Die Verletzung der Treuepflichten des Arbeitnehmers, wie etwa die Pflicht zur Mitwirkung an internen Untersuchungen, das Aussageverhalten sowie die fehlende Reue in Bezug auf Verfehlungen können eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

In BGer 8C_626/2020 vom 21. Dezember 2020 hatte sich das Bundesgericht mit einem solchen Fall zu befassen. Der Arbeitnehmer war seit 8. April 2013 als Fachspezialist bei der Division Personenverkehr der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) tätig. Nach vorgängiger Ankündigung mit Gewährung des rechtlichen Gehörs vom 10. Februar 2020 löste die SBB das Arbeitsverhältnis mit Verfügung vom 17. Februar 2020 fristlos auf.

Der Arbeitnehmer, der keinen Anspruch auf Fahrvergünstigung gehabt hatte, hatte unbestrittenermassen mehrfach Ermässigungskarten für vergünstigte Fahrscheine bei Zugreisen im Ausland zur Nutzung überlassen oder solche selbst zur Buchung verwendet. Er hatte unstreitig reglementswidrig gehandelt, indem er einem Mitarbeiter einen für einen anderen Arbeitnehmer ausgestellten, nicht übertragbaren FIP-Ausweis und die DB-Netzkarte zum Kauf von vergünstigten Fahrkarten überlassen bzw. die FIP-Vergünstigung für die Bestellung genutzt hatte. Erschwerend wirkte sich dabei aus, dass der Missbrauch über die ohne Anspruch erfolgte Verwendung des persönlich für den anderen Arbeitnehmer ausgestellten FIP-Ausweises, die diesen nie selbst erhalten habe, mit einer Täuschung über die Identität der Berechtigten einher gegangen sei. Zumindest einen Teil der Vorfälle hatte der Beschwerdeführer erst im Laufe der Befragung vom 4. Februar 2020 auf Nachfrage hin eingestanden, nachdem er sie zuvor nicht offengelegt hatte.

 

Anwendbares Recht

Auf das Personal der SBB finden gemäss Art. 15 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 1998 über die Schweizerischen Bundesbahnen (SBBG; SR 742.31) die Bestimmungen des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) Anwendung. Ergänzend ist der gestützt auf Art. 15 Abs. 2 SBBG und 38 Abs. 1 BPG erlassene Gesamtarbeitsvertrag 2019 der SBB (GAV) anwendbar.

Ziff. 176 Abs. 2 GAV hält fest, dass als wichtiger Grund jeder Umstand gilt, bei dessen Vorhandensein der kündigenden Partei nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf. Die Voraussetzung zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses orientiert sich damit an den „wichtigen Gründen“ gemäss Art. 337 Abs. 2 des Obligationenrechts (OR), der die fristlose Auflösung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse regelt.

 

Fristlose Kündigung nach Art. 337 OR

Nach Art. 337 OR kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen. Die fristlose Entlassung kann jederzeit ausgesprochen werden (siehe hierzu etwa den Beitrag Beurteilung einer fristlosen Entlassung).

Nach der Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung ist nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt, welche:

  • objektiv geeignet sind, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zuzumuten ist, und
  • auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben.

Der Richter kann nach den des Rechts und der Billigkeit entscheiden, ob die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund erfolgt (Art. 337 Abs. 3 OR). Zu diesem Zweck berücksichtigt er alle Elemente des Einzelfalls, insbesondere die Stellung des Arbeitnehmers, die Art und Dauer des Vertragsverhältnisses sowie Art und Umfang der Verstösse. Das Bundesgericht überprüft eine durch die obere kantonal Instanz getroffene Entscheidung nur eingeschränkt. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Entscheidung ungerechtfertigterweise von den Regeln der Lehre und Rechtsprechung im Bereich der freien Beurteilung/Würdigung abweicht, wenn sie auf Tatsachen beruht, die im konkreten Fall keine Rolle hätten spielen sollen, oder wenn sie Elemente ignoriert, die absolut hätten berücksichtigt werden sollen; darüber hinaus korrigiert das Bundesgericht getroffene Entscheidungen, wenn sie zu einem offensichtlich unlauteren Ergebnis oder einer schockierenden Ungerechtigkeit führen.

Eine sofortige Reaktion des Kündigenden ist verlangt, sobald die konkreten Umstände bekannt sind (siehe hierzu den Beitrag Sofortige Reaktion bei fristloser Kündigung).

 

Bundesverwaltungsgericht

In Würdigung der Umstände erkannte das Bundesverwaltungsgericht, der Beschwerdeführer habe schwerwiegend gegen die Treuepflicht verstossen. Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass die missbräuchlich genutzten Ermässigungen und die damit verbundenen Mindereinnahmen gerade ausländische Bahnunternehmen und Geschäftspartner der SBB betroffen hätten, mit denen der Beschwerdeführer selbstständig und in massgeblicher Rolle zusammengearbeitet habe. Dadurch sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin unzumutbar geworden. In ihrer Gesamtheit stellten die Verfehlungen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Fahrvergünstigungen und den wahrheitswidrigen Angaben bei der Untersuchung einen objektiv wichtigen Grund für die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne vorgängige Verwarnung dar. Die fristlose Kündigung sei – so die Vorinstanz – in Anbetracht der konkreten Verhältnisse nicht verspätet erfolgt. Infolge der gerechtfertigten fristlosen Entlassung habe der Beschwerdeführer weder Anspruch auf Fortzahlung des Lohns bis zum Ablauf der (hypothetischen) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf eine Entschädigung.

