Im Entscheid 4A_83/2019 vom 6. Mail 2019 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob im Rahmen der Freistellung nach erfolgter Kündigung die verbleibenden 38 Ferientage des betreffenden Arbeitnehmers als kompensiert gelten oder ob diese nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszubezahlen sind – grundsätzlich sind die Ferien in „natura“ zu gewähren und nicht auszubezahlen.

 

Freistellung – Überblick

Die Freistellung ist eine Befreiung des Arbeitnehmers von seiner  Arbeitspflicht durch den Arbeitgeber für die Zeit zwischen einer ausgesprochenen Kündigung und dem Vertragsende. Diese ist nicht ausdrücklich im Gesetz genannt, gemäss h.L. aber als Anwendungsfall des Annahmeverzugs der Arbeitgeberin nach Art. 324 OR zu qualifizieren. Die vorbehaltlose und unbedingte Freistellungserklärung für eine bestimmte Zeitperiode kann nicht zurückgenommen werden

Oft sieht man im Rahmen von Kündigungen etwa das Folgende:

Wir sehen uns gezwungen, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist von 3 Monaten zu kündigen. Sie werden ab sofort freigestellt. Ein allfälliger positiver Überzeitsaldo sowie allfällige Restferienansprüche sind in der Freistellungszeit zu beziehen. Wir halten ausdrücklich fest, dass mit der Freistellung noch ausstehende Ansprüche auf Überzeit, Überstunden und Ferien abgegolten sind. Es steht Ihnen frei, bereits vor dem letzten Tag der Kündigungsfrist eine neue Stelle anzutreten, wobei Sie sich verpflichten, uns dies unverzüglich zu melden.

 

Anspruch auf Beschäftigung

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Beschäftigung. Daher kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer jederzeit von der Arbeit freistellen, d.h. auf seine Arbeitsleistung verzichten (BGer: „la libération de l’obligation de travailler est admissible“).

 

Bei der Freiheit der Freistellungen sind etwa die folgenden Punkte zu beachten :
  • Persönlichkeitsrechte
  • Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben
  • Vertragliche Beschäftigungspflicht
  • Beschäftigungsanspruch als Ausnahme (Künstler, Berufssportler, Piloten, Forscher etc., absoluter Beschäftigungsanspruch beim Lehrvertrag

 

Die Rechtsfolgen einer Freistellung sind (sofern keine anderweitige Vereinbarung):

  • Der Untergang der Arbeitspflicht
  • Der Lohnanspruch des Arbeitnehmers besteht bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisse unter Anrechnung von anderweitigem Verdienst (Art. 324 Abs. 1 OR). Bei Krankheit während der Freistellung bestimmt sich der Lohnanspruch nach Art. 324a OR.
  • Bei Krankheit während der Freistellung verlängert sich das Arbeitsverhältnis nach Art. 336c Abs. 3 OR
  • Der Arbeitnehmer hat sich auf Stellensuche zu begeben
  • Die Treuepflicht ist bis zum letzten Arbeitstag zu beachten (Art. 321a Abs. 1 OR). Die Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen konkurrenzierenden Tätigkeit ist daher nicht zulässig
  • Arbeitsutensilien sind dem Arbeitgeber zurückzugeben
  • Spesenpauschalen müssen nicht mehr entschädigt werden, sofern es sich um Auslagenersatz handelt. Sind sie Lohn, sind sie zu entschädigen.

 

Die Freistellung kann nur rückgängig gemacht werden, sofern Widerruf der Freistellung vorbehalten wurde, auf keinen Fall jedoch, sofern der Arbeitnehmer eine neue Stelle gefunden hat.

 

Freistellung und Ferien

Während der Freistellung sind die Ferien grundsätzlich zu kompensieren, sofern:

  • genügend Zeit für die Stellensuche vorhanden ist.
  • genügend Zeit bleibt, um Ferien zu planen.
  • der Arbeitnehmer sich nicht zur Verfügung des Arbeitgebers halten muss.

 

Oft ist der konkrete Ferienbezug strittig und es ist, sofern die Freistellung nicht vereinbart wurde, sondern nur einseitig durch den Arbeitgeber angeordnet ist, stets die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Ferienguthaben sind insbesondere dann zu beziehen, sofern die Dauer der Freistellung die Ferienguthaben stark übersteigen, obgleich auch zu berücksichtigen ist, ob der Arbeitnehmer noch eine Stelle suchen muss oder nicht. Im Sinne einer Faustregel wird oft davon ausgegangen, dass der Ferienbezug möglich ist, wenn die Ferien nicht mehr als einen Drittel der Freistellungsdauer betragen. Konkret sind aber jeweils die Umstände im Einzelfall zu berücksichtigen.

 

Entscheid des Bundesgerichts

Im Entscheid 4A_83/2019 vom 6. Mail 2019 erinnert dieses an die geltenden Rechtsgrundsätze:

Das Verbot, Ferien durch Geldleistungen zu ersetzen, gilt in der Regel auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Grundsatz ist jedoch nicht absolut, da der Arbeitnehmer nach Beendigung des Vertrages eine andere Beschäftigung suchen muss und der Arbeitgeber dafür die erforderliche Zeit einplanen muss (Art. 329 Abs. 3 OR); da diese Suche mit der tatsächlichen Inanspruchnahme von Ferien unvereinbar ist, ist es jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände, wie der Länge des Urlaubszeitraums, der Schwierigkeit, eine alternative Beschäftigung zu finden, und der Balance der zu nehmenden Urlaubstage zu prüfen, ob der Arbeitgeber verlangen könnte, dass die Ferien während der Kündigung genommen werden, oder ob er sie am Ende des Arbeitsverhältnisses bar bezahlen muss. Wurde der Arbeitnehmer bis zum Ende des Vertrages von der Arbeitsverpflichtung entbunden, so richtet sich die Frage, ob der Saldo aus nicht genommenen Ferien in bar ausgeglichen werden soll, nach dem Verhältnis zwischen der Dauer der Entlassung von der Arbeitsverpflichtung und der Anzahl der verbleibenden Urlaubstage. Insbesondere während dieser Zeit muss der entlassene Arbeitnehmer neben seinen Ferien genügend Zeit haben, sich der Suche nach einer neuen Stelle zu widmen.

(En règle générale, l’interdiction de remplacer les vacances par des prestations en argent s’applique aussi après la résiliation des rapports de travail. Ce principe n’est toutefois pas absolu puisque, une fois le contrat dénoncé, le travailleur doit chercher un autre emploi et l’employeur doit lui accorder le temps nécessaire pour ce faire (art. 329 al. 3 CO) ; cette recherche étant incompatible avec la prise effective de vacances, il faut examiner dans chaque cas, au vu de l’ensemble des circonstances, telles que la durée du délai de congé, la difficulté à trouver un autre travail et le solde de jours de vacances à prendre, si l’employeur pouvait exiger que les vacances soient prises pendant le délai de congé ou s’il doit les payer en espèces à la fin des rapports de travail. Si le salarié, comme dans le cas présent, a été libéré de l’obligation de travailler jusqu’au terme du contrat, le point de savoir si le solde de vacances non prises doit être indemnisé en espèces repose sur le rapport entre la durée de la libération de l’obligation de travailler et le nombre de jours de vacances restants. Il faut en particulier que, durant cette période, le salarié congédié, en plus de ses vacances, ait suffisamment de temps à consacrer à la recherche d’un nouvel emploi (rappel de jurisprudence, cons. 4.1)).

 

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Autor: Nicolas Facincani