Im Entscheid 4A_402/2023 vom 26. Februar 2024 war unter anderem umstritten, ob das zwischen den Parteien gekündigte Arbeitsverhältnis dem Landesmantelvertrag für das Schweizerische Bauhauptgewerbe (AVE LMV) unterstellt war.

Die Arbeitgeberin bezweckte gemäss Handelsregistereintrag die Ausführung von Trax-, Bagger- und Aushubarbeiten, Transporte, Kieslieferungen, Kehrichtabfuhr und Welaki (Wechselladungskipper) sowie den Betrieb von Grosscontainern und Möbeltransportkasten. Gemäss ihrem Internetauftritt ist sie in den Bereichen Rückbau, Umgebungsgestaltung, Wandkies, Recyclingmaterial, Aushubmaterial, Erdarbeiten, Mulden und Containerservice sowie Transporte tätig. Der Arbeitnehmer war ab 1. März 2008 bei der Beklagten als Chauffeur angestellt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 28. November 2019 auf den 29. Februar 2020, wobei sich das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers wegen Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. Juni 2020 verlängerte.

Am 14. Dezember 2020 beantragte der Arbeitnehmer beim Bezirksgericht Brugg, Arbeitsgericht, es sei festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien dem Landesmantelvertrag für das Schweizerische Bauhauptgewerbe (LMV) unterstellt sei. Zudem sei die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm Fr. 36’050.– abzüglich der üblichen Sozialleistungen sowie Fr. 37’179.90, beides zuzüglich Zinsen, zu bezahlen.

Mit Urteil vom 16. März 2022 hiess das Bezirksgericht die Klage teilweise gut und verpflichtete die Arbeitgeberin zur Zahlung einer Überstundenentschädigung von Fr. 26’035.– sowie einer Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung von Fr. 24’786.60, je zuzüglich Zinsen.

 

Urteil des Obergerichts

Das Obergericht des Kantons Aargau (Vorinstanz) wies die dagegen erhobene Berufung der Arbeitgeberin mit Urteil vom 28. Juni 2023 ab. Es erwog, die Beklagte sei im massgebenden Zeitraum von 2015 bis 2019 überwiegend im Bauhauptgewerbe tätig gewesen. Auf das Arbeitsverhältnis sei deshalb der allgemeinverbindlich erklärte LMV (AVE LMV) anwendbar gewesen. Folglich sei gemäss Art. 24 Abs. 2 AVE LMV von einer Jahresarbeitszeit des Arbeitnehmers von 2112 Stunden auszugehen, weshalb ihm für die darüber hinaus geleisteten Arbeitsstunden eine Überstundenentschädigung von Fr. 26’035.– zustehe.

Die Vorinstanz erwog, die Arbeitgeberin sei unbestrittenermassen ein Mischbetrieb und führe sowohl Tätigkeiten im Bauhauptgewerbe als auch solche ausserhalb des Bauhauptgewerbes aus. Mit ihren Aushub- und Abbruchtätigkeiten bzw. mit ihrem Betriebsteil „Tiefbau, Erdarbeiten, Rückbau“ sowie bis zum 31. Mai 2017 mit ihrer Deponietätigkeit (nachfolgend: bauhauptgewerbliche Tätigkeiten) habe die Arbeitgeberin Tätigkeiten ausgeübt, die dem Bauhauptgewerbe gemäss Art. II Abs. 3 AVE LMV zuzuordnen seien. Zudem seien die im Zusammenhang mit den Aushub- und Abbruchtätigkeiten ausgeführten Transporte als integrierender Bestandteil dieser Tätigkeiten ebenfalls dem Bauhauptgewerbe zuzuordnen. Der Beschwerdegegner habe vorgetragen, dass die Arbeitgeberin überwiegend in typischen Bereichen des Bauhauptgewerbes tätig gewesen sei. Er habe ausgeführt, dass von 2015 bis 2020 nur 40 % der Lohnsumme der Arbeitgeberin im Transportbereich auf Transporte für Dritte entfielen. Die Transporte für den Eigenbedarf würden hingegen ausschliesslich als Bestandteil des Dienstleistungsangebots anfallen, das zum betrieblichen Geltungsbereich des AVE LMV gehöre, namentlich der Aushub- und Abbrucharbeiten, des Betriebs eines Kieswerks, einer Deponie und einer Recyclinganlage.