Das Bundesverwaltungsgericht legte dar, dass der wichtige Grund für eine fristlose Entlassung in einem schwerwiegenden Verstoss gegen die in Art. 20 Abs. 1 BPG und Ziff. 36 GAV verankerte Treuepflicht lag, also in der Pflicht der Angestellten, die berechtigten Interessen ihres Arbeitgebers wie auch des Bundes im Sinne einer sogenannt doppelten Loyalität zu wahren. Zu diesem Verstoss führten, nicht allein der mehrfache bzw. wiederholte Missbrauch von Fahrvergünstigungen, sondern auch das Aussageverhalten des Beschwerdeführers während der Untersuchung und dessen fehlende Reue hinsichtlich des unrechtmässigen Verhaltens.

Berücksichtigt wurde insbesondere auch die Funktion des Beschwerdeführers im Bereich der internationalen Distribution, aufgrund der von ihm im Zusammenhang mit internationalen Fahrvergünstigungen und den einschlägigen Reglementen eine erhöhte Treuepflicht gegenüber seiner Arbeitgeberin sowie ein höheres Mass an Loyalität und Rechtsbewusstsein hätten erwartet werden dürfen. Unter den gegebenen Umständen – so die Vorinstanz – seien die Verfehlungen des Beschwerdeführers geeignet gewesen, das in ihn gesetzte Vertrauen als Grundlage der Fortführung des Arbeitsverhältnisses und der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern zu beeinträchtigen, sodass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses infolge des schwerwiegenden Verstosses gegen die Treuepflicht für die Arbeitgeberin unzumutbar geworden und die fristlose Entlassung gerechtfertigt gewesen seien.

 

Entscheid des Bundesgerichts – Aussageverhalten

Das Bundesgericht schützte den Entscheid der Vorinstanz.

Als wichtiger  Grund für die fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht allein der Vorfall vom 31. Dezember 2019, sondern neben dem wiederholten Missbrauch von Fahrvergünstigungen auch das Aussageverhalten des Beschwerdeführers während der Untersuchung und dessen fehlende Reue hinsichtlich des unrechtmässigen Verhaltens zu beachten gewesen seien.

Beim Ereignis vom 31. Dezember 2019 sei anlässlich einer Billetkontrolle im Zug festgestellt worden, dass C.________ einen auf B.A.________ ausgestellten FIP-Ausweis zum Bezug preisreduzierter Fahrkarten verwendet habe. Der relevante Sachverhalt sei nicht von Beginn an klar gewesen. Der Vorfall vom 31. Dezember 2019 – so die Vorinstanz – habe Abklärungen bei der Stelle „Corporate Security“ ausgelöst und der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner Ferienabwesenheit erst am 20. Januar 2020 persönlich befragt sowie zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert werden können. Nachdem er am 22. Januar 2020 schriftlich mitgeteilt habe, C.________ sei keine Bekannte von B.A.________, sondern seine neue Partnerin, und er selber habe ihr den FIP-Ausweis überlassen, sei der Fall gleichentags der Abteilung Compliance übergeben worden. Nach Prüfung der Buchungen von C.________ auf Unregelmässigkeiten ab September 2018 sei der Beschwerdeführer am 4. Februar 2020 befragt und mit den eruierten Vorfällen konfrontiert worden. Im Nachgang zur Befragung habe die Arbeitgeberin dem Beschwerdeführer am 10. Februar 2020 das rechtliche Gehör eingeräumt, wovon er am 14. Februar 2020 Gebrauch gemacht habe, bevor sie am 17. Februar 2020 die fristlose Kündigung ausgesprochen habe.

 

Sofortige Reaktion bei fristloser Kündigung

Das Bundesverwaltungsgericht hatte erwogen, dass sich die durch den Vorfall vom 31. Dezember 2019 ausgelösten Abklärungen zum Jahresbeginn aufgrund der Beteiligung mehrerer Stellen wohl etwas hinausgeschoben, jedoch nicht grundlos geruht hätten oder zu wenig beförderlich vorangegangen seien. Insbesondere hätten auch die Antworten des Beschwerdeführers vom 22. Januar 2020 abgewartet werden müssen, bevor die Arbeitgeberin weitere Vorkehren habe treffen können. Da einerseits der Beschwerdeführer einen Teil der Vorfälle erst im Laufe der Befragung vom 4. Februar 2020 auf Nachfrage hin eingestanden habe, nachdem er sie zuvor nicht offengelegt habe, und anderseits dessen Aussageverhalten und fehlende Einsicht anlässlich dieses Gesprächs endgültig Anlass für die fristlose Kündigung gegeben hätten, seien die ausschlaggebenden Tatsachen erst an diesem Tag festgestanden. Die anschliessende Zeitspanne bis zur Kündigung vom 17. Februar 2020 sei auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs und die erforderliche Verfügungsform der Kündigung zurückzuführen, weshalb insgesamt die Rechtzeitigkeit der fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu bejahen sei.

Das Bundesgericht hielt hierzu lediglich fest, dass dem Arbeitgeber öffentlich-rechtlicher Arbeitsverhältnisse für eine fristlose Auflösung eine längere Reaktionszeit zugebilligt werde (vgl. BGE 138 I 113 E. 6.4 S. 118 ff.).

Ob tatsächlich genügend beförderlich vorgegangen worden war, kann nicht abschliessend beurteilt werden. Oft wird aber im Zusammenhang mit internen Untersuchungen tatsächlich eher lang zugewartet, bis eine fristlose Kündigung ausgesprochen wird. Der Arbeitgeber muss aufzeigen können, dass die Untersuchung nicht grundlos nicht vorangetrieben wurde.

 

Weitere Beiträge zum Personalrecht

 

Autor: Nicolas Facincani