Im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens werden den Bewerbern verschiedene Fragen gestellt. Das Fragerecht des Arbeitgebers ist aber beschränkt. Es dürfen nur Fragen gestellt werden, die zu der besetzenden Stelle in einem Zusammenhang stehen und an denen der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat. Es ist von der konkreten Stelle abhängig, ob eine Frage zulässig oder unzulässig ist. So ist insbesondere die Position und die Wichtigkeit der Stelle zu berücksichtigen (vgl. hierzu etwa Dominik Probst, in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 320 N 5ff.).

Das Kantonsgericht von Graubünden hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Arbeitgeber (eine Skischule) im Bewerbungsverfahren durch eine Bewerbende (Skilehrerin) getäuscht worden war, worauf diese den Arbeitsvertrag aufhob.

 

Verfahren SK2 21 17 des Kantonsgerichts von Graubünden vom 16. Juni 2021

Dem Entscheid des Kantonsgerichts lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Arbeitgeberin und die Arbeitnehmerin unterzeichneten am 1. Oktober 2019 einen Arbeitsvertrag, der die Anstellung für die Wintersaison 2019/2020 als Ski Kids Instructor SSSA, 1. Jahr (gemäss Ausweis SSSA), beinhaltete. Der Arbeitsvertrag sah einen Einsatz im Zeitraum von frühestens 21. November 2019 bis längstens 19. April 2020 vor, wobei die Arbeitnehmerin auf Abruf zur Verfügung stehen musste und die Arbeit jederzeit bei Bedarf zu leisten war.

Vom 2. bis 6. Dezember 2019 absolvierte die Arbeitnehmerin einen internen Ausbildungskurs. Zudem nahm sie vom 9. bis 13. Dezember 2019 am Kids-Instructor-Kurs teil. Die interne Skilehrerausbildnerin bescheinigte der Arbeitnehmerin ihre Nichteignung als Skilehrerin aufgrund mangelhafter Sozial-, Fach- und Methodenkompetenz. Auch den zweiten Kurs bestand sie mit einer Durchschnittsnote von 3.5 nicht.

Es stellte sich in der Folge heraus, dass die Arbeitnehmerin wegen einer Stammzellentransplantation eine volle IV-Rente bezog. Die Arbeitgeberin hob den Arbeitsvertrag wegen einer Täuschung auf, worauf die Arbeitnehmerin Klage erhob.

 

Entscheid der Vorinstanz (Regionalgericht Prättigau/Davos)

Die Vorinstanz ging davon aus, dass die Berufungsklägerin zum Zeitpunkt der Vertragsschliessung bereits eine volle IV-Rente bezog und somit zu 100% arbeitsunfähig war, was sie der Arbeitgeberin bewusst nicht mitgeteilt und darüber hinaus das Gesundheitsattest im Rahmen der Bewerbung wahrheitswidrig ausgefüllt habe.

Die Vorinstanz ging nicht nur von einer Auskunftspflicht der Berufungsklägerin über ihre vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit aufgrund der vollen IV-Rente im Sinne einer wahrheitsgetreuen Beantwortung entsprechender Fragen über den Gesundheitszustand aus, sondern sogar von einer Offenbarungspflicht in dem Sinne, dass die Arbeitnehmerin den Bezug der vollen IV-Rente der Arbeitgeberin von sich aus hätte mitteilen müssen (sog. Offenbarungspflicht – siehe hierzu etwa Dominik Probst, in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 320 N 11ff.).

 

Entscheid SK2 21 17 des Kantonsgerichts von Graubünden vom 16. Juni 2021

Das Kantonsgericht liess offen, ob eine Offenbarungspflicht bestanden hätte. Aus dem folgenden Grund:

Zunächst fasst das Kantonsgericht zusammen, welche Fragen im Rahmen eines Bewerbungsgespräches gestellt werden dürften (E. 4.2.2 des Urteils):