Die Behauptung des Arbeitnehmers, die Arbeitgeberin sei überwiegend im Bauhauptgewerbe tätig gewesen, hätte nach Ansicht der Vorinstanz sodann qualifiziert bestritten werden müssen. Zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin habe ein erhebliches Informationsgefälle über die Frage bestanden, in welchem Verhältnis die jeweiligen Tätigkeiten im Betrieb der Arbeitgeberin ausgeübt worden seien. Der Arbeitgeberin seien diese Informationen im Rahmen ihrer Buchhaltung zugänglich gewesen und es wäre ihr zumutbar gewesen, die Behauptung der überwiegenden Tätigkeit im Bauhauptgewerbe begründet zu bestreiten, indem sie Angaben zum Verhältnis der in ihrem Betrieb ausgeübten Tätigkeiten des Bauhauptgewerbes zu den übrigen Tätigkeiten gemacht hätte. Dazu hätte sie insbesondere darlegen müssen, welchen Anteil der Transportleistungen sie im Zusammenhang mit ihren Aushub- und Abbrucharbeiten und allenfalls ihrer Deponietätigkeit erbracht habe. Indem die Arbeitgeberin lediglich den Anteil des Betriebsteils „Transporte“ als Ganzes für das Jahr 2019 angegeben habe, habe sie die Behauptung der überwiegenden Tätigkeit im Bauhauptgewerbe nicht hinreichend begründet bestritten. Die Arbeitgeberin weise demnach ein bauhauptgewerbliches Gepräge auf und sei dem Geltungsbereich des AVE LMV unterstellt.

 

Anwendbarkeit des LMV

Massgebliches Kriterium für den betrieblichen Geltungsbereich ist die Branche, der ein Betrieb zuzuordnen ist. Dafür ausschlaggebend sind die Tätigkeiten, die ihm das Gepräge geben, nicht hingegen der Handelsregistereintrag oder die Art und Weise, wie die Tätigkeiten ausgeführt resp. welche Hilfsmittel dabei eingesetzt werden (BGE 139 III 165 E. 3.1; 134 III 11 E. 2.1; Urteil 4A_269/2023 vom 5. Juli 2023 E. 5.2). Tatfrage ist, welche Tätigkeiten in einem Betrieb oder selbstständigen Betriebsteil in welchem Ausmass vorkommen. Hingegen ist Rechtsfrage, welche der festgestellten Tätigkeiten dem Betrieb das Gepräge geben resp. nach welchen Gesichtspunkten die Zuordnung zu einem bestimmten Wirtschaftszweig erfolgt (BGE 139 III 165 E. 3.3; Urteil 4A_269/2023 E. 5.2).

Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gilt ein GAV für den ganzen Betrieb und somit auch für berufsfremde Arbeitnehmer, wobei regelmässig gewisse Funktionsstufen und besondere Anstellungsverhältnisse ausgenommen werden. Allerdings kann ein Unternehmen mehrere Betriebe umfassen, welche unterschiedlichen Branchen angehören, oder es können innerhalb ein und desselben Betriebs mehrere Teile bestehen, die eine unterschiedliche Zuordnung rechtfertigen, weil sie eine genügende, auch nach aussen erkennbare Selbstständigkeit aufweisen (sog. echter Mischbetrieb). In diesen Fällen können auf die einzelnen Teile des Unternehmens unterschiedliche GAV zur Anwendung gelangen. Massgebliches Zuordnungskriterium ist somit die Art der Tätigkeit, die dem Betrieb oder dem selbstständigen Betriebsteil – und nicht dem Unternehmen als wirtschaftlichem Träger allenfalls mehrerer Betriebe – das Gepräge gibt (BGE 141 V 657 E. 4.5.2.1; 134 III 11 E. 2.1; je mit Hinweisen).

