschluss der Insolvenzentschädigung

Keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten.

 

Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. März 2019, AVI 2018/10 zum Ausschluss

Für die Beurteilung, ob eine versicherte Person nach Art. 51 Abs. 2 AVIG vom Anspruch auf Insolvenzentschädigung ausgeschlossen ist, ist die zu Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ergangene Rechtsprechung gleichermassen anwendbar (KUPFER BUCHER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung, 4. Aufl., Zürich/ Basel/Genf 2013, S. 251 f.). Gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Nach der Rechtsprechung ist der Ausschluss der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten Personen vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen (BGE 123 V 234). Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG kommt, obwohl dem Wortlaut nach nur auf Kurzarbeitsfälle zugeschnitten, auch im Bereich der Arbeitslosenentschädigung nach Art. 8 ff. AVIG zur Anwendung. Die betreffende Bestimmung dient der Vermeidung von Missbräuchen (z.B. Selbstausstellung von Gefälligkeitsbescheinigungen). Das Bundesgericht hielt fest, das Missbrauchsrisiko sei dasselbe, ob es nun um Arbeitslosen-, Kurzarbeits- oder Insolvenzentschädigung gehe. Daher rechtfertige sich keine unterschiedliche Behandlung arbeitgeberähnlicher Personen in Bezug auf diese drei Leistungsarten (BGE 123 V 234 und BGE 142 V 263 E. 4.1 mit Hinweisen). Die Rechtsprechung des Bundesgerichts will somit nicht nur dem ausgewiesenen Missbrauch an sich begegnen, sondern bereits dem Risiko eines solchen, das der Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung an arbeitgeberähnliche Personen inhärent ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 26. Oktober 2016, 8C_529/2016, E. 5.2). Wie bei der Kurzarbeit steht auch bei der Insolvenzentschädigung die Frage nach der tatsächlichen Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Willensbildung des Betriebs und nach dem Mass der Entscheidungsbefugnis im Vordergrund. So ist denn auch die Grenze zwischen dem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium und den unteren Führungsebenen nicht allein anhand von formellen Kriterien zu beurteilen. Für die Beurteilung, ob eine versicherte Person mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls tatsächlich einen massgeblichen Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen hat, können diverse Anhaltspunkte beigezogen werden. Unter anderem können die versicherte Person und der Arbeitgeber über die effektiven Aufgaben, die Kompetenz- und Entscheidungsbefugnisse, die finanzielle Beteiligung, die Handlungsvollmachten und die Zeichnungsbefugnisse befragt, Arbeitsverträge beigezogen oder Steuerveranlagungen eingefordert werden (KUPFER BUCHER, a.a.O., S. 251 f.; AVIG-Praxis ALE B18 f.).

 

Verwirkung des Anspruches

Offene Lohnausstände müssen vom Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber spätestens nach ca. 3 Monaten eingefordert haben, damit der Arbeitnehmer berechtigt ist, Insolvenzentschädigung zu beantragen.

Der Arbeitnehmer muss im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bis die Kasse ihm mitteilt, dass sie an seiner Stelle in das Verfahren eingetreten ist. Danach muss er die Kasse bei der Verfolgung ihres Anspruchs in jeder zweckdienlichen Weise unterstützen – in der Regel ist alle drei Monate der nächste Vollstreckungsschritt einzuleiten.

 

Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 31. Oktober 2008, AVI 2008/16 zur Verwirkung

Nach Art. 55 Abs. 1 AVIG müssen Arbeitnehmende im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen, um ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bis die Kasse ihnen mitteilt, dass sie an ihrer Stelle in das Verfahren eingetreten ist. Danach müssen sie die Kasse bei der Verfolgung ihres Anspruchs in jeder zweckdienlichen Weise unterstützen. Diese Bestimmung bezieht sich dem Wortlaut nach auf das Konkurs- und Pfändungsverfahren. Sie bildet jedoch Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht, welche auch dann Platz greift, wenn das Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung aufgelöst wird (Urteil des Bundesgerichts vom 31. Juli 2008 i.S. S., 8C_329/08, E. 2.2 mit Hinweisen). Sie obliegt der versicherten Person in reduziertem Umfang bereits vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber der Lohnzahlungspflicht nicht oder nur teilweise nachkommt und mit einem Lohnverlust zu rechnen ist (ARV 2002 Nr. 30 S. 190). Die Schadenminderungspflicht setzt nicht notwendigerweise voraus, dass die Lohnforderung auf dem Betreibungs- oder Klageweg geltend gemacht wird. Praxisgemäss genügt es, wenn die Arbeitnehmenden unmissverständliche Zeichen setzen, aus denen die Ernsthaftigkeit ihrer Lohnforderungen zu erkennen ist (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; seit 1. Januar 2007: Sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] vom 15. Oktober 2001 i.S. N., C 194/01, E. 2b). Zu weitergehenden Schritten ist die versicherte Person dann gehalten, wenn es sich um erhebliche Lohnausstände handelt und sie konkret mit einem Lohnverlust rechnen muss. Denn es geht auch für die Zeit vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht an, dass die versicherte Person ohne hinreichenden Grund während längerer Zeit keine rechtlichen Schritte zur Realisierung erheblicher Lohnausstände unternimmt, obschon sie konkret mit dem Verlust der geschuldeten Gehälter rechnen muss (Urteil des EVG vom 6. Februar 2006 i.S. F., C 270/05, E. 3.1 mit Hinweisen).

 

Beiträge zur Geltendmachung des Lohnes (ausserhalb der Insolvenzentschädigung):

 

Autor: Nicolas Facincani