4.2.2. […]. Entgegen der Ansicht der Berufungsklägerin sind Fragen einer potentiellen Arbeitgeberin zum Gesundheitszustand des potentiellen Arbeitnehmers nicht per se unzulässig. Gemäss Art. 328b OR darf der Arbeitgeber Daten über den Arbeitnehmer nur bearbeiten, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrags erforderlich sind. Es sind somit nur Fragen erlaubt, die für die Durchführung der Arbeit notwendig sind und darüber Auskunft geben können, ob der Arbeitnehmer für die Stelle geeignet ist oder nicht. Die Fragen müssen sich insbesondere darauf richten, ob der Arbeitnehmer die ihm zugedachte Tätigkeit ausführen kann. Sie haben also in unmittelbarem Zusammenhang zum Arbeitsplatz und der zu leistenden Arbeit zu stehen (Sara Licci, Bewerbungsverfahren: Fragerecht und Auskunftspflicht zu Krankheit, in: recht 2015, S. 100; BGer 2A.621/2005 v. 30.1.2006 E. 4.2). Die Arbeitgeberin darf gar die als grundsätzlich unzulässig definierten Fragen (zum Beispiel nach einer geplanten oder bestehenden Schwangerschaft) stellen, wenn ein Zusammenhang zur Arbeit besteht (Licci, a.a.O., S. 101 f.). Allgemein wird in der Lehre die Auffassung vertreten, dass im Vertragsverhandlungsverhältnis (Anbahnungsverhältnis) die Pflicht zu ernsthaftem Verhandeln besteht, was bedeutet, dass der Vertragspartner nicht getäuscht werden darf. Daraus ergibt sich, dass Stellenbewerber auf Fragen künftiger Arbeitgeber, die sich auf die Anstellung und ihre spezielle Eignung dafür beziehen, wahrheitsgemäss Auskunft geben müssen (BGE 122 V 267 E. 3a; Wolfgang Portmann/Isabelle Wildhaber, Schweizerisches Arbeitsrecht, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen 2020, Rz. 85). Nur auf Fragen, die keinen Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis aufweisen, darf ein Arbeitnehmer schweigen (Licci, a.a.O., S. 104). Was unter objektiven Gesichtspunkten zu einer Eignungsabklärung beiträgt, kann nur bezogen auf eine konkrete Arbeitsstelle beurteilt werden. Zu fragen ist, welcher Eigenschaften und Fähigkeiten ein Arbeitnehmer bedarf, um den Anforderungen seiner künftigen Stelle gerecht zu werden (vgl. Ullin Streiff/Adrian von Kaenel/Roger Rudolph, Arbeitsvertrag Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2012, N 5 zu Art. 328b OR).

Die im Rahmen des Bewerbungsverfahrens gestellten Fragen waren gemäss Kantonsgericht geeignet, um die Anforderungen an die körperliche Verfassung eines Skilehrers abzuklären, welche im Freien, bei jedem Wetter, bei kalten wie bei warmen Temperaturen Skiunterricht zu geben haben. Mithin standen die Fragen gemäss Kantonsgericht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit als Skilehrerin und waren somit ohne Weiteres zulässig. Die Schlussfolgerung der Vor-instanz, die Berufungsklägerin sei verpflichtet gewesen, die Fragen der Berufungsbeklagten wahrheitsgemäss zu beantworten, ist damit richtig.

Das Kantonsgericht kam damit zum Schluss, dass die Arbeitnehmerin die Fragen bewusst falsch beantwortet und damit die Berufungsbeklagte über ihre tatsächliche körperliche Verfassung und Arbeitsfähigkeit getäuscht habe. Mithin habe die Vorinstanz die Täuschungsabsicht zu Recht bejaht.

 

Allgemeines zum Fragerecht im Bewerbungsverfahren

Der Arbeitnehmer muss die zulässigen Fragen wahrheitsgemäss beantworten. Wird einem Bewerber eine zulässige Frage gestellt, muss ein Bewerber diese wahrheitsgetreu beantworten (vgl. hierzu etwa Clara-Ann Gordon/Eric Neuenschwander/Philippe Schmid, in: Etter/Facincani/Sutter, Arbeitsvertrag, Art. 328b N 26f.). Unzulässige Fragen, d. h. Fragen, welche nicht mit der Eignungsabklärung zu tun haben, muss ein Erwerber nicht beantworten. Er verfügt zudem über das Notwehrrecht der Lüge, d. h. er kann unzulässige Fragen bewusst falsch beantworten, sofern er befürchten muss, dass er bei einer wahren Antwort die Stelle nicht erhält. Wird so eine Frage absichtlich falsch beantwortet, darf der Arbeitgeber dem Arbeitgeber später auch nicht fristlos kündigen, wenn er im Nachhinein von der Wahrheit erfährt.

Im Grunde genommen ist ein Arbeitnehmer im Rahmen des Bewerbungsverfahrens nicht mitteilungspflichtig. So ist er nicht mitteilungspflichtig, auch wenn es um anstellungserhebliche Kriterien geht, sofern er durch den Arbeitgeber nicht darauf angesprochen wird. Hingegen ist ein Stellenbewerber von sich aus, d. h. ohne Nachfrage, mitteilungspflichtig in Bezug auf für eine geordnete Arbeitsausführung unentbehrliche Eigenschaften. Der Arbeitnehmer hat im Rahmen seiner Offenbarungspflicht alles mitzuteilen, was ihn zur Übernahme der Stelle als (absolut) ungeeignet erscheinen lässt, die vertragsgemässe Arbeitsleistung praktisch ausschliesst oder diese doch erheblich vermindert.

 

Im vorliegenden Zusammenhang, insbesondere dem Datenschutz, sind auch die nachfolgenden Beiträge relevant:

 

Autor: Nicolas Facincani

 

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