Von einem selbstständigen Betrieb oder einem selbstständigen Betriebsteil innerhalb eines Mischunternehmens kann nur gesprochen werden, wenn dieser eine eigene organisatorische Einheit bildet. Das setzt voraus, dass die einzelnen Arbeitnehmer klar zugeordnet werden können und die entsprechenden Arbeiten im Rahmen der übrigen Tätigkeiten des Unternehmens nicht nur hilfsweise erbracht werden. Erforderlich ist zudem, dass der Betriebsteil mit seinen besonderen Produktionen oder Dienstleistungen insofern auch nach aussen als entsprechender Anbieter gegenüber den Kunden in Erscheinung tritt. Demgegenüber bedarf der Betriebsteil keiner eigenen Verwaltung oder gar einer separaten Rechnungsführung, um als solcher gelten zu können (BGE 141 V 657 E. 4.5.2.2 mit Hinweisen). Die Frage nach einer Durchbrechung des Grundsatzes der Tarifeinheit und damit nach einer Ausnahme von selbstständigen Betriebsteilen von der Unterstellung unter einen GAV stellt sich von vornherein nur für solche Betriebsteile, die mit Leistungen am Markt auftreten, die anderen Branchen zuzuordnen sind bzw. nicht konkurrierend auf demselben Markt angeboten werden (Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 E. 6.1). Ob ein Betriebsteil im soeben dargelegten Sinn eine genügende, auch nach aussen erkennbare Selbstständigkeit aufweist, ist eine vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage (BGE 141 V 657 E. 4.6.1).

 

Selbständiger Betriebsteil

Zu prüfen war, ob es sich bei der Arbeitgeberin um einen echten Mischbetrieb handelt, wobei der Betriebsteil „Transport“ einen selbstständigen Betriebsteil darstellt.

Die Vorinstanz hielt fest, dass der Betriebsteil „Transport“ der Arbeitgeberin keinen selbstständigen Betriebsteil darstelle. Sie führte im Wesentlichen aus, der Beschwerdegegner habe vorgetragen, er und seine Arbeitskollegen hätten während seiner gesamten Arbeitszeit unter anderem Material abtransportiert, das von Mitarbeitern der Arbeitgeberin auf Baustellen ausgehoben worden sei. Er habe auch Material abtransportiert, das im Zusammenhang mit den Abbruch- und Rückbautätigkeiten der Arbeitgeberin gestanden habe. Dies sei von der Arbeitgeberin nicht bestritten worden. Der Betriebsteil „Transport“, in dem der Beschwerdegegner beschäftigt gewesen sei, habe somit im relevanten Zeitraum von 2015 bis 2019 Material abtransportiert, das aus den Aushub- und Abbruchtätigkeiten der Arbeitgeberin stammte. Die Transporttätigkeiten stellten somit einen integrierenden Bestandteil der am Markt angebotenen Aushub- und Abbruchtätigkeiten der Arbeitgeberin dar. Da der Betriebsteil „Transport“ somit Leistungen erbracht habe, die dem Bauhauptgewerbe zuzuordnen seien, komme eine Ausnahme des Betriebsteils „Transport“ als selbstständiger Betriebsteil von der Unterstellung unter den AVE LMV nicht in Frage. Nur Transportleistungen, die nicht im Rahmen von Leistungen des Bauhauptgewerbes erbracht würden, könnten als selbstständiger Betriebsteil von der Unterstellung ausgenommen werden. Die Arbeitgeberin mache jedoch keine solche organisatorische Einheit geltend, sondern berufe sich einzig auf die Nichtunterstellung des Betriebsteils „Transport“ als Ganzes, weshalb darauf nicht weiter einzugehen sei. Die Arbeitgeberin stelle somit einen unechten Mischbetrieb dar.

Das Bundesgericht schützte den Entscheid der Vorinstanz: dieses habe kein Bundesrecht verletzt, indem sie davon ausging, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um einen unechten Mischbetrieb handle, dessen Betriebsteil „Transporte“ als nicht selbstständiger Betriebsteil dem AVE LMV unterstellt gewesen sei:

4.3.4.1. Der Transport von und zu Baustellen ist zwar – mit Ausnahme der Anlieferung von industriell hergestellten Baumaterialien – vom Geltungsbereich des LMV erfasst (Art. 2 Abs. 2 lit. k LMV). Die Bestimmung wurde jedoch nicht für allgemeinverbindlich erklärt, weshalb der Geltungsbereich des AVE LMV an sich Transporte von und zu Baustellen nicht erfasst (Urteil 4A_377/2009 vom 25. November 2009 E. 5.2; vgl. auch Bundesratsbeschluss über die Allgemeinverbindlicherklärung des Landesmantelvertrages für das Bauhauptgewerbe vom 15. Januar 2013, BBl 2013 611). Fraglich ist daher, ob dies die Unterstellung von Transportleistungen von und zu Baustellen generell ausschliesst, unabhängig von der Art der transportierten Güter. Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Allgemeinverbindlicherklärung, einheitliche Mindestarbeitsbedingungen für die auf dem gleichen Markt tätigen Unternehmen zu schaffen und damit zu verhindern, dass ein Unternehmen durch schlechtere Arbeitsbedingungen einen unlauteren Wettbewerbsvorteil erlangen kann (BGE 141 V 657 E. 4.5.2.2), ist dies zu verneinen (Urteil 4A_377/2009 E. 5.2). Zu der auf dem Markt angebotenen Leistung in den Tätigkeitsbereichen Aushub, Abbruch, Deponie gehört neben der Grundleistung der Aushub-, Abbruch- oder Deponietätigkeit notwendigerweise auch als integrierender Bestandteil der Zu- oder Abtransport des gewonnenen oder zu entsorgenden Materials. Es ist notorisch, dass die Grundleistungen und die Transportleistungen in den fraglichen Bereichen (Aushub und Wegtransport des Aushubmaterials, Entsorgung und Abtransport des Entsorgungsguts) den Abnehmern von Bauleistungen (Bauherrschaft) als einheitliche Leistungen angeboten werden, wenn auch die Transportleistungen von Fall zu Fall an selbstständige Unterakkordanten weitervergeben werden mögen. Die Transportleistungen bilden damit Bestandteil des Angebots auf den entsprechenden Märkten, d.h. der Leistungen Aushub, Abbruch und Entsorgung von Bauschutt. Daran ändert nichts, wenn der Transportbereich in einem Betrieb, der sich schwergewichtig auf diesem Markt bewegt, eine grössere Lohnsumme oder einen grösseren Personalbestand aufweist als die Betriebsbereiche, in denen die Grundleistungen wie Aushub oder Deponietätigkeit erbracht werden. Denn es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Arbeitsaufwand für den Transport von Aushubmaterial oder Deponiegut denjenigen übersteigt, der für den Abbau, die Aufladung oder die Entladung und Ablagerung des Materials mit Baggern anfällt. Wenn aufgrund dieses Umstands Unternehmen, die sich hauptsächlich mit Aushub-, Abbruch- oder Deponietätigkeiten betätigen, von der Unterstellung unter den LMV ausgenommen wären, könnten diese gegenüber Bauunternehmen, die lediglich in untergeordnetem Ausmasse Leistungen in diesen Bereichen mit dem dazugehörenden Transport erbringen und damit dem LMV unterstehen, einen unlauteren Wettbewerbsvorteil erlangen, indem sie ihren Arbeitnehmern gegenüber jenen dieses Bauunternehmens schlechtere Arbeitsbedingungen anböten. Daraus ergibt sich, dass unter den vom Geltungsbereich des AVE LMV ausgenommenen „Transportleistungen von und zu Baustellen“ nur solche zu verstehen sind, die Güter betreffen, deren Transport nicht als integrierender Bestandteil der mit diesen zu erbringenden Bauleistungen erscheint, wie namentlich der Transport von industriell hergestellten Baumaterialien wie Backsteinen, Armierungseisen u.s.w. Sind die Transportleistungen hingegen wie beim Aushub oder der Deponie als integrierender Bestandteil der Grundleistung zu betrachten, die dem AVE LMV unterstehen, werden sie von der Allgemeinverbindlicherklärung erfasst (Urteil 4A_377/2009 E. 5.2). Folglich können nur die Transportleistungen, die nicht im Zusammenhang mit den vom AVE LMV erfassten bauhauptgewerblichen Tätigkeiten erbracht werden, als selbstständiger Betriebsteil von der Unterstellung unter dem AVE LMV ausgenommen werden (vgl. Urteil 4A_377/2009 E. 6.2).  

An diesen Erwägungen ändert die von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung in BGE 142 III 758 nichts. Zum einen betraf dieser Leitentscheid reine Transportunternehmen und gerade nicht Mischbetriebe, die wie die Besschwerdeführerin sowohl Bau- als auch Transportleistungen anbieten (BGE 142 III 758 E. 4.1 ff.). Zum anderen bezog sich dieser Leitentscheid auf den Geltungsbereich des GAV FAR. Zwar wurden der LMV und der GAV FAR zwischen denselben Parteien abgeschlossen, doch regelt der GAV FAR ausschliesslich die Sonderfrage des flexiblen Altersrücktritts, wobei gemäss seiner Präambel der körperlichen Belastung der Arbeitnehmenden im Bauhauptgewerbe Rechnung getragen werden sollte (BGE 142 III 758 E. 4.4.1 und E. 4.4.3.2). Dabei ist davon auszugehen, dass Chauffeure, die ausschliesslich im Transportbereich tätig sind, grundsätzlich nicht der gleichen körperlichen Beanspruchung ausgesetzt sind wie das Baustellenpersonal (vgl. BGE 142 III 758 E. 4.4.3.2). Dementsprechend werden Transporttätigkeiten im Geltungsbereich des GAV FAR im Gegensatz zum LMV nicht erwähnt. Daraus folgerte das Bundesgericht, dass reine (Bau-) Transportbetriebe nicht dem GAV FAR zu unterstellen seien (BGE 142 III 758 E. 4.4.3.3). Der Entscheid hing somit eng mit den Besonderheiten des GAV FAR zusammen. Insgesamt lassen sich daher aus diesem Entscheid keine Rückschlüsse auf den vorliegenden Fall entnehmen. 

Aus dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Beschluss des Bundesrates vom 14. Juni 2016 zur Allgemeinverbindlicherklärung des GAV FAR – den die Beschwerdeführerin fälschlicherweise als Beschluss zur Allgemeinverbindlicherklärung des LMV bezeichnet – lässt sich ebenso wenig etwas Abweichendes ableiten. So bestätigt dieser Bericht im Wesentlichen die Aussagen des Bundesgerichts in Urteil 4A_377/2009 und trifft im Hinblick auf den LMV keine abweichenden Aussagen. 

4.3.4.2. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist unbestritten geblieben, dass der Beschwerdegegner im relevanten Zeitraum von 2015 bis 2019 Material abtransportiert hat, das aus den Aushub- und Abbruchtätigkeiten der Beschwerdeführerin stammte. Dabei ist die Vorinstanz in Übereinstimmung mit den vorstehenden Erwägungen zu Recht davon ausgegangen, dass diese Arbeiten einen integrierenden Bestandteil der auf dem Markt angebotenen Aushub- und Abbruchtätigkeiten der Beschwerdeführerin bildeten, die unter den Geltungsbereich des AVE LMV fallen. Hieraus folgerte die Vorinstanz ebenfalls zu Recht, dass nur diejenigen Transportleistungen, die keine integrierenden Bestandteile der auf dem Markt angebotenen Abbruch- und Aushubtätigkeiten darstellen, überhaupt in einem selbstständigen Betriebsteil ausgegliedert werden könnten (Urteil 4A_377/2009 E. 6.2). Die Vorinstanz stellte sodann verbindlich fest, dass die Beschwerdeführerin nicht hinreichend dargelegt habe, welche Transportleistungen nicht als einen solchen integrierenden Bestandteil der Aushub- und Abbruchtätigkeiten erbracht würden, sondern bloss die Nichtunterstellung des Betriebsteils „Transporte“ als Ganzes behaupte.  

Insgesamt stellte somit die Vorinstanz auf die unbestritten gebliebene Behauptung des Beschwerdegegners ab, dass der Betriebsteil „Transporte“ Transportleistungen im Zusammenhang mit den von der Beschwerdeführerin ausgeübten und dem AVE LMV unterstellten Abbruch- und Aushubtätigkeiten erbrachte. Die Beschwerdeführerin zeigte sodann nicht hinreichend auf, inwiefern es sich beim Betriebsteil „Transporte“ um einen selbstständigen Betriebsteil handelte. Insbesondere zeigte sie weder hinreichend auf, welche Transportleistungen nicht im Zusammenhang mit den dem AVE LMV unterstellten Tätigkeiten erbracht wurden, noch machte sie eine eigenständige organisatorische Einheit für diese Transportleistungen geltend. Vielmehr behauptete sie bloss die Nichtunterstellung der Transportleistungen als Ganzes. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht hinreichend auf, inwiefern diese Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz geradezu willkürlich sein sollen (vgl. E. 3.2 hiervor). Gestützt auf diese Ausgangslage ging die Vorinstanz sodann zu Recht in Übereinstimmung mit der oberwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. E. 4.3.4.1 hiervor) davon aus, dass es sich beim Betriebsteil „Transporte“ nicht um einen selbstständigen, branchenfremden Betriebsteil der Beschwerdeführerin handle. Bei diesem Ergebnis blieb auch mangels hinreichender Bestreitung kein Raum für weitergehende Abklärungen im Zusammenhang mit dem Betriebsteil „Transporte“ (vgl. Art. 150 Abs. 1 ZPO). 

Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang auch die geltend gemachte Verletzung von Art. 2 bis Abs. 5 LMV. Zum einen ist diese Bestimmung nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden und findet auf das strittige Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Zum anderen ergänzt die Beschwerdeführerin soweit sie darzulegen versucht, dass sie die kumulativen Voraussetzungen von Art. 2bis Abs. 5 LMV erfülle, den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt nach Belieben, ohne eine zulässige Sachverhaltsrüge zu erheben. Dementsprechend sind ihre Ausführungen hierzu unbeachtlich (vgl. E. 3.1 hiervor).  

Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich geltend macht, die Vorinstanz habe sich unzureichend mit den Entscheiden der Geschäftsstelle der Stiftung FAR sowie der paritätischen Baukommission des Kantons Aargau auseinandergesetzt, ka nn ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Bei der paritätischen Berufskommission für das Bauhauptgewerbe Aargau (PBK Bau Aargau) handelt es sich um einen privatrechtlichen Verein im Sinne von Art. 60 ff. ZGB zur gemeinsamen lokalen Durchführung des GAV LMV (vgl. Art. 357b OR, Art. 75 ff. LMV). Die Stiftung FAR stellt ihrerseits eine im Handelsregister eingetragene privatrechtliche Stiftung im Sinne von Art. 80 ff. ZGB zur gemeinsamen Durchführung des GAV FA R dar (vgl. Art. 357b OR, Art. 23 GAV FAR). Es handelt sich sowohl bei der PBK Bau Aargau als auch bei der Stiftung GAV FAR um Vollzugsorgane des jeweiligen GAV (v gl. CHRISTOPH SENTI, Die paritätische Kommission: Funktion, Kompetenzen und Verfahren, ARV 2021, S. 216). Dabei legt das Bundesgericht die Grundsätze und Leitplanken fest, nach denen sich die paritätischen Kommissionen bzw. die Stiftung GAV FAR in der Anwendung des LMV bzw. des GAV FAR zu richten haben. Die Beschlüsse dieser Vollzugsorgane haben nur den Stellenwert eines Rechtsgutachtens (vgl. Urteil 4A_68/2018 vom 13. November 2018 E. 7.2.2.2). Dementsprechend sind die Gerichte nicht an die Beschlüsse gebunden, weshalb auch allein der Richter und nicht die Vollzugsorgane darüber zu entscheiden hat, ob ein Betrieb unter den allgemeinverbindlichen GAV fällt (Urteile 4A_597/2017 vom 23. April 2017 E. 2.2 f.; 4A_351/2014 vom 9. September 2014 E. 5.2). Die Vorinstanz ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass sie nicht an die Entscheidungen dieser Vollzugsorgane gebunden ist. Dementsprechend bestand auch keine Pflicht zu einer gesonderte n Begründung, weshalb sie abweichend von diesen Vollzugsorganen entscheide. Vielmehr hatte die Vorinstanz das Recht von Amtes wegen anzuwenden (Art. 57 ZPO).

 

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Autor: Nicolas Facincani

 

 

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